Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
Geplätscher nur vom alten Brunnen tönt.
Wer aber Gast war unter meinem Dache,
Hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.
Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten
Im Traume bist, dass Unruh geht ums Haus,
Der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,
Das helle Plätschern setzt auf einmal aus,
Und du erwachst, - dann musst du nicht erschrecken!
Die Sterne stehn vollzählig überm Land,
Und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,
Der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.
Er geht gleich weiter, und es rauscht wie immer.
O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.
Viel' Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,
Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.
(Hans Carossa [1878-1956], in: "Stern über der Lichtung", Seifert 1946; geschrieben und vermutlich erstveröffentlicht 1910)
Anmerkung: So klingt rückwärtsgewandte Lyrik am Vorabend der Katastrophe - noch beschwichtigend und dennoch die dunkle Ahnung des drohenden Unheils bereits in sich tragend. So gerne ich mich als Leser der wunderbaren Botschaft dieses Gedichtes auch hingeben mag, so realitätsfern und haltlos ist sie, heute wie damals. Vier Jahre nach der Entstehung des Textes knallten die Kanonen und die Zeit des großen Mordens in Europa begann. Ob Carossa, der im Ersten Weltkrieg als Lazarettarzt tätig war und dort gewiss das pure Entsetzen gelernt hat, in jener blutigen Zeit ebenfalls romantische Hymnen rezitiert hat, ist nicht überliefert.
Dennoch liebe ich dieses Gedicht schon seit so vielen Jahren - mit dem Wissen, dass es lediglich eine weitere Form der Realitätsflucht für meinen gehetzten Geist bietet. Der gelegentliche Urlaub vom realen Horror unserer zerbröckelnden Zeit ist überlebenswichtig für mich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen