Samstag, 28. Oktober 2017

Die Fähnchenschwenker und ihre Jeanne d'Agenknecht


Der Kollege Arbo vom Blog Krautism hat jüngst einen lesenswerten Text – eigentlich eine Aktualisierung eines älteren Beitrages – über das seltsame Fischen der Frau Wagenknecht am rechten Rand geschrieben, in dem es unter anderem heißt (Quellenangaben im Originalposting):

Zurück zur Nüchternheit: Würde Frau W. nun – eingedenk der eben geschilderten Situation – über den Libanon sprechen und sagen ‚Dort sind die Kapazitätsgrenzen (langsam) erreicht.‘, wer würde ihr widersprechen? Der Punkt ist nur, dass sie nicht vom Libanon spricht, sondern von Deutschland. Daher mal ein Vergleich: Deutschland hat laut Destatis 82 Millionen Einwohner, konnte 2016 auf ein BIP von 3.144,1 Milliarden Euro bzw. 3,466 Billionen USD blicken; im gleichen Jahr 2016 wurde über die Asylanträge von 695.733 Personen entschieden (BAMF) und zwischen Januar und September 2017 lag die Zahl der registrierten Asylsuchenden laut Bundesstelle für Politische Bildung bei 139.635 Personen (die Bundesregierung gibt für den gleichen Zeitraum 168.306 Personen an).

Dagegen liegt die Bevölkerung des Libanon aktuell bei ca. 6,2 Millionen Menschen, das BIP bei (nominal) 52 Milliarden USD (Wikipedia) und die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge liegt geschätzt zwischen 1 bis 2 Millionen Menschen (Zahlen laut nachrichten.at vom Dezember 2016). Die so rhetorische wie ‚nüchterne‘ Preisfrage lautet nun: Welches Land von beiden wird wohl am ehesten an ‚Kapazitätsgrenzen‘ stoßen?

Inhaltlich habe ich dem nichts hinzuzufügen – Dank an Arbo für die gründliche Recherche. Mich treibt aber die Frage in den Wahnsinn, was zur Hölle Wagenknecht und Lafontaine mit diesen Aktionen zu bezwecken gedenken? So dumm sind diese Menschen (hoffentlich) nicht, dass sie tatsächlich daran glauben, auf diese schäbige Weise bei den "besorgten BürgerInnen" und anderen Pegidioten Wahlstimmen einsammeln zu können – andererseits möchte ich ihnen aber auch keine bösen, nationalistischen Intentionen unterstellen. Was also steckt dahinter? Naivität? Populismus? Aktionismus? Oder doch nur Dummheit, völkisches Denken – oder noch etwas ganz anderes, das mir partout nicht einfallen will?

Es ist ja kein Geheimnis, dass Wagenknecht die "Überwindung des Kapitalismus" – auch das übrigens eine offen populistische, extrem dumme und inhaltlich groteske Formulierung, die einzig dem kapitalistischen, alles indoktrinierenden Zeitgeist geschuldet ist – längst nicht mehr vertritt. Hat auch sie inzwischen von der Lapuente'schen Verdummungsdroge der "Realpolitik" gekostet und dabei ebenso ihren Verstand verloren wie all die braven FähnchenschwenkerInnen, die unbeirrt und von der Realität unberührt in der Linkspartei das Seelen- und Nationalheil sehen wollen? Ich verstehe das nicht. Und trotzdem wird diese Dame von Teilen der "Linken" nach wie vor als glühende Jeanne d'Arc angepriesen, so als sei eine Personalie – welcher Art auch immer – in einer "repräsentativen" Demokratiesimulation tatsächlich entscheidend für den "Sieg der guten Sache". Das ist so albern und bizarr, dass es mir die Sprache verschlägt.

