Samstag, 22. Juni 2013

Bild des Tages: Dönüşüm - die Verwandlung



(Bild: imgur.com; zum Vergrößern draufklicken)

Anmerkung: Im Rahmen des Protestes in Istanbul in den vergangen Tagen ist auch dieses Foto entstanden, das eine Frau zeigt, die mit verhüllten Augen die Erzählung "Die Verwandlung" von Franz Kafka aus dem Jahre 1912 zu lesen scheint bzw. daran offensichtlich durch die Augenbinde gehindert wird. Für mich ist das eine ganz außerordentlich starke, aussagekräftige Form des Protestes, die ich sehr bewundere.

Ich kann und will an dieser Stelle keine Analyse des Kafka-Textes anbieten - zu diesem Thema sind unzählige Bücher geschrieben worden und es herrscht bis heute kein Konsens in der Literaturwissenschaft. Dennoch möchte ich auf den Interpretationsansatz von Peter-André Alt zumindest hinweisen, den dieser in seiner Kafka-Biographie aus dem Jahr 2005 ("Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie") formuliert hat: Danach ist "die Gestalt des Ungeziefers ein drastischer Ausdruck der von Deprivation geprägten Existenz Gregor Samsas [des Protagonisten]. Reduziert auf die Erfüllung seiner beruflichen Pflichten, ängstlich um sein Fortkommen bemüht, gepeinigt von der Angst vor geschäftlichen Fehlern, ist er die Kreatur eines funktionalistischen Erwerbslebens."

Es war schon ein genialer Einfall dieser Frau aus Istanbul, ausgerechnet dieses Buch für ihren ungewöhnlichen, stummen Protest auszuwählen.

Das gesamte Werk Kafkas ist übrigens inzwischen gemeinfrei (d.h. endlich befreit von sämtlichen Urheberschutzgelderpressungen habgieriger "Rechteverwerter") und legal im Internet abrufbar. "Die Verwandlung" findet Ihr beispielsweise hier. Es gibt meines Erachtens nur wenige Erzählungen, deren Beginn bereits eine so extreme Lust zum Weiterlesen erzeugt:

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen."

8 Kommentare:

  1. Was fürn Bild!... das habe ich gleich mal in einem meiner Texte verwurstet. Mußte sein: es haut mich wirklich um.
    Gruß
    das Pantoufle

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  2. Ganz ehrlich, ich hab lange schlucken müssen als ich das Foto sah und den Text gelesen habe. Mich haut das auch um. Viele werden den Kern dieses Protestes gar nicht verstehen (das Pantoffelchen ist ja ein deutliches Beispiel dafür, der hat deinen Text entweder gar nicht gelesen oder ihn nicht verstanden), aber das macht die Aussage die diese Frau in die Welt schreit, ja nur noch deutlicher.

    Genau das ist aber auch mein Kritikpunkt: Was nützt ein Protest, den viele Menschen wegen mangelnder Bildung oder fehlender geistiger Fähigkeiten gar nicht verstehen? Die Verwechslung von "Prozess" und "Verwandlung" von Kafka ist da ja nur die Spitze des Eisbergs, die klar erkennen lässt, dass der Urheber dieses Bonbons weder den einen noch den anderen Text gelesen bzw. verstanden hat. Wieviele andere Leute gibt es draußen in der Welt die von Kafka noch nie was gehört haben oder genauso ahnungslos sind wie dein erster Kommentator? Das ist die Mehrheit, Charlie, und du weisst das.

