Samstag, 14. Juni 2014

Zitat des Tages: Wege zum Fleiß


Als die Gazellen von den Löwen Mitbestimmung forderten, waren die Löwen dagegen. "Es kommt noch so weit, dass die Gazellen bestimmen, wen wir fressen", sagten die Löwen. Sie beriefen sich auf eine unverdächtige Studie des WWF und sprachen von Wildpartnerschaft bei klarer Kompetenztrennung: Fressen auf der einen Seite, Gefressenwerden auf der anderen Seite. "Denn", so sagten sie, "es liegt doch auf der Hand, dass einer nicht zugleich etwas vom Gefressenwerden und vom Fressen versteht. Und der Entscheid, jemanden zu fressen, muss schnell und unabhängig gefasst werden können." Das leuchtete denn auch den Gazellen ein. "Eigentlich haben sie recht", sagte eine Gazelle, "denn schließlich fressen wir ja auch." - "Aber nur Gras", sagte eine andere Gazelle. "Ja, schon", sagte die erste, "aber nur, weil wir Gazellen sind. Wenn wir Löwen wären, würden wir auch Gazellen fressen." - "Richtig", sagten die Löwen.

(Peter Bichsel [*1935], in: "Geschichten zur falschen Zeit", 1979)


Donnerstag, 12. Juni 2014

Nein, wie überraschend: Bestechung, Absprachen und Vetternwirtschaft


Die Korruptionsverfahren in NRW sind innerhalb eines Jahres um ein Drittel gestiegen. Das zeigt ein jetzt veröffentlichter Bericht. Bestechliche Polizisten, geldgierige Beamte oder ein korrupter Klinikchef - einige Beispiele aus dem Korruptionslagebericht 2013.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Und im Teich ist es nass. Wer sich über solche Entwicklungen in einem System wie dem Kapitalismus, das Egoismus, Selbstbereicherung und private Profitmaximierung als Monstranz gleichsam zur religiösen Zentralbotschaft erklärt, tatsächlich wundert, dem ist nicht mehr zu helfen.

Korruption ist alltägliches Tagesgeschäft in diesem widerlichen System - wir können es Tag für Tag wieder neu mitverfolgen: Egal ob Konzernboss, Betriebsrat, Politiker, Gewerkschafter, Beamter oder sonstwie an profitorientierten Entscheidungen Beteiligter - die Interessengruppen bieten marktgerecht ihre Prämien an, und zunehmend mehr Menschen nehmen diese auch an. Das nennt man Marktwirtschaft.

Der Kapitalismus macht aus eigentlich halbwegs sozialen Wesen unerbittlich habgierige, egoistische Monster - und verkauft uns das sogar als "Normalität". Historisch gesehen bewegen wir uns damit heute in etwa auf der Stufe der Einzeller, die oftmals ähnlich irrsinnig agieren.

Dabei gilt es zu beachten, dass hier bloß die aufgefallenen Korruptionsfälle gezählt werden - also jene, die so offensichtlich waren, dass die bröckelnde Demokratiefassade gar nicht anders kann als "Hoppla, so deutlich sichtbar geht das dann doch nicht!" zu schreien. Wieviele unentdeckte bzw. nicht verfolgte Korruptionsfälle es tatsächlich gibt, wollen wir bzw. die Mainstreammedien erst gar nicht wissen. Die Bande in Berlin macht es immer wieder vor: Erst vor wenigen Tagen haben diese "Volksvertreter" einvernehmlich beschlossen, die Finanzierung der Krankenversicherung umzukrempeln - demnächst soll der Arbeitgeber bis in alle Ewigkeit stets denselben, gleichbleibenden Beitragssatz bezahlen, während der Arbeitnehmer alle kommenden Steigerungen - die im Kapitalismus ja systemische Grundlage und daher unvermeidbar sind - allein bezahlen soll. Das ist ein kleines Beispiel, das aber scharf illustriert, welche Ausformungen die schmierige Korruption in diesem verkommenen System bereits angenommen hat.

Kapitalismus ist Korruption - dieses System verwandelt jede Gesellschaft unweigerlich in eine schmierige, faschistoide Farce voller asozialer Eigennutzmehrer. Wir stecken allesamt mittendrin in diesem braunen Sumpf.

---

Auf zur Wahl!