Wie soll der kapitalistische Horror, der im Begriff ist, den kompletten Planeten zu zerstören und der für den weit überwältigenden Teil der Menschen nicht erst seit gestern ein einziger, tödlicher, nicht endender Albtraum ist, mittels einer Partei "bekämpft" werden, die sich einer solchen perfiden Rhetorik bedient wie Wagenknecht sie wiederholt bemüht?

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Jeanne d'Arc



(Illustration von Albert Lynch [1851-1912], in: "Le Figaro", 1903)

Freitag, 27. Oktober 2017

Song des Tages: Ich will (Orchesterlied)




(Torsten Rasch [*1965]: "Orchesterlied VII: Ich will", aus dem Album "Mein Herz brennt. Liederzyklus nach Texten von Rammstein", 2003; Sprechgesang: Katharina Thalbach, Dresdner Sinfoniker, Leitung: John Carewe)

Ich will

Ich will dass ihr mir vertraut
Ich will dass ihr mir glaubt
Ich will eure Blicke spüren
(Ich will) jeden Herzschlag kontrollieren

Ich will eure Stimmen hören
Ich will die Ruhe stören
Ich will dass ihr mich gut seht
Ich will dass ihr mich versteht

Ich will eure Fantasie
Ich will eure Energie
Ich will eure Hände sehen
(Ich will) in Beifall untergehen

Seht ihr mich?
Versteht ihr mich?
Fühlt ihr mich?
Hört ihr mich?

Könnt ihr mich hören?
(Wir hören dich)
Könnt ihr mich sehen?
(Wir sehen dich)
Könnt ihr mich fühlen?
(Wir fühlen dich)
Ich versteh euch nicht!

Wir wollen dass ihr uns vertraut
Wir wollen dass ihr uns alles glaubt
Wir wollen eure Hände sehen
Wir wollen im Beifall untergehen, ja

Wir verstehen euch nicht.


Donnerstag, 26. Oktober 2017

Pre-Crime: Wenn Science Fiction Realität wird


Vor zwei Wochen war bei spektrum.de ein interessanter Bericht zu lesen, in dem es um die staatliche Totalüberwachung und vor allem die Bereitschaft der hiesigen Bevölkerung ging, sich diesem grausigen Instrument freiwillig und willfährig auszuliefern. Unter dem Titel "Überwachung wird cool" heißt es dort:

GPS, Smartphones und Fitness-Tracker sind genuine Militärtechnologien. Warum haben Menschen trotzdem Spaß daran, sich mit smarten Geräten zu überwachen?

Ich empfehle dringend die komplette Lektüre dieses kleinen Textes, in dem auch der Soziologe und Kriminologe Nils Zurawski zitiert wird: "Die Überwachung ist so unmerklich in unseren digitalen Alltag eingebettet, dass wir die Mittel als Konsumartikel wahrnehmen und sie uns nur dort erscheinen, dass der Prozess der Überwachung, der Normierung, der Steuerung entweder nicht auffällt oder die dahinterstehenden Herrschaftsverhältnisse egal werden." – Diesen Satz sollte man dreimal, fünfmal lesen, um die Ungeheuerlichkeit zu erfassen.

Um den Datenschutz oder die Privatsphäre ist es in der heutigen Zeit ohnehin nicht gut bestellt – inzwischen ist es quasi eine Selbstverständlichkeit, ein Dumpf-Phone zu "besitzen" und es – ganz wichtig – auch niemals auszuschalten. Dies ist jedoch nur die eine Seite der schwarzbraunen Medaille, denn längst hat der Überwachungswahn ganz andere Dimensionen erreicht, die weit über die Wanzen, die sich die Bekloppten auch noch selber kaufen, hinausgeht. Darüber hat Matthias Heeder eine Dokumentation erstellt, die momentan in (sehr wenigen ausgewählten) Kinos zu sehen ist:



