Donnerstag, 12. August 2010

Zitat des Tages (55): Aus deutschem Familienleben

Die Süddeutsche Zeitung hat einen Kriegsberichterstatter nach Afghanistan entsandt und dessen Rapport zweiseitig abgedruckt. Im fernen Land bekam der Mann einen Brief zu Gesicht, der einem Obergefreiten von dessen Vater aus der Oberpfalz geschrieben worden war. Darin stehen die Sätze: "Sei auf der Hut. Versetz Dich in die Denkweise des Feindes. Mach es wie ich auf der Jagd. Der Kopfschuss ist auf kurze Distanz das Beste. Deine Ehre heißt Treue. Vergiss das nie!" Die Redaktion hat sie ihren Lesern zur Kenntnis gebracht. Unkommentiert. Wie im gleichen Blatt den Wetterbericht.

(Kurt Pätzold [*1930] im Ossietzky 15/2010)


(Foto: Wikipedia)

USA: Wenn Menschen nur noch Müll sind

Nick Flynn hat seinen verschollen geglaubten Vater durch Zufall in einem Obdachlosenasyl in Boston wiedergefunden. Ein Gespräch mit dem US-Schriftsteller über einen persönlichen Schock, die Verrohung seiner Landsleute und die schmutzigen Praktiken der CIA. (...)

FR: Mr. Flynn, Ihren Durchbruch feierten Sie mit "Bullshit Nights". Das Buch erzählt davon, wie Sie im Obdachlosenheim Ihrer Heimatstadt Boston plötzlich ihrem verschollen geglaubten Vater gegenüber standen. Wie hat Sie das Zusammensein mit Obdachlosen verändert?

Flynn: Diese Zeit prägt mich bis heute. Ich erlebte diese Parallelwelt, die Amerika verbissen verdrängt. Das kam alles näher an mich heran, als ich wollte. Als Vorstand mussten wir zum Beispiel Hausverbote aussprechen, wenn jemand aggressiv war oder im Heim klaute. Im Winter konnte das ein Todesurteil sein. (...)

FR: Aber ist das nicht typisch für alle Millionen-Metropolen?

Flynn: Aber in unseren Städten war es nicht immer so. Ich kann mich noch daran erinnern, dass der Umgang mit Obdachlosen vor 30, 40 Jahren ganz anders war. Als ich Kind war, stieg niemand ungerührt über Obdachlose hinweg, die auf dem Bordstein lagen. Aber als ich 1984 begann, mit Obdachlosen zu arbeiten, war das etwa die Zeit, als Obdachlosigkeit zum Massenphänomen wurde. Wegen Ronald Reagans Wirtschaftspolitik mit starker Umverteilung von unten nach oben, mit Kürzungen von Sozialhilfe und Deregulierung der Wirtschaft. Die Wirtschaft kam in Schwung, aber gleichzeitig waren da über Nacht Massen von Obdachlosen auf den Straßen. Das hätten wir als Nation noch zehn Jahre vorher nicht akzeptiert. Damals setzte die Wende ein: Wir akzeptierten das Inakzeptable.

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Anmerkung: Wie lange wird es wohl in Deutschland dauern, bis Obdachlosigkeit als "Massenphänomen akzeptiert" wird? Schon heute kann man ja immer wieder miterleben, wie diesem Schicksal ("Der ist bestimmt selber schuld!!") mit Teilnahmslosigkeit oder sogar Aggression begegnet wird. Dabei ist es heute leichter als jemals seit 1945, dieses Schicksal zu teilen - Hartz IV hat's möglich gemacht. Und das ist - wie allein schon der Blick nach Amerika zeigt, wo all diese neoliberalen Konzepte ja abgeguckt wurden - kein "Versehen", kein "Zufall", sondern ein konzeptimmanentes Ergebnis.

Und sie sind noch lange nicht fertig damit. Die Zwangsarbeitspläne von der Leyens legen ein Zeugnis darüber ab, und es wird gewiss auch in Deutschland nicht mehr lange dauern, bis die ersten Rufe laut werden, die (an übelste Auflagen gebundene) Sozialhilfe für Menschen (wie in einigen US-Staaten, z.B. Wisconsin üblich) generell auf fünf Jahre zu begrenzen. Was danach mit diesen Menschen geschieht, interessiert den Staat nicht mehr. Immerhin tauchen sie dann auch in keiner Statistik mehr auf - die offiziellen Arbeitslosenzahlen würden also stark zurückgehen.

