Freitag, 17. Januar 2014

Zitat des Tages: Hobbyraum


Meine Söhne, sagt Herr Fahrenkamp, sind wortkarg genug. Ich frage sie dieses und jenes, ich bin kein Unmensch, es interessiert mich, was die Jugend denkt, schließlich war man selbst einmal jung. Wie soll nach Eurer Ansicht die Zukunft aussehen, frage ich und bekomme keine Antwort, entweder meine Söhne wissen es selber nicht oder sie wollen sich nicht festlegen, es soll alles im Fluss bleiben, ein Fluss ohne Ufer sozusagen, mir geht das auf die Nerven, offen gesagt. Darüber, was es nicht mehr geben soll, äußern sich meine Söhne freimütiger, auch darüber, wen es nicht mehr geben soll, den Lehrer, den Richter, den Unternehmer, alles Leute, die unseren Staat aufgebaut haben, in größtenteils demokratischer Gesinnung, aus dem Nichts, wie man wohl behaupten kann, und das ist jetzt der Dank. Schön und gut, sagen meine Söhne, aber Ihr habt etwas versäumt, und ich frage, was wir versäumt haben, die Arbeiter sind zufrieden, alle Leute hier sind satt und zufrieden und was gehen uns die Einwohner von Bolivien an. Ihr habt etwas versäumt, sagen meine Söhne und gehen hinunter in den Hobbyraum, den ich ihnen vor kurzem habe einrichten lassen. Was sie dort treiben, weiß ich nicht. Meine Frau meint, dass sie mit Bastelarbeiten für Weihnachten beschäftigt sind.

(Marie Luise Kaschnitz [1901-1974]: "Steht noch dahin. Neue Prosa", 1970)

Anmerkung: Dieser beeindruckende, lakonische und trotzdem hochexplosive Text der hochverehrten Marie Luise Kaschnitz aus einer vergangenen Zeit, in der es noch eine Jugend gab, auf die man Hoffnungen setzen konnte, sei heute vor allem all jenen blinden Apologeten ans Herz gelegt, die auch heute wieder dumpfe Besitzstandswahrung betreiben und das kapitalistisch verursachte massenhafte Leid in weiter entfernten Regionen der Welt einmal mehr auszublenden versuchen, indem sie es entweder ignorieren oder einfach als "deren Problem" bezeichnen, mit dem "wir" nichts zu tun hätten. Lest dieses Buch und macht Euch den Irrsinn, den Ihr propagiert, bewusst.

Marie Kaschnitz, die zwei Weltkriege, eine Monarchie, eine faschistische Horror-Diktatur und zwei Demokratieversuche hautnah miterlebt hat, deutet den neu aufgesetzten Kapitalismus nach dem zweiten Weltkrieg kurz vor ihrem Lebensende im Jahr 1970 als eine geradezu zwingende Ursache für gewalttätigen Terrorismus, der in der Mitte der "bürgerlichen" Gesellschaft - und gerade nicht an ihren "Rändern" - entsteht. Heute sind wir in diesem bösen Spiel längst einen Akt weiter: der Terrorismus in der westlichen Welt wird nun größtenteils nur noch erfunden und herbeifabuliert bzw. staalich selbst herbeigeführt, um die Menschen stetig weiter ihrer zuvor blutig erkämpften Rechte und Freiheiten zu berauben, während der Großteil der einstmals kritischen Jugend heute längst wie der Rest der Bevölkerung in den klebrigen Netzen des kapitalistischen Konsumwahns gefangen und ruhiggestellt ist.

Ich persönlich sehne mich brennend nach einer Jugend, die sich wieder im Hobbyraum mit "Bastelarbeiten für Weihnachten" á la Kaschnitz beschäftigt, anstatt irgendwelchen hirnrissigen kapitalistischen "Trends" nachzujagen, die sie letztlich zu folgsamen Vasallen und Sklaven dieses perversen Systems machen. Die "Weiße Rose" sollte doch der Maßstab sein und nicht der kapitalistische Dreck. Der Kiezneurotiker schrieb vor einigen Wochen zu diesem Thema (den Link habe ich leider nicht parat, sorry), dass er die nächste Generation da in der Pflicht sieht und sich sinngemäß darauf verlässt, diese würde den kapitalistischen Schlips-Borg das angemessene und längst überfällige Kontra schon entgegenschleudern. Diesen recht positiven Zukunftsglauben teile ich leider nicht - ich fürchte statt dessen, dass der kapitalistische Alptraum nunmehr seiner Vollendung entgegen strebt und dass diesmal tatsächlich das dauerhafte Orwell-System installiert wird.

