Samstag, 8. Dezember 2012

Zitat des Tages: Wir verdienen nichts als das Chaos


Es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur tagtäglichen Notdurft geworden sind. Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist. Das Leben Hoffnungslosigkeit, an die sich die Philosophien anlehnen, in welcher alles letzten Endes verrückt werden muss. Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben. Wir haben nichts zu berichten, als dass wir erbärmlich sind. Mittel zum Zweck des Niedergangs, Geschöpfe der Agonie, erklärt sich uns alles, verstehen wir nichts. Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts, und wir verdienen auch nichts als das Chaos."

(Thomas Bernhard [1931-1989]: Rede anlässlich der Verleihung des österreichischen Förderungspreises für Literatur, 1968. - "Ich war mit meinem Text noch nicht zuende gekommen, da war der Minister mit hochrotem Gesicht aufgesprungen [...], bedrohte mich, ja, er ging mit vor Wut erhobener Hand auf mich zu, darauf eine abrupte Kehrtwendung und verließ den Saal." So beschreibt Bernhard die Reaktion des damaligen österreichischen Unterrichtsministers Theodor Piffl-Percevic auf diese Rede bei der Zeremonie am 4. März 1968 in dem posthum erschienenen Band "Meine Preise", 2009.)

3 Kommentare:

  1. Das ist so bitterschön schwarz, dass es eine Freude ist.

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  2. kiezneurotiker: Das ist nicht bloß schwarz sondern leider allzuwahr und nicht bloß auf Österreich beschränkt. Ich versteh jetzt endlich wieso Georg Schramms letztes Programm "Thomas Bernhard hätte geschossen" heißt. Vorher kannte ich den Mann gar nicht.

    Wieso gibts solche Schriftsteller heute eigentlich nicht? Oder kenn ich die auch nur nicht?

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  3. Wo um Gottes Willen sind die Schriftsteller von heute, die ihrer Zeit so deutlich und brachial die Leviten lesen??? Ist Günter Grass wirklich das Schärfste, was wir heute dem Wahnsinn entgegenzusetzen haben?

    Ich vermisse die Aufschreie eines Peter Weiss, Thomas Bernhard, Heinrich Böll und so vieler anderer schmerzlich!

    "Unterricht

    Jeder der geht
    belehrt uns ein wenig
    über uns selber.
    Kostbarster Unterricht
    an den Sterbebetten.
    Alle Spiegel sind so klar
    wie ein See nach großem Regen,
    ehe der dunstige Tag
    die Bilder wieder verwischt.

    Nur einmal sterben sie für uns,
    nie wieder.
    Was wüssten wir je
    ohne sie?
    Ohne die sicheren Waagen,
    auf die wir gelegt sind,
    wenn wir verlassen werden.
    Diese Waagen, ohne die nichts
    sein Gewicht hat.

    Wie deren Worte sich verfehlen,
    wir vergessen es.
    Und sie?
    Sie können ihre Lehre
    nicht wiederholen.

    Dein Tod und meiner
    der nächste Unterricht:
    so hell, so deutlich,
    dass es gleich dunkel wird.

    (Hilde Domin, 1909-2006)

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