Samstag, 24. Januar 2015

Zitat des Tages: Das ganz einfache Leben


Sie werden lachen, wenn ich Ihnen jetzt offen gestehe, dass ich Ihnen eigentlich gar nicht viel zu erzählen habe. Aber hören Sie einmal die Marktfrauen auf den Gassen, sie haben auch nicht viel zu erzählen und erzählen doch. Und trotzdem haben sie viel zu erzählen, denn alle erzählen von dem einen Großen, um das es sich überhaupt lohnt zu leben, sie erzählen vom einfachen Leben.

Und mehr können auch die nicht erzählen, die drei oder gar fünf Sprachen vollkommen beherrschen. Sie können zwar von der einen Sprache in die andere verdolmetschen, aber vielleicht können sie weniger erzählen, weil sie weniger erleben als die Marktfrauen, die mitten im Leben stehen, auch wenn sie sitzen, und nun die Herren Philosophen. Sie ordnen den Extrakt aus den Erzählungen der Marktfrauen nach einem Schema, daher falsch. Lassen Sie sich daher nie etwas von einem Philosophen erzählen. Wie der Arzt Diagnosen stellt, so irrt der Philosoph in seiner Logik, denn Irren ist philosophisch. Und so können sich alle Philosophen trösten, denn es irren alle Menschen aller Stände, aller Berufe.

Und nun werden Sie vielleicht lachen, wenn ich Ihnen sage, dass auch ich Ihnen nichts zu erzählen habe. Ich erzähle aber doch in der Hoffnung, dass Sie es verstehen werden, zwischen meinen Zeilen zu lesen.

(Kurt Schwitters [1887-1948], in: "Das literarische Werk", Band 2, DuMont 1974-81)

Anmerkung: Auch wenn es mir unter den Nägeln brennt und ich angesichts dieses zeitlosen Textes wie irrsinnig auf die kleine Clique der superreichen Menschenfeinde, die korrupte Polit-Bande, die Mainstreamjournaille, die Pegida-Deppen, die religiösen Steinzeitler jeder Couleur und so viele andere deuten und dabei wild gestikulieren möchte, unterlasse ich das und gebe mich der schnöden, vermutlich auch heute vergeblichen Hoffnung des Autors hin, der er im letzten Satz Ausdruck verliehen hat.

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Bergfriedhof



(Gemälde von Kurt Schwitters [1887-1948] aus dem Jahr 1919. Öl auf Leinwand, Solomon R. Guggenheim Museum, New York)

Freitag, 23. Januar 2015

Realitätsflucht (12): Faust


Auch diesmal habe ich ganz tief in den verstaubten Katakomben der Computerspiele gebuddelt und das Kleinod "Faust - Die sieben Spiele der Seele" des französischen Entwicklerstudios Cryo aus dem Jahr 1999 entdeckt. Dieses Spiel habe ich vor ungefähr zehn Jahren als Geburtstagsgeschenk für einen spielebegeisterten Menschen gekauft, bevor ich noch rechtzeitig in Erfahrung bringen konnte, dass er gerade dieses Spiel schon kannte - und so lag es also zehn Jahre lang ungeöffnet und unbeachtet im Keller, bis ich es kürzlich beim Ausmisten wiederfand und kurzerhand beschloss, es einfach mal auszuprobieren.



Zunächst schlug der Installationsversuch allerdings fehl - eine kurze Internetrecherche reichte aber aus um zu lernen, dass nicht das Spiel, sondern lediglich der Installer mit Windows 7 (64) nicht kompatibel ist. Und der lässt sich leicht umgehen, wie ich hier nachlesen konnte. Für die deutschsprachige Version des Spieles muss man das natürlich entsprechend anpassen - am Schluss des Postings hinterlasse ich eine entsprechende Anleitung. Jedenfalls ließ sich das Spiel danach völlig problemlos starten und spielen - lediglich das manuelle Speichern des Spielstandes funktionierte (wohl aufgrund des fehlenden Installationsordners) nicht, was aber nicht weiter störte, da das Spiel völlig stabil lief und regelmäßig Autosaves anlegt.

