Samstag, 20. August 2016

Die dramatische Wende


Ich bin kein Naturwissenschaftler. Dennoch stelle ich immer wieder eine angsterfüllte Gänsehaut bei mir fest, wenn ich wieder einmal Berichte über die Entwicklungen gerade in der Gentechnik lese. Aktuell war das wieder einmal bei n-tv der Fall, wo zu lesen war:

Noch nie war ein Eingriff ins Erbgut so einfach wie heute. Mit dem Wunderwerkzeug für Gene namens Crispr-Cas lässt sich Erbmaterial auf viele Arten verändern. Seit vier Jahren erobert es die Labore. "Der Menschheit steht wahrscheinlich eine dramatische Wende bevor", sagt Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.

Worum geht es hier also? Der kleine Text klärt die Lesenden natürlich nicht auf, vermittelt aber immerhin ein paar wenige Informationsbröckchen, weshalb die Lektüre empfohlen ist. Besonders herausheben möchte ich diese Passagen:

Ein US-Forscher stellte 2014 ein Viruskonstrukt vor, mit dem nach Inhalation über eine Crispr-Sequenz Mäuse mit Lungenkrebs geschaffen wurden. Nicht nur der Crispr-Pionierin Doudna soll es eiskalt den Rücken heruntergelaufen sein: Beim kleinsten Fehler könnte ein solches Crispr-Molekül auch in der menschlichen Lunge wirken. Immer wieder warnten Doudna und Charpentier vor einem blauäugigen Vorpreschen, mahnten an, das System erst einmal grundlegend zu erforschen - mit mäßigem Erfolg. Und Dabrock bemerkt: Potenziell gefährliche Manipulationen von Erregern seien bisher nur in bestens ausgestatteten Labors möglich gewesen. "Dort bleibt ein Supervirus auch wirklich im Hochsicherheitstrakt." Mit Crispr werde das anders, weil die Technik keiner komplexen Ausstattung bedürfe. "Der Schutz vor missbräuchlicher Anwendung scheint mir derzeit der ethisch relevanteste Bereich und die wichtigste Sicherheitsfrage zu sein." [...]

Doch die Technik geht noch weiter: Im vergangenen Jahr verlautbarte ein Team aus Guangzhou (China), Dutzende in einer Fruchtbarkeitsklinik aussortierte Embryonen manipuliert zu haben. Der Genaustausch per Crispr war nur bei einigen Zellhäufchen erfolgreich - aber das weltweite Entsetzen gigantisch. Die Schreckensvision eines im Labor gezüchteten Menschen wirkte näher denn je. "Solche Versuche halte ich für extrem problematisch", sagt Puchta. / Goldgräberstimmung auf der einen Seite, die Angst vor einer geöffneten Büchse der Pandora auf der anderen: Welchen Weg Crispr-Cas nimmt, wird sich erst in Jahren zeigen.

Soweit der Text von n-tv. Was gestern noch Science Fiction war, ist heute längst Realität und befindet sich nicht mehr im diskursiven, sondern im experimentellen, angewandten Bereich der Wissenschaft - was der verlinkte Text, wenn auch vermutlich unfreiwillig, sehr schön illustriert, wenn von "Goldgräberstimmung" gefaselt wird: Denn das bedeutet nichts anderes als dass gewisse Leute hier eine Menge Kohle scheffeln wollen. So ist das eben im Kapitalismus: Es wird nicht das getan, was logisch oder notwendig ist, sondern das, was einer kleinen Gruppe Profit einbringt. So simpel kann manchmal die Definition eines Systems sein, wenn man nicht Jens Berger heißt und einen Job bei Spiegel Online oder der BLÖD-"Zeitung" anstrebt.

Es ist nur eine Lachnummer am Rande, dass der Vorsitzende des aktuellen Ethikrates in Deutschland - Herr Prof. Dabrock - ausgerechnet Theologe [sic!] ist. Wer sollte denn auch besser für diesen Job geeignet sein als ein Kerl, der an die Existenz irgendwelcher wissenschaftlich nicht nachweisbaren "höheren Wesen" glaubt? Da nimmt man ihm seine Kritik an der profitorientierten Gentechnik, die schließlich in "göttliche Bereiche" vordringt, doch gleich dreimal eher ab. Wir leben im finstersten, gruseligsten Mittelalter.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Gentechnik könnte auch aus meiner - laienhaften! - Sicht durchaus sinnvoll und auf vielen Gebieten erfreulich sein. Es könnten sich hier immense Perspektiven und Chancen für die ganze Menschheit ergeben - wenn, ja: WENN! da nicht wieder der widerliche Kapitalismus wäre, der jede wissenschaftliche Entwicklung und Entdeckung unverzüglich pervertiert und in das widerliche Korsett der Profitinteressen einer kleinen Minderheit zwängt: "Das muss Geld einbringen, sonst ist es wertlos."

