Samstag, 27. September 2014

Zitat des Tages: Beim Schreiben meiner Autobiographie


Wer schläft heut nacht in meinem Kinderzimmer?
Ich bin ein alter Mann.
Wie lang die Zeit, die mir so kurz verrann!
Einst ist für immer.

Doch was war einst? War es auch wirklich wahr?
Gab's jenen Duft?
Greif ich mich etwa selber aus der Luft,
der Luft, die mich gebar?

Derselben Luft, der ich nur um ein Haar
zur Not entrann:
sonst wär ich längst ein toter junger Mann,
der niemals war.

Die Zwischenzeit der Zeit - die große Kluft!
Weiß nicht, ob ich's gerne wüsste,
wie viele, die ich einmal munter küsste,
sind schon in ihrer Gruft.

Nur Jetzt ist wirklich: dieses ist mein Zimmer.
Was einst Zuhause war, ist nicht zuhaus.
Etwas geht ein und aus.
Nichts ist für immer.

(Felix Pollak [1909-1987], in: "Vom Nutzen des Zweifels. Gedichte", Fischer 1989; zuerst: Spoon River Poetry Press [USA] 1988)

Anmerkung: Es ist schon bezeichnend genug, dass es zu diesem großartigen Lyriker, der vor den deutschen Nazihorden aus Österreich fliehen musste, heute nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag gibt. In seinem Exilland USA gibt es dagegen sogar einen Literaturpreis, der seinen Namen trägt ("Since 1994, the University of Wisconsin Press has annually awarded a poetry prize named after Pollak"), in Deutschland und Österreich ist er allerdings bis heute eine größtenteils vergessene Unperson. Diese "ausgewanderten Juden" sollen offenbar besser vergessen bleiben.

Das Gedicht sollte angesichts der Biographie des Autors ein zweites Mal gelesen werden. - Davon abgesehen ist der Text aber auch zeitlos: Wenn ich ihn beispielsweise auf meine Biographie anwende, könnte er auch aus meiner Feder stammen, und ich bin sicher, dass ich mit dieser Empfindung gewiss nicht allein bin.

Nichts ist für immer. Fürwahr.


Freitag, 26. September 2014

Bildungskino für lau: LEXX - The Dark Zone


Wer kennt heute eigentlich noch LEXX - The Dark Zone aus den späten 1990er Jahren? Nahezu niemand, nehme ich an? - Nun, es handelt sich dabei um eine kanadisch-deutsch-britische Koproduktion aus dem Genre der Science Fiction, die heute (laut Wikipedia) gerne als "Serie" bezeichnet wird, ursprünglich aber lediglich ein Epos war, das aus vier Spielfilmen bestand. Diese vier Filme gehören für mich zum besten, was der Science-Fiction-Film in dieser Zeit überhaupt hervorgebracht hat, und das aus ganz unterschiedlichen, vielfältigen Gründen.


Es handelt sich hier nicht um eine Star-Trek- oder (weitaus schlimmer) Star-Wars-Kopie, sondern um ein ganz eigenständiges Konzept, das es in dieser Form danach im Filmbereich meines Wissens bisher nicht wieder gab. Die Macher dieses Epos haben versucht, ein ganz neues, logisch nachvollziehbares Zukunftsszenario zu erschaffen, das eine völlig andere Technik als die aus sonstigen SF-Filmen bekannte bemüht und dabei trotzdem nicht in die altbekannte "Space-Opera" (analog zur "Soup-Opera" wie beispielsweise Star Wars) abdriftet, sondern den kritischen Bezug zur heutigen Realität stets behält. Dieser Versuch ist mehr als gelungen, wie ich finde.

Die Serie, die nach diesen vier Spielfilmen (mit größtenteils anderen Darstellern, Autoren, Regisseuren und Produzenten) folgte, klammere ich hier ausdrücklich aus, denn die kenne ich nicht gut genug.

