Samstag, 27. Februar 2010

Augstein: Wozu noch Journalismus?

(...) Man sollte sehr hellhörig werden, wenn Journalisten anfangen, sich auf ihre Verantwortung zu berufen. Sie haben nur eine einzige: der Wahrheit gegenüber. Alles andere geht sie nichts an. Journalisten sind für die Landesverteidigung nicht zuständig und für die Stabilisierung des Kapitalismus auch nicht, das Überleben der Bundesregierung muss ihnen ebenso gleichgültig sein, wie der deutsche Außenhandelsüberschuss. Sie kommen andernfalls in Teufels Küche. Da mag es einem warm und behaglich vorkommen.

Aber, um mal im Bild zu bleiben, einen so langen Löffel haben die wenigstens Journalisten, dass sie sich mit dem Teufel unbeschadet zu Tisch setzen könnten. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass alle Journalisten sich verhalten wie Kurt Kister: Als der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn seinerzeit in einem Berliner Restaurant traf und ihm gönnerhaft zurief, ihn doch einmal in seinem neuen Kanzleramt zu besuchen, da soll Kister ihm entgegnet haben: "Das ist nicht Ihr Kanzleramt, Herr Bundeskanzler." Wenn Journalisten ihre Unabhängigkeit verlieren, werden sie zu Dienern. Zu Staatsdienern. Solche Journalisten braucht kein Mensch.

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Anmerkung: Jakob Augstein ist Verleger der Wochenzeitung Der Freitag. Wieso fängt er in seinem eigenen Haus nicht einmal damit an, wieder vermehrt kritischen, unabhängigen Journalismus zu fördern? Inhaltlich ist ihm nämlich leider zuzustimmen. Allerdings hätte seine Kritik etwas umfassender ausfallen müssen - denn viele Journalisten stehen heute unter einem starken Leistungsdruck. Vielen droht die Arbeitslosigkeit, und die Verbliebenen müssen mit immer weniger Kollegen immer mehr Arbeit leisten. Ebenso werden viele auch regelrecht unter Druck gesetzt, was den Inhalt ihrer Texte betrifft - einen "freien Journalismus", die so genannte "vierte Gewalt" im Staate, gibt es längst nicht mehr, seit große Konzerne nahezu alle Zeitungs- und Zeitschriftenverlage übernommen haben. Die Folgen sind überall spürbar. Besonders deutlich werden sie z.B. bei der Betrachtung des Spiegel, der sich vom ehemaligen Nachrichtenmagazin zum billigen Propagandablatt der neoliberalen Ideologie gewandelt hat.

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