Donnerstag, 8. Oktober 2009

Zitat des Tages (11)

"Die Zukunft der Demokratie hängt von der Verwirklichung des Individualismus ab, der seit der Renaissance das Ziel des modernen Denkens ist. Die kulturelle und politische Krise unserer Zeit liegt nicht daran, dass es zuviel Individualismus gibt, sondern dass das, was wir für Individualismus halten, zu einer leeren Schale geworden ist. Der Sieg der Freiheit ist nur möglich, wenn die Demokratie sich zu einer Gesellschaftsform entwickelt, wo der einzelne Mensch mit seinem Wachstum und seinem Glück Ziel und Zweck der Kultur ist, wo das Leben keine Rechtfertigung durch Erfolg oder irgend etwas anderes braucht."

(Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit, 1941)

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Bundesinnenministerium plant hochgerüsteten Sicherheitstaat

Wenige Tage vor der Bundestagswahl wurde bekannt, dass das Bundesinnenministerium eine Wunschliste (pdf) erweiterter Überwachungs- und Kontrollbefugnisse ausgearbeitet hat – fertig formuliert, um als Textbaustein in den nächsten Koalitionsvertrag übernommen zu werden. Einige Überwachungspläne waren schon aus dem CDU-Wahlprogramm oder aus öffentlichen Äußerungen bekannt. Die jetzt veröffentlichten Bestrebungen sprengen aber alles bisher Bekannte:

  1. Das verdeckte Durchsuchen und Überwachen von Computern (Online-Durchsuchung, Quellen-Telekommunikationsüberwachung) soll künftig nicht mehr nur zur Verhinderung terroristischer Anschläge, sondern bereits zur Ermittlung wegen vergangener Straftaten zugelassen werden.

  2. Das Abhören von Wohnungen zur Strafverfolgung soll künftig kein Mithören mehr voraussetzen, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte, um die Stasi-artige Erfassung intimer Vorgänge (z.B. Sex) zu verhindern.

  3. Zur Strafverfolgung soll künftig das verdeckte Anbringen von Videokameras in und vor Privatwohnungen zugelassen werden.

  4. Künftig soll von jeder Person, die – schuldig oder nicht – von der Polizei erkennungsdienstlich behandelt wird, eine DNA-Probe genommen und aufbewahrt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine vergleichbare Praxis in Großbritannien im vergangenen Jahr für unzulässig erklärt.

  5. Das Bundeskriminalamt soll das Recht erhalten, Wohnungen ohne Kenntnis des Inhabers zu betreten, um vorhandene Computer zu infiltrieren.

  6. Das Bundeskriminalamt soll das Recht erhalten, Personen zum Tragen eines Peilsenders zu verpflichten („elektronische Fußfessel“).

  7. Die Polizei soll Zugriff auf Informationen über die Nutzung des Internet (Surfprotokolle) und von Straßen (Mautdaten) erhalten. In diesem Jahr wurde eine Regelung zur Surfprotokollierung durch das BSI mit der Zusicherung beschlossen, eine Nutzung zu Zwecken der Strafverfolgung werde es im Grundsatz nicht geben.

  8. In den Knoten der Telekommunikationsnetze sollen – wie in den USA – Filter installiert werden, um unsere Kommunikation nach bestimmten Merkmalen zu durchsuchen. Allgemein soll das Abhören unserer Telekommunikation ausgeweitet werden, obwohl es schon jetzt von Jahr zu Jahr dramatisch zunimmt.

  9. Die nationalen Geheimdienste (Verfassungsschutzämter) sollen künftig nicht mehr nur gegen unsere Grundordnung gerichtete Personen, sondern auch Straftäter im Bereich der „organisierten Kriminalität“ beobachten. Der sächsische Verfassungsgerichtshof hat dies für Sachsen bereits als verfassungswidrig verworfen.

  10. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll künftig für die „Terrorismus-Vorfeldaufklärung“ in ganz Deutschland zuständig werden.

  11. Die nationalen Geheimdienste (Verfassungsschutzämter) sollen Zugriff auf die Kommunikationsdaten der gesamten Bevölkerung (Vorratsdatenspeicherung) und auf das elektronische Verzeichnis aller Bankkonten und Depots erhalten. Dagegen will die FDP nach ihrem Wahlprogramm Vorratsdatenspeicherung und Bankregister insgesamt abschaffen.

  12. Die nationalen Geheimdienste (Verfassungsschutzämter) sollen künftig Computer verdeckt überwachen (Online-Durchsuchung) und Wohnungen abhören dürfen – ohne richterliche Genehmigung.

  13. Die nationalen Geheimdienste (Verfassungsschutzämter) sollen künftig die Telekommunikation von Einzelpersonen gezielt abhören dürfen und Erkenntnisse für andere Zwecke verwenden dürfen.

  14. Mitarbeiter und Zuträger von Geheimdiensten sollen straflos Straftaten begehen dürfen, wenn dies typischem Verhalten in der Szene, in der sie eingeschleust sind, entspricht.

  15. Das europäische Polizeiamt Europol, das vor allem Informationen über Bürger sammelt und weitergibt, soll weiterentwickelt werden.

  16. Der anonyme Erwerb von Prepaidkarten soll in ganz Europa verboten werden. Bisher ist er nur in Deutschland verboten, wobei es einfache Umgehungsmöglichkeiten gibt und eine Verfassungsbeschwerde dagegen zur Entscheidung ansteht.