Ich hoffe selbst inständig, dass ich mich irre.

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Nur Optimismus bringt Rettung!


"Ewig bleibt es ja nicht Winter; sobald das Eis schmilzt, kann ich wieder schwimmen."

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 42 vom 15.01.1933)

Donnerstag, 16. Januar 2014

Coverversion des Tages: Moonlight Shadow




(Deathlike Silence: "Moonlight Shadow", aus dem Album "Saturday Night Evil", 2009)

The last that ever she saw him
Carried away by a moonlight shadow
He passed on worried and warning
Carried away by a moonlight shadow

Lost in a riddle that saturday night
Far away on the other side
He was caught in the middle of a desperate fight
And she couldn't find how to push through

The trees that whisper in the evening
Carried away by a moonlight shadow
Sing a song of sorrow and grieving
Carried away by a moonlight shadow

All she saw was a silhouette of a gun
Far away on the other side
He was shot six times by a man on the run
And she couldn't find how to push through

I stay, I pray, see you in heaven far away
I stay, I pray, see you in heaven one day

4 a.m. in the morning
Carried away by a moonlight shadow
I watched your vision forming
Carried away by a moonlight shadow

Stars move slowly in a silvery light
Far away on the other side
Will you come to talk to me this night
But she couldn't find how to push through

I stay, I pray, see you in heaven far away
I stay, I pray, see you in heaven one day

Caught in the middle of a hundred and five
The night was heavy but the air was alive
She couldn't find how to push through

I stay, I pray, see you in heaven far away
I stay, I pray, see you in heaven one day



Anmerkung: Diese wunderbar frische finnische Version des alten Mike-Oldfield-Klassikers gehört für mich zu den wenigen Ausnahmen der Coverversionen, die das Original noch übertreffen. Die Stimme dieser Sängerin und deren tonaler Bereich sind umwerfend und beeindruckend - und die metallische Instrumentierung, die eigentlich zu diesem "zarten" Song so gar nicht passen sollte, wirkt hier so stimmig, als sei das Stück nie anders konzipiert gewesen.

Über den im Grunde recht dämlichen Text kann man da schon hinwegsehen, finde ich. ;-) Das Video könnt ihr ebenfalls ignorieren - das ist offenbar rein privat und hat mit dem Song nichts zu tun.

Europas "Flüchtlingspolitik": Der Gipfel des Zynismus


Europas Bürokraten haben vergessen, dass auch von hier einmal Millionen Menschen vor Krieg und Verfolgung flüchteten. Jeder Migrant, der sterben muss, ist eine weitere Anklage gegen die aktuelle europäische Zuwanderungspolitik.

(...) Doch die drakonischen Maßnahmen, die Anfang Dezember in Kraft getreten sind, würde ich als den Gipfel des europäischen Zynismus beschreiben. Eurosur genannt, wird das neue europäische Grenzüberwachungssystem mit Drohnen und biometrischen Programmen gegen die illegalen Reisenden im Mittelmeerraum vorgehen. (...)

Es ist an der Zeit, dass die Europäer sich in die historische Situation zurückversetzen, in der sie selbst vor 100 oder mehr Jahren waren. Ich gehe davon aus, dass die Europäer die Migrationsgeschichte ihres Kontinentes nicht vergessen haben. Eine Geschichte, die unabänderlich mit Umsiedlungen und Vertreibungen an anderen Orten dieser Welt verknüpft ist. Die Geschichte von Millionen Europäern, die die Ozeane überquerten auf der Flucht vor Armut und Hungertod, mörderischen Kriegen, religiöser Verfolgung oder der sozialen Ungerechtigkeit. In Irland, Frankreich, Finnland, Norwegen, Italien oder England. / Dass ich die Menschen daran erinnern muss, macht mich traurig. Und ich bin entsetzt darüber, dass man die Versprechungen, die nach den 350 Toten von Lampedusa gemacht wurden, bereits verraten hat.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Dieser Artikel des somalischen Schriftstellers Nuruddin Farah aus der Frankfurter Rundschau trifft den Nagel auf den Kopf und darf getrost als schallende Ohrfeige beispielsweise für die Schmierfinken und Gossentrompeter aus der CDU/CSU gewertet werden, die sich auch weiterhin nicht entblöden, fortdauernd gegen Flüchtlinge zu hetzen. Es ist bezeichnend und extrem beschämend, dass ein solcher notwendiger Aufruf ausgerechnet aus Afrika erfolgen muss, weil sich hier offenbar kein ähnlich prominenter Autor dafür gefunden hat.

