Die Speisen wurden endlich aufgetragen.
Ich konnts bezahlen, hatte mir die Bissen
nicht leicht verdient. Und meine Zähne rissen
das Fleisch. So füllte ich den Magen.
Doch eine Hand im Spiegel gegenüber
griff die Serviette, tupfte sich, gemessen,
den Mund, der, noch gefüllt, das Essen
verhalten gähnend lobte. Matt herüber
sahn Augen, die verdauten. Ich erkannte
mich kaum und äußerst ungern, sah die Wangen
bald schon wie eines Hamsters Backen hangen,
wars satt, dass ich so satt war, rannte
hinaus, erbrach mich, kam herein, man deckte
aufs neue ein, ich aß, unsatt, es schmeckte.
(Thomas Rosenlöcher [* 1947]; in: "Ich lag im Garten bei Kleinzschachwitz. Gedichte und zwei Notate", 1982)
Anmerkung: Ich habe selten eine so konzentrierte, feinfühlige und treffsichere Kritik des Kapitalismus bzw. der Ohnmacht angesichts seiner furchtbaren Auswirkungen gelesen wie in diesem Sonett - das freilich aus einer Zeit stammt, in der der Autor ein (gut situierter) Bürger der DDR gewesen ist. Es entzieht sich bislang meiner Kenntnis, was aus diesem literarisch so hoffnungsvollen und gesellschaftspolitisch so bitterbösen und realistischen Menschen nach 1990 geworden ist. Äußerst lesenswert ist sein erster Gedichtband heute aber allemal - und das noch viel, viel dringlicher als vor 30 Jahren.

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