  17. Aus der Haft entlassene Sexualstraftäter sollen polizeilich registriert werden. Hierzu muss man wissen, dass eine Entlassung aus der Haft schon heute nur bei ungefährlichen Personen erfolgt.

  18. Ein Seesicherheitsgesetz soll die Gefahrenabwehr auf See regeln.

  19. Soldaten der Bundeswehr sollen künftig in Deutschland eingesetzt werden dürfen (Bundeswehreinsatz im Landesinneren).

  20. Zur verstärkten Überwachung und Kontrolle der Bürger soll neue Technologie aus Steuergeldern entwickelt werden („Sicherheitsforschung“). Das Bundesinnenministerium will künftig die Kontrolle über diese Gelder erlangen, um „an den praktischen Bedürfnissen der Sicherheitsbehörden“ ausgerichtete Überwachungstechnik in Auftrag geben zu können.

  21. Straftäter sollen nach Verbüßung ihrer Strafe häufiger in Haft verbleiben (Sicherungsverwahrung).

  22. § 129a StGB (terroristische Vereinigung) soll ausgeweitet werden, so dass eine Gruppierung leichter als „terroristische Vereinigung“ eingestuft werden kann. Die Werbung für terroristische Vereinigungen soll unter Strafe gestellt werden.

  23. Das vorsätzliche Auslösen einer Wirtschaftskrise soll unter Strafe gestellt werden (sic!).


(Quelle)

Bolkestein im Anmarsch

Als die Europäische Kommission im Jahr 2004 die auch als „Bolkestein“ bekannte Dienstleistungsrichtlinie vorlegte, die dann später vom Europaparlament mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, hagelte es Kritik von Seiten der Gewerkschaften und Globalisierungskritiker. Die Proteste waren in der Folge europaweit so massiv, dass die Kommission Änderungen an der Richtlinie vornehmen musste. Insbesondere verzichtete sie auf das sogenannte Herkunftslandprinzip, demzufolge Dienstleistungsfirmen berechtigt gewesen wären, ihre Dienste gemäß dem Recht ihres Herkunftslandes EU-weit anzubieten – was einen Unterbietungswettbewerb nationaler arbeitsrechtlicher Standards zur Folge gehabt hätte.

Die Änderungen galten damals zu Recht als großer Erfolg der Protestbewegung. Seither ist die Bolkestein-Richtlinie weitgehend aus der politischen Öffentlichkeit verschwunden. Doch völlig zu Unrecht: Denn bis zum Ende dieses Jahres muss ihre Umsetzung in nationales Recht vollzogen sein. Und der Gesetzgeber ist seit 2005 keineswegs untätig geblieben. Dabei zeigt sich, dass die Gefahr der Lohndumping-Konkurrenz ebenso fortbesteht wie datenschutz- und arbeitnehmerrechtliche Probleme.

Herkunftslandprinzip durch die Hintertür?

Gegenwärtig arbeiten die nationalen Institutionen unter Hochdruck an der Beseitigung der letzten rechtlichen Hindernisse und der technischen Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie. Den Bürgerinnen und Bürgern wird diese als wichtigstes arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisches Vorhaben in Europa präsentiert. Im Kern zielt sie indes nach wie vor auf eine weitgehende Liberalisierung nahezu des gesamten Dienstleistungssektors. Insofern ist die Richtlinie ein weiterer Schritt auf jenem Weg, der mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 eingeleitet wurde und nahtlos in die sogenannte Lissabon-Strategie mündete. Deren erklärtes Ziel ist es, die EU bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.

Zwar wurde nach den Protesten der Begriff „Herkunftslandprinzip“ nominell aus der Dienstleistungsrichtlinie gestrichen. Mit der Formulierung in Art. 16, derzufolge ein Mitgliedstaat nicht daran gehindert ist, „im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht seine Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anzuwenden“, wird jedoch das Herkunftslandprinzip nur eingeschränkt, aber keineswegs abgeschafft. Denn die Regeln des Ziellandes müssen diesem Artikel zufolge nur dann eingehalten werden, wenn dessen öffentliche Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder Umweltschutz gefährdet sind. Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fallen somit eindeutig nicht unter den Schutz des Gesetzes.

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Deutschland: Steueroase für Reiche

In Deutschland sind die Steuern der Wohlhabenden längst nicht so hoch wie gern behauptet – dafür wächst die Armut. Eine kleine Zahlenreise durch eine Gesellschaft, die aus den Fugen gerät.

Am Ende hat er gekniffen. Vielleicht wurde er auch von seiner Chefin zurückgepfiffen, die nicht vergessen hat, was ihr den vielfach prognostizierten Sieg bei der Bundestagswahl 2005 verdorben hatte: die wirtschaftsliberal-konservativen Pläne für einen weiteren großen Schritt bei der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.

Dabei wollte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit seinem Industriekonzept, das Mitte August an die Öffentlichkeit kam, gar nicht so weit gehen. Er hatte darin nur anklingen lassen, was nach Ansicht des Ministeriums nach der Bundestagswahl nötig sein wird: Der Arbeitsmarkt soll durch die weitere Aufweichung des Kündigungsschutzes noch stärker flexibilisiert werden, die bisher für einzelne Branchen beschlossenen Mindestlohngesetze gehörten «korrigiert», die Zahl der Zeit- und LeiharbeiterInnen sei zu niedrig, die Unternehmensbeiträge für die Sozialversicherung müssten weiter gesenkt werden. Alles nicht dramatisch, jedenfalls nicht für GroßgrundbesitzerInnen, zu denen die Guttenbergs gehören. (...)

