Dienstag, 12. Juni 2012

Zitat des Tages: Die größte Ruhe


Hier in Frankreich herrscht gegenwärtig die größte Ruhe. Ein abgematteter, schläfriger, gähnender Friede. Es ist alles still wie in einer verschneiten Winternacht, nur ein leiser, monotoner Tropfenfall. Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln in die Kapitalien, welche beständig anschwellen; man hört ordentlich, wie sie wachsen, die Reichtümer der Reichen. Dazwischen das leise Schluchzen der Armut. Manchmal klirrt etwas, wie ein Messer, das gewetzt wird.

(Heinrich Heine [1797-1856]: Lutetia. Essays über Frankreich, zweiter Teil, LII. Paris 1842)


Gesundheitssystem in Deutschland – Was derzeit wirklich passiert


Ich bin 38 Jahre alt und Allgemeinarzt mit einer gut gehenden Hausarztpraxis in Neuötting, Oberbayern, geistig gesund und ein völlig normaler Bürger mit einer Lebensgefährtin und einem 15 Monate alten Sohn, bin seit 12 Jahren Gemeinderat und seit sechs Jahren Kreisrat der CSU, einer Partei, die sicherlich weit entfernt ist vom Ruf, linkspolitische und revolutionäre Gedanken zu pflegen. Es ist nicht meine Aufgabe, solche Texte zu schreiben und es gibt in Deutschland Tausende, die dies besser, packender und erheblich vollständiger schaffen und wenigstens einer von denen sollte das auch tun. Ich bin von tiefstem Herzen Demokrat und, wie mir in den letzten Tagen bewusst geworden ist, ein hoffnungsloser Idealist. (...)

Abschließend möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen:
  • Krankenhäuser machen politisch gewollte Defizite, werden an Klinikketten verkauft.

  • Niedergelassene Ärzte verdienen politisch gewollt so wenig, dass der Nachwuchs ausbleibt. Sie werden durch MVZ [Medizinische Versorgungszentren, Anm.d.Kap.] ersetzt, die zu guter letzt ebenfalls den Klinikkonzernen gehören werden.

  • Die medizinische Versorgung unseres Landes liegt dann nicht mehr in der Verantwortung von Ärzten, sondern von Konzernen.

  • Monopolstrukturen und die Lenkung der Patientenströme garantieren bei einer überalterten Bevölkerung eine geradezu utopische Ertragssituation.

  • Ärztliche Standestraditionen werden dem reinen Streben nach Ertrag geopfert werden. Die gesundheitspolitische Landschaft wird sich von Grund auf radikal verändern und entsolidarisieren.

  • Die Ursache liegt nicht in dem Wunsch der Bevölkerung, sondern in der geschickten Manipulation der Regierung durch hochpotente Lobbyisten, die die Macht haben, über das Schicksal der Politiker zu verfügen.
  • (...) Momentan versuchen 5% unseres Landes, 95% zu betrügen. Die große Masse steht derzeit nur ratlos da und fragt sich, was "da oben" eigentlich los ist.

    (Weiterlesen; auch der direkt anschließende zweite Teil des Textes ist sehr interessant)

    Anmerkung: Sollte die "Basis" - gerade auch der CSU - tatsächlich allmählich aufwachen und sich die Bretter von den Stirnen reißen oder handelt es sich hier nur um einen einsamen Rufer auf weiter Flur? Ich befürchte ja noch immer das Letztere - und das, obwohl tatsächlich immer mehr Menschen auch am eigenen Leib erfahren, wie die Umverteilung von unten nach oben und die Zwangsverarmung der Menschenmassen zunehmend Fahrt aufnehmen.

    Nur noch tragisch ist es allerdings zu nennen, dass auch dieser kritische Beitrag demselben hanebüchenen Phänomen erliegt wie die allermeisten kritischen Essays, Artikel und Bücher: Die Symptome werden oftmals sehr detailliert und korrekt analysiert und aufgezeigt - den kleinen geistigen Schritt, nach den tatsächlichen Ursachen für den Zerfall zu forschen und dabei nicht im kapitalistischen System hängen zu bleiben, vollzieht kaum jemand. Statt dessen scheint man sich nach der Chimäre eines "guten Kapitalismus'" zu sehnen. Wie kann das sein? Die ursächlichen Zusammenhänge liegen doch klar sichtbar und unverdeckt auf dem Tisch und werden zudem grell angestrahlt. Trotzdem sieht fast niemand, dass der Kaiser keine Kleider anhat. Es ist wahrlich zum Verzweifeln.

    Auch ein zaghafter Beginn sei ein Anfang, höre ich oft. Ich habe da meine starken Zweifel - wieder einmal reicht ein Blick in die Geschichte aus, um zu bemerken: Nein, ein zaghafter Beginn ist bislang meistens im nahenden Sturm untergegangen wie eine Nussschale auf dem Atlantik. - Die Empörung muss selbst zum Sturm werden, sonst ist sie sinnlos.


    "Sehen Sie, Kollege, den Dritte-Klasse-Patienten darf man wenigstens ganz offen gestehen: 'Das Leben des Menschen steht in Gottes Hand!'"

    (Zeichnung von Marcel Frischmann [1900-1952], in "Simplicissimus", Heft 46 vom 16.02.1932)