Es handelt sich um ein recht extravagantes Adventure, das in einem verwaisten amerikanischen Vergnügungspark namens "Dreamland" spielt, der in den 1920er Jahren eröffnet und aufgrund mysteriöser Vorfälle in den 1960er Jahren wieder geschlossen wurde. Man spielt die Figur des Marcellus Faust, der ohne Erinnerung in der heutigen Zeit in diesem verlassenen Park erwacht und nicht weiß, was er dort verloren hat - eine Ausgangslage, die seitdem in unzähligen Variationen von ebenso vielen anderen Spielen aus verschiedensten Genres kopiert wurde. Gleich zu Beginn trifft man zum ersten Mal auf seinen Kontrahenten, der selbstverständlich Mephisto heißt und den Spieler wortreich kommentierend durch die insgesamt sieben Episoden geleitet, in denen man das Schicksal verschiedener Personen, die in jenem Park eine maßgebliche Rolle gespielt haben, kennenlernt.

Über die Story möchte ich mich hier nicht weiter auslassen. Grafisch gehörte das Spiel wohl zum Besten, was 1999 möglich war - heute wirkt das natürlich veraltet (was insbesondere für die Videosequenzen gilt), ist aber noch immer durchaus ansehnlich. Die Atmosphäre dieses verlassenen Vergnügungsparks wird ganz wunderbar eingefangen - und die zur jeweiligen Zeit passende Musik (größtenteils aus den 30er bis 50er Jahren) untermalt das grandios. Während man beispielsweise das Schicksal des großen Malers Frank, der so gerne ein "Casanova" sein wollte und sein Maltalent dafür an Mephisto verhökerte, untersucht, hört man unentwegt die Originalversion des grandiosen (in Deutschland via youtube aufgrund des Copyright-Bullshits nicht verfügbaren) Songs "Nature Boy" von Marvin Gaye (1931), der Jüngeren vielleicht durch den Film "Moulin Rouge" wieder ein Begriff sein könnte: "The greatest thing you'll ever learn is just to love and be loved in return".

Die Atmosphäre ist das Bestechendste, was dieses Spiel zu bieten hat - gleichbedeutend mit den großartigen, oft sarkastisch-zynischen Texten, die vor lauter literarischen Zitaten - nicht nur aus Goethes "Faust" - geradezu strotzen. Da bin ich auch gleich beim größten Kritikpunkt angelangt, denn die deutsche Synchronisation dieses Spieles ist so unterirdisch schlecht, dass sie kaum erträglich ist. Ich kann jedem, der ebenso wie ich gerne in Grüften wühlt und nach verlorenen Edelsteinen sucht, nur empfehlen, das Spiel auf Englisch zu spielen. Ich habe es nicht ausprobiert, aber eigentlich müsste es möglich sein, die Sprachausgabe auf Englisch zu stellen, während die (optional einstellbaren) Untertitel auf Deutsch angezeigt werden.

Die für ein Adventure üblichen Rätsel sind größtenteils auch für Anfänger gut lösbar - es gibt aber auch in diesem Spiel einige Stellen, an denen mehrfaches "Um-die-Ecke-Denken" gefragt ist. Wer sich gelegentlich vergeblich den Kopf zerbricht, kann aber auch hier auf eine der vielen verfügbaren Komplettlösungen im Netz zurückgreifen. In jedem Falle aber muss man sich an jedem Ort verdammt genau umschauen und ein und dieselben Objekte auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, damit man nichts übersieht. Wichtig ist auch, dass die Rätsel komplexer und die Hinweise rarer werden, wenn man einen höheren Schwierigkeitsgrad wählt.

Ich habe viele Stunden meiner Lebenszeit in "Dreamland" verbracht - und ich bereue keine einzige davon. Mephisto hat mich hier gelehrt (auch wenn ich das schon vorher wusste):

Und so zeigt die Habgier nur eines mit Gewissheit: Alles hat seinen Preis.




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Installationsanleitung für Win 7 (englische Version des Spiels)

  1. Erstelle einen Spieleordner auf der Festplatte, beispielsweise C:\Games\Faust\.
  2. Kopiere das komplette Verzeichnis data von der CD1 in diesen Ordner.
  3. Kopiere die folgenden Dateien von der CD1 ebenfalls in diesen Ordner: ames.ini, aObj.ini, arxin3.fon, faust.exe, fl.ini, mmxImage.dll.
  4. Kopiere die Datei sa.at3 aus dem CD1-Verzeichnis data\eng\ in den zuvor erstellten Spieleordner (siehe 1).
  5. Öffne die Datei fl.ini von der Festplatte (beispielsweise mit "Notepad") und ändere die Zeile CDPATH: CDROM zu CDPATH: E:\, wobei der Buchstabe "E" Dein lokales CD-Laufwerk bezeichnen muss. Sollte das also "D" oder "F" heißen, musst Du das entsprechend anpassen. Nach dem Ändern das Speichern nicht vergessen.