Das abstruse Konzept, das "Pre-Crime" genannt wird, geht davon aus, dass ein Computer anhand irgendwelcher intransparenter Algorithmen zuverlässig vorhersagen könne, wer zukünftig straffällig oder ein Opfer einer Straftat werden könne. Diese Technologie, die – zumindest heute – viel mehr mit Kaffeesatzleserei als mit Wissenschaft zu tun hat, kommt inzwischen dennoch zur Anwendung und hat entsprechend kafkaeske Auswirkungen, die im Film exemplarisch beleuchtet werden. Beim WDR ist zudem ein (leider gewohnt schlechtes) Interview mit dem Regisseur nachzulesen, in dem Heeder unter anderem sagt:

Robert McDaniel, mit dem wir in diesem Film gearbeitet haben, war auch auf dieser Liste gelandet. Er wurde in den letzten drei bis fünf Jahren zusammen mit einem Freund immer wieder mal wegen kleinerer Vergehen verhaftet. Das passiert in den USA sehr schnell – vor allem wenn man schwarz ist. Zum Beispiel wegen Würfelspielens oder Trinkens in der Öffentlichkeit – Marihuana rauchen, also diese Art von Vergehen. Und dann wurde sein Freund im Zusammenhang mit einer Gang-Auseinandersetzung ermordet. Robert rutschte dadurch automatisch auf die Punktzahl von 215 und bekam einige Tage später Besuch von der Polizei. Das ist die Realität, in der sich Menschen bewegen, die auf diesen Listen auftauchen. Heute sind es glaube ich inzwischen 4.500 Namen, die auf dieser Liste [die sich einzig auf die Stadt Chicago bezieht, Anm.d.Kap.] sind.

Es ist noch nicht so lange her, da war ein solches Szenario noch pure Science Fiction ("Minority Report"). Obwohl alle Beteiligten wissen, dass sie mit dieser Art der "Verbrechensbekämpfung" nichts erreichen, sondern stattdessen viele unbescholtene BürgerInnen "prä-kriminalisieren" und damit fälschlicherweise beschuldigen, wird der Unfug unbeirrt eingesetzt und durchgezogen. Auch in Deutschland, übrigens.

Mir kommt es immer mehr so vor, als nutzten die kapitalistischen "Eliten" gezielt die dystopischen Szenarien aus der Science Fiction ganz konsequent als Blaupause, um ihren Herrschaftsanspruch zu festigen – was aber natürlich nur eine wirre Verschwörungstheorie sein kann, denn letzten Endes wollen diese Herrschaften ja alle nur das Beste für die Menschheit. [*Gelächter vom Band*]

Ich möchte wirklich, wirklich nicht wissen, wie diese Welt in zwanzig Jahren aussieht. Wenn die Kapitalisten sie nicht in einem atomaren "Endkrieg" in die Steinzeit gebombt oder die Faschisten sie in ein globales Konzentrationslager verwandelt haben, werden wir uns dann wohl in einem kapitalistischen Überwachungsstaat befinden, gegen den Orwells Gruselwelt ein lustiges Disneyland der pinkfarbenen Luftballons und klammheimlichen Sehnsüchte nächtlicher Geheimträume seltener Dissidenten sein dürfte: Game over.


Dienstag, 24. Oktober 2017

Zitat des Tages: An die Soldaten


Sauft, Soldaten!
Dass das Blut
heißer durch die Adern rinnt.
Saufen macht zum Sterben Mut.
Sauft! Die Zeit der Heldentaten
fordert saftige Teufelsbraten.
Sauft! Der heilige Krieg beginnt.

Sauft und betet!
Gott erhört
liebevoll der Gläub'gen Ruf.
Wünscht, dass er den Feind zerstört!
Wenn ihr über Leichen tretet,
dankt dem Herrn, zu dem ihr flehtet,
dass er euch zu Mördern schuf.

Feindeskissen
bettet weich.
Wo des Feindes Witwe weint,
ist des Siegers Himmelreich.
Fremde Weiber – Leckerbissen –
Schnaps, Gebet und kein Gewissen.
Krieg ist Krieg, und Feind ist Feind!