Einmal mehr muss ich auf diesen alten Telepolis-Bericht aus dem Jahr 2002 verweisen, in dem genau dies angekündigt wird: Roland Koch schaut sich das Zwangsarbeits- und Drangsalierungskonzept in Wisconsin (USA) an und will es in Deutschland einführen - was er ja auch geschafft hat (den Bericht bitte lesen). Daraus geht hervor, dass der "Erfolg" dieses Konzeptes vor allem darin besteht, dass Menschen in großem Stil aus dem Leistungsbezug in die Kriminalität und/oder Obdachlosigkeit gedrängt wurden.

Das war und ist den Herren Schröder, Fischer, Müntefering, Koch und all den anderen Apologeten der "Agenda 2010" bekannt - inzwischen sitzen sie größtenteils auf hochdotierten Wirtschaftsposten und lachen sich einmal mehr ins Fäustchen, das Volk so an der Nase herumgeführt und an und in den Abgrund gedrängt zu haben, während ihre Bankkonten immer fetter werden.

"Wenn Menschen nur noch Müll sind" - das interessiert diese Bande nicht. Das ist Faschismus in seiner reinsten Form. Und die Nachfolger stehen ihnen in nichts nach und machen immer weiter - das Ziel ist schließlich nah.

Öffentlich-rechtlicher Journalismus: Im Würgegriff der Parteien

Medienpolitik: Parteien haben die öffentlich-rechtlichen Sender fest im Griff - Folgen für den Journalismus: Gefälligkeit, Verharmlosung, Bequemlichkeit (...)

Die heutige Journalisten-Generation - in einer Demokratie aufgewachsen - hat sich an die Allmacht der Parteien gewöhnt.

Der öffentlich-rechtliche Journalismus hinterfragt nicht mehr, er ist eingeschüchtert und ergötzt sich an Oberflächlichkeiten und persönlichen Geschichtchen. Wer mit wem und wie? Nach dem Warum wird nicht mehr gefragt. Dabei gäbe es wichtige Fragen: Warum sahen wir bei der Fußball-WM nur jubelnde Fans, die ebenso begeisterten Reportern in die Mikrofone grölten, aber keine Berichte über Rassismus und Doping im Spitzensport? Warum wurde bis heute keines der Finanzderivate, die für die globale Wirtschaftskrise verantwortlich sind, verboten? Ist die neoliberale Ideologie angesichts des Auseinanderdriftens unserer Gesellschaft wirklich noch zeitgemäß? All das sind Fragen, die zumindest eine Betrachtung wert wären - die öffentlich-rechtlich aber niemand stellt. (...)

Journalistische Glanzstücke - die es durchaus gibt - wie das NDR-Magazin "Zapp" oder die Reportagen "Aghet" und "Das Erbe der Quandts" werden lieblos in den dritten Programmen oder nach Mitternacht versendet, also weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um niemandem weh zu tun. Zur besten Sendezeit laufen stattdessen belanglose Schmonzetten, Volksmusik oder pseudopolitische Talkshows, in denen die stets gleichen Gesichter ihre Versatzstücke durcheinander rufen. Die Öffentlich-rechtlichen haben sich in eine ruinöse Abwärtsspirale im Wettbewerb mit den Privatsendern begeben. Bei Sportübertragungen oder im Unterhaltungsbereich sind sie kaum noch von diesen unterscheidbar.

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Anmerkung: Diesem Artikel ist nicht viel hinzuzufügen - auch wenn man sich beim Lesen auch eine Erwähnung der Nachrichtenredaktionen wünscht, die genau demselben "Würgegriff" ausgesetzt sind. Wenn man heutzutage die Tagesschau, die heute-Nachrichten oder die Nachrichten in den dritten Programmen verfolgt, kann man jederzeit die "Linie" feststellen, nach der dort berichtet bzw. verschwiegen bzw. verfälscht wird. Auch die gerne benutzte Argumentation der öffentlich-rechtlichen Sender, dass sie ihrem Informations- und Bildungsauftrag doch nachkämen, indem sie allerlei "Spartensender" anbieten, greift nicht. Wer schaut sich das denn an? Diejenigen, die es in erster Linie erreichen sollte, gewiss nicht - und abgesehen davon ist auch das Programm dieser Spartensender extrem kritikwürdig. Die Öffentlich-Rechtlichen sind größtenteils zu Propagandasendern der neoliberalen Bande mutiert.