Nur ein Punkt aus Guttenbergs Konzept ist übrig geblieben, weil der zum offiziellen Wahlkampfprogramm der rechtsbürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP passt: Die Unternehmen und die Reichen müssen weiter entlastet werden. Das haben Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP), Merkels Wunschpartner für eine schwarz-gelbe Koalition nach dem 27. September, unisono verkündet. Sie wollen die Firmen und Wohlhabenden um fünfzehn Milliarden Euro entlas­ten, denn: «Leistung muss sich wieder lohnen.» Dem Staat, so signalisieren sie mit ihrem Vorhaben, gehe es trotz Wirtschafts- und Finanzkrise finanziell erstens gar nicht so schlecht, und zweitens seien die Steuern noch immer zu hoch. Und so kursiert noch immer eine Mär in den Medien – die vom Hochsteuerstaat, von der Steuerwüste Deutschland.

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Irland erliegt den Werbekampagnen: Jetzt ist der Volkswille genehm

(...) Wie man seine Interessen besonders galant verwirklicht, ließ sich am demokratischen Esprit Irlands ablesen, der das Nein beim letzten Referendum bezüglich des Lissaboner Vertrags aus dem Erinnerungsvermögen annullierte, um erneut das Volk zu Rate zu ziehen. Da nun offenbar bejaht wurde, die Iren den erdrückenden Werbekampagnen zugunsten des Vertrags erlegen sind, steht nun keine weitere Befragung an. Man muss das Volk also nicht weiter zur Urne quälen, die gestrige Volksmeinung darf (ganz im Gegensatz zur Volksmeinung von 2008) Maßstab sein, muss nicht mehr überdacht und beiseite gelegt werden, um einer erneuten Befragung Entfaltungsraum zu geben.

Ja zu Europa! Irland und seine Iren haben ja zu Europa gesagt! So reibt es uns die Presse unter die Nasen. Man könnte annehmen, das letztjährige Nein wäre eine Abfuhr an den europäischen Gedanken gewesen. Viel stand auf Seiten der Kritik, angefangen bei der fehlenden Demokratie und dem ausufernden Zentralismus des durch den Lissaboner Vertrag reformierten Europas, über Militarisierung des Kontinents, bis hin zum fehlenden Bekenntnis der EU, die Todesstrafe für alle Zeiten zu bannen. Ein Nein zu Europa wurde jedenfalls nicht ausgesprochen - es war ein Nein zu einem Europa, wie es der Politik, oder ehrlicher gesprochen, wie es der Wirtschaft vorschwebt.

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Die Wahl der Qual - Von roten Versäumnissen und schwarz-gelben Zumutungen

Kuschelig war er, der Bundestagswahlkampf, bei dem sich die Kanzlerin und ihr Herausforderer, statt sich mit handfesten Argumenten zu messen, eher mit (verbalen) Wattebäuschen bewarfen. Die einen haben behauptet, sie hätten die Kraft, die anderen haben erklärt, das Land könne es besser. Die CDU bemühte eifrig das Wachstumsmantra und instrumentalisierte den Begriff der sozialen Marktwirtschaft in schamloser Weise, die FDP verhöhnte mit dem zynischen Slogan „Arbeit muss sich wieder lohnen“ insbesondere jene, die, ohne Perspektive, im Niedriglohnsektor die Folgen der Agenda-Politik ausbaden. Man warb mit Wohltaten (und das trotz einer Haushaltslücke von über 100 Milliarden Euro) und verschwieg dabei geflissentlich, was auf die Wähler nach der Wahl tatsächlich zukommt. Doch trotz (oder gerade auch aufgrund?) der offenkundigen Inhaltsleere und der windigen Versprechungen konnte schwarz-gelb nun eine Mehrheit erringen, die dazu führt, dass diejenigen, die durch ihre Privatisierungslogik der Krise den Weg geebnet haben, nun in die Regierungsverantwortung kommen. Eine echte Gefahr in dieser Zeit und, nebenbei bemerkt, auch europapolitisch eine Katastrophe, weitet sich der Club der konservativ bzw. liberal regierten Länder doch nun um ein weiteres, bedeutendes EU-Mitgliedsland aus. (...)

Der zusätzliche Schaden, den diese Regierung verursachen wird, ist gegenwärtig zwar noch nicht in Gänze abzusehen, aber es wird voraussichtlich kein geringer sein. Am politischen Horizont zeichnen sich bereits die Silhouetten jener sozialpolitischen Zumutungen und Grausamkeiten ab, die sich die oberen Zehntausend und ihre politischen Adepten in CDU/CSU und FDP erdacht haben - und für die die SPD, ob gewollt oder nicht, der Steigbügelhalter war. Grund genug, dass sich endlich fundamental etwas ändert.

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UN akzeptieren Wahlfälschung

Die massiven Fälschungen der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan haben mit Peter Galbraith ein prominentes Opfer gefunden. Der stellvertretende UN-Gesandte für Afghanistan ist von Generalsekretär Ban Ki Moon entlassen worden. Galbraith wollte, dass die mehrheitlich vom Lager des Präsidenten Hamid Karsai verübten Manipulationen grundlegend untersucht werden. Laut EU-Beobachtern sind ein Viertel der Stimmen gefälscht oder verdächtig. Doch mit seiner Haltung geriet der US-Diplomat Galbraith in Konflikt mit seinem Chef, dem Norweger Kai Eide. Der begnügt sich mit kosmetischen Überprüfungen, die am bisher unter Vorbehalt verkündeten Sieg Karsais bereits im ersten Wahlgang nichts ändern. (...)

