Samstag, 14. März 2015

Credo ergo sum: Mystik, Glaube und Gewissheiten


Pünktlich zum Freitag dem 13. hat unser geschätzter Häuptling Verfaulter Fuß auf seiner Eso-Schleuder Jenseits der Realität einen Text zum weltbewegenden Thema "Mystik" eingestellt, der bereits vor 20 Jahren in jedem mediävistischen (also wissenschaftlichen) Seminar zum Thema allenfalls als satirisches Pausenfutter für die Lachmuskeln gedient hätte. Das stört unseren Häuptling aber nicht und er zieht munter vom Leder, dass sich die Balken ächzend biegen und die gepeinigten Hirnwindungen geräuschvoll glätten.

Wer sich das durchlesen möchte, mag das gerne tun - ich habe jedenfalls gleich mehrere Anläufe gebraucht, um überhaupt bis zum Ende durchzuhalten. Die physischen und psychischen Schmerzen dieser Tortur wurden jedoch satt belohnt - denn im Kommentarbereich wartete gleich das nächste Highlight: Dort hat nämlich ein "Erweckter" seinen dampfenden, dicken Haufen hinterlassen, der von seinem "Gotteserlebnis" berichtet und zu dem wunderbar passenden Schluss kommt:

Dann handelt es sich nicht mehr um den "zweifelnden Glauben" nach dem Motto "Glauben heißt nicht wissen"[,] sondern dann kann man sagen[:] Glaube = Gewi[ss]heit. Dieser Glaube ist das schönste Geschenk, das Gott uns machen kann.

Ich glaube [sic!], dass selbst Martin Sonneborn - oder meinetwegen auch Satanas persönlich - das nicht treffender auf den Punkt hätte bringen können. Die geglaubte Gewissheit ist die zierende Krone auf dem schwankenden Haupt des tanzenden, klappernden Skeletts des esoterischen Irrsinns.

---

Und am Montag lesen Sie von Roland Faulfuß und unterstützenden Psychopathen an dieser Stelle: “Die Fackel wegwerfen, wenn das Feuer entfacht ist” – Esoterik als ganzheitlicher Gehirnersatz, oder: Unsere Scheiterhaufen Maßnahmen gegen Ungläubige und KetzerInnen.


Freitag, 13. März 2015

Realitätsflucht (17): Nehrim - Am Rande des Schicksals


In der heutigen Folge meiner Realitätsflucht berichte ich von einem ausgewachsenen Epos. Das Spiel Nehrim - Am Rande des Schicksals ist nämlich eines, das sich gewaschen hat. Eigentlich ist es gar kein eigenständiges Spiel, sondern eine sogenannte "Mod" (Modifikation), die auf dem Titel Oblivion aus der Elder-Scrolls-Reihe basiert. Allerdings haben wir es hier mit einem Sonderfall, nämlich einer "total conversion" zu tun, was wiederum bedeutet, dass Nehrim mit Oblivion nichts weiter gemein hat als die zugrunde liegende Grafik-Engine. Sämtliche Inhalte - sowohl die Geschichte als auch der Ort der Handlung, die Umgebungen und Charaktere - wurden neu geschaffen.

Die Urheber dieses Spieles sind etwa 80 Personen, die es in ihrer Freizeit und bar jeden kommerziellen Interesses in einem Zeitraum von mehreren Jahren geschaffen haben. Das Spiel ist kostenlos - Voraussetzung ist lediglich eine installierte Version des Original-Spieles The Elder Scrolls IV: Oblivion. Die Umsetzung ist durchweg professionell: Über die Grafik, die aus dem Ursprungsspiel bekannt ist, muss ich keine Worte verlieren; die deutschen Dialoge sind vorzüglich und ebenfalls professionell vertont; die Musik steht dem Original in nichts nach und wird sogar durch einen beigesteuerten Song der Mittelalterrockband Schandmaul erweitert. Keiner der beteiligten Sprecher und Musiker ist für diese Tätigkeit finanziell entlohnt worden.

