Samstag, 5. März 2016

Die Hartzritterin Hannemann und der realpolitische Sachzwang


Ein Gastbeitrag des Altautonomen

Am 4. November 2014 war beim Spiegelfechter ein Gastbeitrag mit dem Titel "Meine Vorstellung über das politische Hamburg" von Inge Hannemann zu lesen, der unter anderem diese Aussage enthielt:

Ein-Euro-Jobs und die kommenden Null-Euro-Jobs gehören genauso abgeschafft wie die derzeitige Sanktionspraxis, welche nachweislich bis hin zum Verlust von Wohnung und Krankenversicherung führt.

Die Nachdenkseiten, der Spiegelfechter und dessen Redakteure Berger und Wolf sowie Lutz Hausstein und Klaus Baum überboten sich in dieser Zeit mit positiven Jubeltexten über Frau Hannemann. Sie wurde so zu einer "rebellischen Stilikone" von Kleinbloggersdorf.

Frau Hannemann war mir aber nicht nur aufgrund der Kritik an ihrer Person auf Indymedia von Anfang an suspekt, denn ich fragte mich, wozu dieser Hype um eine Person, die auf dem linken Nonkonformisten-Ticket noch schnell auf den Zug ins System aufspringen will, dienen möge, wobei es hauptsächlich - wie wir heute wissen - um ihre Medienpräsenz und Selbstvermarktung ging. Die Dame ist seit März 2015 arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion "Die Linke" in der Hamburgischen Bürgerschaft mit einem steuerpflichtigen Salär von 2.700 Euro monatlich.

Als ich noch bei Klaus Baum kommentierte, habe ich dazu geschrieben, dass es schon lange, bevor Frau Hannemann das Licht der medialen Öffentlichkeit suchte, viele bescheidene und im Stillen agierende Whistleblower, Nonkonformisten, innerlich Gekündigte und Saboteure im öffentlichen Dienst gab, die keine Erwähnung fanden. Denn aus Angst vor dem Verlust ihrer materiellen Existenz durch (Verdachts-)Kündigung suchten sie nicht das Licht der Öffentlichkeit.

Im übrigen äußerte sich Frau Hannemann nie gegen "Hartz IV" generell, sondern nur gegen die damit verbundenen Sanktionen. Interessant ist in diesem Zusammenhang dieser Bericht, der zeigt, wo der Einsatz der "Jeanne d'Arc für Langzeitarbeitslose" endet und die schnöde Korruption beginnt:

Der Landesverband Hamburg und die Bezirksvertretung der Partei "Die Linke" stimmte zusammen mit den anderen Systemparteien für die Fortsetzung von "Ein-Euro-Jobs". Fadenscheinige Begründung: "Förderung sozialer Kontakte", faktisch jedoch Förderung des Projektträgers. Hauptbefürworterin war Inge Hannemann. Es ist dabei nur eine Randnotiz, dass es bisher keinem "Ein-Euro-Jobber" gelang, in ein normales Arbeitsverhältnis "überzugleiten".

Dies kann hier nachgelesen und nachgehört werden. Das Video mit der Rede von Frau Hannemann ist sehr aufschlussreich und erhellend (sie eröffnet mit "Sehr geehrte Bezirksamtsleiterin!" - gemeint ist Frau Dr. Liane Melzer - unglaublich!).

Eine Kommentatorin bemerkte dazu [das Zitat wurde zur besseren Lesbarkeit von mannigfaltigen Schreibfehlern befreit, Anm.v.Charlie]:

Dass Frau Hannemann die Seiten gewechselt hat, war doch früher oder später zu erwarten. Hier geht es nicht um Integration in den 1. Arbeitsmarkt, sondern um Arbeitsplatzerhalt für die Beschäftigten von "Koala". Der Zweig der billigen Arbeitssklaven soll erhalten bleiben durch Ausübung von Zwang von team.arbeit.hamburg, um Erwerbslosen die Existenz zu nehmen, wenn nicht gespurt wird wie team.arbeit.hamburg möchte. Erwerbslose (SGB-2-Bezieher) ebenso wie Praktikanten sind vom geplanten Mindestlohn ausgeschlossen. Das ganze dient weiterhin dazu, die prekäre Beschäftigung aufrecht zu erhalten, weil über Jahre sich wirtschaftlich ein neuer Arbeitsmarkt entwickelt hat.

