Samstag, 20. September 2014

Stilblüten des Irrsinns im Untergangstaumel: Der "Aktienmarktsozialismus"


Schon vor einigen Wochen habe ich bei n-tv einen Artikel mit dem Titel "Zu viel Reichtum kostet Wachstum: Die Kritik am Kapitalismus nimmt zu" gelesen, der mich in hysterieähnliche Zustände versetzt hat. Die Autorin, eine gewisse Diana Dittmer, gibt dort - grob vereinfacht - vor, über die "vorhandenen Alternativen" zum zerstörerischen Kapitalismus zu berichten, liefert aber letztlich nur einen Text, der nahezu ausschließlich auf den Aussagen und natürlich "Lösungen" des "Professors der Volkswirtschaftslehre" an der FU Berlin, Giacomo Corneo, und dessen Buch "Bessere Welt - Hat der Kapitalismus ausgedient?" basiert.

Ich habe dieses Buch nicht gelesen und muss das angesichts dieses Artikels auch niemals tun, denn was Frau Dittmer hier daraus zitiert, reicht mir persönlich, um es als Teil des absurden Bullshitbingos im zerfallenden kapitalistischen Systemwahn zu identifizieren.

Aber der Reihe nach: Nach einer halbwegs korrekten Beschreibung der katastrophalen lokalen Ausgangslage des kapitalistischen Systems, wie sie in gewissen, sich kritisch gebenden Medien in der westlichen Demokratiesimulation üblich ist und die wie immer die globalen Auswirkungen, die noch weitaus katastrophaler sind, konsequent außen vor lässt, kommt die Dame gleich zum Wesentlichen, nämlich zur Werbung für Corneos Buch. Sie schreibt:

"In seinem Buch 'Bessere Welt - Hat der Kapitalismus ausgedient?' klopft [Corneo] alternative Wirtschaftssysteme systematisch auf ihre Brauchbarkeit ab. Er prüft Platons Wächterstaat, Thomas Morus' 'Utopia' oder Pjotr Kropotkins anarchistischen Kommunismus, er untersucht Systeme mit und ohne Privateigentum. Er nimmt eine ganze Reihe Ansätze unter die Lupe - auch reformistische. Aber die Ausbeute bleibt ernüchternd. Dem einen fehlt es an Transparenz und Demokratie, das andere ist nicht bezahlbar."

Das war es dann auch schon, was an "Alternativen zum Kapitalismus" in diesem Text vorkommt - irgendwelche Hintergründe, Belege oder gar weiterführende Informationen gibt es für geneigte LeserInnen natürlich nicht. Der Herr Professor hat das alles akribisch untersucht und ist zu dem wissenschaftlich unwiderlegbaren Schluss gekommen: Das ist alles stinkender Mist, den man der Leserschaft gar nicht zumuten darf - und damit sind die "Alternativen" propagandistisch sauber abgearbeitet. Dafür wird nun in aller Ausführlichkeit auf Corneos Thesen eingegangen, die teilweise so abstrus sind, dass reine, unkommentierte Zitate schon ausreichen, um einen denkfähigen Menschen an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu bringen. Ein Beispiel:

"Als Alternative kommt für den Professor der Volkswirtschaftslehre - wenig überraschend - nur ein System mit Privateigentum und Märkten infrage. Märkte sichern Wachstum."

Ja, das ist in der Tat sehr einleuchtend: Wenn ein System, das auf "Privateigentum", "Märkten" und (ganz wichtig) "Wachstum" basiert, immer wieder kollabiert und man die Systemimmanenz dieser Prozesse und deren furchtbaren Auswirkungen endlich, endlich erkannt hat, dann kommt als Alternative natürlich nur genau dies in Frage. Es fällt hier auf, dass der bei der neoliberalen Bande so beliebte Ausdruck "alternativlos" in diesem Falle strikt unterbleibt - man geht jetzt offenbar wieder einmal zum Gegenangriff über und formuliert einfach Pseudoalternativen, die aber nichts anderes als eine leicht umformulierte Kopie des ursprünglichen Irrsinns sind.

Doch das Bullshitbingo geht munter weiter. Dittmer schreibt:

"Wegweiser auf seiner Suche nach einer 'besseren Welt' ist ausgerechnet der von vielen als kapitalistischer Auswuchs angesehene Aktienmarkt. Für Corneo aber liefert er das notwendige Anreizsystem, damit managergeleitete Großunternehmen in einem öffentlichen System effizient handeln. Der Aktienmarkt sorgt für Konkurrenz - diese belebt bekanntlich das Geschäft."