Damit akzeptieren UN und USA Wahlfälschungen am Hindukusch, die Washington im benachbarten Iran für inakzeptabel hält. Schlimmer noch: Künftig schützen Nato und Isaf-Truppen einschließlich der Bundeswehr in Kabul eine illegitime Regierung.

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Zitat des Tages (10)

"Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."

(Theodor W. Adorno, Philosoph)

Die Schröder-Ära als Weg in Richtung neue Klassengesellschaft

Das Wahldesaster der SPD bei den Bundestagswahlen 2009 und die einige Jahre zuvor geschehene Neugründung der Linkspartei ist in der Parteiengeschichte der Sozialdemokraten vom Muster her keine neue historische Erscheinung. Wann immer Parteichef Franz Müntefering in der Berliner Parteizentrale seine Berührungsverbote gegenüber der Linken verkündete, stand die Bronzebüste des "Parteiheiligen" Willy Brandt nicht weit. Wie kleinkariert sich die SPD-Führung in dieser Frage verhielt, wird deutlich, wenn man weiß, dass Brandt selbst einmal einer linken Abspaltung der SPD angehörte.

Derartige Abspaltungen sind also prinzipiell nicht neu, neu aber sind die gesellschaftspolitischen Konstellationen, die aktuell zur Gründung der Linkspartei und der Krise der SPD führte. Anfang des 20. Jahrhunderts war es die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 durch die SPD-Fraktion im Reichstag, warum sich mehr als ein Dutzend SPD-Abgeordnete von der Mutterpartei abwandten. Sie wurden aus der Partei ausgeschlossen und gründeten daraufhin 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Links sein, das bedeutete damals sich gegen den Ersten Weltkrieg zu wenden.

Rund 14 Jahre später wiederholte sich der Vorgang der linken Abspaltung. Diesmal waren es sechs Mitglieder der SPD-Reichtagsfraktion, die von der Mutterpartei ausgeschlossen wurden und daraufhin im Herbst 1931 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) gründeten. Die SAP kritisierte die zögerliche und unentschlossene Haltung der SPD gegenüber der aufkommenden faschistischen Gefahr durch die NSDAP und setzte sich für eine Einheitsfront von SPD, KPD und Gewerkschaften ein. Auch Willy Brandt trat in seiner Heimatstadt Lübeck der SAP bei. Nach ihrer letzten Regierungsbeteiligung 1928 wurde die SPD in der Opposition angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise zwischen KPD und NSDAP zerrieben und kam im März 1933 nur noch auf 18,3 Prozent der Stimmen.

Die jüngste linke Abspaltung der SPD begann mit dem Partei-Ausschluss von regierungskritischen Gewerkschaftern in Nürnberg, was im Januar 2005 zur Gründung der Partei "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" führte, die sich 2007 mit der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) zur Linkspartei verband. (...)

Im Mittelpunkt der Schröderschen "Reformen" stand der Arbeitsmarkt. Der ursprüngliche Auftrag an die von dem ehemaligen VW-Manager Peter Hartz geführte und nach ihm benannte Kommission lautete, die Arbeitsämter zu modernisieren, um die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit zu beschleunigen. Als Hartz im August 2002 seinen Bericht der Bundesregierung übergab, war daraus ein Werk mit umfangreichen Reformvorschlägen geworden. Mit zahlreichen Neuerungen wie "Ich-AG" oder der Erleichterung von Leiharbeit wollte man die steigende Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen. Die Redlichkeit dieser Absicht ist sicherlich der Grund, warum Sozialdemokraten auch heute noch an der Agenda 2010 festhalten wollen, dabei aber die Augen vor den gravierenden gesellschaftlichen Folgen verschließen.

Denn das den Reformen zugrundeliegende Paradigma, dass Maßnahmen am Arbeitsmarkt der Schlüssel zu mehr Beschäftigung sind, ist in höchster Linie fragwürdig. Wer ein Auto besitzt, kauft nicht deshalb 200 Reifen, weil die momentan günstig zu haben sind. Auch ein Unternehmer ohne Aufträge stellt nicht deshalb neue Mitarbeiter ein, weil sie gerade ihre Arbeitskraft für billiges Geld zu Markte tragen müssen. Sondern wegen gestiegener Nachfrage nach seinen Produkten. Aus diesem Grund gibt es auch keinen Wissenschaftler auf diesen Planeten, der einen kausalen Zusammenhang von Arbeitsmarktreformen und mehr Arbeitsplätzen nachweisen kann. Es ist die anspringende Konjunktur oder es sind Investitionsprogramme, die neue Arbeitsplätze schaffen und nicht die Absenkung des Arbeitslosengeldes auf Sozialhilfeniveau.

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Über Hartz IV

Seit 2005 hat sich in Deutschland die Armut, die Kinderarmut und die Anzahl der Tafeln verdoppelt. Der Niedriglohnsektor hat sich innerhalb der letzten zwanzig Jahre gleichfalls dupliziert. Während Einkommen aus Gewinnen und Vermögen um 36 Prozent zugenommen haben, bleibt die Lohnquote mit 66,2 Prozent auf einem historischen Tiefstand: Neun Prozentpunkte unter dem Spitzenniveau von 1974.