Dazu schweigt das zuvor jubelnde Kleinbloggersdorf bisher. Dessen "Elite" befindet sich vermutlich gerade auf der Beerdigung des Antikapitalismus.

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Weitere Quellen:
1. Der Antrag.
2. Auf der Seite Abgeordnetenwatch gib es auf entsprechende Fragen eine Antwort von Hannemann, die aber schwammig ist.


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Statt einer Anmerkung von Charlie nur ein Zitat:

Die korrupten Politiker

Die korrupten Politiker saßen alle - - in den Clubsesseln herum
und rauchten dicke Importe zum Gläschen französischen Sekt:
hie und da rülpste einer diskret oder schneuzte sich mit Gebrumm,
aber alle hatten die Zeitungen leise gähnend beiseite gelegt.

Da erhob der korrupte Politiker Lehmann seine Stimme und sprach:
"Meine verehrten Herren korrupten Kollegen von jeder Partei -
allmählich, dess' können Sie versichert sein, lässt es schon nach
mit dem aufgeregten Artikelschreiben und dem Entrüstungsgeschrei.

Denn meine Herren" - er hustete kch kch, und der Diener klopfte ihn schon -
"wir mussten in unserm lieben Vaterland als Pioniere voran;
wir sind eine junge Nation und uns mangelt die Tradition der Korruption -
aber nur Mut, es geht rasch, und bald sieht man uns anders an!

Wenn sich die Einrichtung erst einmal gründlich durchgesetzt hat,
werden wir alle bald öffentlich geachtete Männer beziehungsweise Greise sein ...
blickt nach Amerika! Wo findet da noch über solches Erregung statt?
Sondern im Gegenteil - korrupt muss ein geachteter Politiker sein!

Darum erheben wir uns und stimmen vereint das Bundeslied an:
Immer an der Wand lang und vor der Zeit nicht schlapp gemacht!
Wenn es mal erst vor aller Augen und mit Tradition geschehen kann,
dann haben wir alle Mächte des Staates auf unsere Seite gebracht."

(Peter Scher [1880-1953], in "Simplicissimus", Heft 49 vom 02.03.1925)

Mittwoch, 2. März 2016

Armut im Kapitalismus, oder: Wasser ist nass


Ach, wie überraschend: Die Armut nimmt in Deutschland, dem es laut Merkel und ähnlichen Stiefelleckern der "Elite" ja "gut" gehe, kontinuierlich zu. Potzblitz, wie kann das inmitten des "besten aller möglichen Systeme" denn bloß sein, fragt sich da der verzweifelte Michel und bekommt die Antwort ohne Umwege von ganz rechts (AfD, NPD, CDU etc.), jüngst noch verstärkt durch das braune Megaphon der SPD: Der böse Flüchtling ist es, der "uns" alles wegnimmt. Im Kindergarten kann es wahrlich nicht infantiler zugehen.

Die Propaganda wird entsprechend nicht müde, immer neue Grotesken aus dem Hut zu zaubern. So behauptete der WDR unter Bezugnahme auf den jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vor einigen Tagen ganz dreist: "Demnach ging bundesweit die Armutsquote im Jahr 2014 um 0,1 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent zurück." - Wer sich den Bericht etwas genauer ansieht, erkennt sofort den Bullshit-Faktor dieser Behauptung, die nur durch statistische Tricksereien ("Wir nehmen als Bezugspunkt 2013 und blenden den Rest einfach mal aus!") zustande kommen kann. Das wissen freilich auch die gut bezahlten Autoren des WDR und ergänzen hilflos:

Seit 2006 nimmt die Armut [in NRW] stetig zu - von 13,9 Prozent auf jetzt 17,5 Prozent. Ein Anstieg von 26 Prozent, den es so in keinem anderen Bundesland gegeben hat. Zum Vergleich: Bundesweit stieg die Quote um zehn Prozent.

