Mittwoch, 11. August 2010

Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt - Erfahrungen aus der Hartz-IV-Welt

  1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ließ die Debatte um Hartz IV hochkochen. Der kleine Sieg, den dieses Urteil darstellt, rief heftige Gegenreaktionen neoliberaler Hardliner hervor, für die jede Form sozialstaatlicher Umverteilung des Teufels ist. Es ist daher verdienstvoll, den aufgebauschten Reportagen über "Sozialbetrüger" Berichte über die tatsächlichen Verhältnisse entgegenzusetzen, unter denen die Mehrzahl der Hartz-IV-Betroffenen gezwungenermaßen leben muss.

    Im Sammelband "Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt" dokumentieren Mitarbeiter karitativer Organisationen ihre Arbeit und lassen zahlreiche Betroffene zu Wort kommen. Gleich eingangs wird die junge Welt zitiert: Die Summe der von Arbeitsagenturen ausgegebenen "Lohnersatzleistungen" sinke von Jahr zu Jahr und sei 2008 so niedrig ausgefallen wie seit 18 Jahren nicht mehr. Als Folge des propagierten "Sozialneides nach unten" werden in dem Band Verzweiflungsausbrüche, Selbstmorddrohungen und Gegengewalt von seiten der Betroffenen dokumentiert.

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  2. Ein "Teufelskreis" ist schon mal per se keiner. Eine Rückkopplungsschleife beschreibt nicht wirklich einen Kreis, und die Unentrinnbarkeit wird spätestens dann von der mystischen Macht zur perfiden Farce, wenn die Bedingungen selbst gemacht und so gewollt sind. Und genau so sind die Hartz-Gesetze angelegt. Eine Schweinerei, deren Strategie darin besteht, Arbeit gleichzeitig zu glorifizieren und faktisch zu entwerten. Derart wird der besitzlose Nichtarbeiter zum Minderleister, der sein Leben nicht verdient hat. Schon zur Strafe drängt man ihn in Beschäftigungsverhältnisse zu Bedingungen, die kein souveräner Arbeiter akzeptieren würde. Womit ein Konkurrenzdruck auf ehemals reguläre Arbeitsverhältnisse entsteht, dem diese kaum standhalten können.

    Anstatt aber diesen Mechanismus zu durchbrechen, setzen die zu kaum mehr als solch zynischer Propaganda fähigen Politikverkäufer noch einen drauf. Mit einem beliebten Slogan hausiert die Bundesarbeitsministerin derzeit wieder: "Hartz IV darf nicht attraktiver werden als Arbeit". Dies freilich ist ein rhetorischer Knoten, der selbst in vier Dimensionen kaum auflösbar wird.

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Anmerkung: Es ist ein bodenloser Skandal, dass dieses "bürokratische Monster" namens Hartz IV vom Bundesverfassungsgericht nicht in Gänze gekippt worden ist. Es ist asozial, es ist faschistoid, es tritt die Menschenwürde und das Grundgesetz mit Füßen. Und die neoliberale Bande feiert es nach wie vor als "großen Erfolg" und spuckt Millionen von Menschen damit offen ins Gesicht. Kürzlich erst kursierte wieder ein grandioser Vorschlag der Sozialverächter durchs Sommerloch, dass für alleinstehende Hartz-IV-Opfer eine Wohnraumgröße von 25 m² doch völlig ausreichend sei. Dass diese Idee auf konkrete Zustände zurückgeht, kann man z.B. hier nachlesen:

"Leben in einem Käfig – freiwillig? In Hongkong leben über 100.000 Menschen in kleinen Käfigen, rund 20.000 von ihnen sind Kinder. Die doppelstöckigen Käfige sind oft nicht größer als zwei Quadratmeter. Eine Ausstellung von Misereor macht jetzt auf die Situation der Menschen aufmerksam."

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(Foto: Misereor)

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