Tatsächlich hat sich die europäische "Flüchtlingspolitik", die eher eine Bezeichnung wie "asoziale Politik zur Bekämpfung von Flüchtlingen" verdient, weiter massiv verschärft. Der Autor erwähnt dieses furchtbare Grenzüberwachungssystem namens "Eurosur" selbst, ohne es näher zu beschreiben. Wer diesen Begriff im Netz sucht, wird schnell fündig - nahezu alle Mainstreammedien haben im Dezember darüber - mehr oder meist weniger kritisch - berichtet. Dabei reicht es eigentlich schon aus, kurz das eigene Hirn anzuwerfen, um zu dem logischen Schluss zu gelangen, dass eine solche totalitaristisch anmutende Verschärfung der Grenzkontrollen, die erklärter Maßen der "Abwehr von illegalen Flüchtlingen" [sic!] dienen soll, nicht gleichzeitig auch ein Instrument zur "Rettung von Flüchtlingen" sein kann.

Das Geschwätz der Bürokraten zu diesem Thema ist schon unerträglich genug - noch schlimmer aber wird es, wie immer, wenn jemand von der extremen Rechten dazu etwas in die Welt plärrt, wie es beispielsweise der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hier getan hat: "Das europäische Modell kann ja nicht heißen: Wer es schafft, möglichst in die Nähe europäischer Küsten zu kommen, der hat ein Aufenthaltsrecht in der EU, dem wird geholfen." Welch ein widerliches Menschenbild muss jemand in der begrenzten Enge seines muffigen Schädels ausgebrütet haben, um angesichts des Leids und Elends so vieler hilfesuchender Menschen einen dermaßen zynischen Satz herauszuhauen! Ich frage mich bei solchen Leuten stets, wie dieser Kerl wohl seinerzeit einem aus einem KZ geflohenen Juden begegnet wäre, wenn er ihm über den Weg gelaufen wäre; oder wie er auf die vielen, vielen Schiffsladungen voller meist völlig verarmter Menschen aus Europa reagiert hätte, die seinerzeit in Nordamerika, Australien oder Neuseeland auf der Suche nach einer besseren Zukunft angekommen sind.

Ein "modernes Überwachungssystem" wie "Eurosur" ist natürlich nicht kostenlos zu haben - Wikipedia berichtet dazu: "Mit Stand von Oktober 2013 werden 244 Millionen Euro aus dem Haushalt der Europäischen Union für Installation und Betrieb des Systems bis 2020 bereitgestellt. Kritiker befürchten hingegen, dass das Projekt eher eine Milliarde kosten wird." Da werden ohne großes politisches Schwadronieren hunderte bis eintausend Millionen aus dem Ärmel gezaubert, um möglichst viele Menschen möglichst effektiv daran zu hindern, vor Armut, Hunger, Krieg oder Verfolgung nach Europa zu flüchten - wo sie, wenn sie es dennoch schaffen, mit noch geringeren Hilfen als dem menschenunwürdigen Hartz-Terror-Satz abgespeist und noch dazu in Ghettos, Lagern oder heruntergekommen "Heimen" kaserniert werden, wenn sie nicht sofort im "Abschiebe"-Knast landen. Einen solchen Zynismus muss man in der Tat erst einmal erfinden - dazu gehört schon so viel Niedertracht und Menschenverachtung, dass ich gar nicht ermessen kann, wieviel davon die tatsächliche Umsetzung dieser perversen Strategie wohl erfordern mag.

Nebenbei sollten wir auch bedenken: Ein solches zentralisiertes Super-Überwachungssystem wie "Eurosur" wird mittelfristig selbstverständlich nicht auf die Außengrenzen Europas beschränkt bleiben - ich habe die Jubelhymnen der Überwachungsfetischisten schon im Ohr, wie wunderbar eine solche flächendeckende, zentral erfasste und gespeicherte Überwachung aller BürgerInnen Europas doch wäre, um die Millionen von Terroristen, Pädophilen oder wahlweise "Internet-Kriminellen" endlich dingfest machen zu können. Der Schritt von einem wahnwitzigen, geradezu absurden Konstrukt wie den "illegalen Flüchtlingen" zu so etwas wie "illegalen BürgerInnen" ist nur ein sehr, sehr kleiner.