Im Artikel heißt es dazu weiter: "Doch so schamlos wie unter der Regierung von Angela Merkel (CDU) hat die Politik ihren Einfluss noch nie ausgenutzt. Es ist eine Politik, die nicht mehr auf die Kraft ihrer Argumente vertraut, sondern die darauf setzt, dass auf den entscheidenden Positionen Getreue sitzen, die den Murks an sich vorbeiwinken. Das ist nicht mehr weit von italienischen oder französischen Verhältnissen entfernt, wo die Regierungen Berlusconi und Sarkozy die öffentliche Berichterstattung weitgehend auf die Linie ihrer Parteien gebracht haben." Überall derselbe Mief.


Mittwoch, 11. August 2010

Zitat des Tages (54): Rudolf Olden

Ich lese in diesem Semester hier über "Rise and Decline of Liberalism in Germany", und ich kann nicht umhin, zu dem Schluss zu kommen, dass wir mit dem Liberalismus dem Nazitum den Weg geöffnet und gebahnt haben.

(Rudolf Olden [1885-1940], in einem Brief aus Oxford an Gabriele Tergit [o.J.], zitiert nach Ossietzky 15/2010, anlässlich der Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main: Rudolf Olden. Journalist gegen Hitler - Anwalt der Republik)


(Foto: Deutsche Nationalbibliothek)

Angekommen in der Postdemokratie

Die Bundeszentrale für Politische Bildung gibt als Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament eine Art Zeitschrift unter dem Titel Aus Politik und Zeitgeschichte heraus. Die Beiträge darin sind in gehobener Wissenschaftssprache gehalten, die Gefahr, dass sie beim Empfängerkreis Aufregung verursachen könnten, ist dementsprechend gering. Aber mitunter ist darin Brisantes zu lesen. So in Heft 2–3/10 in einem Text von Claudia Ritzi und Gary S. Schaal, beide politologisch an der Hamburger Universität der Bundeswehr tätig. Einem Untersuchungskonzept von Colin Crouch folgend beschreiben Ritzi und Schaal, wie sich "politische Führung" in den Staaten des Westens zur "Postdemokratie" hin entwickelt: "Auf der formal-institutionellen Ebene bleiben demokratische Prozeduren erhalten, so dass der Blick von außen, ohne Kenntnis des internen Prozesses, sie für normativ intakt halten würde, das entspricht jedoch nicht der Realität, da sie massiv an Bedeutung für die demokratische Entscheidung verloren haben." Parteipolitik und Wahlkämpfe seien zunehmend von "Inhalten, die später Regierungspolitik programmieren sollen, befreit". Politische Weichenstellungen würden immer mehr von der "Firma" vorgenommen, worunter die Autoren das feste Bündnis von "politischen und ökonomischen Eliten" verstehen. In marktwirtschaftlichen Begriffen gedeutet, handele es sich um einen Schwenk im Politiksystem von der Nachfrage- zur Angebotsorientierung. Die Folge sei, wie Crouch sie schildert, dass "die Bürgerinnnen und Bürger als Demos zwar nicht de jure, aber de facto entmachtet werden". Mit "exit" oder mit "voice" könnten diese dann regieren – indem sie innerlich aus dem Politiksystem in die Politikverdrossenheit auswandern oder indem sie nicht mehr schweigen, sondern sich mit Protest zu Wort melden.

Eine lesenswerte Lagebeschreibung, die da im Fachjargon geliefert wird. "Postdemokratie" als gesellschaftliche Zukunft? Der Begriff verharmlost. "Post" bedeutet, wie der Lateiner weiß, einen Zustand nach dem Ende des vorhergehenden Zustandes. "Postdemokratie" wäre demnach ein politisches Entscheidungssystem, in dem die Demokratie abgeschafft ist, die Verpackung aber die alte bleibt, damit keine Aufregung entsteht.