    Ich hör jetzt besser auf, alles weitere am Telefon oder beim nächsten gemeinsamenen Kaffee. :)

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    1. @ anabelle

      ja, kafka ist keine leichte kost und man muß schon eine affinität dazu haben.
      und einen gewissen geist - um es überhaupt zu begreifen, zu verstehen zu verinnerlichen.

      vor ein paar wochen habe ich mir "nuit noire" angeschaut. da trifft die beschreibung kafkaesk sehr gut.
      geniale bilder!!

      also vor 20 jahren habe ich auch mit kafka nix anfangen können. andere lebens- und sichtweise. da hat mich z.b. ZEN auch noch nicht interessiert.
      und manchen zen-text kapiere ich heute noch nicht......aber ich bin ja lernfähig....

      das wichtigste an darstellender kunst - wie sie sich auch immer zeigen mag - ist wohl, daß darüber geredet wird, zu diskussionen anregt, sich gedanken machen!!
      ziel erreicht!

      beuys haben auch nicht "alle" kapiert. und marilyn manson ist für viele einfach nur ein schocker. seine musik hört man u.a. auch in "matrix".

      ja, tiefgang ist nicht jedermanns/frau sache!

      du als lehrerin kannst auch nur anbieten und impulse setzen. was der einzelne daraus macht, ist sein ding.

      trotz allem einfach immer weitermachen!!!

      die hoffnung stirbt zuletzt :-)

      herzlichst
      dani



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    2. @ Anabelle: Ruhig, Braune!! Nun pack die große Keule mal wieder ein, die ist hier doch völlig fehl am Platze. Jeder Mensch kann mal etwas verwechseln, daran ist nichts Verwerfliches - ich erinnere mich daran, dass auch Du schon einmal Tucholsky, Kästner und Klaus Mann wild durcheinander gewürfelt hast, um nur ein einziges Beispiel zu nennen. So what, das kann passieren, wir sind keine Computer.

      Pantoufle jedenfalls ist das völlig falsche Ziel Deiner Attacken - wenn Du dich schon aufregst, dann tu das doch wenigstens über Begebenheiten und Personen, die diese Aufregung auch redlich verdient haben. Das kannst Du ja gut, das weiß ich. ;-)

      Deine generelle Kritik kann ich nachvollziehen - wir können in der Tat nicht davon ausgehen, dass die große Mehrheit (noch dazu in einem anderssprachigen Land) mit dem literarischen Werk Kafkas inniglich vertraut ist. Sollen deshalb aber alle Proteste auf dem "kleinsten gemeinsamen Nenner" stattfinden, damit auch wirklich jeder sie versteht? Das halte ich für keine sonderlich gute Idee, weil man dann nämlich schnell auf BLÖD-Niveau landet. Die Vielfalt macht's - und wenn manche oder auch viele Menschen mit der einen oder anderen Protesaktion nicht viel anfangen können, schmälert das doch den gesamten Protest nicht.

      Also: Hau der neoliberalen Bande jederzeit sehr gerne ihren menschenfeindlichen Schwachsinn um die Ohren, aber lass die unbescholtenen Blogbesucher/innen in Ruhe. :-)

      Liebe Grüße!

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  3. @Anabelle
    In der Tat: Ich habe den Text tatsächlich erst erheblich später gelesen; als ich es tat, verstand ich es in groben Zügen. So jedenfalls nach meiner eigenen, der Eitelkeit nicht fernen Meinung.
    Zur demütigen Entschuldigung kann ich nun anfügen, daß ich photographiere und glaube, daß ein Bild gelegentlich jeden Kommentar - wenn nicht verbietet, so doch entbehrlich macht.

    Hochachtungsvoll
    das Pantouffelchen aka »deutliches Beispiel«

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    1. @ pantoufle: Mach Dir nix draus - die meint das nicht so. Ich habe schon ganz andere Attacken von dieser Frau aushalten müssen ... aber das gehört jetzt nicht hierher. ;-)

      Liebe Grüße!

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  4. O.K., du hast Recht, Charlie, ich entschuldige mich bei Pantoufle, das war im Eifer des Gefechts geschrieben, sorry.

    Ich bin aber auch geladen zurzeit. Eine absurde Nachricht nach der anderen, und im Land passiert: NICHTS!!!! Sie bleiben alle ruhig.

    Also, nicht böse sein, O.K.?

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