Maßgeblicher Türöffner für diese Entwicklung sind die unter dem Begriff Hartz IV subsumierten Reformen des Arbeitsmarkts aus dem Jahr 2005. Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung einer Grundsicherung unterhalb des ehemaligen Sozialhilfeniveaus, indem staatliche Einmalleistungen der Sozialämter durch unzureichende Pauschalen ersetzt wurden und der (teilweisen) Verringerung des Schonvermögens, wurde bei Langzeitarbeitslosen eine verheerende Armutsspirale in Gang gesetzt. Doch damit hören die Zumutungen für Bezieher des Arbeitslosengelds II nicht auf, denn mit der ökonomischen Entmachtung geht eine gravierende Entrechtung einher. De facto nähert man sich durch die exponentielle Ausweitung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeit hart der Grenze zur Zwangsarbeit. Die ALG-II-Bezieher bewegen sich nicht mehr als Rechtssubjekte, als Staatsbürger in der Gesellschaft, sondern werden zu reinen Pflichterfüllern degradiert und werden – von Politikern wie Wolfgang Clement als »Parasiten« beschimpft – für die öffentliche Hetzjagd freigegeben.

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Rette deine Freiheit

Wir wählen die Kanzlerin

Frage an die Kriegsparteienwähler

Nachdem der Bundeswehr unweit Kundus zwei Tanklastwagen weggekapert wurden, verkündete Franz Josef Jung, Minister und Absolvent der hessischen Kochschule, über Bild: »Wer uns angreift, wird bekämpft.« So die schnelle Antwort eines Feldherrn auf die räuberische Frechheit der Taliban, die ihre Beute in den Fluss fuhren, wo sich die nahe wohnenden Dörfler Benzin für den Eigenbedarf abzapften. Die nächtlichen Umtriebe im Feindesland kamen dem macht- und wachthabenden Bundeswehr-Kommandeur verdächtig vor, der seinen vorgesetzten US-General um kameradschaftliche Bombenhilfe bat, weil die eigenen Flieger ja unabkömmlich den baltischen Luftraum gegen die Putinisten schützen müssen. Also siegte Oberst Klein, ein »besonnener Offizier«, »alles andere als ein Hasardeur« (Spiegel online, 5.9.09), mit Hilfe von NATO-Kampfjets, auf dass es Feuer vom Himmel regne, in den unsere tapferen deutschen Christen doch sonst nur ihre Gebete fürs teure Seelenheil hinaufsenden.

Oberst Kleins ebenso besonnener Kriegsminister war zufrieden. Die talibanischen Benzindiebe zahlten ihr Verbrechen mit 40 Toten. Zivile Opfer seien keine dabei. Soviel vom Jungschen Kriegsreport, auf den absolut Verlass ist wie bei seinen Vorgängern. Wer wollte an der Wahrheit von Wehrmachtsberichten zweifeln? Dieses Vertrauen hat Tradition und Kontinuität.

Minister Jung kommt aus der hessischen CDU-Kriegsschule. Einmal Religionskrieger, immer Religionskrieger. Eine fromme Partei, die in der Schweiz heimlich jüdische Vermächtnisse hortet und verwaltet, lebt unter der steten Gnadensonne der Firma Kohl & Koch (Heckler & Koch inbegriffen). Gemeinsam mit der Berliner SPD-Führung schlugen die hessischen Christdemokraten Monate vor den talibanischen Benzinräubern am Flusse Kundus die nicht weniger aufrührerischen Ypsilantisten am Flusse Main, wo der als Minister designierte Hermann Scheer der heiligen Atomindustrie Vernunft beibringen, das heißt, sie das Fürchten lehren sollte. In Frankfurt am Main also triumphierten die Vereinigten Berliner CDU- und SPD-Vorstände, die in Sachsen ihre Sozis schon auf glatte neun bis zehn Prozent gedrückt hatten. Der Kochlöffel Jung aber siegt am Hindukusch weiter, wo schon Peter Struck unsere kostbare Freiheit so energisch verteidigt hat, dass er sich jetzt aufs wohldotierte Altenteil zurückziehen kann.

Ich erlaube mir, unsere Kriegsparteienwähler zu fragen, wie sie es denn nach dem 27. September halten wollen. Wer soll den angefangenen, also begonnenen und nicht beendeten Krieg weiterführen?

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Ein verlorener Krieg

Seit dem Luftangriff auf die beiden Tanklastwagen, die in der Furt des Kundus-Flusses stecken geblieben waren, ist bis in den letzten Winkel Deutschlands klar geworden, was Verteidigungsminister Jung bislang nicht zugeben wollte. »Die Bundeswehr befindet sich in Afghanistan in einem Krieg … Weiterhin von einem ›robusten Stabilisierungseinsatz‹ zu schwurbeln, verhöhnt Opfer und Soldaten«, erkannte die Badische Zeitung in Freiburg. Auch über die Summe dieses Krieges gibt es keine Illusionen mehr. »Nach acht Jahren Krieg ist die Bilanz vernichtend: Afghanistan ist ein Armenhaus, in dem jeder Zweite unter der Armutsgrenze lebt. Es ist ein Geisterhaus, in dem Korruption, Opiumhandel und Verrohung gedeihen. Und es ist ein Totenhaus, in dem nach UN-Angaben allein im ersten Halbjahr 2009 mehr als 1000 Unbeteiligte bei Anschlägen und Kämpfen ums Leben kamen. Afghanistan ist ein gescheiterter Staat«, fasste die Ostsee-Zeitung in Rostock zusammen. Und das kann man mit den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation präzisieren: 54 Prozent der Familien haben weniger als 100 Dollar pro Monat, nur 37 Prozent können sich Lebensmittel leisten, 25 Prozent haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, und 54 Prozent der Kinder sind unterernährt. Nur 31 Prozent der Familien können sich Heizöl leisten, weswegen in den langen und harten Wintern viele Menschen erfrieren.

