Freitag, 4. Dezember 2009

Der gläserne Bürger wird bittere Realität: Wer streikt, wird erfasst

  1. In Deutschland wird künftig zentral erfasst, wer an einem Streik teilgenommen hat. Auch ob rechtmäßig oder wild gestreikt wurde oder Beschäftigte vom Arbeitgeber ausgesperrt wurden, steht vom 1. Januar 2010 an in einer bundesweiten Datenbank. Was Gewerkschafter und Datenschützer in Alarmstimmung versetzt, hört offiziell auf den Namen Elena - die Abkürzung für "Elektronischer Einkommensnachweis". Vom kommenden Jahr an müssen aufgrund eines neuen Gesetzes Arbeitgeber sämtliche Entgeltdaten ihrer Beschäftigten digital an eine zentrale Speicherstelle der Deutschen Rentenversicherung übermitteln. Ab 2012 sollen damit Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Wohngeld und Elterngeld schnell und ohne aufwendigen Papierkram beantragt werden können.

    Bürokratieabbau und Kostenersparnis heißen die Zauberworte. Was Elena im Detail enthält, wurde dagegen bislang lieber nicht an die große Glocke gehängt - obwohl es schon seit September feststeht. Die Liste der Angaben, die Unternehmen über ihre Arbeitnehmer zu machen haben, ist mehr als 40 Seiten lang. Und darin wird nicht nur nach Namen, Geburtsdatum, Anschrift oder Bezügen gefragt, sondern in der Rubrik "Fehlzeiten" auch nach einer Teilnahme an Streiks. Oder nach Abmahnungen und möglichem Fehlverhalten.

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  2. Ob Arbeitslosenhilfe, Wohn- oder Elterngeld – in zwei Jahren geht nichts mehr ohne elektronisch lesbare Signaturkarte. Arbeitslose werden dann nicht mehr Kopien ihrer letzten Verdienstbescheinigungen in das zuständige Amt tragen, sondern die nötigen Informationen für ihre Anträge kommen aus einer bundesweiten Datenbank – sofern Antragsteller und Sachbearbeiter beim System als berechtigt gelten. Um die Anträge auf Sozialleistungen bearbeiten zu können, müssen Daten über die letzten zwei Jahre vorliegen. Deshalb läuft der eigentliche Betrieb erst 2012 an, obwohl die Arbeitgeber bereits zum Jahresbeginn 2010 mit der Übertragung beginnen. (...)

    Im Rahmen von "Elena" übertragen die Unternehmen ab dem 1. Januar 2010 monatlich einen Multifunktionalen Verdienstdatensatz (MVDS) an die ZSS [Zentrale Speicherstelle]. Dieser Datensatz enthält nicht nur Name, Anschrift, Einkommen und die Rentenversicherungsnummer des Beschäftigten, sondern auch zahlreiche weitere Informationen. Die vielfältigen Beschäftigungsverhältnisse in das Korsett des Datensatzes zu pressen, ist einigermaßen kompliziert. Noch komplizierter wird es dann für die Unternehmen ab Juli 2010, wenn anlassbezogene Felder wie der "Datenbaustein Kündigung/Entlassung" ausgefüllt werden müssen. Er enthält Informationen wie

    • befristetes Arbeitsverhältnis ja/nein

    • schriftliche Kündigung ja/nein

    • betriebsbedingte Kündigung ja/nein

    • Kündigungsschutzklage ja/nein

    • Kündigung per Post ja/nein

    • Schilderung des vertragswidrigen Verhaltens ("Freitext") (...)


    Wäre es nicht praktisch, wenn die staatlichen Stellen über Behördengrenzen hinweg Informationen austauschen könnten? Wenn der Fallmanager im Arbeitsamt mit einer Suchmaske und einem Mausklick nachsehen könnte, wo der Arbeitslose in den letzten Jahren gewohnt hat? Oder gleich die Informationen der Krankenkasse abfragen kann, um seinem Klienten ein maßgeschneidertes Vermittlungsangebot zu machen? Noch stehen einem solchen Szenario zahlreiche Gesetze und Verfahrensregeln im Weg. Aber allmählich entsteht die technisch-organisatorische Infrastruktur für einen Sozial-Datenbank-Staat, der sich seine Datenbestände umfassend erschließt, um "zu wissen, was er weiß".

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Anmerkung: Man fasst es nicht, was da geschieht. Die Horrorvisionen George Orwells rücken in immer quälendere Nähe - nur erfährt die breite Öffentlichkeit kaum etwas davon. Welcher Bürger dieses Landes heißt eine solche zentrale Datenbank, in der alle möglichen Daten über jeden einzelnen Bürger gespeichert sind, ernsthaft gut? Und wer glaubt allen Ernstes daran, dass die jetzt getroffenen Beteuerungen, es werde ja "Zugangsbeschränkungen" geben, in Zukunft auch nur ansatzweise Gültigkeit haben werden? Mein Gott, wohin wird das führen. Man stelle sich nur einmal kurz vor, die Gestapo hätte über eine solche Datenbank verfügt.

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