Es folgen eine Menge Spoiler - wer das Spiel also selber noch ausprobieren möchte, sollte es sich beispielsweise hier herunterladen und nicht mehr weiterlesen.

Mit Nehrim wird der Welt der Elder-Scrolls-Reihe schlicht ein weiterer Kontinent hinzugefügt, der sich nahtlos in die bereits erzählte Geschichte der Fantasywelt "Tandriel" einfügt. Es herrscht Krieg im Land: Im Mittelreich regiert der abtrünnige Ordensmagier Baranteol, der die Magie generell verbieten (und für sich selbst vorbehalten) möchte, im Norden, der von seinen Truppen angegriffen wird, ist sein Einfluss schon deutlich spürbar, und im Süden befindet sich eine zunächst abgeschottete Enklave der puren und zerstörerischen Magie, die sich natürlich ebenfalls in verkommenen, falschen Händen befindet. In dieser Situation betritt der Spieler am Beginn des Spiels das Mittelreich und muss sich wie gewohnt auf den Weg machen, das von Krieg, Hab- und Machtgier zerrüttete Land zu retten.

Gleich am Anfang zeigt das Spiel überdeutlich, was es von Oblivion und anderen vergleichbaren Titeln unterscheidet: Nach einem hübschen Intro landet der Spieler in einem finsteren, wirklich großen Höhlenlabyrinth, darf sich durch vorerst leichte Monster schnetzeln und landet schließlich direkt beim ersten mit herkömmlichen Mitteln unbesiegbaren Gegner, den er geschickt austricksen muss, um weiterzukommen. Ich habe diesen Spielstart gefeiert - auch wenn ich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt mehrmals gescheitert bin und einen neuen Versuch starten musste, weil ich einfach noch nicht wusste, was das Spiel von mir will.

Das zieht sich im weiteren Verlauf durch die gesamte Geschichte. Der Start nach dem Höhlenlabyrinth ist leider etwas schleppend - man muss sich ohne Quests auf den Weg machen, all die Ruinen, Dörfer, Grüfte und Höhlen in der Umgebung zu entdecken, um die nötige Erfahrung und Stärke zu erlangen, die zur Verfolgung der Hauptquest notwendig sind. Hier findet man auch viele nützliche Gegenstände wie beispielsweise besondere Waffen, Rüstungen oder magische Elemente. Gerade in Bezug auf Waffen und Rüstungen ist Nehrim vorbildlich - ich habe es bislang jedenfalls nicht geschafft, durch eigene Handwerkskunst eine bessere Waffe herzustellen als die, die ich gefunden bzw. besiegten Gegnern abgenommen habe. So soll es sein.

Im weiteren Verlauf wird die Geschichte immer dramatischer - der Spieler muss den seit 1.000 Jahren gefangenen Erretter des Mittelreiches befreien, den fiesen Magierschurken Baranteol in seiner Festung in der Hauptstadt Erothin besiegen und im Südreich gar eine ganze Revolution anzetteln, um endlich den eigentlichen Gegnern - den "Göttern" bzw. "Lichtgeborenen" - entgegenzutreten. Diese schöne Religionskritik bringt der alte Zausel Callisto, dem der Spieler im Rahmen der Hauptquest zeitweise folgen muss, wunderbar auf den Punkt, wenn er bemerkt:

Religion gilt dem gemeinen Mann als wahr, dem Weisen als falsch und dem Herrscher als nützlich - besonders dem, der mit Gewalt regiert.


Ich kenne inzwischen eine ganze Reihe von Computerspielen - aber bei keinem zuvor habe ich mich dabei ertappt, wie ich immer und immer wieder den Satz "Das ist jetzt aber nicht euer Ernst!" völlig entsetzt und dabei lachend oder bibbernd vor mich hin gebrabbelt habe. Die Überraschungen, die in Nehrim auf den Spieler warten, haben es wahrlich in sich - abgefahrene Ideen und Örtlichkeiten haben dort ebenso ihren festen Platz wie furchtbare "Jump-and-run"-Passagen, die mich manchmal zunächst an den Rand der Verzweiflung getrieben haben. Die versammelte Spieleindustrie kann getrost einpacken angesichts dieses Meilensteins.