Installationsanleitung für Win 7 (deutsche Version des Spiels)

  1. Erstelle einen Spieleordner auf der Festplatte, beispielsweise C:\Games\Faust\.
  2. Kopiere das komplette Verzeichnis data von der CD1 in diesen Ordner.
  3. Kopiere die folgenden Dateien von der CD1 ebenfalls in diesen Ordner: ames.ini, aObj.ini, arxin3.fon, faust.exe, fl.ini, mmxImage.dll.
  4. Kopiere die Datei sy.at3 aus dem CD1-Verzeichnis data\ger\ in den zuvor erstellten Spieleordner (siehe 1).
  5. Öffne die Datei fl.ini von der Festplatte (beispielsweise mit "Notepad") und ändere die Zeile CDPATH: CDROM zu CDPATH: E:\, wobei der Buchstabe "E" Dein lokales CD-Laufwerk bezeichnen muss, sowie die Zeile LANGUAGE: ENG zu LANGUAGE: GER. Nach dem Ändern das Speichern nicht vergessen.

Und das war's - mit der Datei faust.exe aus dem Spieleverzeichnis auf Deiner Festplatte kannst Du das Spiel nun problemlos starten.

Donnerstag, 22. Januar 2015

Die Rückkehr des Judensterns (2): Die Verschärfung


Ich habe mich darüber vor drei Monaten schon einmal ausgelassen - jetzt macht die neoliberale Bande aber Nägel mit Köpfen und führt die "markierten Ersatzausweise" für "Verdächtige" verbindlich ein. Um ganz sicherzugehen, sind diesmal nicht nur die Reisepässe, sondern auch die Personalausweise betroffen, wie der WDR lakonisch berichtet:

Die Behörden können bei Terror-Verdächtigen künftig auch den Personalausweis einziehen. Um Ausreisen zu verhindern. Das hat am Mittwoch (...) das Bundeskabinett beschlossen. NRW-Innenminister Jäger [SPD] ist froh über die Befugnisse. / (...) Die Entscheidung darüber, wem der Ausweis abgenommen werden soll, treffen die Sicherheitsbehörden der Länder - also Polizei, LKA und Verfassungsschutz.

Mir fehlen dazu fast die Worte - zumal die schwammige "Erklärung" im WDR-Text keinerlei Auskunft darüber gibt, wer denn nun wirklich darüber befinden darf, welchem Bürger der Ausweis entzogen wird und wer einen "Ersatzausweis" erhalten soll - und welche Kontrollen, Regelungen und Kompetenzen da tatsächlich festgelegt werden. Das muss das Volk nicht wissen - es reicht nach qualitätsjournalistischer Überzeugung offenbar aus, wenn bekannt ist, dass solche Dinge von der Polizei, dem LKA und dem "Verfassungsschutz" irgendwie geregelt werden.

Innenminister de Maizière (CDU) hielt in seiner Pressekonferenz den "neuen Ersatzausweis" für diese "Verdächtigen" denn auch stolz in die Kameras: Da kann man tatsächlich nirgends Markierungen entdecken, da prangt kein Stern oder Halbmond, da ist kein dicker Stempel mit dem Schriftzug "ISLAMIST" zu sehen - also können wir uns alle doch beruhigt zurücklehnen. Es fällt sicher niemandem auf, wenn bei einer Kontrolle kein Personalausweis oder Reisepass, sondern eben dieses hübsche, "neutrale" Dokument vorgezeigt wird.

Für wie doof halten diese furchtbaren Gesellen die Menschen eigentlich? Wenn man statt eines dicken Stempels mit der Aufschrift "JUDE" einfach einen vollkommen anderen "Ausweis" ausgibt, der den Inhaber für jeden Außenstehenden auf den ersten Blick als "Verdächtigen" erkennbar macht, ist das nicht weniger verwerflich als die faschistische Markierung des regulären Ausweises - sondern noch eine ganze Stufe übler. n-tv erklärt das ganz pragmatisch so (das Zitat stammt wirklich nicht aus dem "Stürmer"):

Viele Details sind schon bekannt, zum Beispiel, dass Betroffene die Verwaltungsgebühr von 10 Euro selbst zahlen müssen [sic!]. Auch Musterdrucke gibt es schon. Die neuen Ausweise sollen zweifach gefaltet werden und etwa so groß wie ein Fahrzeugschein sein. Dass er dem Personalausweis nicht ähnlich sieht, ist Absicht: So besteht nicht die Gefahr, dass ein Grenzbeamter die Ausweise verwechselt. Auf einer Seite steht der Vermerk "Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands".