Tapf'rer Krieger,
der vergisst,
dass ein Herz im Leibe schlägt,
dass er Mensch gewesen ist,
eh er Kämpfer war und Sieger.
Edler Held, der gleich dem Tiger
blutige Beute heimwärts trägt!

Heldenscharen
kehrt ihr heim,
fielt ihr nicht von Feindeshand.
In der Brust den Todeskeim,
Krüppel mit gebleichten Haaren,
sucht, wo eure Stätten waren
im zerwühlten Vaterland.

Qual und Lasten
sind der Dank.
Weib und Kind in bittrer Not.
Euer Heldentum versank.
Darben lernt ihr nun und Fasten.
Bettelnd mit dem Leierkasten
winselt ihr ums Gnadenbrot.

(Erich Mühsam [1878-1934]: "An die Soldaten", in: "Wüste – Krater – Wolken. Die Gedichte", 1914; Erstdruck 1912)




Montag, 23. Oktober 2017

Der linke Konservative


Eine Glosse am Rande des glucksenden Wahnsinns

Eigentlich hatte ich ja vor, mich inhaltlich nicht mehr mit den Auswürfen meines geschätzten Freundes Roland Faulfuß, die er – sofern er denn gelegentlich mal einen selbst verfassten Text veröffentlicht – in seine esoterische, wirre Filterblase entlässt, die er merkwürdiger Weise für "das Internet" oder gar "die Welt" hält, zu befassen. Heute muss ich mit diesem Grundsatz leider brechen (und ich sehe schon die genervt rollenden Augen einiger MitleserInnen, denen mein ganzes, aufrichtiges Mitgefühl gilt), denn der Mann hat wieder einmal so viel geballten Blödsinn aus seinem hypersensiblen Hirn gesaugt und in pseudointellektuelle Worthülsen gezwängt, dass mir gar keine andere Wahl bleibt. Es nützt ja schließlich nichts, sich bloß in den eigenen vier Wänden oder im kleinen Kreis aufzuregen – das ist nicht gut für den Blutdruck und die gehaltvolle Verdauung.

Faulfuß hat sich nun – wenn auch über Bande und mit dem obligatorischen Fragezeichen versehen, auf das sich Leute seines windigen Schlages stets herausreden können, wenn es "hart auf hart" kommt – als "linker Konservativer" geoutet. Da schmerzt sogar das schmerzunfähige Stammhirn und die Fußnägel rollen sich beherzt auf, dass es eine wahre Wonne ist. Für den Eso gehört nun also "Computer- und Kommunikationsspielzeug" zu irgendwelchen "vielen skurrilen Interessengebieten, denen man frönen, denen man sich aber auch entziehen" könne. Das ist mal eine Aussage, die so dämlich ist, dass auch die weiteren Ausführungen daran nichts mehr ändern, denn offenbar versteht der "linke Konservative" darunter lediglich oder zumindest vornehmlich die Dumpf-Phone-Besessenheit der hiesigen (keineswegs nur jungen) Bevölkerung.

Dass er selbst dem "Computer- und Kommunikationsspielzeug" frönt, indem er seit Jahren an einem obskuren Blog mitarbeitet, fällt ihm nicht auf – und so merkwürdige, lächerliche Menschen wie beispielsweise ich fallen ganz durch sein monokausales Raster: Ich boykottiere Dumpf-Phones seit vielen Jahren und lasse es mir dennoch nicht nehmen, mich ausgiebig mit dem Computer, mit diverser Software und gelegentlich sogar mit (*Jesses hilf!*) Computerspielen zu beschäftigen. Damit bin ich in des Faulfußes kleiner Biene-Maja-Welt schon ein Sektierer, ein Menschenfeind, ein Aussätziger.