Hier finden wir den Rest des neoliberalen Trallalas in einem kurzen Absatz konzentriert - da gibt es "Anreize", "managergeleitete Großunternehmen" (also Konzerne), die Götter der "Effizienz", des "Aktienmarkts" und der "Konkurrenz" - und natürlich, als über alledem ruhenden göttlichen, unumstößlichen und einzig denkbaren Buddha, das "Geschäft" (also den Profit einer winzigen "Elite"). Jeder einzelne dieser Punkte ist dringend fragwürdig und gehört eigentlich in einen umfassenden, kritischen Diskurs - gerade dann, wenn es um "Alternativen zum Kapitalismus" gehen soll. Hier aber wird natürlich nicht nach Alternativen gefragt, sondern schlicht in semireligiöser Weise das "göttliche Gesetz" des Kapitalismus' verkündet.

Sodann kommen wir zum Orgasmus dieses wunderbaren Textes, wenn wir endlich lesen dürfen:

"Das Modell, das Corneo deshalb vorschlägt, ist ein 'Aktienmarktsozialismus'. Bei diesem Modell soll sich der Staat bei den größten Unternehmen beteiligen. Um die nötigen Anreize zu schaffen, damit effizient gewirtschaftet wird, sollen die Unternehmen börsennotiert sein. Ziel ist es, dass sie so produktiver sind."

Treffer - versenkt. Wir fragen nach alledem schon gar nicht mehr danach, wer denn da an der Börse handelt, woher die Unsummen stammen, die dort täglich den "Besitzer" wechseln, wer die übrigen "Eigner" sind, aus welchen Motivationen diese wenigen Leute das tun und inwiefern ein durch und durch korrupter kapitalistischer Staat wie beispielsweise Deutschland sich da grundlegend anders verhalten sollte als die sonstigen Eigennutzmehrer (also die Weisungsberechtigten dieses Staates), die sich dort tummeln. Für die Wortschöpfung "Aktienmarktsozialismus" gebührt dem ehrenwerten Professor Corneo aber mindestens die Orwell-Plakette in Gold mit schwarz-rot-weißem Lorbeerkranz - im Bedarfsfalle kann man später ja ein kleines oder auch größeres Hakenkreuz noch hinzufügen.

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Die Geschichte vom Wirtschaftsbeirat


"Das Rezept 'Lohnsenkung - Preissenkung' hat versagt, wir erwarten von dem Wirtschaftsbeirat neue Vorschläge!"
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"Endlich ist es uns gelungen, eine neue Lösung zu finden: Nicht 'Lohnsenkung - Preissenkung', sondern Herabsetzung der Löhne und Preise!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 37 vom 14.12.1931)

Dienstag, 16. September 2014

Song des Tages: Smokers Outside The Hospital Doors




(Editors: "Smokers Outside The Hospital Doors", aus dem Album "An End Has A Start", 2007, akustische Version. - Weshalb der Sänger im Video eine Deppenmütze trägt, die seine Ohren verdeckt, und er dennoch einen Kopfhörer auf dem Schädel hat, kann wohl nur die heutige Mainstream-Jugend oder - noch viel besser - die beteiligte Brut der Werbewirtschaft erklären.)

Pull the blindfold down
So your eyes can't see
Now run as fast as you can
Through this field of trees

Say goodbye to everyone
You have ever known
You are not gonna see them
Ever again

I can't shake this feeling I've got
My dirty hands, have I been in the wars?
The saddest thing that I'd ever seen
Were smokers outside the hospital doors

Someone turn me around
Can I start this again?

How can we wear our smiles
With our mouths wide shut
'Cause you stopped us from singing

I can't shake this feeling I've got
My dirty hands, have I been in the wars?
The saddest thing that I'd ever seen
Were smokers outside the hospital doors

Someone turn me around
Can I start this again?
Now someone turn us around
Can we start this again?

We've all been changed from what we were
Our broken hearts left smashed off the floor
I can't believe you if I can't hear you



Anmerkung: Das ist völlig offtopic - aber ich reihe mich nun gezwungener Maßen ein in das Grüppchen der "Smokers outside the hospital doors" (und das leider nicht nur im übertragenen Sinn wie im Song) und melde mich für einige Tage ab. Falls ich das Krankenhaus wieder halbwegs gesund verlasse, lesen wir uns schon bald hier wieder - ich gehe einfach ganz optimistisch davon aus, dass dies schon in kurzer Zeit der Fall sein wird.

Wild wucherndes Unkraut, das den neoliberalen Terror stört, ist hartnäckig! ;-)