Montag, 22. Februar 2010

Die Privatisierung der Not - das Bundesverfassungsgericht zu Hartz IV

  1. Der Bund kann künftig nicht mehr im Hinterzimmer festlegen, mit wie viel Geld die Deutschen zurechtkommen müssen. Ein Interview mit Sozialrichter Jürgen Borchert, der die Hartz-IV-Klage vor dem Verfassungsgericht mitinitiierte.

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  2. Hartz IV ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem mit Hochspannung erwarteten Urteil den Gesetzgeber aufgefordert, das Gesetz völlig neu zu fassen und die Armutsgrenze in Deutschland neu zu beschreiben.

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  3. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder ist ein Paukenschlag. In die Freude über das wegweisende Urteil mischt sich jedoch auch Besorgnis. Das oberste Gericht wird zunehmend zum Ausputzer für Politik, die unfähig und unwillig ist, das Grundgesetz als Maßstab des eigenen Handelns anzuerkennen. (...)

    Dennoch wäre ein Bekenntnis zum Sozialstaatsgebot eigentlich Aufgabe des Parlaments. Die Fraktion Die Linke fordert deshalb die Festschreibung und konkrete Ausgestaltung sozialer Grundrechte im Grundgesetz. Auf diese Weise könnte das Sozialstaatsprinzip dauerhaft vor politischen Angriffen geschützt werden. Wenn das Parlament seine Aufgaben ernst nimmt, überlässt es diese Aufgabe nicht weiterhin den Karlsruher Richtern.

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  4. Eine schallende Ohrfeige, die nicht besonders weh tut

    (...) Aber bis auf die Kinder und für Hilfsbedürftige mit einem besonderen Bedarf dürfte sich angesichts der politischen Konstellation die Lage der Armen nicht wesentlich verbessern. Der politische Kampf um die konkrete Bestimmung eines menschenwürdigen Existenzminimums wird weiter gehen müssen.

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Anmerkung: Den quasi "allmächtigen" Behörden stehen schon jetzt alle Instrumente zur Verfügung, den Regelsatz "individuell" zu kürzen bzw. ganz zu streichen - wovon in der Praxis ja auch reichlich Gebrauch gemacht wird. Wie das mit dem Begriff "Existenzminimum" oder auch der Lesart des BVG zu vereinbaren ist, wird wohl ewig ein juristisches Rätsel bleiben. Das BVG schreibt: "Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. (...) Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden (...)." - Und trotzdem darf munter gekürzt oder jede Leistung eingestellt werden? Das verstehe, wer mag - entweder ist etwas "absolut" und "unverfügbar" - oder eben nicht.

Die Willkür macht offenbar auch vor den höchsten Richtern dieses Landes nicht mehr halt. Wir hatten das schon einmal. Es wird also (fast) alles beim Alten bleiben - der Willkür sind trotz dieses Urteils alle Türen und Tore weit geöffnet, und die Verfolgung der Armen wird einfach weitergehen. - Wohin führt es diesmal?

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