Samstag, 22. November 2014

Song des Tages: Blood On The Rooftops




(Steve Hackett: "Blood On The Rooftops", aus der DVD "Once Above A Time", 2004)

Dark and grey, an English film, the Wednesday play
We always watch the Queen on Christmas Day
Won't you stay?

Though your eyes see shipwrecked sailors you're still dry
The outlook's fine though Wales might have some rain
Saved again.

Let's skip the news, boy (I'll make some tea)
Arabs and Jews, boy (too much for me)
They get me confused, boy (puts me off to sleep)
And the thing I hate, oh Lord!
Is staying up late to watch some debate on some nation's fate.

Hypnotized by Batman, Tarzan, still surprised!
You've won the West in time to be our guest -
Name your prize!

Drop of wine, a glass of beer, dear, what's the time?
The grime on the Tyne is mine all mine all mine ...
Five past nine.

Blood on the rooftops, Venice in the spring
The Streets of San Francisco, a word from Peking
The trouble was started by a young Errol Flynn
Better in my day, oh Lord!
For when we got bored, we'd have a world war, happy but poor ...

So let's skip the news, boy (I'll go and make some tea)
Blood on the rooftops (too much for me)
When old Mother Goose stops and they're out for twenty three
Then the rain at Lords stopped play
Seems Helen of Troy has found a new face again.


Anmerkung: Einige wissen vielleicht, dass der ehemalige Gitarrist von Genesis, Steve Hackett, diesen Song bereits vor Jahrzehnten geschrieben hat und er 1976 auf dem Genesis-Album "Wind & Wuthering" erstmals veröffentlicht wurde. Diese Live-Version von 2004 mit dem Schlagzeuger und Sänger Gary O'Toole sowie dem Saxophonisten Rob Townsend gefällt mir allerdings wesentlich besser als die damalige, von Phil Collins allzu weinerlich und kitschig gesungene Genesis-Variante. Es war sicher kein Zufall, dass Hackett nach diesem Album dem Beispiel Peter Gabriels gefolgt ist und die in immer seichtere Pop-Untiefen abrutschende Band verlassen hat.

Gleichzeitig ist das Stück auch ein wunderbar böser Hinweis auf das leidige Thema des verdummenden Zombie-Fernsehens, dem ich mich momentan mit argen Bauch- und Hirnschmerzen widme, um etwas dazu schreiben zu können. Hacketts Metaphern von Troja und der zugehörigen Helena sind hier nur allzu trefflich gewählt.

Freitag, 21. November 2014

Orwellmania: Die geliebte Presse und die geliebten Hartz-Wohltaten


Der WDR hat einmal mehr investigativen Qualitätsjournalismus betrieben und ein doppelplusgutes Interview mit einem Schlips-Borg vom völlig unabhängigen, hochseriösen "Institut zur Zukunft der Arbeit" zum Thema "10 Jahre Hartz-Terror" geführt. Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen, denn der Leser lernt hier so überaus wichtige Dinge wie zum Beispiel:

  1. "Die Bilanz [nach 10 Jahren Hartz-Terror] ist durchaus positiv".
  2. "Positiv ist, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen (...) stark zurückgegangen sind [sic!]. (...) Negativ ist aber, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen konstant auf hohem Niveau geblieben ist." [Ja, echt!]
  3. "Aber die [Förder-]Instrumente müssen weiterentwickelt werden, noch mehr in Richtung Aktivierung der Langzeitarbeitslosen."
  4. "Nahles hat den Plan, 30.000 Langzeitarbeitslosen den Weg in die Betriebe zu ebnen, durch hundertprozentige Lohnkostenzuschüsse. Die Gefahr ist allerdings groß, dass sich zu wenige Unternehmen finden, die Langzeitarbeitslose einstellen – selbst bei massiver Subventionierung. Das zeigen Modellversuche."
  5. "Immerhin ist durch den Niedriglohnsektor zusätzliche Beschäftigung entstanden."
  6. "Das Wichtige ist nur, dass die Menschen nicht dauerhaft in der Grundsicherung verbleiben (...)."