(Quelle)

Anmerkung: Es ist bewundernswert, eine so hübsche wissenschaftliche Beschreibung des desaströsen Zustandes der demokratischen Welt nun auch in einem Blatt zu lesen, das ausgerechnet von der Bundeszentrale für Politische Bildung - einer staatlichen Institution - herausgegeben wird. Ob das nun ein Versehen war oder nur ein Feigenblatt darstellen soll, weiß man nicht. Allerdings kann man aus diesen schönen wissenschaftlichen Worten auch eines bilden, das die "Postdemokratie" ebenfalls sehr gut charakterisiert: Sie ist nämlich zugleich auch "Präfaschismus".

Besonders gut gefallen hat mir aber die Bezeichnung "das feste Bündnis von 'politischen und ökonomischen Eliten'". Man kann sich auch sehr gewählt ausdrücken, wenn man eigentlich über Lobbyismus, Korruption und Bestechung spricht.

Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt - Erfahrungen aus der Hartz-IV-Welt

  1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ließ die Debatte um Hartz IV hochkochen. Der kleine Sieg, den dieses Urteil darstellt, rief heftige Gegenreaktionen neoliberaler Hardliner hervor, für die jede Form sozialstaatlicher Umverteilung des Teufels ist. Es ist daher verdienstvoll, den aufgebauschten Reportagen über "Sozialbetrüger" Berichte über die tatsächlichen Verhältnisse entgegenzusetzen, unter denen die Mehrzahl der Hartz-IV-Betroffenen gezwungenermaßen leben muss.

    Im Sammelband "Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt" dokumentieren Mitarbeiter karitativer Organisationen ihre Arbeit und lassen zahlreiche Betroffene zu Wort kommen. Gleich eingangs wird die junge Welt zitiert: Die Summe der von Arbeitsagenturen ausgegebenen "Lohnersatzleistungen" sinke von Jahr zu Jahr und sei 2008 so niedrig ausgefallen wie seit 18 Jahren nicht mehr. Als Folge des propagierten "Sozialneides nach unten" werden in dem Band Verzweiflungsausbrüche, Selbstmorddrohungen und Gegengewalt von seiten der Betroffenen dokumentiert.

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  2. Ein "Teufelskreis" ist schon mal per se keiner. Eine Rückkopplungsschleife beschreibt nicht wirklich einen Kreis, und die Unentrinnbarkeit wird spätestens dann von der mystischen Macht zur perfiden Farce, wenn die Bedingungen selbst gemacht und so gewollt sind. Und genau so sind die Hartz-Gesetze angelegt. Eine Schweinerei, deren Strategie darin besteht, Arbeit gleichzeitig zu glorifizieren und faktisch zu entwerten. Derart wird der besitzlose Nichtarbeiter zum Minderleister, der sein Leben nicht verdient hat. Schon zur Strafe drängt man ihn in Beschäftigungsverhältnisse zu Bedingungen, die kein souveräner Arbeiter akzeptieren würde. Womit ein Konkurrenzdruck auf ehemals reguläre Arbeitsverhältnisse entsteht, dem diese kaum standhalten können.

    Anstatt aber diesen Mechanismus zu durchbrechen, setzen die zu kaum mehr als solch zynischer Propaganda fähigen Politikverkäufer noch einen drauf. Mit einem beliebten Slogan hausiert die Bundesarbeitsministerin derzeit wieder: "Hartz IV darf nicht attraktiver werden als Arbeit". Dies freilich ist ein rhetorischer Knoten, der selbst in vier Dimensionen kaum auflösbar wird.

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Anmerkung: Es ist ein bodenloser Skandal, dass dieses "bürokratische Monster" namens Hartz IV vom Bundesverfassungsgericht nicht in Gänze gekippt worden ist. Es ist asozial, es ist faschistoid, es tritt die Menschenwürde und das Grundgesetz mit Füßen. Und die neoliberale Bande feiert es nach wie vor als "großen Erfolg" und spuckt Millionen von Menschen damit offen ins Gesicht. Kürzlich erst kursierte wieder ein grandioser Vorschlag der Sozialverächter durchs Sommerloch, dass für alleinstehende Hartz-IV-Opfer eine Wohnraumgröße von 25 m² doch völlig ausreichend sei. Dass diese Idee auf konkrete Zustände zurückgeht, kann man z.B. hier nachlesen:

"Leben in einem Käfig – freiwillig? In Hongkong leben über 100.000 Menschen in kleinen Käfigen, rund 20.000 von ihnen sind Kinder. Die doppelstöckigen Käfige sind oft nicht größer als zwei Quadratmeter. Eine Ausstellung von Misereor macht jetzt auf die Situation der Menschen aufmerksam."