Es geht hier - wohlgemerkt - nicht etwa um verurteilte Verbrecher (wobei auch da ein solches Vorgehen bereits grundgesetzwidrig, verachtenswert und abgrundtief faschistisch wäre), sondern um "Verdächtige", die von niemandem angeklagt und von keinem Gericht verurteilt wurden. Wo leben wir eigentlich? Was zur Hölle passiert in diesem Land? Wie kann es sein, dass diese verkommene Bande solche widerlichen Terrorgesetze wieder einführen kann, während die Mainstreamjournaille teilnahmslos und unkritisch darüber berichtet, als ginge es um den Taubenzuchtverein Dortmund-Brakel - und niemanden in der Bevölkerung scheint das ernsthaft zu interessieren? - Schaut Euch doch diese Doku an!

Ich halte diesen irrsinnigen faschistischen Vormarsch nicht mehr lange aus. - Heinrich Mann schrieb in seinen "Memoiren" 1946 rückblickend auf das Jahr 1933:

Als ich am 21. Februar abreiste, hätte Gepäck mich nur verraten. Keine unanständige Eile, den Zug nach Frankfurt zu besteigen - es ist nur Frankfurt, meine Fahrkarte reicht nicht weiter. Wer hat etwas dagegen? Ich sollte unter den Ersten sein, denen der Pass entzogen wird. So sieht, will es scheinen, der Rubikon aus. Hinter dem verhängnisvollen Fluss, den ich wähle, liegt das Exil.

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Einsamkeit



(Gemälde von Marc Chagall [1887-1985] aus dem Jahr 1933: "Einsamkeit". Öl auf Leinwand, Tel-Aviv Museum of Art)

Mittwoch, 21. Januar 2015

Musik des Tages: Sky Overture




(Uli Jon Roth: "Sky Overture", aus dem Album "Transcendental Sky Guitar I & II: The Phoenix / The Dragon", 2000)

Anmerkung: Frei nach Hemingway beobachten wir hier den alten Mann und die Gitarre: Uli Jon Roth, von 1973 bis 1978 musikalisch maßgebliches Mitglied der damals teilweise sogar noch progressiven Scorpions, danach mit verschiedenen Bands stets abseits des Mainstreams unterwegs, ist heute einer der letzten "Guitar Heroes" der Rockmusik, der noch immer regelmäßig auf den schmutzigen Bühnen jenseits des billigen Glamours präsent ist. Und noch immer ist es ein hedonistischer Genuss, dem Mann bei der Zelebrierung seiner Musik zuzusehen und sie nachzuempfinden.

Zwischendurch hat der Mann einige Sinfonien für großes Orchester und Rockband geschrieben, von denen ich im Netz aber leider keine gefunden habe. Es gibt beispielsweise einen WDR-Rocklife-Mitschnitt der Uraufführung der ersten Sinfonie "Europa Ex Favilla" mit dem Brüsseler Sinfonieorchester aus dem Jahr 1993, den ich im Regal stehen habe - online ist er aber nicht zu finden.

Eine deutliche Zäsur und ein Wandel im Werk des Musikers sind zu bemerken, nachdem 1996 seine langjährige Lebensgefährtin Monika Dannemann verstorben war. Zunächst schrieb Roth ein (online ebenfalls nicht auffindbares) Requiem für sie, um sich danach aber wieder verstärkt der Rockmusik zuzuwenden. Bei Hemingway lesen wir:

"Er saß weinend im Boot, als die Fischer ihn bargen, halb von Sinnen über seinen Verlust. Und die Haie umkreisten noch immer das Boot."

Roth führt uns also deutlich vor Augen, wie wir mit jenen Haien umzugehen haben: Fuck you, basterds, this is Rock'n'Roll!

Oder so ähnlich.