In einer so komprimierten Form findet man die neoliberale Hasspropaganda eher selten - das "Interview" scheint direkt aus Orwells Liebesroman "1984: Während wir schliefen" entnommen zu sein. Der korrupte Lobbyist lügt dumm und dreist ins Mikrofon und der seriöse öffentlich-rechtliche Sender verbreitet den Schmutz unkommentiert, als stünde die superreiche "Elite" mit gezückter Pistole hinter ihm. Was unterscheidet dieses Land samt seinen Medien doch gleich von einem "Unrechtsstaat"?

Eigentlich hatte ich vor, diese schmierigen Aussagen Punkt für Punkt abzuarbeiten und so ihre Lächerlichkeit aufzuzeigen - je länger ich an diesem Text sitze, desto alberner kommt mir diese Absicht aber vor, denn eine Kommentierung ist hier ja völlig unnötig - der Unsinn entlarvt sich von selbst, auch ohne explizite Hinweise. Letztlich fällt mir dazu nur noch ein Dialog aus Star Trek - Voyager ein:

[Auf der Brücke findet wieder einmal eine Diskussion zwischen Tuvok und Paris statt.]
Paris: Argh! Ich gebe es auf!
Chakotay: Nach zwei Minuten schon? Tuvok, wie machen Sie das?
Tuvok: Ich warte, bis er von seiner eigenen Unlogik überwältigt wird.

Es ist bloß fatal, dass es in Deutschland offensichtlich zu wenige Tuvoks gibt, denn ich gehe jede Wette ein, dass es immer noch Massen von verblödeten, narkotisierten, rein eigenwohlorientierten Deppen da draußen gibt, die weder die grelle Unlogik, noch das völlig Absurde in den zitierten Propagandahülsen entdecken (wollen). Allein das wiederholte Bemühen der infantilen Phrase von der "Aktivierung von Langzeitarbeitslosen" ist dermaßen grotesk, dass meine sprachliche Fantasie schlicht versagt, um das zynisch zu kommentieren. Wer in der heutigen Zeit ernsthaft behauptet, Arbeitslose seien überwiegend selber an ihrer Situation schuld und müssten lediglich "aktiviert" werden, um endlich wieder in der Ausbeutungsmaschinerie einen Platz zu finden, ist nichts weiter als ein übler, menschenfeindlicher Faschist. Dasselbe gilt für die inzwischen schon obligatorische Gleichstellung von Langzeitarbeitslosen mit Suchtkranken.

Der korrupte Schlips-Borg vom Lobbyverein des Kapitals kommt in seinem Sermon zu demselben Schluss, wenn er abschließend bemerkt, dass ja nichts schlimmer sei als der "dauerhafte Verbleib" der Betroffenen außerhalb der Ausbeutung.

Die Hauptsache aber bleibt, dass der WDR wieder einmal ein durch Zwangsgebühren finanziertes Glanzstück des investigativen Journalismus abgeliefert hat - und die Herde wird es auch diesmal brav schlucken und weiterhin "Freiheit" und "Demokratie" mähen, während die Schlachtbank bereits in unmittelbarer Sichtweite ihren Betrieb aufgenommen hat.

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Herbstlied, heute neu

Die Technik schreitet munter fort,
Man sucht den Krebserreger,
Doch haben viele kaum das Geld
Für einen Bettvorleger.

Es dröhnt das blaue Himmelszelt
Vom Lärm der Zeppeline,
Die meisten haben kaum das Geld
Für eine Apfelsine.

Die Mode aber ändert sich,
Es blüht die Leichtathletik.
Die meisten Menschen hätten jetzt
Ein warmes Zimmer nötig.

Die Menschen grübeln vor sich hin,
Es ist bedeutend kälter,
Und außerdem, es kürzt der Staat
Die Löhne und Gehälter.

Die Menschen gehn zum Arbeitsamt.
Sie möchten gerne heizen,
Und pfeifen auf den Herbst mitsamt
Den schönen Farbenreizen.

