Freitag, 18. Juli 2014

Zitat des Tages: Wenn man stirbt


Du wirst bald sterben.
Der Regen fällt schon dichter.
Vogelzüge stürzen
Im Zick-Zack in die Leere.
An den Brücken
Sind die Kontrollen verstärkt.
Ins Trommelfell
Werden Signale eingebaut.
Alle Wohnungen
Sind ohne Türen.
Der Regen fällt schon dichter.

Nur die Nacht lässt noch
Auf sich warten,
Sie sucht nach ihrem
Dunkelsten Gewand. -

Du wirst bald sterben.

(Horst Bienek [1930-1990], in: "Traumbuch eines Gefangenen. Prosa und Gedichte", 1957)

Donnerstag, 17. Juli 2014

Das Ende der Zivilisationssimulation


Civilization was pretty great while it lasted, wasn't it? Too bad it's not going to [last] for much longer. According to a new study sponsored by NASA's Goddard Space Flight Center, we only have a few decades left before everything we know and hold dear collapses. / The report, written by applied mathematician Safa Motesharrei of the National Socio-Environmental Synthesis Center along with a team of natural and social scientists, explains that modern civilization is doomed. And there's not just one particular group to blame, but the entire fundamental structure and nature of our society.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Ich habe die Studie, die diesem Bericht zugrunde liegt, nicht gelesen - allerdings muss man auch kein Soziologe (oder Mathematiker) sein um zu bemerken, dass sich "unsere Gesellschaft" auf einem äußerst unheilvollen Weg befindet, der schnurstracks in die neuerliche Vollendung der puren Barbarei führt. Die wenigen Informationen, die dem Artikel zu entnehmen sind, lassen darauf schließen, dass auch hier wieder einmal die tatsächlichen Ursachen nicht genannt werden - es reicht eben nicht aus, die stetig zunehmende Spaltung der Menschheit in "reiche Eliten" und "arme Massen" zu kritisieren, wenn nicht gleichzeitig auch Ross und Reiter genannt werden, die eben genau dies systemisch verursachen. Man mag den Autoren unterstellen, dass sie mit dieser Formulierung ("the entire fundamental structure and nature of our society") den Kapitalismus meinen - aber wenn sie ihn nicht beim Namen nennen, sondern wild um ihn herum schwurbeln, nähert sich der Erkenntnisgewinn der RezipientInnen der Nulllinie.

Es ist ohnehin fraglich, ob das, was im "Westen" nach 1945 entstanden ist bzw. einmal mehr wieder neu gestartet wurde, überhaupt die Bezeichnung "Zivilisation" verdient. Ich jedenfalls halte es für abgrundtief unzivilisiert, auf Kosten anderer Menschen zu leben und sich selbst einen stetig steigenden Luxus zu gönnen, der auf dem Elend, der Ausbeutung und dem Tod so vieler anderer Menschen beruht. Wie man überhaupt auf den Gedanken kommen kann, dass ein perverses, inhumanes Prinzip der Konkurrenz und des gegeneinander Agierens zum persönlichen Vorteil und zum Nachteil aller anderen so etwas wie "Zivilisation" sein soll, wird mir zeitlebens ein unlösbares Rätsel bleiben. Ein Haifischbecken ist nicht zivilisiert, der Kapitalismus ist es unfraglich auch nicht.

Ein wenig amüsiert hat mich der Vergleich im Artikel, der illustrierend das "Ende der Maya" oder das "Ende des römischen Reiches" bemüht - so weit müssen wir nun wahrlich nicht in die Vergangenheit blicken, um jüngere Beispiel des immer wiederkehrenden kapitalistischen Endes der Zivilisation bzw. deren Simulation zu sehen. Vielleicht bedeutet das Wort "Zivilisation" aber auch in gewissen Kreisen etwas ganz anderes? Ich werde den Eindruck nicht los, dass im irrsinnigen Neusprech unserer untergehenden, verkommenen Zeit damit doch eher zunehmend Einkaufszentren, tolle Autos, "Smartphones", Kühlschränke und andere Konsumartikel gemeint sein sollen. In einem solchen Sinne ist diese kapitalistische, pervertierte Welt natürlich sehr "zivilisiert" - jedenfalls für eine gewisse "Elite". Eine "Zivilisation für manche", sozusagen.