Wir werden also konfrontiert mit einem komplett neuen Universum - in dem es zwar auch wieder einen Bösewicht gibt, der diesmal von der Spezies der "Insektoiden" ausgefüllt wird. Da es hier aber nicht schwarz-weiß zugeht, haben natürlich auch andere Spezies ihre Techniken entsprechend entwickelt und benutzen daher Raumschiffe, die beispielsweise an Libellen erinnern. Auch die "LEXX" - das Raumschiff, mit dem sich die HeldInnen der ersten vier Filme auf die Suche nach einer neuen Heimat begeben - ist keine "Enterprise", sondern ein organischen Lebensformen ähnelndes Technikwerk, das einem Insekt nachempfunden ist und entsprechend von Zeit zu Zeit "fressen" (also Energie aufnehmen) muss.

Es ist also nicht immer leicht, im LEXX-Universum "Gut und Böse" auseinanderzuhalten - was im krassen Gegensatz zu sonstigen Kino- und Fernsehproduktionen, aber dafür im Einklang mit unserer eindimensionalen Realität steht.

Ich empfehle jedem, sich diese vier Filme anzusehen - den ersten gibt's momentan (wer weiß, wie lange noch) bei youtube in der deutschen Version, die übrigen habe ich im Netz leider nicht gefunden.


Donnerstag, 25. September 2014

Irrsinn des Tages: "Es geht den Deutschen so gut"


Es geht den Deutschen so gut, dass sie bereits bei einer geringfügigen Veränderung des Status quo Krisengefühle entwickeln und dafür Ventile suchen. Die große Mehrheit erlebt die Gegenwart als eine Zeit großen Wohlstandes und großer Stabilität.

(Kurt Biedenkopf in einem zuckersüßen Gute-Laune-"Interview" der Kuhjournaille "Die Zeit")

Zu diesem weltfremden Auswurf Biedenkopfs, der anlässlich des absurden Wahltheaters in Sachsen bezüglich der "AfD" gefallen ist, muss ich wohl nicht allzu viel schreiben. Natürlich beleidigt der Mann damit unverhohlen Millionen von Menschen in diesem Land, denen es alles andere als "gut" geht; natürlich verharmlost er im weiteren Verlauf des "Interviews" den eklatanten Rechtsruck des gesamten poltischen Spektrums; und ebenso natürlich "erklärt" er wieder einmal, dass NPD- und "AfD"-Wähler größtenteils nur "Protestwähler" seien, die man nicht weiter ernst nehmen müsse - zumal gerade die "AfD" ja auch gar nicht schlimm sei. Die CDU bereitet sich offensichtlich auf einen neuen, willfährigen Koalitionspartnerzwerg vor, der zukünftig die schäbige Rolle der verwesten FDP am äußeren rechten Rand einnehmen soll.

Der ganze Text, den Biedenkopf hier absondert, ist ein Paradebeispiel für propagandistischen, klar erkennbaren Zielen verpflichteten Schwachsinn, und die "Journalisten", die ihn dabei unkritisch und devot begleiten, die diesen Quatsch auch noch in die Zeitung bringen und damit nicht nur die dumme Propaganda, sondern auch ihr eigenes journalistisches Waterloo in die Welt erbrechen, markieren einmal mehr den post-orwellschen Zustand dieses furchtbaren Staates.

Dennoch geht es mir hier ganz besonders um die Dreistigkeit Biedenkopfs, Merkels widerliche Lüge ("Deutschland geht es gut") zur weiteren Etablierung in der "öffentlichen" (also manipulierten) Wahrnehmung einmal mehr zu reproduzieren und ihr sogar noch ein perverses Krönchen auszusetzen, indem er aus "Deutschland" frank und frei "die Deutschen" macht. Wenn das Merkelmonster von "Deutschland" spricht, ist zumindest für aufgeklärte Zeitgenossen sofort klar, dass damit lediglich große Unternehmen und insbesondere Konzerne sowie deren oft anonymen Eigner gemeint sind - Biedenkopf erweitert die Lüge durch seine Wortwahl aber noch und benennt ausdrücklich die BürgerInnen dieses verkommenen Staates.