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Problem "Europa" endlich gelöst!

Nachdem die von allen Nationen beschickte Konferenz
siebenundzwanzig volle Wochen in Permanenz
getagt hatte, ohne eine Lösung der Krise zu finden,
kamen die Herren Delegierten zuletzt überein
und ließen solches durch alle Rundfunksender verkünden -:

Es würde unter den gegebenen Verhältnissen das Beste sein,
Europas Völker zögen mit Kind und Kegel von hinnen
und ließen den alten Kontinent einfach im Stich,
um irgendwo in der Welt, jeder streng für sich,
ein vollkommen neues und besseres Leben zu beginnen.

Der alte Erdteil sei eben ein so hoffnungsloses Terrain,
gedüngt mit Blut, Tränen, Hass und Geschrei,
die Luft verpestet mit kriegerischen Gesängen,
dass nach der einstimmigen Meinung aller Experten
leider nicht die geringste Aussicht vorhanden sei,
es könne hier jemals wieder besser werden.

Über die technische Durchführung des gigantischen Umzugs
habe man sich bereits bis ins kleinste verständigt
und denke sich die Sache etwa so:
Schon übermorgen werden durch Cooks Reisebüro
allen Völkern Pässe und Fahrscheine ausgehändigt.

Bei Inanspruchnahme der gesamten Weltschifffahrts-Tonnage
ist es dann ein leichtes, binnen vier Wochen
Europa völlig zu evakuieren
und die Völker nach ihren neuen Wohnsitzen zu transportieren,
deren Zuteilung wie folgt geschieht:

Die Franzosen wohnen im nördlichen Polargebiet,
die Deutschen, endlich genügend von jenen getrennt,
im großen antarktischen Kontinent,
die Italiener in der arabischen Wüste,
die Jugoslawen an der brasilianischen Küste,
die Österreicher im Feuerland,
die Tschechen am nördlichen Eismeerstrand ...

Auf diese Weise, hofft man, wird es gelingen,
die Völker endlich zur Räson zu bringen;
denn wenn sich keine Reibungsflächen mehr ergeben,
müssen sie doch schließlich in Frieden leben.

(Hans Seiffert [1898-1964], in "Simplicissimus", Heft 19 vom 10.08.1931)

Montag, 13. Januar 2014

Outlast: Wenn der Kapitalismus Profit wittert ... pflastern Leichen seinen Weg


Stell Dir vor, Du bist Journalist - und erfährst von der Existenz einer skurrilen "Nervenheilanstalt", die es in den USA kurz nach dem zweiten Weltkrieg unter maßgeblicher Beteiligung eines deutschen Nazi-"Wissenschaftlers" gegeben und die danach aus mysteriösen, weitgehend unbekannten Gründen als "Privatklinik" eines amerikanischen Konzerns in Zusammenarbeit mit der CIA fortgeführt worden ist, bis es zu einer unerklärlichen Schließung kam, die niemals aufgeklärt worden ist. Damit befindest Du Dich in der Ausgangslage des Computerspiels "Outlast" und machst Dich allein mit einer Videokamera bewaffnet auf den Weg, das alte Gebäude zu besuchen und das Geheimnis seiner Schließung zu ergründen.

(Es folgen jede Menge Spoiler - wer das Spiel selber noch genießen möchte, sollte hier ausdrücklich nicht weiterlesen.)

So beginnt das ultimative Horrorspiel "Outlast", dem ich als bekennender Verehrer (mein Dank gilt meinem Freund Darkmoon) des Spieles "Amnesia - The Dark Descent" hiermit den neuen Status des Maßstäbe setzenden Eckpfeilers dieses Genres verleihen muss. Wer Horrorfilme kennt, wird sich in die Hose machen. Wer Horrorspiele kennt, wird viele Windeln brauchen. Dieses Spiel hat mich an den Rand dessen gebracht, was ich ertragen kann - und verlässt dabei dennoch nie den Realitätsbezug zu unserer gruseligen, kapitalistischen Wirklichkeit, was den Horror erst wirklich glaubhaft macht.

