Dienstag, 29. Mai 2012

Zitat des Tages: Die [irrsinnige] Lösung

Wenn was nicht klappt, wenn was nicht klappt,
dann wird vor allem mal nicht berappt.
Wir setzen frisch und munter
die Löhne, die Löhne herunter –
immer runter!

Wir haben bis über die Ohren
bei unsern Geschäften verloren ...
Unser Geld ist in allen Welten:
Kapital und Zinsen und Zubehör.
So lassen wir denn unser großes Malheur
nur einen, nur einen entgelten:
Den, der sich nicht mehr wehren kann,
Den Angestellten, den Arbeitsmann;
den Hund, den Moskau verhetzte,
dem nehmen wir nun das Letzte.
Arbeiterblut muss man keltern.
Wir sparen an den Gehältern –
immer runter!

Unsre Inserate sind nur noch ein Hohn.
Was braucht denn auch die deutsche Nation
sich Hemden und Stiefel zu kaufen?
Soll sie doch barfuß laufen!
Wir haben im Schädel nur ein Wort:
Export! Export!

Was braucht ihr eignen Hausstand?
Unsre Kunden wohnen im Ausland!
Für euch gibts keine Waren.
Für euch heißts: sparen! sparen!
Nicht wahr, ein richtiger Kapitalist
hat verdient, als es gut gegangen ist.
Er hat einen guten Magen,
Wir mussten das Risiko tragen ...
Wir geben das Risiko traurig und schlapp
inzwischen in der Garderobe ab.

Was macht man mit Arbeitermassen?
Entlassen! Entlassen! Entlassen!
Wir haben die Lösung gefunden:
Krieg den eignen Kunden!
Dieweil der deutsche Kapitalist
Gemüt hat und Exportkaufmann ist.
Wussten Sie das nicht schon früher –?
Gott segne die Wirtschaftsverführer!

(Theobald Tiger alias Kurt Tucholsky [1890-1935], in "Die Weltbühne", Nr. 34 vom 25.08.1931)

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Handelsfriede auf Erden!


"Endlich sind sich alle Völker darüber einig, dass sie nur exportieren, aber nichts importieren wollen!"

(Zeichnung von Olaf Gulbransson [1873-1958], in "Simplicissimus", Heft 38 vom 21.12.1931)

Anmerkung: So wunderbar treffend diese zeichnerische Darstellung der langen Schlange von Nationen auch ist, die fröhlich in der logischer Weise menschenleeren Wüste ihre Waren dem Nichts feilbieten, so wichtig ist es auch, erneut darauf hinzuweisen, dass auch der Zeichner Gulbransson zu den überaus verachtenswerten Opportunisten gehörte, die ab Februar 1933 einen scharfen Rechtsschwenk vollzogen und sich dem Nazi-Diktat nur allzu willig unterworfen haben. Dies ist im Falle Gulbranssons noch von größerer Brisanz, da er als norwegischer, weiterhin in Deutschland lebender Staatsbürger miterlebt hat, wie auch sein Heimatland von den deutschen Terrorbanden überfallen und besetzt wurde. Wir haben an anderen Stellen hier im Blog ja bereits über diese Problematik diskutiert.

Das ändert jedoch nichts an der grotesken Aktualität sowohl des (politisch unverdächtigen) Gedichts, als auch der Zeichnung.

5 Kommentare:

  1. Fein, da hat der Tucholsky ja mal wieder genau die richtigen Worte gefunden. Besonders die letzte Zeile mit den "WirtschaftsVERführern" und Gott find ich köstlich. -)

    Aber daß es damals so unglaublich viele Arschlöcher gegeben hat die den Nazis in den Darm gekrochen sind find ich sehr erschreckend. Dieser Norweger ist laut Wikipedia ja ein ganz besonders ekelhafter Vertreter dieser Gattung gewesen.

    Abgesehen davon ist das mit der Exportficierung und der "Lohnzurückhaltung" eine wahnsinnig tolle Idee.... Merkel und die anderen "Experten" wissen offensichtlich, wo sie ihre Ideen für die Zukunft klauen müssen um ähnlich erfolgreich zu sein (und die Welt in den Abgrund zu stoßen).

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  2. Blubberblasenabsonderer30. Mai 2012 um 08:09

    Komisch, komisch. In den medien wird uns doch immer erzählt das das alles eine ganz neue, überaus innovative ("moderne") Strategie ist und es sowieso keine Alterntive dazu gibt.

    Daß es nur eine uralte Wiederholung ist, liest man nirgendwo. Komisch, komisch. Verschwürungstheorien sind ja unseriös, gell. Sind wirkliche Verschwörungen auch unseriös? Oder ist das bloß der ganz normale Wahnsinn?

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  3. @ Darkmoon: Ich bin sicher, die neoliberalen Strategen wissen ganz genau, was sie anrichten - sie tun es bewusst und überlegt. Gerade mit Zerstörungen, mit Leid, mit Kriegen kann die "Elite" vorzüglich viel Geld verdienen. Deshalb wird in Bezug auf Syrien gerade auch wieder so emsig mit den Säbeln gerasselt. Diese Bande kennt keine Skrupel.

    @ Blubberblase: Der "ganz normale Wahnsinn" trifft es schon ziemlich gut, fürchte ich.

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  4. Hach ja, den Kurt muss man lieben. Wunderbar, dass du wieder so einen treffenden Text ausgegraben hast. Ich finde die Idee einer Anthologie politischer Lyrik aus der Weimarer Zeit ja nach wie vor ziemlich gut.

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  5. Ich finde die Idee auch gut ... allerdings müsste ein Verleger sie gut finden, damit daraus etwas werden kann. ;-)

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