Ich persönlich kann mich allmorgendlich gar nicht entscheiden, ob ich zuerst drei Stunden Jubeltänze zu Ehren der korrupten Bande und des Kapitalismus' auf dem örtlichen Marktplatz aufführen soll, weil es mir so verdammt "gut" in diesem Staat geht, oder ob ich nicht doch besser dafür Sorge trage, dass ich abends noch ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und womöglich sogar eine Krankenversicherung habe. Nichts davon ist mehr selbstverständlich in diesem Land. Genau das sind der "Wohlstand" und die "Stabilität" für etwa 12,2 Millionen Menschen in Deutschland, wenn man nur die - natürlich gefälschten geschönten - Zahlen des "3. Armutsberichtes" zugrunde legt. Die tatsächliche Zahl dürfte weit darüber liegen.

Wie soll und kann man einer solchen massiven Propaganda, die über die orwellsche Dystopie ("Die Schokoladenration wurde [von vormals 30 Gramm] auf 20 Gramm erhöht.") hinausgeht, überhaupt noch begegnen? Ich bin da inzwischen völlig ratlos. Abwarten und auf das Ende der kapitalistischen Katastrophe warten - das kann doch nicht die Lösung sein ... wir wissen doch, was dann womöglich (oder gar unweigerlich?) folgt!

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[Die neoliberalen Erfolge]


"Der Patient scheint gar nicht zu merken, dass unsere Wunderkur gelungen ist. Das Fieber steigt immer weiter!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 18 vom 31.07.1932)

Dienstag, 23. September 2014

Song des Tages: Machine Messiah




(Yes: "Machine Messiah", aus dem Album "Drama", 1980; hier eine Live-Version von 2009)

Run down a street where the glass shows that summer has gone
Age, in the doorways resenting the pace of the dawn
All of them standing in line, all of them waiting for time
From time, the great healer, the Machine Messiah is born

Cables that carry the life to the cities we build
Threads that link diamonds of life to the satanic mills

Aah, to see in every way that we feel it every day
And know that maybe we'll change, offered the chance
To finally unlearn our lessons and alter our stance

Friends make their way into systems of chance
(Friends make their way of escape into systems of chance)
Escape to freedom, I need to be there
Waiting and watching, the tables are turning
I'm waiting and watching, I need to be there

I care to see them walk away
And to be there when they say
They will return

Machine, Machine Messiah
The mindless search for a higher
Controller, take me to the fire
And hold me, show me the strength
Of your singular eye

History dictating symptoms of ruling romance
Claws at the shores of the water upon which we dance

All of us standing in line, all of us waiting for time
To feel it all the way and to be there when they say
They know that maybe we'll change, offered the chance
To finally unlearn our lessons and alter our stance

Machine, Machine Messiah
Take me into the fire
Hold me, Machine Messiah
And show me the strength
Of your singular eye.



Anmerkung: Ich gehöre in Sachen Musik ja zu den Perfektionisten - nicht nur, was die eigene Musik betrifft. Deshalb verlinke ich hier im Blog meist lieber die Studioversion eines Songs, sofern diese im hanebüchenen Dickicht des Urheberrechtdschungels im Internet verfügbar ist, denn diese ist sowohl soundtechnisch, als auch handwerklich (bezogen auf die musikalischen Fähigkeiten der jeweiligen MusikerInnen) meist um Klassen besser als jede Live-Version. Im Studio kann man eben viel tricksen und die meisten Schwächen ausbügeln - und auch schwierig zu spielende oder zu singende Passagen können so oft wiederholt und manipuliert werden, bis sie eben passen. Live ist das nicht ganz so leicht möglich, auch wenn da inzwischen ebenfalls längst vieles "nachbearbeitet" wird, bevor es zur Veröffentlichung kommt.

Hier haben wir aber einen der seltenen Fälle, in denen das gänzlich anders ist: Die inzwischen wirklich alten Männer von Yes stellen in diesem Video aus dem Jahr 2009 - mit nur ein wenig jugendlicher Unterstützung - klar, dass sie heute einen inzwischen 34 Jahre alten Song - der ganz nebenbei wie eine eingeseifte Gurke perfekt in den schäbigen Enddarm unserer heutigen Zeit passt - ebenso brillant und episch-aufwühlend auf der Bühne darbieten können wie damals im Studio. Wer diese Version mit dem Original von 1980 direkt vergleichen möchte, kann dies beispielsweise hier tun.

