Was wollen wir tun, solange wir noch da sind,
wollen wir solange einen Hasen füttern,
wollen wir einen Orkan beschwichtigen,
wollen wir uns zum Überfluss
einen Prospekt des Jenseits kommen lassen?
Kommt, wir wollen uns die Zeit vertreiben,
Blüten stampfen, Raben schlachten,
kommt, wir wollen einen Wettlauf machen!
Wer als erster jenseits seines Namens
hinter Meer und Nebelküsten steht,
soll zum Ansporn unsrer Eile rufen:
Seht, wie die Elefanten vom Gebirge stürzen!
Seht, wie die Engel Taschentücher schwenken
zum Zeichen, dass die Paradiese leer sind!
Seht doch, wie der Neumond fliegen lernt.
(Christoph Meckel [* 1935], in "Nebelhörner. Gedichte", 1959)
Anmerkung: Meckels Gedichte üben schon seit vielen Jahren auf mich eine ungeheure Faszination aus - sie sind fast immer politisch, ohne dass dies immer auf den ersten Blick erkennbar ist. In den Texten aus diesem sehr frühen Band, den Meckel im zarten Alter von 24 Jahren veröffentlicht und die er folglich noch früher geschrieben hat, ist das freilich noch anders: Hier bricht sich das Politische mit Wucht seine Bahn und springt dem Leser direkt ins Gesicht; man spürt förmlich den Zorn des Autors sowie seine bleierne Ohnmacht angesichts der Lächerlichkeit und des Irrsinns unserer wettbewerbsbezogenen Welt und der religiösen, sich in wirren, realitätsfernen, gar jenseitigen Sphären verlierenden Ablenkungen, die nur noch in der zynisch-absurden Überspitzung ihren sprachlichen Ausdruck findet. Das ist die Art von Lyrik, die auch unsere heutige widerliche Zeit, die dem Jahr 1959 an Widerwärtigkeit, Menschenverachtung und Lebensfeindlichkeit ja um kosmische Längen voraus ist, so dringend nötig hätte, die ich aber nirgends entdecken kann.
Ein anderes Gedicht ("Hymne") aus demselben Band lässt der Autor so enden:
"Ich lebe in einem Land, das verliebt ist in den Tod,
ein Tränenkrug ist sein Wappen und Souvenir,
ein Blutegel sein Maskott, seine Fahnen Vogelscheuchen,
der tausendste Enkel meiner Hoffnung kam um.
Der letzte Schild meiner Zuversicht ist zerborsten."
Dem kann und will ich nichts weiter hinzufügen.
2 Kommentare:
Mich würde ja interessieren, wieviele Leute dieses Gedicht tatsächlich verstehen. Wahnsinnig viele dürften es nicht sein, fürchte ich.
Anabelle, meinst Du denn, dass Du es tatsächlich verstehst? ;-) Wichtig ist hier doch in erster Linie, was der Lesende mit dem Text verbindet - und weniger das, was "der Autor sagen wollte".
Liebe Grüße!
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