In diesem Krieg haben die US-Verbündeten bereits viele Niederlagen erlitten. Die jeweils gemeldete Anzahl der getöteten Taliban ließ die Niederlagen als kleine Erfolge erscheinen und täuschte über die hohe Anzahl der getöteten Zivilisten hinweg. Über sie gab es immer Streit und Unklarheit. Sicher ist nur, dass ihre Gesamtzahl die der Toten von ISAF und OEF um ein Vielfaches übertrifft.

Das Massaker von Kundus liegt in der Konsequenz der furchtbaren Logik dieses Krieges. Es bezeichnet keinen Wendepunkt im Krieg, denn vergleichbare Massaker sind schon mehrmals im Osten, Süden und Westen des Landes geschehen; nun ist der Norden hinzugekommen. Aber die Wahrnehmung an der deutschen »Heimatfront« hat sich dadurch zutiefst verändert. Die unglaubwürdigen Rechtfertigungsversuche des Verteidigungsministers haben dazu ihren Teil beigetragen.

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Sonntag, 4. Oktober 2009

Das Geldsystem und die tieferen Ursachen der Finanzkrise

Zugegeben: Das ist ein langes Interview und ein trockenes Thema, aber was Prof. Bernd Senf zu sagen hat, ist so immens wichtig, dass man sich das einfach anhören muss. Wenn man diese Gedanken nachvollzieht, erscheint so vieles unserer alltäglichen Welt in einem ganz anderen Licht.

Schwarz-gelber Winter

Eine schwarz-gelbe Tigerente regiert Deutschland. Nur nicht so lustig wie in der SWR-Kindersendung. Besser wäre das Bild von Heuschrecken. Die Arbeitnehmern die Haare vom Kopf fressen und ganz schnell wieder weiterziehen. Wenn nichts mehr übrig ist, wovon sie sich ernähren.

Das ganze erinnert an eine der zehn biblischen Plagen. Und eine davon kommt jetzt über Deutschland. Mindestlöhne sind verpönt, Lohn-Dumping und Entlassungen aufgrund von Profitgier sind künftig [Wieso künftig? fragt der Logbuch-Schreiber - das ist doch schon lange so] Tür und Tor geöffnet. Das Klima am Arbeitsplatz verspricht ab dem Winter 2009/2010 härter zu werden. Zumindest für Angestellte.

Warum wählen Angestellte eine Arbeitgeber-Partei?

Die Hände reiben dürften sich dagegen Arbeitgeber, Firmenchefs und Vorstandsvorsitzende. Deren Gehälter und Boni werden künftig keine Diskussionen mehr auslösen, ob sie gerecht oder angemessen sind. Wer Merkel wählte, hat nicht richtig verstanden. Die CDU ist eine Arbeitgeber-Partei. Wie können sie dann Arbeitnehmer wählen?

Nur weil Angie zum ersten Mal gelächelt hat kurz vor der Wahl? Und die FDP ist ja bekanntlich die Partei der Besser-Verdiener, der Millionäre. So viele Reiche gibt es doch gar nicht in Deutschland. Was ist passiert mit Otto-Normalbürger am Wahl-Sonntag? Hat die Sonne ihn geblendet oder das gleißende Licht an den Schal von Westerwelle erinnert?

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Schuldenfalle Studium: Von der Uni in die Privatinsolvenz

34 Prozent eines Jahrgangs studieren. Damit liegt Deutschland im OECD-Vergleich auf dem viertletzten Platz.

Zu viele Studenten hat Deutschland also wirklich nicht. Und deswegen wohl hören wir inflationär in jeder Wahlrede von besseren Bildungschancen. Ministerin Schavan zum Beispiel behauptet, dass weder hohe Studiengebühren noch arme Eltern Abiturienten davor abschrecken müssen, zur Uni zu gehen. Neben Bafög und Stipendien gibt es ja Kredite, extra für Studenten. Aber die können zur bösen Falle werden. (...)

Ihren richtigen Namen sollen wir nicht nennen. Bei uns heißt sie Juliane. Nach dem Abi ein Studium und dann einen ordentlichen Beruf. Das war ihr Plan. Einige Semester bekam Juliane Bafög. Doch das reichte nicht. Deshalb griff sie zu Bankkrediten, die es speziell für Studenten gibt. (...)