Nehrim ist ein grandioses Rollenspiel, das Oblivion in Bezug auf die Story, die Fantasie, die Örtlichkeiten, die Waffen und Rüstungen und so viele weitere Details um Längen übertrifft - und gleichzeitig ist es ein entwaffnendes Beispiel dafür, was Menschen, die keinerlei Profitinteresse hegen, zu leisten imstande sind - einfach weil sie Bock darauf haben und es gerne tun.


Donnerstag, 12. März 2015

Zitat des Tages: Der alte Brunnen


Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
Geplätscher nur vom alten Brunnen tönt.
Wer aber Gast war unter meinem Dache,
Hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.

Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten
Im Traume bist, dass Unruh geht ums Haus,
Der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,
Das helle Plätschern setzt auf einmal aus,

Und du erwachst, - dann musst du nicht erschrecken!
Die Sterne stehn vollzählig überm Land,
Und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,
Der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.

Er geht gleich weiter, und es rauscht wie immer.
O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.
Viel' Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,
Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.

(Hans Carossa [1878-1956], in: "Stern über der Lichtung", Seifert 1946; geschrieben und vermutlich erstveröffentlicht 1910)


Anmerkung: So klingt rückwärtsgewandte Lyrik am Vorabend der Katastrophe - noch beschwichtigend und dennoch die dunkle Ahnung des drohenden Unheils bereits in sich tragend. So gerne ich mich als Leser der wunderbaren Botschaft dieses Gedichtes auch hingeben mag, so realitätsfern und haltlos ist sie, heute wie damals. Vier Jahre nach der Entstehung des Textes knallten die Kanonen und die Zeit des großen Mordens in Europa begann. Ob Carossa, der im Ersten Weltkrieg als Lazarettarzt tätig war und dort gewiss das pure Entsetzen gelernt hat, in jener blutigen Zeit ebenfalls romantische Hymnen rezitiert hat, ist nicht überliefert.

Dennoch liebe ich dieses Gedicht schon seit so vielen Jahren - mit dem Wissen, dass es lediglich eine weitere Form der Realitätsflucht für meinen gehetzten Geist bietet. Der gelegentliche Urlaub vom realen Horror unserer zerbröckelnden Zeit ist überlebenswichtig für mich.


Mittwoch, 11. März 2015

Song des Tages: Suicide On My Mind




(Angtoria: "Suicide On My Mind", aus dem Album "God Has A Plan For Us All", 2006)

Did I want to live
Within this empty space
My sleep numbed my pain

Now I'm awake
My sanity has gone

Little girl screams for life's release
Don't hold me back, I want to fall
Little girl pleads for life's decease
To mourn away my soul

Did I want to die
Pain consumed me inside
Heaven on my tongue
Drunk down with suicide

Beyond self-control
My urge has gone

Little girl screams for life's release
Don't hold me back, I want to fall
Little girl pleads for life's decease
To mourn away my soul

Time does not heal
A shame so surreal

Little girl screams for life's release
Don't hold me back, I want to fall
Little girl pleads for life's decease
To mourn away my soul



Anmerkung: Ganz nebenbei ist dieses Album ein hübsches Statement zum ausufernden religiösen Quatsch, der immer weitere Kreise zu ziehen scheint und dabei immer abstruser wird. Ein kurzer Textauszug aus dem Titelsong dieses Albums: "Let his holy choirs sing in sodomy, praise him! / Surrender your body and soul unto him, demoralize me! / So he crept into my room / Whispered my name, took my innocence away / I'm only five, a pervert's concubine".

Die lieben Kirchenmänner, die nicht müde werden, uns sogar angesichts der realen Hölle auf Erden immer noch das alberne, geradezu lächerliche Märchen vom "Plan Gottes" zu erzählen, kommen hier nicht allzu gut weg. Die suizidalen Gedanken aus dem obigen Song sind vor diesem Hintergrund des sexuellen Missbrauchs vielleicht noch etwas verständlicher.