Mit anderen Worten: Im Rahmen des kapitalistischen Systems müssen wir allesamt furchtbare Angst haben vor wissenschaftlichem Fortschritt - denn er wird unweigerlich und in fast jedem Falle gegen die Mehrheit der Menschen und nur zum Wohle einer superkleinen Minderheit eingesetzt. Dieses schlichte Fazit ist so sicher wie der unvermeidliche sprachliche Fehler und die intellektuelle Leere in einem Lapuente-Text.

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Der Neandertaler auf der GeSoLei


"Siehste, Lydia, so hammer angefangen. Da war der Mensch noch keen Ebenbild Gottes."

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 14 vom 05.07.1926)

Freitag, 19. August 2016

Film des Tages: Die verlorene Zeit




Anmerkung: Dieser Spielfilm von Anna Justice aus dem Jahr 2011 erzählt die erschütternde Geschichte der deutschen Jüdin Hannah Silberstein, die 1944 mit der Hilfe des polnischen, politischen Häftlings Tomasz Limanowski aus dem KZ Auschwitz-Birkenau fliehen konnte. Die Handlung orientiert sich an der Autobiografie "Wer ein Leben rettet: Die Geschichte einer Liebe in Auschwitz" von Jerzy Bielecki (1921-2011).

Es ist davon auszugehen, dass der Film nicht allzu lange bei youtube verfügbar sein wird. Wer ihn sich anschauen möchte, sollte das schnell tun.

Donnerstag, 18. August 2016

Die Freiheit, die sie meinen


Gestern vor 60 Jahren - am 17. August 1956 - hat das kapitalistische Nachkriegsregime eindrucksvoll gezeigt, welchen Weg es einschlagen wird. Gut versteckt beim WDR war dazu gestern ein hübscher Text zu lesen, den ich sehr empfehlen will. Es geht darin um das Verbot der KPD in Westdeutschland und die Entwicklung, die bis zum besagten Datum dahin geführt hat. Die braune, kapitalistische Gülle quoll schon damals aus allen Nähten - und selbstverständlich war neben der CDU auch die SPD maßgeblich daran beteiligt. - Ich zitiere in Auszügen:

Kaum hat sich die junge Bundesrepublik eine Verfassung gegeben, setzt sie Grenzen, wer von der darin festgeschriebenen Meinungsfreiheit Gebrauch machen darf. Im September 1950 schürt Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in seiner Regierungserklärung die Angst vor der Roten Gefahr: "Sie werden gleich einen Kabinettsbeschluss hören, den wir heute Morgen gefasst haben und der zum Ziele hat, alle Anhänger des Kommunismus aus den Stellen der Bundesrepublik - seien sie als Arbeiter, als Angestellte oder Beamte tätig - rücksichtslos zu entfernen."

Der "Erlass gegen Verfassungsfeinde" ist zwar neutral formuliert, aber seine Stoßrichtung ist klar: Von den darin genannten Organisationen sind elf kommunistisch, aber nur zwei rechtsextrem. Der Erlass bildet den Auftakt zu weiteren juristischen Maßnahmen gegen die linke Opposition. Im Visier hat Adenauer nicht nur die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und deren Sympathisanten, sondern auch den Widerstand der Bevölkerung gegen die von ihm angestrebte Remilitarisierung der Bundesrepublik. (...)

Um Linke im eigenen Land zu bekämpfen, beschließt der Bundestag im August 1951 mit den Stimmen der SPD das erste Strafrechtsänderungsgesetz. Nun kann neben "Hochverrat" und "Landesverrat" auch "Staatsgefährdung" geahndet werden. (...)

Am 17. August 1956 ist es schließlich soweit: Am Vormittag erklärt das Bundesverfassungericht die KPD für verfassungswidrig und verbietet die Partei. In allen großen westdeutschen Städten stehen Polizeikommandos bereit, um das schon lange vermutete Urteil umzusetzen. Bis zum Nachmittag werden 199 Parteibüros durchsucht und geschlossen, Druckereien beschlagnahmt, Propagandamaterial sichergestellt, Zeitungen verboten, das Parteivermögen eingezogen und Funktionäre verhaftet. Max Reimann, der KPD-Vorsitzende und andere Führungskader haben sich bereits in die DDR abgesetzt, um ihrer Festnahme zu entgehen. KPD-Mitglieder, die in der Bundesrepublik bleiben, haben auch finanzielle Sanktionen zu befürchten. So wird zum Beispiel Heinz Renner - der wie Reimann als Mitglied des Parlamentarischen Rates an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt gewesen ist - seine Rente als NS-Geschädigter wegen seiner KPD-Zugehörigkeit rückwirkend aberkannt.