Schon jetzt schrecken die hohen Kosten Kinder aus einkommensschwachen Familien von einem Studium ab. Als Gründe für den Studienverzicht nennt jeder Vierte bis Fünfte: Studiengebühren, fehlende finanzielle Voraussetzungen und - drohende Schulden. Juliane hat sich nicht abschrecken lassen und dennoch studiert. Das Problem: Trotz Abschluss sucht sie seit mehr als einem Jahr eine feste Stelle. Viele Kreditverträge aber verlangen, dass die Rückzahlung spätestens ein Jahr nach Ende des Studiums oder aber nach Zahlung der letzten Kreditrate beginnt. Egal, ob man zahlen kann oder nicht. Julianes größtes Problem ist nun ihr Studienkredit bei der Deutschen Bank. (...)

Wie viele Studenten sich bis jetzt mit Studienkrediten verschuldet haben, weiß niemand. Aber MONITOR liegen jetzt erstmals interne Daten der KFW vor. Und allein dort haben seit der Einführung vor drei Jahren bereits 60.000 Studenten unterschrieben. Monatlicher Darlehensbetrag: 476 € im Schnitt. Die meisten Kreditnehmer sind Studienanfänger.

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"Das ist nicht mehr nur soziale Kälte, das ist Klassenkampf von oben"

Bei Umsetzung wären soziale Unruhen unausweichlich

Mit scharfer Kritik hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac auf den Forderungskatalog der Arbeitgeberverbände reagiert, den diese bereits einen Tag nach der Bundestagswahl der neuen Mehrheit im Bundestag präsentiert haben. Wenn die schwarz-gelbe Koalition diesen Forderungen nachkomme, seien soziale Unruhen unausweichlich. "Es ist mehr als dreist, wie offen der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Wohltaten für Unternehmen und sozialen Einschnitten das Wort redet. Das würde die weitere Spaltung der Gesellschaft bedeuten", sagte Detlev von Larcher vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann hatte am Montag ein 100-Tage-Programm der neuen Regierung mit Steuererleichterungen für Unternehmen, dem Wegfall des Kündigungsschutzes für Unternehmen mit weniger als 20 Arbeitsplätzen, dem Durchsetzen der Rente mit 67 und Ausgabenkürzungen zur Sanierung des Haushaltes gefordert. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) stieß ins gleiche Horn. Er forderte von der neuen Bundesregierung eine weitere Stabilisierung der Banken, die Senkung von Steuern und Abgaben sowie die Rückkehr zum Kurs der Haushaltskonsolidierung, also Einsparungen vor allem bei den Sozialausgaben. "Das ist nicht mehr nur soziale Kälte, das ist Klassenkampf von oben", stellte Detlev von Larcher fest.

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Ab 50 zu teuer? Wie immer mehr ältere Arbeitnehmer rausgemobbt werden

(...) Und in Krisenzeiten versuchen offenbar immer mehr Unternehmen, ältere Mitarbeiter loszuwerden, denn sie kosten mehr als junge. Manche Chefs greifen dabei zu harten Mitteln: Schikanieren und möglichst zur Eigenkündigung bringen. Das geht schön am Kündigungsschutz vorbei und spart auch noch die Abfindung. (...)

Ihre Firma darf sie nicht nennen, ihren Namen will sie nicht sagen. Nennen wir sie Renate. Zehn Jahre hat Renate erfolgreich als Assistentin der Geschäftsleitung gearbeitet, in einem großen Unternehmen. Doch dann kurz nach ihrem 50. Geburtstag fing es an. Alles, was zehn Jahre richtig war, schien plötzlich falsch. Wegen Kleinigkeiten wurde sie von der neuen Chefin angeschrien. Das Chefbüro sei nicht gelüftet, eine Zeitschrift eingerissen, ständig Personalgespräche, immer nur Kritik, das war Mobbing.

Renate: "Es waren also Demütigungen. Die Chefin hat mich dann ignoriert. Das ging dann so weit, dass ich nicht mehr gegrüßt wurde. Wenn sie in unser Büro kam und mein Kollege war hier, hat sie ihn gegrüßt, mich nicht."

Ein halbes Jahr vorher hatte sie von ihrem früheren Chef noch ein sehr gutes Zeugnis bekommen, jetzt sollte sie einen Aufhebungsvertrag unterschreiben. Mobbing, um den Kündigungsschutz zu umgehen und Abfindungen zu sparen? Für Renate wurde der Gang ins Büro inzwischen zur Qual. (...)

Tatsächlich arbeiten in vielen Berufen Jüngere heute schon zu Niedriglöhnen, die mit den Tariflöhnen der Älteren nicht mehr viel zu tun haben. Verkäuferinnen etwa bekommen statt 13,71 Euro Tarif auch schon mal 5,70 Euro pro Stunde. Versicherungssachbearbeiter, mit 26,95 Euro Tarif eingestuft, arbeiten auch schon für 14,23 Euro. Krankenpfleger statt für 17,26 Euro auch schon für 12,66 Euro. Vor allem Leiharbeit und Minijobs machen es möglich. Nach unten ist das Gehaltsgefüge ausgefranst. Die Jungen sind froh, überhaupt einen Job zu haben. Doch auch sie zahlen einen hohen Preis.

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Merkel, Westerwelle u.v.a. - Versicherungsvertreter im Bundestag

Finanzindustrie hat gut investiert

Zum kürzlich erschienenen Beitrag über die Verstrickung der CDU mit dem umstrittenen Finanzstrukturvertrieb Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) gibt es einiges nachzutragen: Die DVAG und ihre Schwesterfirma "Allfinanz Deutsche Vermögensberatung" haben die FDP dieses Jahr sogar mit 150.000,- Euro bzw. 100.000,- Euro bedacht. Neben Vortragskünstlerin Angela Merkel glänzt die DVAG auch mit einem nun einflussreichen Politiker auf einer handfesten Unternehmensposition: Den Beirat der DVAG ziert niemand geringeres als Vizekanzler in spe, Dr. Guido Westerwelle.