Selbstverständlich ist auch das statistischer Schwachsinn, der aber immerhin der Realität etwas näher kommt. Nicht einmal die im Beitrag präsentierte Grafik, die ebenso zum Bullshit-Bingo gehört, belegt die anfängliche Behauptung eines bundesweiten angeblichen Rückgangs der Armut, die zynischerweise auch noch unter dem Titel "Zahl der Woche" veröffentlicht wurde:



Etwas ehrlicher - wenn auch immer noch weit von der Realität entfernt und ebenso zynisch - präsentiert sich zu diesem Thema n-tv, wo kürzlich zu lesen war:

Arm trotz guter Wirtschaftslage / Das Ruhrgebiet ist der neue Osten [sic!] / (...) Forscher und Sozialverbände stellen fest: Der Osten ist nicht mehr das Armenhaus Deutschlands und die Freude auf ein sorgloses Leben im Alter ist ein Trugbild.

Wer hier aber nach Informationen sucht, weshalb die bittere Armut zukünftig immer mehr Rentner betrifft oder welche Rolle das perverse Hartz-Zwangsverarmungssystem in diesem bösen Spiel innehat, wird selbstverständlich enttäuscht. Den deutlichen Knick nach 2005 (Einführung des Hartz-Terrors) in der obigen Grafik muss der geneigte Leser selbst interpretieren. Es gibt auch hier keine Informationen, geschweige denn Hintergrundberichte - gehen Sie bitte weiter und akzeptieren Sie das Fiasko als gottgegeben und nicht etwa von asozialen Elementen aus der Politik verursacht: "Schuld sind die Flüchtlinge, die faulen Arbeitslosen, die Kranken und die Rentner." Das wird zwar in keinem der beiden Texte so gesagt, schwingt aufgrund der fehlenden Information über die wirklichen Hintergründe aber stets mit. Wer das für einen Zufall oder ein Versehen hält, darf in Kürze gemeinsam mit meinen Kindern den Osterhasen jagen.

Wenn ein Journalist oder Politiker auch nur eine einzige Stunde seiner belanglosen Lebenszeit damit verbrächte, in einer Bibliothek einschlägige Texte zum Thema zu lesen, wüsste er oder sie sofort, wieso es in der Endphase des Kapitalismus selbstverständlich zu vermehrter, tendenziell stark zunehmender Verarmung der Massen kommen muss. Den größtenteils akademisch gebildeten Herr- und Frauschaften aus diesen illustren Kreisen darf also guten Gewissens unterstellt werden, hier ganz bewusst - und natürlich aus purem Eigeninteresse - zu verschleiern und zu lügen.

Es ist schlicht hirnzersetzend, dass es der elitären Bande im 21. Jahrhundert immer noch gelingt, irgendwelche arme Schlucker, denen es noch drei- oder gar zehnmal mieser geht als den verarmten "Volksgenossen", für den Niedergang der hiesigen "Mittelschicht" verantwortlich zu machen. Die superreichen Arschlöcher, die tatsächlich verantwortlich sind, lachen sich derweil einen Ast und freuen sich vermutlich diebisch auf den kommenden Faschismus, der ihnen erneut riesige Profite verspricht. Das "Perpetuum Mobile" der absurden Perfidie soll sich schließlich weiter drehen - auch nach dem kommenden Zusammenbruch.

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Das neue Proletariat


"Ein armer geistiger Arbeiter bittet um einen warmen Löffel."

