Sonntag, 20. Dezember 2009

Über die Krisen des Kapitalismus und Alternativen

Der am 4. September 1931 in Kairo geborene Samir Amin gehört zu den bedeutendsten und einflussreichsten Intellektuellen der sogenannten Dritten Welt. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor lehrte an der Universität Dakar in Senegal und in Paris (Paris VIII-Vincennes). Amin hat rund 50 Bücher über entwicklungspolitische und entwicklungstheoretische Themen publiziert. Als sein bedeutendstes Werk gilt "L'accumulation à l'échelle mondiale" (Die Akkumulation auf globaler Ebene). Seit 1980 leitet er das Dritte Welt Forum in Senegals Hauptstadt Dakar. Am 3. Dezember wurde er in Berlin mit dem Ibn Rushd Preis 2009 für die Freiheit des Denkens ausgezeichnet. (...)

Wenn wir Ihrer Schätzung nach mitten in der Krisenetappe sind, was lässt sich über den weiteren Verlauf prognostizieren?

Dafür ist ein Rückblick auf die vergangene lange Krise erhellend. Sie begann 1873, kurz nach dem Aufstand der Pariser Kommune und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Auch damals reagierte das Kapital auf die fallenden Profitraten mit Konzentration und weltweiter Expansion. Es entstand die erste Welle der Mono- und Oligopole. Die Expansion erfolgte über die Kolonialisierung Afrikas, Südostasiens und die Unterordnung von China und Lateinamerika über den Hebel der Auslandsverschuldung. Die Finanzialisierung nahm damals mit der Gründung der Wall Street und der Londoner City ihren Anfang. Das war die erste Welle der Finanzialisierung. Es war der Ausgangspunkt für die erste "belle époque", die bekanntlich im ersten Weltkrieg endete und in der russischen Revolution. Darauf folgten die Krisen der 20er Jahre, die Nazis, die bis Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 andauerten. Das waren keine kleinen historischen Ereignisse wie ein Regierungswechsel, das waren tiefe geschichtliche Einschnitte. Gelöst wurde die Krise aus Sicht des Kapitals unter anderem mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, dem Bretton-Woods-System von Internationalem Währungsfonds und Weltbank, dem allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, dem Dollar als Leitwährung und den USA als Weltkonjunkturlokomotive. Verglichen mit damals sind wir heute quasi im Jahre 1940.

Das heißt mitten im Krieg ...

Ja. Die globalen Kriege sind im Gange: in Irak, in Afghanistan, ich würde Palästina hinzufügen, die Bedrohung von Iran, die Bedrohung von China und Russland durch US-Militärbasen in der Region und so weiter. Deshalb steuern wir auf alles andere als auf ein Ende der Krise zu, wie es von vielen Politikern allenthalben behauptet wird. Wir sind mitten in einer Periode des Chaos, deren Ende und deren Ergebnisse nicht absehbar sind. Alles ist möglich – eine Entwicklung zum Guten ebenso wie eine zum Schlechten.

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