Dienstag, 7. Mai 2013

Zitat des Tages: Barbaren


Sie streiten, wer Barbar sei unter ihnen,
und zum Beweise, dass stets nur die andern
vor aller Nachwelt solchen Ruf verdienen,
verwüsten sie mit schrecklichen Maschinen
Galipoli, Galizien, Serbien, Flandern,
Wolhynien und das Land der Beduinen.

Das Blut gerinnt, es häufen sich die Leichen
im Elsass, in Tirol, in Frankreich, Polen.
Auf hoher See und in den Tropenreichen
ist Kampfgetöse, Mord, ist Sieg und Weichen.
Es wird gebrannt, geschändet und gestohlen,
und über Trümmern ragen Ruhmeszeichen.

Aus Wolken fetzt der Mord, vom Meeresgrunde,
und Kinder müssen sterben, Frauen, Greise;
den Hunger ruft man sich, die Pest zum Bunde.
Der Mutter Träne und die Todeswunde
erhabenen Planens zu der Menschheit Preise
gibt von der Heldenzeit Europas Kunde.

Und jubelnd töten sie für ihren Zaren,
für ihren Kaiser, König, Präsidenten,
und starke Männer sinken hin in Scharen
und wissen, dass sie tapfere Streiter waren ...
Blut tropft und Jammer von den Firmamenten –
und jeder schmäht die andern als Barbaren.

(Erich Mühsam [1878-1934], aus: "Brennende Erde. Verse eines Kämpfers", 1920)

5 Kommentare:

  1. Wie passend. Was Kriegsminister de Maiziere und der Rest der Bagage wohl von einem solchen Gedicht hält? Ach, ich will es eigentlich gar nicht wissen, die Antwort wäre vermutlich noch furchtbarer als ich mir das vorstellen kann.

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    1. Oh, ich bin mir sicher, dass für solche Leute Erich Mühsam nichts weiter als ein radikaler "Links-Terrorist" ist, den es, wenn es denn durchführbar wäre, aus der Geschichte zu tilgen gilt.

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  2. Schlossgespenst8. Mai 2013 um 01:42

    Auf der Folgeseite findet sich in Mühsams Buch das folgende Gedicht, das ich fast noch besser finde:

    Entlarvung
    (November 1915)

    Europa hat sich abgeschminkt.
    Befreit von Rouge und Puder
    steht eklig da das Luder
    und faucht und stinkt.

    Den Schnürleib sittlicher Kultur
    warf sie zum Kunstkorsette.
    Statt Rippen Bajonette
    hält feil die Hur.

    Europa, mach das Hemde zu!
    Der Anblick deiner Nacktheit
    ist Gift und Abgeschmacktheit.
    Krepiere, Du!

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    1. @ Schlossgespenst: Das ist zweifellos auch ein sehr hübsches Gedicht - man muss doch gar nicht abwägen, welches nun "besser" oder "schlechter" ist.

      Liebe Grüße!

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  3. für meinen Teil bin ich schon mal froh, wenn ich die Antwort auf die Frage oben nicht aus dem allfälligen Einschwören auf den Tagesbefehl (Nach-richten, und wehe wenn nicht) erfahre - dann lieber die Evidenz an sich (Wahrheit) als, gleichwohl einsame, Insel im Ozean der Geistfreiheit in Ruhe lassen.

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