(Zeichnung von Eduard Thöny [1866-1950], in "Simplicissimus", Heft 7 vom 12.05.1920 [Beiblatt])

Dienstag, 1. März 2016

Song des Tages: As We Approach The End




(CygnosiC: "As We Approach The End", aus dem Album "Fallen", 2012)

Told me lies
Compromise
Scattered sties
We knew that price

As we approach the end
Spinning my head
Stealing my breath
You claim what is mine
An unequal fight
All I have is my pride



Anmerkung: Diese griechische Band hat die Antwort auf den menschenfeindlichen Katastrophenkurs von Merkel, Schäuble & Co. hier vorweggenommen. Der Untergangshymne ist nichts weiter hinzuzufügen.

Montag, 29. Februar 2016

Leseempfehlung: Vom bösen Sozialismus und den völkischen Wohltaten für Arier (Gabriel reloaded)


Gestern hat der Gärtner in seiner "Sonntagsfrühstücks"-Kolumne mal wieder ordentlich vom Leder gezogen: Thema waren diesmal die jüngsten, nur noch als völkisch zu betrachtenden Äußerungen von Fleischtopfschöpfer Sigmar Gabriel und die nicht minder widerwärtige Kommentierung der jüngsten, wie immer grotesken Ergüsse des Freiheitsapostels Gauck durch die ebenso fürstlich entlohnte Kuhjournalistin Constanze v. Bullion in der Süddeutschen. Der scharfzüngige Text ist, wie fast immer, äußerst empfehlenswert und erhellend.

Gärtner resümiert - und dieses Zitat muss einfach sein, weil es wie kaum ein anderes ein grelles, aufklärendes Licht auf die schauderhafte Gedanken- bzw. Propagandawelt der Neoliberallalas aus der Politik und der Journaille wirft:

Dass die Volksgenossen in dieser wunderbar nationalen Stimmung ("Asylpaket II") dann ganz konkret zur Supergefährlichkeit neigen, schiebt unsere linksliberale, dem Standort Deutschland ebenso treu ergebene Qualitätspresse dann vorsorglich auf einen Sozialismus, der, statt wie üblich die Menschen brutal dem gleichmacherischen Kollektiv zu unterwerfen, neuerdings den Glauben ans Teilen verhöhnt (!), und wieder stimmt das Wort des völkischen Antibolschewisten Goebbels: dass nämlich die unverschämtesten Flunkereien am ehesten geglaubt werden. / Und eben die sind die supergefährlichsten. Wer nicht gerade Sigmar Gabriel, Constanze v. Bullion oder sonst eine korrupte Figur ist, weiß das.

Mir fällt zu diesen völlig durchgeknallten Paralleluniversumsbewohnern nichts mehr ein - außer der Feststellung, dass sie keineswegs allesamt so unsäglich dumm sein können, dass sie gar nicht bemerken, wie weit sie sich inzwischen von jeder auch nur mühsam zu konstruierenden Realität entfernt haben. Mit anderen Worten: Die tun das mit voller Absicht und wider besseres Wissen.

Gärtner hat vergessen zu erwähnen, dass die übrige rechte Bande von CDU/CSU die völkisch-nationalen Pseudoforderungen Gabriels, die dieser als Vorsitzender der maßgeblichen Hartz-Terror-Partei selbstverständlich nicht ernst meint (es ist schließlich Wahlkrampf), strikt zurückgewiesen hat - für das asoziale Pack Merkel, Seehofer, "die Misere", Schäuble & Co. kommt eine pervertierte Menschenfreundlichkeit nicht einmal dann in Betracht, wenn sie nur Arier "deutsche Volksgenossen" betreffen soll.

Was ist das bloß für eine widerliche Bagage, quer durch die komplette kapitalistische Einheitspartei samt der begleitenden Propagandapresse!

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Dichter und Denker


"Wenn sich ein Minister bloß satt isst, ist er ein Sparer. Und wenn ich nicht verhungere, bin ich ein Verschwender."

(Zeichnung von Alfred Kubin [1877-1959], in "Simplicissimus", Heft 35 vom 28.11.1927)