Freitag, 1. Januar 2010

Der Wohlfahrtsstaat nach der Krise oder: Die doppelte Privatisierung des Sozialen

Der Wohlfahrtsstaat der demokratischen-kapitalistischen Gesellschaften kann auf eine lange, erfüllte Krisengeschichte zurückblicken. Spätestens mit der vorletzten schwarz-gelben Regierungsübernahme zu Beginn der 80er Jahre wurde auch hierzulande die permanente "Krise des Sozialstaats" ausgerufen. Er gilt seinen vornehmlich (aber keineswegs nur) wirtschaftsliberalen Kritikern seither nicht nur als grundsätzlich "zu teuer", sondern auch als ein institutionelles Arrangement, das systematisch "falsche Anreize" setze. Vom "Versorgungsstaat" für "faule Arbeitslose" oder von der "sozialen Hängematte" im "Freizeitpark Deutschland" ist typischerweise die Rede, wenn es darum geht, eine staatliche Politik des materiellen Ausgleichs und der relativen Angleichung ungleicher sozialer Lebenslagen und individueller Lebenschancen nicht als Lösung, sondern als Quelle sozialer Probleme zu kritisieren. (...)

Wenn es nun irgendetwas Erfreuliches an den gegenwärtigen, finanzmarktkrisengezeichneten Zeiten gibt, dann ist es der (zugegebenermaßen schwache) Trost, dass man wohl kaum – nicht einmal als überzeugter Neoliberaler – wird behaupten können, dass diese jüngste Krise, die ja den meisten Beobachtern mittlerweile schon wieder als überwunden gilt, "überbordenden Soziallasten" geschuldet war. Viel eher steht sie – umgekehrt – im Zusammenhang gerade mit den genannten Prozessen des Rückbaus und der (teilweisen) Privatisierung öffentlicher sozialer Sicherungssysteme, insbesondere mit der international zunehmenden Umstellung der Alterssicherung auf Kapitaldeckungsverfahren, die in Gestalt gigantischer Pensionsfonds die globale Renditesuche institutioneller Anleger in den letzten Jahren in nicht unwesentlichem Maße mit angefeuert hat. (...)

Man muss nicht hellsehen können, sondern nur die Zeichen der Zeit erkennen, um zu wissen, dass sich im Zuge der Materialisierung der wirtschaftlichen Krisen- bzw. Krisenbewältigungsfolgen die regulative Umorientierung des deutschen Sozialstaats fortsetzen und tendenziell verschärfen wird – einschließlich der Tendenz zur politisch-moralischen Entwertung all jener Lebensweisen und Sozialmilieus, die nicht der neuen wohlfahrtsstaatlichen Norm privatisierter Sozialverantwortlichkeit entsprechen. In dieser Konstellation wird jede Form sozialstaatsfreundlicher Politik in den nächsten Jahren vor weiter verengten Handlungsspielräumen und nochmals verschärften Legitimationsnöten stehen. Umso mehr und desto dringlicher ist eine offensive Strategie der politischen Verteidigung eines starken Wohlfahrtsstaates gefragt – als institutioneller Garant der Lebenschancen und Bürgerrechte gerade derjenigen, die erwartbar von den unmittelbaren und mittelbaren Kriseneffekten besonders betroffen sein werden, ohne für die Krisenphänomene selbst verantwortlich zu sein.

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