Dienstag, 20. Januar 2015

Das Merkel-Plagiat Hannelore und das "Ehrenamt": Schöne neue McKinsey-Welt


In ihrer Neujahrsansprache, die man sich schon aus hygienischen Gründen besser nicht komplett anhören sollte, hat die Ministerpräsidentin von NRW, Hannelore Kraft (SPD), wie bei solchen Anlässen üblich eine Menge gequirlten Blödsinn mit viel künstlichem Zuckerguss aus dem Baukasten des neoliberalen Propaganda-Blablas vom Stapel gelassen und sich damit brav in die Riege der salbungsvoll Salbadernden (Gauck, Merkel & Co.) eingereiht. Ich musste mir das Kraft'sche Geschwafel anlässlich eines Besuches bei der buckeligen Verwandtschaft dennoch in Gänze reinziehen, was außer akuten Übelkeitsanfällen zum Glück aber keine weiteren Folgen hatte. Dennoch ist mir eine Passage ganz besonders unangenehm aufgefallen, nämlich diese:

"Wir können stolz darauf sein, dass sich bei uns rund fünf Millionen [Menschen] ehrenamtlich engagieren", sagte Kraft weiter. "Am liebsten würde ich jedem Einzelnen direkt in die Augen schauen und persönlich danken."

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das zerknitterte Merkel-Plagiat aus Düsseldorf begrüßt es ausdrücklich, dass allein in NRW fünf Millionen Menschen kostenlos soziale Arbeit erledigen, die eigentlich in den ureigensten Aufgabenbereich des Staates fällt und auch entsprechend bezahlt und durch gut ausgebildete Fachkräfte besorgt werden müsste. Wenn es in einem Land eine so erhebliche Masse an "ehrenamtlich" Tätigen gibt, ist das ein untrügliches Indiz dafür, dass der Staat seinen sozialen und kulturellen Pflichten in großem Umfang nicht nachkommt. Es ist eine asoziale Frechheit, dass Kraft sich dafür nicht nur öffentlich nicht entschuldigt und Besserung gelobt, sondern diesen Missstand im Gegenteil ausdrücklich begrüßt und auch noch sichtlich zu zementieren versucht.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich bin selber "ehrenamtlich" aktiv und weiß, dass es verdammt viele Menschen in diesem Land gibt, die eine überaus wichtige und oft genug aufzehrende Arbeit leisten, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann. Das ändert aber nichts daran, dass ein Großteil dieser "Ehrenämter" aus der puren Not geboren wurde, eben weil es in verschiedensten sozialen und kulturellen Bereichen keine staatlichen Hilfen bzw. Anlaufstellen (mehr) gibt oder der Staat sogar längst zum Kontrahenten pervertiert ist, der die BürgerInnen nicht mehr stützt bzw. unterstützt, sondern regelrecht bekämpft.

Wir können wahrlich nicht "stolz" darauf sein, dass es in diesem reichen Land einer derartigen Masse von unentgeltlich tätigen Menschen bedarf, die das tun, was eigentlich die Aufgabe des Staates ist - wir (und damit ist in erster Linie die korrupte Polit-Bande gemeint) sollten uns vielmehr heftigst dafür schämen und alles daransetzen, diese "Ehrenämter" endlich überflüssig zu machen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich auch, wer sich denn ganz besonders für das "Ehrenamt" stark macht - und es verwundert nicht weiter, dass hier insbesondere die global tätige "Unternehmensberatung" McKinsey, die unter anderem an der Konzeption der "Tafeln" beteiligt war, unangenehm auffällt. Ihre "Initiative startsocial" bewirbt diese Bande so:

startsocial fördert ehrenamtliches Engagement und lebt von ehrenamtlichem Engagement: In den bisherigen Wettbewerbsrunden haben sich rund 2.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 300 Unternehmen und sozialen Organisationen in weit mehr als 120.000 Arbeitsstunden in Gremien, als Coaches oder als Juroren für startsocial eingesetzt. / Die Initiative steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Als Hauptsponsoren unterstützen Allianz SE, Deutsche Bank AG, Atos, ProSiebenSat.1 Media AG und McKinsey & Company den Wettbewerb.

Hier ist die Elite der raffgierigen Asozialen unter sich - und die SPD wäre nicht "unsere" SPD, wenn sie nicht laut, schief und aufdringlich ins selbe ekelhafte Horn trötete. Wie gern würde ich all diesen schmierigen Gesellen direkt in die Augen schauen, bevor ich ihnen mit tiefempfundenem, ehrenamtlichem Engagement voller Überzeugung in die vollgefressenen Hintern träte.

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Lokalpolitiker



(Gemälde von George Caleb Bingham [1811-1879] aus dem Jahr 1849: "Country Politician", Öl auf Leinwand, Fine Art Museum of San Francisco. Es ist auf dem Scan nicht so gut zu erkennen: Rechts neben dem "Lokalpolitiker" sitzt ein "Geschäftsmann", der in der Hand einen Sack mit Geld hält, während im Zylinder auf dem Boden ein Bündel Banknoten zu sehen ist.)