Dienstag, 10. März 2015

Die korrupte Bande rüstet auf: Die Militarisierung der Polizei


Der Menschenfeind Thomas "die Misere" (CDU) schreit wieder einmal lauthals nach einer militärischen Aufrüstung der "lückenhaften" Ausstattung der polizeilichen Staatsschergen. Bei n-tv konnte ich erstaunt lesen:

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums stehen im Haushalt für dieses Jahr fünf Millionen Euro zusätzlich für Fahrzeuge der Bundespolizei bereit. Minister de Maizière kündigte bereits an, zehn schwere Panzerwagen des Typs "Eagle IV", die bisher in Afghanistan stationiert waren, von der Bundeswehr zu übernehmen.

Das alles geschehe selbstverständlich im Rahmen der "Terrorabwehr" - und einmal mehr wird damit auch vom "Qualitätsjournalisten" explizit und ausschließlich der "islamistische Terror" in Verbindung gebracht. Nun ist es ja offenkundig, dass in Deutschland nahezu täglich militärisch bestens ausgerüstete "islamistische Terroristen" in den Krieg ziehen und ein fürchterliches Blutbad nach dem anderen anrichten - wie könnte man den schneidigen Militaristen de Maizière und seine christliche Sorge um das Wohlergehen der wehrlosen Kinder und anderer Bevölkerungsteile also kritisieren?


Ein Panzerwagen "Eagle IV" der Bundeswehr.

Aber Spaß beiseite: Wenn die auch heute ohnehin schon eher an eine blutrünstige Armee erinnernde Bundespolizei noch weiter militärisch aufgerüstet wird, muss jedem klar sein, dass diese Gerätschaften, Waffen und Ausrüstungsgegenstände selbstverständlich auch im Regelfall zum Einsatz kommen werden - ganz besonders natürlich dann, wenn es gilt, eventuelle kommende Aufstände zwangsverarmter, verzweifelter Menschen gewalttätig niederzuschmettern. Auch "linksradikale" Demonstrationen wie beispielsweise anlässlich der perversen "G-8-Gipfel" lassen sich damit gewiss noch effizienter zerschlagen - auch ganz ohne die grundgesetzwidrige Beteiligung der Bundeswehr wie seinerzeit in Heiligendamm (die übrigens bis heute nicht geahndet wurde).

Der forcierte Aufbau einer "inländischen Armee" dient klar erkennbar nicht der Bekämpfung irgendeiner diffusen "Terrorgefahr", die in einem auch nur am Rande zu erwähnenden Maßstab schlichtweg nicht existiert. Die alltägliche Bedrohung für die Bevölkerung, wie sie beispielsweise durch Kraftfahrzeuge (2011: 4.009 Tote) oder Krankenhauskeime (jährlich 7.500 bis 15.000 Tote) u.v.m. tatsächlich besteht, steht in keiner intellektuell fassbaren Relation zum klapprigen Gespenst des mantraartig beschworenen "Terrors".

Derlei Nebensächlichkeiten fechten die Bande aber nicht an und sie betreibt den lächerlichen Mummenschanz munter weiter, schürt eifrig diffuse, irrationale Ängste, wird von den Mainstreammedien dabei vorbildlich und devot unterstützt und ist damit auf dem besten Wege, aus der schon heute grotesk anmutenden, schwarzuniformierten Polizeiarmee eine Truppe schlagkräftiger Soldaten in voller Kampfausrüstung mit Sturm- und Scharfschützengewehren zu machen. Panzerwagen sind nur die nächste logische Eskalationsstufe, und wenn man von den jüngsten Erfolgen der amerikanischen Waffenkonzerne auf dem Gebiet der "Star Wars"-Waffen liest ("Amerikaner bauen Killer-Laser"), weiß man auch, was wohl in der kommenden Zeit auf der heißen Wunschliste der kriegslüsternen, menschenfeindlichen Bande steht.