Das war aber bloß der Prolog. Was der Mann danach vom Stapel lässt, offenbart das ganze Ausmaß der intellektuellen Einöde, in der er sich befindet bzw. befinden muss. Es sprengte den Rahmen, jede einzelne Äußerung des Wahn- und Irrwitzes hier zu kommentieren, so dass ich mich auf eine Auswahl im Nano-Bereich beschränke. Faulfuß schreibt beispielsweise:

Ich selbst will den Status Quo nicht "einfrieren". Entwicklung ist unvermeidlich und oft auch gut. Aber das Tempo der Veränderung muss sich den Menschen und ihren Bedürfnissen anpassen, nicht umgekehrt. Heute haben wir es geradezu mit einem Innovationsterror zu tun.

Abgesehen davon, dass diese Passage – wie auch der gesamte Text – mit keiner Silbe darauf eingeht, weshalb diese Forderung im kapitalistischen System vollkommen blödsinnig ist, da dem Kapitalismus "der Mensch und seine Bedürfnisse" schlichtweg scheißegal sind – hier geht es einzig um möglichst viel Profit für die "Elite" –, ist auch der letzte Satz hanebüchener Unsinn. Die technische Innovation – egal, wie man diese nun im einzelnen bewerten möchte – ist seit mehr als hundert Jahren in einem wahnwitzigen Tempo auf ihrem dampfenden Weg. Das kein neues Phänomen. Die technischen "Quantensprünge" beispielsweise der Elektrizität, der Dampfmaschine und damit der Eisenbahn oder der Verbrennungsmotoren haben in der Vergangenheit für ähnlich dramatische Veränderungen und natürlich auch Verwerfungen gesorgt. Faulfuß plappert hier schlicht esoterischen Bockmist nach, für den er sogar einen "Zeugen" (Harari) benennt und den er als "Bestseller-Autor" vorstellt, so als seien die Verkaufszahlen eines Printwerkes ein Indiz für die Relevanz oder Qualität desselben. Einige der üblichen Propagandatechniken der korrupten Bande beherrscht der Hochsensible bereits. Er zitiert Harari:

Obwohl sich Geschichtswissenschaftler mit fast jedem erdenklichen Thema beschäftigen – von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft über Geschlechter und Sexualität bis zu Krankheiten, Essen und Kleidung –, haben sie sich nie gefragt, welchen Einfluss das alles auf das Glück der Menschen hat. Das ist die größte Lücke in der Geschichtsschreibung.

Auch diese Aussage, die sich Fauli zu eigen macht, ist falsch. Einerseits ist es ja nicht die primäre Aufgabe der Geschichtswissenschaft, dem "Glück der Menschen" nachzuforschen – und es ist damit auch keine "Lücke"; andererseits sollte der Verfasser einfach mal einen Blick in die langen Buchregalreihen dieser Wissenschaft riskieren, um festzustellen, dass es trotzdem sehr wohl Veröffentlichungen, die zu diesem Themenkomplex zählen, gibt. Arbeiten aus anderen Wissenschaftsbereichen oder gar fachübergreifende Forschung will ich hier gar nicht erst erwähnen. Die Behauptung ist stumpfsinniger Mumpitz.

Es folgt ein Highlight der Faulfuß'schen Blümchenwelt:

Leider gelten zufriedene Menschen aber heute als Feinde einer florierenden Wirtschaft. Sie weigern sich, den Herstellern von technischem Schnickschnack als Zielgruppe zur Verfügung zu stehen.

Beim ersten Lesen war ich froh, dass ich gerade keinen Kaffee trank, der sich sonst unweigerlich über meinen technikfreundlichen, scharf zu verdammenden Monitor ergossen hätte. "Heute" sind also Menschen, die sich dem Konsum verweigern, "Feinde der Wirtschaft"? Ah ja? Was waren solche Menschen denn vor 20, vor 40 oder vor 100 Jahren? Des Kapitalisten liebste Freunde? Oder gab es die vormals gar nicht? Und wieso betrifft das heute nur "zufriedene" Menschen? Können nicht auch gänzlich Unzufriedene die viel "besseren" – weil schlagkräftigeren – Feinde des Kapitals sein? Man weiß so wenig, wenn die Sprachkunst des Autors sich auf einem derartig befremdlichen, semi-religiösen Niveau bewegt.