Zum Song selber will ich gar nicht viel schreiben. Er spricht nachdrücklich für sich selbst. Wenn es je so etwas wie eine musikalische Form der "dystopischen Science Fiction", gerne auch mit der so beliebten Anbindung eines religiösen Wahns, gegeben hat, dann findet sie sich hier - und wir müssen ebenso wie in der Literatur entsetzt feststellen, dass die Science Fiction von damals unserer heutigen Realität verdammt nahekommt. Dazu passt auch hervorragend die musikalische Form, denn es handelt sich hier nicht um "Pop-Musik", sondern um eine konsequente Weiterentwicklung der Tonkunst unserer musikalischen Ahnen aus der Zeit der Spätromantik und frühen Moderne mit neuen Mitteln.

Ich jedenfalls werde den Arschlöchern und ihrem perversen Überwachungswahn ("singular eye") auch weiterhin mein entschiedenes "Nein!" entgegenwerfen und mich davor hüten, gewonnene Erkenntnisse über Bord zu werfen ("unlearn our lessons"), um mich wieder wie ein dummes Schaf dem kapitalistischen Wahn auszuliefern ("alter our stance"). Und zu den Freunden, die sich mit dem perversen System arrangiert haben, um den eigenen Frieden und natürlich den eigenen kleinen Miniwohlstand auf Kosten der anderen zu finden ("escape into systems of chance"), sage ich besser nichts. Grandiose Musikstücke wie dieses helfen mir dabei nicht zu knapp.

Sonntag, 21. September 2014

Zitat des Tages: Rückkehr


Diese straße ist es gewesen -
Ein fremder wies mir die nummern.
Ich sagte: ich kann nicht mehr lesen
Ich will schlummern.

Doch die tür war schwarz und im gang ein hallen
Die schwelle war voller moos und grind.
Die nachbarin rief: er ist gefallen -
Dann schlug sie ihr kind.

Ich schwieg. Draußen fuhren
Heftig die bahnen vorbei
Hinter den türen lärmten uhren.
Mein herz ward blei.

(Heinrich Wolfgang Horn alias Wolfgang Cordan [1909-1966], in: "Ernte am Mittag", 1951)


Anmerkung: Meine schnelle Rückkehr aus dem nur wenige Tage dauernden Krankenhausexil, das sich zum Glück als weitaus weniger dramatisch herausgestellt hat, dürfte einigen Wirrköpfen, die hier offenbar immer wieder mitlesen, obwohl sie gänzlich andere - bzw. teilweise gar keine - Denkstrukturen besitzen, sehr missfallen. So what. So sind sie eben, die dumpfen Eigennutzmehrer, die in ihrem irrsinnigen Wahn gar nicht bemerken, dass sie durch ihr (Nicht-)Handeln und (Nicht-)Denken nicht nur anderen Menschen, sondern letztlich natürlich auch sich selbst massiv Schaden zufügen. Da ist es nur folgerichtig, wenn ich heute einem Kommunisten wie Wolfgang Cordan, der noch dazu womöglich homosexuell gewesen ist, zum Ausgleich eine Plattform biete.

Ich mag mir gar nicht ausmalen, wieviele Menschen auf diesem verkommenen, vom Kapitalismus zerfressenen Planeten (beispielsweise aus Nigeria, Libyen, Gaza, Afghanistan, Syrien, dem Irak ...) wohl heutzutage ganz ähnliche Empfindungen haben müssen, wenn sie jemals wieder aus ihrem erzwungenen Exil zurück in die Region kommen, die sie einst "Zuhause" nannten, und womöglich auf der Suche nach Freunden und Familienangehörigen sind. Und wenn ich in diesem Zusammenhang über das "Asylrecht" in Deutschland und dessen jüngste Verschärfung nachdenke, kommt mir nur noch die kalte Kotze hoch und ich kann eigentlich gleich wieder meine noch gepackte Tasche in die Hand nehmen und zurück ins Krankenhaus gehen.

Leider wird der Irrsinn unserer völlig degenerierten Welt dort aber ebensowenig geheilt wie dessen furchtbaren Auswirkungen.