(Theodor Riegler [18??-1942], in "Simplicissimus", Heft 28 vom 12.10.1931)

Mittwoch, 19. November 2014

Das neoliberale Märchen vom "Wohlstand durch Bildung"


Es ist eine der Lieblingsphrasen der neoliberalen Räuberbande und wird in kurzen Abständen von der versammelten Riege der Politmarionetten und Propagandahuren der Medien in die zerbröckelnde Welt posaunt: Das hochnotpeinliche Märchen vom "Wohlstand durch Bildung". Bildung, so werden sie nicht müde dem staunenden Publikum zu erklären, sei der "Schlüssel" und das einzig wirksame Instrument gegen die unaufhaltsam grassierende Armut. Wie absurd dieses Märchen ist, dürfte ein Großteil der Mitlesenden aus eigener Erfahrung oder anhand einiger Beispiele aus dem eigenen Umfeld bereits erkannt haben, aber die Bande trommelt dennoch munter weiter und vollzieht den mystischen Voodoo-Tanz um die "heilige Bildung" in immer groteskeren Ausformungen, während sie tatsächlich eifrig daran arbeitet, die Bildungsmöglichkeiten in diesem Land nachhaltig zu zerstören.

Zu diesem Thema habe ich kürzlich beim Freitag einen äußerst anschaulichen Text gelesen, den ich heute ausdrücklich empfehlen will, auch wenn er etwas länger ist und etwas mehr Zeit als üblich zum Lesen beansprucht:

"Drum prüfe, wer sich ewig bildet" / Bildungsaufstieg - Arbeits- und Obdachlosigkeit trotz Hochschulabschluss: Für Akademiker wie mich entlarvt sich der propagierte "Fahrstuhleffekt der Bildung" als leere Worthülse.

Die Lektüre lohnt sich sehr. Der junge Autor nimmt das kapitalistische Bildungsmärchen anhand eigener Erfahrungen unter die Lupe und demontiert es in Bezug auf junge Menschen in diesem furchtbaren System nachhaltig. Ich beneide wahrlich niemanden, der in der heutigen Zeit die Universität erfolgreich verlässt und danach gezwungen ist, sich ins kapitalistische Haifischbecken der profitmaximierenden Arbeitskraftverwertung zu werfen.

Allerdings betrifft dieses Problem nicht nur junge Menschen - es gehören zunehmend auch ältere und alte Personen mit guter oder auch sehr guter Bildung zu den "Aussortierten" und "Prekären", völlig unabhängig davon, wie lange sie zuvor als brave Arbeitssklaven den Profit der "Elite" erwirtschaftet haben. Im Rahmen meiner Mitarbeit in einem Bürgerverein, der Hartz-Terror-Opfer unterstützt, sind mir unzählige solcher Menschen begegnet, die aus einem "sicheren" bürgerlichen Leben urplötzlich in die existenzielle Not der staatlich verordneten Zwangsverarmung, Zwangsarbeit und behördlichen Willkür gerutscht sind und daran regelmäßig zerbrechen.

Anders als junge Menschen hat beispielsweise ein Fünfzigjähriger, der zuvor als Ingenieur, angestellter Lehrer oder Verwaltungsangestellter in diesem System tätig war, keinerlei Chance mehr, einen neuen, gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden - die Perspektiven dieser Menschen beschränken sich regelmäßig darauf, sich in der staatlich verordneten Armut und dem damit einhergehenden behördlichen Terror der "Jobcenter" dauerhaft einrichten zu müssen. Was im Text, bezogen auf junge Menschen, beschrieben wird, gilt erst recht für Ältere: Es kommt in der Regel schlicht nicht vor, dass einem Fünfzigjährigen vom "Jobcenter" ein seiner Ausbildung und Erfahrung angemessener Arbeitsplatz "vermittelt" wird - die "Arbeit" der "Jobcenter" beschränkt sich (gewollt) auf Schikane, Drangsalierung, Überwachung und das statistische Verstecken der Betroffenen, indem sie fortlaufend zu lächerlichen "Maßnahmen" und "Fortbildungen" gezwungen werden. Erst vor ein paar Monaten habe ich einen ehemals in einem großen Betrieb als Systemadministrator tätigen Menschen kennen gelernt, der vom "Jobcenter" dazu genötigt werden sollte, an einem "Grundkurs Office-Anwendungen" (Dauer: drei Monate) teilzunehmen. Es war, wie immer in solchen Fällen, eine Anrufung des Sozialgerichtes notwendig, um diesen Irrsinn zu stoppen. Ein anderes Beispiel ist der ehemalige Leiter der Werbeabteilung einer großen Firma, der nach dem Konkurs des Betriebes schließlich ebenfalls beim "Jobcenter" landete, sich auf dessen Geheiß bei einer kleinen Werbeagentur als (unbezahlter) Praktikant bewerben sollte, dies wortgewaltig verweigerte und daraufhin totalsanktioniert wurde. Auch diesen Irrsinn musste ein Sozialgericht beenden. Das sind keine Einzel-, sondern Regelfälle.