"Alle Kandidaten sorgen für dein Wohlergehen!"

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 7 vom 14.05.1928)

Mittwoch, 11. Juni 2014

Song des Tages: Harbour of Tears




(Camel: "Irish Air / Harbour of Tears", aus dem Album "Harbour of Tears", 1996)

1. Irish Air (Traditional)

In this quiet place I stand alone,
from my homeland far away,
and my empty heart cannot recall
the forgotten dreams that brought me joy.

Had I ways to shed the wasted years?
I would travel to my kin,
and with strength and faith in God above
there in Ireland I would gladly die.


2. Harbour of Tears

I am one of seven brothers.
Five of us must leave and start again.
In this land of Saints and Martyrs,
Tears of sadness hide within the rain.

So fare thee well, remember me ...
Sail from the Harbour of Tears.

[Son:]
I can hear my father calling:
"Godspeed, my son, wherever you may go!"
He looked so small down on the quayside.
A man, I guess, I'll never really know.

[Father:]
Goodbye, lad ... I'll miss you,
though I don't show it. I am a farmer of the land,
I'm not a man of words. Forgive me my failing,
you never knew me. Godspeed, wherever you may go ...

So fare thee well, remember me ...
Sail from the Harbour of Tears.



Anmerkung: So beginnt das fantastische Epos "Harbour of Tears" von Camel über den großen, erzwungenen Exodus so vieler (meist junger) Menschen aus Irland vor 100 und mehr Jahren, der sich heute - wie damals nicht nur in Irland - aus denselben Gründen wiederholt. Musikalisch und dramaturgisch ist das ganz großes Musikkino, das jeder, der es noch nicht kennt, kennen lernen sollte.

Das kapitalistische Terrorsystem lehrt uns: Blicke in die Vergangenheit, dann blickst Du in Deine wahrscheinlichste Zukunft.

Wenn jemand ein ähnliches Werk beispielsweise über afrikanische Menschen und ihren erzwungenen Aufbruch in ein neues Leben schreiben würde, müsste das ausnahmslos in schrillem, dissonantem Lärm erklingen - sowohl bezüglich der Vergangenheit, als auch bezüglich unserer heutigen, ach so fortschrittlichen [sic!] Welt.

Nichts hat sich positiv verändert - nicht für die Abgehängten in Irland, und erst recht nicht für die Ausgepressten in Afrika - um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Menschen in Griechenland, Brasilien, Portugal, Iran, Afghanistan ... sind hier für elitäre "Entscheider" ohnehin nicht von Belang. Wer sich "Harbour of Tears" anhört, vernimmt die Klage der ganzen Menschheit, die am kapitalistischen Wahnsinn elendig brutal langsam zugrunde geht.

Wäre Andrew Latimer, der Urheber dieses musikalischen Werkes, konsequent gewesen, müsste der Titel eigentlich "Harbour of (fleeing) Money" lauten - denn genau dies ist die Ursache des ganzen Wahnsinns, der seit Jahrhunderten diese Welt in einen quälenden Höllenpfuhl für die überwältigende Mehrheit verwandelt. Ein paar Psychopathen haben bereits Milliarden, die sie nie ausgeben können, hätten aber trotzdem gerne weitere Millarden - und deshalb geht die Menschheit global vor die Hunde. Herzlichen Glückwunsch, "Krone der Schöpfung".

Sonntag, 8. Juni 2014

Zitat des Tages: Bildnis eines jungen Mannes


Einige Gedichtbände auf dem Regal in der Kammer,
die kleine Fröhlichkeit beim Pfeifen einer
Melodie während der Arbeit am Sandstein und
an regnerischen Sonntagen ein Gang durch
die öffentliche Kunstsammlung.

Im Nebensaal - wenig beachtet - das Bildnis
eines jungen Mannes
um 1470, oberdeutsche Schule,
ein wenig bäurisch, vielleicht Trossknecht
oder Steinmetz.

Damals wurde ich gemalt. Verging denn viel
Zeit seither?
Ach dieser Spätherbst ist so frostig wie einst,
das Geräusch des Regens
blieb unverändert,
durch den Mittag eben noch sommerlicher Steinbrüche
fällt falbes Laub.

(Rainer Brambach [1917-1983], in: "Tagwerk. Gedichte", 1959)