Dienstag, 16. Januar 2018

Zitat des Tages: Trübes Lied


[oder: Wohin soll man flüchten?]

Herr, wissen Sie einen Ort auf der Welt,
wohin Sie gern führen, wo's Ihnen gefällt?
Ich selbst muss die Frage verneinen:
ich weiß nämlich leider keinen –

Bei uns ist überall Elend und Not,
man redet, verleumdet und schießt sich tot;
statt Silberstreif-Horizonten
grün-rot-braun-eiserne Fronten!

In Amerika gibt's keinen Alkohol,
in Indien fühlt man sich auch nicht wohl,
und China und Japan bereiten
sich vor zu "großen Zeiten".

In Spanien ist immer noch Revolution,
in Polen hängt man dich auf als Spion –
und wo die Gewehre nicht knallen,
hört man die Währungen fallen.

Am liebsten führ' man nach Afrika,
doch leider sind nur noch Filmleute da,
die alles niedermähen,
um einen Kulturfilm zu drehen.

Auch die Südsee war schön. Doch gerade zur Zeit
treten dort Vulkane in Tätigkeit.
Weshalb ich abends oft bete:
Herr, schenk' uns die Mondrakete!

-- Na und? Dann wäre sofort der Mond
von Kapital-Flüchtlingen bewohnt
und man träfe am Ende der Mondfahrt
womöglich grad Herrn von Gontard

Groß war die Welt und schön war die Welt,
bis der Mensch sie verkleinert und bös entstellt!
Man kann nur auf geistigen Gleisen
per Alkohol flüchtend verreisen ---

(Karl Kinndt alias Reinhard Koester [1885-1956]: "Trübes Lied", in "Simplicissimus", Heft 45 vom 08.02.1932)

Anmerkung: Wer mehr von Reinhard Koester lesen möchte, kann das kostenfrei hier tun (pdf): "Reinhard Koester: Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Dieter Sudhoff", Köln 2004.

---

Taverne



(Gemälde von Andrei Petrowitsch Rjabuschkin [1861-1904] aus dem Jahr 1891, Öl auf Leinwand, Tretjakow-Galerie, Moskau, Russland)

3 Kommentare:

  1. "Groß war die Welt und schön war die Welt,
    bis der Mensch sie verkleinert und bös entstellt!
    Man kann nur auf geistigen Gleisen
    per Alkohol flüchtend verreisen ---"


    Warum passt das so gut zu meiner Empfindsamkeit und ebenso gut zu 2018 wie zu 1932 und auch deshalb wieder darin bestärkend, dass es den idealen Zeitpunkt einfach nicht gibt, sondern nur den Willen und die Bereitschaft dazu.

    Und wenn eben nichts mehr geht, dann ist die Flucht, wohin auch immer und mit welchen Mitteln, keine schlechte Idee.

    Warum lässt sich der Mensch eigentlich immer wieder verpflichten in diesen
    politischen Morast von rot bis braun hineinzusteigen, sich immer wieder gegen seine eigenen Interessen vereinnahmen zu lassen..

    Wenn ich noch eine minimale geringe Hoffnung habe, dann vielleicht die, dass er sich weder von den falschen Versprechungen von links bis rechts noch vereinnahmen lässt.

    In der Tat illusorisch!

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  2. @ Troptard: Es heißt zwar, die Hoffnung stürbe zuletzt - zumindest auf mich bezogen muss ich aber konstatieren, dass sie längst den Löffel abgegeben hat und lange vor mir von unten an den Radieschen nagt. Und was manch andere GesellInnen da an "Hoffnung" aufbieten (Du hast als Beispiel an anderer Stelle Corbyn genannt - das trifft es sehr gut), versetzt auch mich eher in einen Zustand, der mit "irgendwo zwischen Schockstarre, brüllendem Gelächter und entnervtem Abwinken" ganz gut beschrieben ist.

    Daher noch ein Nachschlag, diesmal von einem anonymen Dichter aus dem Jahr 1947, der unter dem Pseudonym "White Mule" in der Nachkriegssatirezeitschrift "Der Simpl" (Heft 1/47) schrieb:

    Frei nach wem?

    Über Alldeutschland ist Grabesruh!
    Bei allen Parteien merkest Du
    Einen demokratischen Hauch. -
    Die Vöglein singen's im Walde:
    Warte nur, balde
    Ruhet der auch.


    Liebe Grüße!

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  3. Zur Hoffnungslosigkeit


    Auf die Hoffnunglosigkeit folgt immerhin noch die Trostlosigkeit.

    Mit meinem Kabarett möchte ich die Menschen begleiten, von der Aussichtslosigkeit über die Hoffnungslosigkeit
    zur Trostlosigkeit.Oder umgekehrt.

    Matthias Beltz



    lg
    Hagnum

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