Ich nenne das Barbarei. Und was die Studie da vorhersagt, hat nichts mit Zivilisation oder ihrem Ende zu tun, sondern mit der Rückkehr der bisher einmal mehr in ferne Regionen ausgelagerten Barbarei in den heimischen Garten - bald dürfen auch die Menschenmassen in Europa und in den USA wieder verstärkt vom perversen, verdorbenen Nektar des Kapitalismus kosten und müssen ihre kleinen Privilegien nach und nach wieder abgeben. Der Zyklus geht einmal mehr in die nächste Runde - beispielsweise in Griechenland, Spanien und Portugal ist die böse Saat gesät und gut gedüngt.

Es ist alles beim Alten und geht den gewohnten Gang in den Untergang.

---

Der Krieg, wie ich ihn sah



(Zeichnung von Fritz Arnold [1883-1921], in "Simplicissimus", Heft 50 vom 11.03.1919)

Montag, 14. Juli 2014

Musik des Tages: Mars, the Bringer of War




(Gustav Holst [1874-1934]: "Mars, the Bringer of War", aus der Suite für Orchester "The Planets", Op. 32; The Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, Charles Mackerras)


Anmerkung: Holst hat diese bis heute wegweisende Musik 1914 veröffentlicht und sie demnach in den Monaten und vielleicht Jahren davor komponiert. Ich kann mir keine treffendere, furchtbarere Hymne auf den physikalischen Beginn des kapitalistischen Zerfalls der gesamten "zivilisierten" Welt und die daraus resultierenden Jahrzehnte zweier Weltkriege, die beide für sich genommen jeder auch nur vorstellbaren Enthumanisierung und Gewaltverstärkung schon gedanklich entgleiten, vorstellen.

Hier hat der Komponist, der damals nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, welche barbarischen Horrorszenarien in Kürze folgen würden, genau diesen Horror schon im Vorfeld in laute (Miss-)Töne gegossen - und es ist nur eine folgerichtige und noch perversere Entwicklung unserer heutigen abartigen Zeit, dass ausgerechnet diese Musik heute zu einer maßgeblichen Inspiration für die vielen Musikplagiatoren aus der banalen Filmindustrie geworden ist. Was damals bahnbrechende musikalische Kunst war, ist heute in einer endlosen Wiederholungsschleife zur billigen, effektheischenden Untermalung für die meist unkritische, oft sogar befürwortende filmische Darstellung von Gewalt, Kriegen oder bewusst herbeigeführten Katastrophen mutiert. Noch viel tiefer kann die Kunst - und mit ihr der Humanismus - kaum sinken.

Stellen wir uns für einen kurzen Moment doch einmal den glühenden Kriegstreiber Gauck vor, wie er in einem Konzertsaal diesen Tönen andächtig lauscht (oder lauschen muss) - um danach ans Rednerpult zu treten. Aber ich verlange und erwarte offensichtlich viel zu viel von der heutigen Menschheit, die auch ein Gauck ja nicht maßgeblich formt, sondern eher abbildet. Gauck würde nichts verstehen, allenfalls noch Vergleiche zur Filmmusik von "Star Wars" ziehen, und danach weiter pathetisch zum "gerechten", gar "freiheitlich-demokratischen" Krieg gegen "die Bösen" aufrufen.

Die Degeneration dieser tumben Menschen ist nicht nur im vollen Gange, sondern steht kurz vor einem neuen Meilenstein - allerspätestens dann, wenn die Generation, die den Horror der beiden Weltkriege noch miterlebt hat, endlich komplett auf die Friedhöfe verbracht ist, wird das böse Spektakel wieder von vorn losgehen. Und auch diesmal werden es dieselben "seriösen Herrschaften" sein, die wider besseres Wissen lächelnd die Startpistole heben und beherzt abfeuern - wie immer ohne zu wissen, welche neue, bisher nie dagewesene Greuel sie damit lostreten.

---

Der Krieg, wie ich ihn sah



(Zeichnung von Fritz Arnold [1883-1921], in "Simplicissimus", Heft 48 vom 25.02.1919)