(The Enid: "One And The Many", aus dem Album "Invicta", 2012)
Anmerkung: Die engelgleiche Stimme, die ihr hört, gehört einem Mann; die Musik, die ihr vernehmt, stammt nicht von Mendelssohn, Mahler oder Brahms, sondern von Robert John Godfrey, und es spielt auch kein Orchester, sondern nur eine handvoll Musiker, die auf kleinsten Bühnen Platz finden. Seit 40 Jahren veröffentlicht dieser Musikbesessene mit seiner Band einen musikalischen Paukenschlag nach dem anderen, ohne dafür auch nur im Entferntesten die Würdigung erfahren zu haben, die er längst verdiente - jedes einzelne Album dieser Band seit 1973 ist deutlich eigenständig und bietet mehr als genug kreativen Spielraum, den die allermeisten anderen (ernsthaften) Bands während ihrer gesamte Bestehenszeit nicht einmal im Ansatz erreichen. Wenn es einen Komponisten in der Grauzone zwischen Rock- und "E"-Musik gibt, der sich selbst konsequent nicht ständig plagiiert, dann ist es Godfrey. Dessen musikalischer Weg ist offensichtlich auch im Alter von nunmehr 66 Jahren längst nicht zuende.
In dem hier verlinkten Werk aus dem jüngsten Album der Band sind die Parallelen zur religiösen Musik der Romantik offensichtlich - wie alle ernsthaften Komponisten, egal aus welcher Zeit, kopiert Godfrey hier aber nicht bloß, sondern zitiert, variiert, verfremdet und fügt dem Ganzen etwas gänzlich Neues, das es so in publizierter Form gewiss noch nicht gegeben hat, hinzu. Allein der Titel des Stücks legt auch die Vermutung nahe, dass die kirchenmusikalischen Zitate hier dazu dienen, die Absurdität eben jener religiösen Verbrämung aus der Vergangenheit klar und deutlich darzustellen. Leider liegt mir der Text zu diesem Stück nicht vor, so dass ich diese Vermutung nicht verifizieren kann.
Sobald ich auf den zweiten Teil dieses Titels, "the many", schaue, fällt mir aber unwillkürlich ein anderes, wesentlich älteres Stück von The Enid ein, nämlich: "Something Wicked This Way Comes" (aus dem Album "The Spell", 1985). Heute wissen wir längst, welche dunkle, habgierige, kapitalistische Brut Godfrey damals herankriechen sah - oder besser: Wir sollten es wissen, aber leider weiß es die Mehrheit trotzdem bis heute nicht, weil sie entweder zu blöd, zu abgelenkt, zu naiv, zu indoktriniert oder zu faschistoid ist.
Wenn ich einen Soundtrack zum Untergang dieser in die völlige Perversion abgeglittenen Menschheit schreiben müsste, würde ich auch auf vielfältige religiöse Motive und Formen in der Musik zurückgreifen. Glücklicherweise muss ich das aber nicht, sondern darf mich an den kreativen Untergangshymnen anderer Menschen erfreuen. Und das tue ich hier.

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