Doch sie wollen uns ja nur liebevoll beschützen ... und morgen kommt dann der lila Osterhase. Und wie gewohnt wird auch hier über den tatsächlich und alltäglich stattfindenden Terror des kapitalistischen Raubsystems der selbsternannten "Elite", das kontinuierlich und ohne absehbares Ende Millionen von Opfern zur Folge hat (Jean Ziegler spricht hier völlig zutreffend von "Massenvernichtung"), nicht einmal in einer Randnotiz berichtet. Eine solche verquere Welt des totalen Irrsinns muss man sich erst einmal ausdenken - und wieviel Wahnsinn gehört dazu, eine solche perverse Weltsicht dauerhaft nicht nur beizubehalten, sondern sogar stetig zu zementieren?


Montag, 9. März 2015

Jens Berger an der "Einwanderungsrampe": Über Verwertungsschutz und Vorteilssteuerung


Jens Berger hat einen Kommentar zum Entwurf eines neuen Einwanderungsgesetzes der SPD geschrieben - doch was hat dieser Entwurf mit Verkehrsberuhigung zu tun?

Ein Gastbeitrag von Altautonomer.

Bergers Beitrag erscheint auf den ersten Blick sachlich. Man kann über alles reden, ohne Tabus; so sachlich, wie über die Blechlawinen in den Städten geredet werden kann, so sachlich lässt es sich auch über die Zuwanderungs"ströme" diskutieren ...? - Nein. Er denkt dabei nicht an die autofreie Stadt. Er ist kein Autofeind und auch kein Ausländerhasser, denn er weiß, der Kapitalismus braucht sowohl das Auto als auch die Ausländer, um die Mär vom fleißigen Inländer noch ein Weilchen am Leben zu erhalten.

Doch zuviele Autos verstopfen die Straßen, vergiften das Klima, erhöhen das Unfallrisiko und stressen einen Großteil der Bevölkerung ungemein. Wenn man wie Berger sachlich bleibt, bieten sich die Lösungen in der Zuwanderungsfrage förmlich analog an. Verkehrsleitsysteme und Verfahrensbeschleunigung, Parkberechtigungsscheine und Visapflicht, Anwohnerparkplatz und Aufenthaltsrecht, Park & Ride und Außenstellen der Einwanderungsbehörden in Asien, Afrika und Osteuropa, Zufahrtsregelung durch Ampeln auf Autobahnzufahrten und Einwanderungsquoten. [Da fehlt bloß noch die Maut im SPD-Einwanderungskatalog. Anm.d.Kap.]

Erinnern wir uns: Im Sommer 2004 verteidigte Lafontaine (damals WASG) die Pläne von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), in Nordafrika Lager für Flüchtlinge einzurichten, damit diese nicht mehr versuchen, in Booten die italienische Küste zu erreichen. Diese Abschottung gegen Flüchtlinge, für deren Durchsetzung SPD-Politiker wie Dieter Wiefelspütz sogar den Einsatz der NATO forderten, wurde damals von allen Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert.

Der sich heute als Journalist bezeichnende ehemalige Pressereferent eines Versorgungsunternehmens mit BWL-Studium, Jens Berger, leitet seinen Text mit der Formulierung ein, das Thema Einwanderung "offen" diskutieren zu wollen. "Offen" heißt also, dass auch Abschottung, Ausweisung, Abschiebung und befristete Aufenthalte dabei herauskommen können; oder, anders formuliert: Alles ist möglich. Damit will er vermutlich seinen "liberalen und toleranten Diskussionsstil" unterstreichen.

Was er unter Einwanderung und Zuwanderung versteht, differenziert er nicht weiter. Politisch Verfolgte? Kriegsflüchtlinge? Abgelehnte, jedoch "geduldete Asylbewerber" mit "Abschiebungshindernissen"? "Armutsflüchtlinge"? EU-Bürger (die er lediglich in einem anderen Kontext anführt)? Arbeitsimmigranten? - Ebenfalls nicht erwähnt wird die schnöde Tatsache, dass Asylbewerber in den ersten drei Monaten ihres (legalen, also "bewilligten") Aufenthaltes in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen und auch danach nur dann einen Arbeitsplatz annehmen können, wenn es keinen "deutschen Bewerber" gibt.