Aber der Reihe nach: Das Spiel fängt, wie so oft, relativ harmlos an: Das Szenario ist gruselig, die Ereignisse sind es noch nicht immer. Das aber steigert sich - und zwar in einem Tempo, das ich so in Computerspielen noch nicht kannte. Die Story entwickelt sich anfangs recht schnell - man stößt immer wieder auf Fundstücke, Dokumente, Akten und Ähnliches und erfährt so nach und nach, was in diesem finsteren Gebäude sowohl kurz nach dem Krieg, als auch später geschehen ist - und es überrascht wohl niemanden, dass keines dieser Ereignisse etwas ist, was man tatsächlich miterleben möchte. Selbstverständlich wird man das meiste aber miterleben, wenn man weiterspielt - wenn auch etwas später und ohne jede Rücksicht.

Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Natürlich spielt der Faschismus hier eine tragende, omnipräsente Rolle - ebenso wie der Kapitalismus, der wie gewohnt auf der Suche nach endlosem Profit ist, woher auch immer er stammen mag und dabei wie gewohnt auch Wege beschreitet, die geradezu und für jeden auch problemlos sofort erkennbar pervers sind. An einer Stelle erfährt man das auch ganz ungeschminkt, wenn man ein Akte findet, in der sinngemäß dokumentiert wird, dass der Konzern die lächerlichen Investitionen für ein paar Ärzte und ein Irrenhaus angesichts der erwarteten Profite höchst gerne getätigt hat. Selbstverständlich werden hier systematisch Menschen gequält, verstümmelt und ermordet, und natürlich geschieht das auch hier aufgrund von dümmlichen Kapitalinteressen - andere nachvollziehbare Gründe gibt es dafür schließlich nicht. Den wirklichen Horror generiert das Spiel aber - abgesehen von den jeweiligen Szenarien, die teilweise extrem gut gelungen sind - aus der zunächst undurchsichtigen Verquickung der Geschehnisse mit einer angeblich "übernatürlichen" Macht aus einem diffusen "christlichen Jenseits". Das klingt im Rahmen dieses verrückten Szenarios erst einmal nicht sonderlich furchteinflößend und erst recht nicht neu - aber am Ende stellt sich das wiederum anders dar, denn da erfährt der Spieler die tatsächlichen Hintergründe: Der gesamte übernatürlich-religiöse Klamauk wurde - wie in unserer realen Welt - einzig für die dummen Opfer der perversen medizinischen Manipulationen erfunden, um ihnen die wahrlich fatalen Auswirkungen des profitorientierten Tuns der "Ärzte" irgendwie glaubhaft zu machen.

Im gesamten Spiel - wie das in "Amnesia" schon vorgemacht wurde - gibt es keine Chance, die gruseligen Monster, die nichts anderes sind als vom kapitalistischen Wahn entstellte Menschen und die dem Spieler an jeder dritten Ecke nach dem Leben trachten, zu bekämpfen. Die einzige Möglichkeit, den Schlächtern zu entgehen, besteht darin, sich zu verstecken oder zu flüchten - und oftmals ist da auch eine durchdachte Strategie notwendig, die vorheriges, manchmal eingehendes Beobachten erfordert. Gelingt die Flucht nicht rechtzeitig, stirbt man - so unbarmherzig wie die perverse Ideologie der Kapitalisten ist auch die Regel dieses Spiels.

Am Schluss bleibt man zunächst ratlos zurück - der Journalist hat seine Aufgabe nicht erfüllt, der Konzern wird nicht zur Rechenschaft gezogen, das System ändert sich nicht - sondern es kommt alles noch viel, viel schlimmer: Der Protagonist wird "assimiliert" und ist fortan ein Teil des perversen Systems. Die Entwickler hätten sich einen noch weniger dem klassischen "Happy End" anmutenden Schluss für ihre finstere, aber so realistische Story kaum ausdenken können.

Wer 20 Dollar übrig hat, sollte sie den UrheberInnen dieser bösen Realitätsdarstellung zukommen lassen, das Spiel selber ausprobieren und die eigenen Windeln mit unerfreulich Riechendem füllen. Angesichts des Themas wäre an dieser Stelle gewiss auch ein Hinweis auf eine kostenlose Version legitim ... nicht aber in diesem verkommenen Staat / System. Hier wird sogar die Kritik am Kapitalismus profitorientiert verwertet und notfalls gerichtlich und staatlich legitimiert durchgesetzt. Wir befinden uns eben längst auf der allerletzten Seite nach dem Nachwort und merken es bloß noch nicht. Wie der nette Journalist zu Beginn in diesem Spiel.