Das KPD-Verbot trifft nicht nur Kommunisten: "Alles, was nicht in die Richtung der Adenauerschen Politik passte, wurde in den kommunistischen Verdacht gebracht", sagt Rechtsanwalt Hannover. Der Gummiparagraph "Verstoß gegen das KPD-Verbot" sei auf alle möglichen, vermeintlich linksmotivierten Tatbestände angewendet worden. Bis 1968 gibt es über 125.000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und rund 10.000 Verurteilungen. Im Kalten Krieg habe es allerdings nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR politische Justiz und Unrechtsurteile gegeben, sagt Jurist Hannover. Während aber die Opfer der DDR-Justiz per Gesetz entschädigt worden seien, sei das in der Bundesrepublik nicht geschehen.

Es versteht sich fast von selbst, dass die SPD unter Willy Brandt mit dem "Radikalenerlass" sechzehn Jahre später in dieselbe gruselige Kerbe gehauen und kommunistische Tendenzen im "Wirtschaftswunderland" (oh, diese Schmerzen!) damit nachhaltig ausgemerzt hat. Es ist genau diese Freiheit, die sie seit spätestens 1950 meinen: Die Freiheit des Kapitals - und wer dagegen opponiert, ist ein Feind, wird verboten und im Zweifel inhaftiert.

Es ist ist äußerst erhellend, sich diese kleine Geschichtslektion zu gönnen und ausführlich darüber nachzudenken - das gilt ganz besonders für all die Unterstützer und Fans der Nachdenkseiten und ähnlicher pseudolinker Blogs, die den zerstörerischen Kapitalismus allenfalls "regulieren", nicht aber rückhaltlos abschaffen wollen. Merkt ihr etwas, ihr Müllers, Bergers und Lapuentes?

Es ist höchste Zeit für eine Revolution. Stattdessen beschäftigt sich die Mehrheit der hiesigen Bevölkerung aber ständig - und ausschließlich! - mit "Pokemon Go", den "kriminellen Flüchtlingen" und - wie immer - mit Fußball & Co. Kann mir jemand nachvollziehbar erklären, weshalb diese Menschheit nicht dem Untergang geweiht sein sollte? Mir fällt nämlich zur Entlastung allmählich nichts mehr ein.

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(Titelblatt der "Roten Fahne" vom 22. Februar 1919 anlässlich der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs)

Mittwoch, 17. August 2016

Musik des Tages: Genesis Revisited




(Steve Hackett: "Genesis Revisited: Live At Hammersmith", 2013)

  1. Watcher of the Skies
  2. The Chamber of 32 Doors
  3. Dancing with the Moonlit Knight
  4. Fly on a Windshield
  5. Broadway Melody of 1974
  6. The Lamia
  7. The Musical Box
  8. Shadow of the Hierophant
  9. Blood on the Rooftops
  10. Unquiet Slumbers for the Sleepers ...
  11. ... In That Quiet Earth
  12. Afterglow
  13. I Know What I Like
  14. Dance on a Volcano
  15. Entangled
  16. Eleventh Earl of Mar
  17. Supper's Ready
  18. Firth of Fifth
  19. Los Endos



Anmerkung: Meine Songauswahl wäre zwar eine etwas andere gewesen, aber ein grandioses Konzert bleibt es allemal - auch ohne "The Fountain of Salmacis", "Harold the Barrel", "The Lamb Lies Down on Broadway" oder "A Trick of the Tail". :-) Es ist sehr schade, dass die alten Herren von Genesis sich nicht mehr zusammenraufen konnten, und sei es auch nur für ein paar Konzerte gewesen. Der Zug ist nun abgefahren, denn Collins ist krank und kann nicht mehr Schlagzeug spielen. Spezielle Gäste wie beispielsweise John Wetton machen das mehr als wett.

Dienstag, 16. August 2016

Deutsche Fantasien: Big Assholes are watching you


Unsere geliebte Bundesregierung Das menschenfeindliche, korrupte Regime des Kapitalismus' gibt bekannt: Freiheit war gestern (auch nur auf dem Papier), heute ist endlich die totale Überwachung modern. Die korrupte Bande hört nicht auf - schon liegt der nächste Schritt in den Orwell'schen Totalüberwachungsstaat auf dem Tisch, und die willfährigen Schergen des Katastrophenministers Thomas "die Misere" haben dem widerlichen Plan (pdf; Vorsicht: Link geht zu den Überwachungsfetischisten beim BMI) wieder einen höchst erfreulichen, euphemistischen Titel verpasst, an dem nicht nur blutrünstige Diktatoren ihre helle Freude hätten: "Geplante Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland" nennen sie dieses Schmutzpaket, das unter anderem eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten aller BürgerInnen, eine "Entzifferung verschlüsselter Daten", eine vermehrte "intelligente Videotechnik" im öffentlichen Raum, eine anlasslose Auslesung und Speicherung von KFZ-Kennzeichen und vieles mehr vorsieht. Sämtliche Pläne sind selbstredend grundgesetzwidrig - etwas anderes sind wir von dieser verkommenen Bande ja gar nicht gewohnt.