Sodann versucht Berger mit der Argumentationslogik der Verwertungsideologen und Wohlstands-Chauvinisten die Widersprüche aus dem Inneren des kapitalistischen Hamsterrades dahingehend aufzuzeigen, dass eine "Vorteilssteuerung", wie sie die SPD beabsichtigt, aus ökonomischen Gründen nicht funktieren kann. Die Nützlichkeit eines Menschen wird auch nach Bergers Überzeugung zur Rechtfertigung seines Aufenthaltes in Deutschland - nur eben nicht so, wie sich die SPD das vorstellt. Da hat er effizientere Vorstellungen. Das hat zwangsläufig jedoch immer unmittelbar zur Folge, dass sich der militante Rassismus noch stärker auf diejenigen konzentriert, die als "unnütze Menschen" und Einwanderer durch das Netz der "Fachkräfteauswahl" fallen und in Flüchtlingsheimen zusammengepfercht werden. An ihnen entlädt sich dann erst recht die ganze Wut der vermeintlich zu kurz Gekommenen.

Er stellt nur als Randnotiz den Utilitarismus (als Form eines linken Rassismus) in Frage, weist ihn aber dabei einzig "der Wirtschaft" zu. Am Ende ist auch Berger für "Bereicherung statt Bedrohung": "Und schlussendlich müssen auch Markt und Gesellschaft wieder ins Lot gebracht werden", schreibt er. Wo es dem deutschen Markt mit seinen absurden Exportüberschüssen doch so schlecht geht. Es ist die klassische Linie der SPD-Ausländerpolitik, die Lafontaine im Kopf hatte, der 2005 in Chemnitz sagte, dass der Staat dazu verpflichtet sei zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnähmen. Die NPD wirbt übrigens mit einem ähnlichen Spruch: "Fremdarbeiter stoppen! Arbeit für Deutsche!"

Berger schreibt: "Es ist erstaunlich, dass die Apologeten vom Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nicht einsehen wollen, dass man die vermeintlichen Personalengpässe in der Kranken- und Altenpflege ohne Probleme beheben könnte, wenn man dafür sorgt, dass die Jobs in diesem Sektor ordentlich bezahlt werden." Auch dieses Argument, das wie gewohnt den kapitalistischen Tellerrand nicht zu überwinden vermag, läuft letztendlich darauf hinaus, die "Wohlstandsinsel Germany" gegen jedwede Konkurrenz abzuschotten: Standortnationalismus anstelle einer so dringend notwendigen internationalen Solidarität.

Zum Schluss läuft der Selektionsexperte zur Höchstform auf: "Wer die Frage des Lebensunterhalts komplett ausblendet, sorgt schlussendlich nur dafür, dass Armut einwandert und die Gesellschaft mit den Kosten für diese Armut alleine gelassen wird. Dieser Punkt darf nicht ignoriert werden, sonst spielt man ohne es zu wollen den Rechtspopulisten in die Hände." - Mir fehlen die Worte. [Mir auch. Anm.d.Kap.] - Falsch, Herr Berger: Den Rechten spielt man in die Hände, wenn der Kalauer der "staatlich gewünschten Fachkräfte aus dem Ausland, die deutschen Arbeitern Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen" (der Klassiker neben der "Vergewaltigung deutscher Frauen durch Neger") wieder eine Renaissance erlebt! Oder soll damit gar ausgedrückt werden, dass die Flüchtlinge "selbst schuld" am Verfolgungswahn des Mobs seien?

Natürlich würde sich an einen legalen Daueraufenthalt der Fachkräfte zum Zwecke der Wohlstandsbewahrung des deutsche Volkes zwangsläufig auch die Forderung nach der Integrationsbereitschaft der Einwanderer anschließen. Berger erwähnt aber nicht, dass erfahrungsgemäß auch hier rechtsradikale Ressentiments wie "Gefahr der Durchrassung und Rassenvermischung" bedient werden.