Unverblümt gratulierte das DVAG-Unternehmensblog DVAG-Freundin Merkel und DVAG-Beirat Westerwelle zum Wahlerfolg. Was dürfen wir wohl von einer Regierung erwarten, die den Arbeitsgesetzen und Sozialsystemen dermaßen Hohn spricht, indem sie sich für einen Strukturvertrieb einspannen lässt? Dessen Handelsvertreter zum Teil am Existenzminimum laborieren und trotz ihrer Arbeitnehmerähnlichkeit nur unzureichende Rechte gegen das Vertriebsunternehmen haben? Dessen Finanzberatung sogar in einer Studie des unionsgeführten Verbraucherschutzministeriums nur mit Mühe ohne Kraftausdrücke beschrieben werden konnte?

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Eine Fehlentscheidung namens Steinmeier

Chance verpasst. Die SPD stellt brav ihre Grabträger in die erste Reihe. Und wählt mit Frank-Walter Steinmeier einen Gescheiterten zum Fraktionschef.

Die Wahl Frank-Walter Steinmeiers ins Amt des SPD-Fraktionsvorsitzenden ist ein ausgemachter Akt politischer Irrationalität. Ist schlicht verrückt. Er ist der Mann, der programmatisch und strategisch erfolgreich Hand angelegt hat an die einst so stolze Volkspartei SPD. Aus seinem Kopf stammt die Agenda 2010, die seit 1998 gut zehn Millionen SPD-Wähler vertrieben hat. Von ihm stammt die Idee, der Partei die einzige Machtoption bei der vergangenen Bundestagswahl zu nehmen - nie und nimmer mit der Linkspartei. Er hätschelte die Illusion, mit der FDP vielleicht doch noch ins Koalitionsbett zu kommen.

Und in der Stunde der desaströsen Niederlage fällt ihm kein besserer Gedanke ein, als einmal mehr zusammen mit Franz Müntefering zu versuchen, seine Partei ruckzuck über den Tisch in seine Richtung zu ziehen. Jubelt noch einmal über die Agenda 2010 und will sie als weitere Marschroute der SPD vorschreiben.

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Weshalb die Jugend nicht revoltiert - ein Erklärungsversuch

Überstunden, kein Geld und das alles für ein Zeugnis – Praktikanten haben es nicht überall gut. Das Creative Village ruft jetzt Praktikanten zum Streik auf: Geht auf die Straße!

Seit Wochen fahre ich mit einem Fahrrad durch Berlin, an dessen Lenkrad ein Pappschild baumelt: "Prakti-Streik 2009" steht da drauf. Ich liebe, wie es schief im Wind hängt. Strampelnd ernte ich viele Blicke: aufmunternde von den Älteren (50+), abfällige von den Mittleren (35-50), gar keine von den Jüngeren (20-35).

Die schauen meist auf den Boden, hören Musik, sind mit den Sinnen woanders. "Was macht der Teenie-Aufstand?", fragt mein bester Freund Sven, der in einer Werbeagentur 5.000 Euro im Monat verdient und versucht, mein Pappschild herunterzureißen. "Geht", sage ich, halte das Schild fest und denke an all die jungen Augen, die tot an den roten Ampeln stehen.

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"Das bezeichne ich nicht als Bürger!"

Nicht dass man niedergeschlagen sein müsste, falls man Hans Rudolf Wöhrls Definition, wann man als Bürger gelten dürfe und wann auf keinen Fall, nicht entspricht. Es ist kein nennenswertes Ziel, zu jenem bürgerlichen Kreis aufschließen zu wollen, in dem sich Wöhrl und seine Spießgesellen räkeln. Kein halbwegs belesener Mensch möchte innerhalb von Hinterfotzigkeit, Wichtigtuerei und Aufgeblähtheit ausharren, die in jenen Sphären Bürgertum stets bedeuten. Nein, es ist wahrlich kein Ziel, den bürgerlichen Entsprechungen des Wöhrls zu genügen.

Und dennoch heißt es Ohren spitzen, wenn uns Wöhrl die bürgerliche Welt erklärt: "... also, ich betrachte alle Leute nicht als Bürger, die nur - und zwar ausschließlich - den Staat diffamieren, die nur vom Staat Forderungen stellen und eigentlich nicht bereit sind, Gegenleistung zu bringen - das bezeichne ich nicht als Bürger." Wen er damit wohl meint? Es liegt nahe, die einfachsten Schlüsse zu ziehen, denn gemeinhin ist bei denen, die vorgeben, die Köpfe der Bürgerswelt zu sein, nicht mit Tiefgründigkeit zu rechnen.

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Nach der Wahl: Die Marktradikalen setzen erste Duftnoten

Das große Medienecho eines Wahlabends wird offensichtlich immer gern genutzt, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Fünf Beispiele von vielen seien kurz skizziert: 1. Das Steuersenkungsversprechen verflüchtigt sich. 2. Die Verantwortlichen für die historische Niederlage der SPD wollen so weitermachen. 3. Die Linkspartei muss sich anpassen. 4. Die bisherige Politik war rundum richtig. 5. Sozialdemokratisierte Union.

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