Selbstverständlich führt Faulfuß diese an sich schon absurden Gedanken noch weiter fort und kommt zu dem Schluss, den ich zur Illustration seiner Absurdität in die Sprache der vergleichbaren Menschen von vor hundert Jahren übersetzen möchte: "Heute ist der Eisenbahner dieses prägende Leitbild unserer Kultur. Ob wir wollen/können oder nicht – wir müssen, um im modernen Alltag überleben zu können, zumindest partiell so werden wir 'die'. Eine Zwangsbekehrung zur Religion der Dampfmaschinen-Enthusiasten findet derzeit statt. In der Folge verbrauchen wir viel Zeit und Energie, um mit Hilfe von Technologien Probleme zu lösen, die ohne sie gar nicht entstanden wären."

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Auch das Eisenbahnzeitalter hat seinerzeit extrem viel Leid, Elend und Not verursacht und massenhaft Menschen in Abhängigkeiten, Armut und finstere Ausbeutung gestürzt, während wie gewohnt nur eine kleine Minderheit davon profitiert hat und steinreich auf Kosten der übrigen Menschen geworden ist – aber trotzdem war diese Technologie ein Meilenstein der wenig ruhmreichen Menschheitsgeschichte. Die Pervertierung bezieht sich ja nicht auf die Technologie, sondern auf deren "leitende" Anwender und deren Ziele. Dasselbe trifft heute auf Computer und auch das Internet zu. Die kapitalistischen Auswüchse bzw. "normalen" Ausformungen der Ausbeutung, Armut und imperialistischen Widerlichkeiten, die zu einem technologischen Sprung im Kapitalismus eben immer dazugehören, gilt es heute ebenso scharf zu bekämpfen wie damals. Solch einfache Schlussfolgerungen aus der Primarstufe zieht Faulfuß jedoch natürlich nicht.

Letztlich kommt auch in diesem Text wieder das altbekannte, zum wiederholten Kotzen bemühte "Naturverständnis" dieser verblendeten Eso-Heinis zutage, das auch gerne mit dem abergläubischen Begriff "Schöpfung" belegt wird. Ich frage mich jedesmal, wenn ich so einen Kappes lese, ob der Urheber tatsächlich in derselben Welt lebt wie ich: Schließlich handelt es sich bei "der Natur" um ein System, das essenziell und primär auf dem völlig perversen Prinzip des "Fressens und Gefressen-Werdens" beruht. Wenn Faulfuß sich also in seinem "Biotop", das er in seinem wirren Beitrag visuell angedeutet hat, befindet, ist er sich offensichtlich nicht bewusst, dass um ihn herum zu jeder Sekunde tausende von Lebewesen andere Lebewesen töten und auffressen, um sich selbst am Leben erhalten zu können. Eine andere Wahl haben sie nicht. Das ist "Natur". Wer so etwas auch noch einem "Gott" als "Schöpfung" in die Schuhe schieben will, hat offensichtlich noch größere psychische und intellektuelle Probleme als die AfD oder die CDU. – Merke (es folgt eine steile, aber nicht von der Hand zu weisende These): Wer "die Natur" als "gutes Beispiel" bemüht, muss zweifellos ein übler Faschist sein.

So sind sie eben, die "Konservativen" bzw. Kapitalisten bzw. Esoteriker bzw. Faschisten: Jenseits der Realität.

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Naturidyll


Der Löwe (der Konservative) und das Zebra (die Linke) chillen friedlich gemeinsam im Paradies der Natur.