Bislang war beim Thema Überwachung stets nur von den sogenannten "Metadaten" die Rede, die "harmlos" seien - die geplante "zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis)", die verschlüsselte Daten dechiffrieren soll, belehrt uns nun eines Besseren: Selbstverständlich will die Bande komplett alle Daten inkl. der Inhalte überwachen und speichern - altertümliche Relikte wie das Telekommunikations- oder Briefgeheimnis, die es auch in Westdeutschland im Übrigen nie wirklich gab, sind künftig auch offiziell obsolet. Demnächst lesen also nicht mehr nur NSA & Co. die privaten E-Mails aller BürgerInnen, die von deutschen "Sicherheitsbehörden" dann erst umständlich "angefordert" werden müssen - nein, man will in Deutschlands Behörden auch selber mitlesen und stets wissen, was Klara Kunz dem Heinz Hinz so alles mitzuteilen hat.

Auch die Überwachung und Speicherung von KFZ-Kennzeichen, die heute schon in sogenannten "Ausnahmefällen" - also immer dann, wenn irgendwelche Polizei- oder Geheimdienstspinner das für "richtig" halten - stattfindet, ohne dass groß darüber berichtet wird, ist selbstverständlich grundgesetzwidrig. Wer heute noch immer glaubt, dass auf die Datenmassen, die von den flächendeckend installierten Mautstationen auf den Autobahnen aufgezeichnet werden, von Seiten der Polizei und Geheimdienste nicht regelmäßig zugegriffen wird, darf auch weiter CDU oder AfD wählen und sich Sektkorken in die Augen und Ohren stopfen, bis es blutet.

Eine gruselige Zusammenfassung der widerwärtigen Pläne kann man bei Zeit Online nachlesen, wo es unter anderem heißt:

Das BKA soll wiederum seine Fähigkeiten beim Einsatz neuer biometrischer Verfahren verbessern. "Das Lichtbild und Gesichtserkennungssysteme sollen perspektivisch mit einer vergleichbaren Zuverlässigkeit wie der Fingerabdruck zur Identifizierung einer Person beitragen", heißt es.

Mit anderen Worten: Mithilfe der "intelligenten Videotechnik" [sic!] will die Bagage ein Überwachungssystem installieren, das dem Staat unverzüglich Auskunft darüber erteilt, wie die im Video erfassten Menschen heißen und welche Vergehen sie sich haben zuschulden kommen lassen. Bezüglich der Verknüpfung verschiedenster Datenbanken sind der Fantasie der Überwachungsfetischisten hier keinerlei Grenzen mehr gesetzt: Einwohnermeldamt, Verkehrsregister, Polizei, Geheimdienste, Krankenkasse, Banken, Gerichte ...

Selbstverständlich darf in diesem Zusammenhang auch das ominöse "Darknet" nicht fehlen, das es bislang bloß laut Hörensagen gibt und dessen Existenz ich - zumindest in der kolportierten Form - für mehr als zweifelhaft halte. Trotzdem bietet dieses Szenario, das eher der Science Fiction bzw. Hollywood zuzurechnen ist, der Bande einen willkommenen Anlass zur Begründung ihrer widerlichen Überwachungsfantasien. Wenn es nicht genug zurechtgebogene Gründe gibt, muss man eben noch welche herbeifantasieren, um den bröckelnden Anschein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, wenn man die letzten Fragmente der Freiheit entsorgen möchte.

Die schauderhafte Dystopie, auf welche diese Katastrophenbagage mit Siebenmeilenstiefeln gezielt und bewusst zusteuert, ist nicht meine Welt.


Thomas albträumt und hat einen Orgasmus - endlich mal.

Montag, 15. August 2016

Zitat des Tages: Das letzte Kapitel


Am 12. Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen lässt,
als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck,
man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen,
keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall, es schlich wie auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang, und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte
völlig beruhigt ihre bekannte elliptische Bahn.

(Erich Kästner [1899-1974]: "Das letzte Kapitel", in: "Ein Mann gibt Auskunft. Gedichte", mit Zeichnungen von Erich Ohser alias e.o. plauen, Deutsche Verlags-Anstalt 1930)





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