Eine gute Bildung ist in diesem kranken System weder für junge, noch für ältere Menschen ein Garant für Wohlstand oder materielle Sicherheit - und die Zahl derer, die aufgrund ihrer Bildung auch heute noch einen halbwegs guten Platz im perversen Ausbeutersystem ergattern können, nimmt genauso ab wie die Qualität der Bildungsmöglichkeiten. Die Zahl der grotesken Fälle wächst dafür stetig - und all das ist kein Zufall und auch kein "Versehen", sondern eines der nicht öffentlich erklärten Ziele des neoliberalen Hartz-Terrors.

Im Kapitalismus war, ist und bleibt einzig die Ausprägung der rücksichtslosen, eigenwohlorientierten, kriminellen Energie das Maß der Dinge, das vielleicht zum perversen Wohlstand auf Kosten aller anderen führt. Bildung hat damit nichts zu tun.

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Folgen der Teuerung


"Ich kann mir keine Zeitung mehr leisten. Ich lese jeden Tag ein Kapitel aus dem Buche Hiob ... da habe ich dasselbe."

(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865–1952], in "Simplicissimus", Heft 5 vom 27.04.1921)

Montag, 17. November 2014

Zitat des Tages: Auf dem Boden des Grundgesetzes


1
Mein Vater ist vor Leningrad erfroren.
Als er im Schneesturm lag, hats ihn entsetzt.
Ich schütz vorm Ostwind meine Ohren.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

2
Ich bin in diese Zeit verschlagen,
noch nicht verkauft, doch schon geschätzt.
Ich tue, was die Herrn mir sagen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

3
Man sagt mir: Leben oder leben lassen!
Wenn man den Fuß auf meinen Nacken setzt,
geb ich mir Müh, mich anzupassen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

4
Ich habe Kalk geschleppt und Kies gefahren,
ich habe Stein auf Stein gesetzt.
Ich hab kein Haus: ich konnt mir keins ersparen.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

5
Am Abend füllt uns meine Frau den Teller:
zuerst den Kindern und sich selbst zuletzt.
Ich les die Zeitung und ich esse schneller.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

6
Durch meine Träume rasselt nachts der Schinderkarren.
Den Henker seh ich, der sein Fallbeil wetzt.
Die Krähen hör ich an den Himmeln schnarren.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

7
Ich frag mich oft, warum ich hier noch bleibe.
Noch ist kein Preis auf meinen Kopf gesetzt.
Noch halt ich mir die Polizei vom Leibe.
Ich bin es nicht, der hier zum Aufruhr hetzt.

(Volker von Törne [1934-1980], in: "Im Lande Vogelfrei. Gesammelte Gedichte", Wagenbach 1981)





Anmerkung: Ein treffendere Beschreibung der narkotisierten Bevölkerungsmehrheit dieses verkommenen Landes ist mir zumindest aus dem Bereich der Lyrik nicht bekannt. Glücklicherweise irren sich die Wikipedia-AutorInnen auch in diesem Fall, wenn sie schlicht behaupten, Törnes lyrisches Werk sei "weitgehend in Vergessenheit geraten" - ganz im Gegenteil erfährt es seit einigen Jahren eine regelrechte Renaissance. Die findet allerdings - wie inzwischen in nahezu sämtlichen kulturellen und künstlerischen Bereichen - tatsächlich weitgehend unter Ausschluss der dumm gehaltenen Öffentlichkeit statt.