(zur Fotogallerie)


(Foto: Misereor)

Über die Ökonomie des "guten Lebens"

(...) Setzt Grenzen! Dämmt die Spekulation ein, besteuert endlich Finanztransaktionen. Etabliert strengere Umwelt- und Ethikstandards! – So ist es überall zu hören und zu lesen, wenn kritisch über Wirtschaft diskutiert wird. Aus der Logik des Systems erscheinen diese Regulierungen und Standards überfällig. "Nur ein begrenzter Markt ist ein guter Markt", resümiert der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann in seinem erhellenden neuen Buch "System Error. Warum der freie Markt zur Unfreiheit führt". Nein, nein, "nur die wettbewerbliche Marktwirtschaft schafft persönliche Freiheit", hält der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker in einer Diskussion mit Thielemann in der ZEIT dagegen. So dreht sich die Diskussion im Kreis. (...)

Wir haben eine ganz einfache Frage gestellt: Wie gestaltet sich eine Art des Wirtschaftens, die man nicht mit aller Kraft eingrenzen und regulieren muss, um Schaden abzuwenden, sondern die aus sich selbst heraus das "gute Leben" im Sinn von "Right Livelihood" fördert? Adam Smith, der mit seinem Werk "Der Wohlstand der Nationen" aus dem Jahr 1776 als Begründer der modernen Wirtschaftstheorie gilt, dachte auch an ein gutes Leben. Seine Formel: Wenn jeder nach seinem Eigennutz trachtet, entsteht der größte Wohlstand für alle. Weil es aber im Wettbewerb der Eigennutz-Maximierer Verlierer gibt, ist eben nur ein begrenzter Markt ein guter Markt. – Aber ist nur ein begrenzter Mensch ein guter Mensch?

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Anmerkung: Diese Ansammlung von ersten Gedanken zu einer veränderten Ökonomie kann gut dazu beitragen, die Frage zu klären, wo einjeder selbst in diesem "Spiel der Märkte" steht.

Dienstag, 10. August 2010

Zitat des Tages (53): Als ich Soldat war

Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht.
Auf Schmerz und Tod gab's nur den alten Reim.
Mir schnitt der Stahlhelmriemen ins Gesicht.
Und dass ich lebte, wusste ich es nicht?
Die Verse schliefen irgendwo daheim.
Das Blut floss stumm, gerann zu schwarzem Seim.
Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht.

Als ich Soldat war, sprach ich kein Gebet.
Die ersten schrillen Kugeln trafen Gott.
Die Stimmen starben, die zu ihm gefleht.
Geruch der Toten hat ihn zugeweht.
Befehle jagten mich in irren Trott.
In tausend leeren Fratzen hing der Spott.
Und Gott? - Wir hoffen, dass er aufersteht.

(Wolfgang Bächler [1925-2007]: Die Zisterne. Esslingen 1950)

Anmerkung: "Ich bin", hat [Bächler] einmal geschrieben, "ein Sozialist ohne Parteibuch, ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum ... kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt." (Quelle)


"Pseudopolitik": Warum Anti-Raucher-Hysterie und die Rückkehr der Faschisten zusammenhängen

Vieles, was bis in die neunziger Jahre noch als lustvoll und attraktiv galt, wird heute als anstößig empfunden. Verloren gehen durch die vielen Verbote der Glamour und die Solidarität. (...)

Prof. Robert Pfaller: Unter den gegenwärtigen neoliberalen Bedingungen zieht sich der Staat immer weiter aus gesellschaftlichen Belangen zurück. Die Bevölkerung lebt so im ständigen Gefühl, vom Staat im Stich gelassen zu werden: Soziale Ressourcen werden privatisiert, das gesellschaftliche Feld den Stärkeren überlassen. Hier entsteht ein stark wachsendes Bedürfnis nach mehr Schutz durch den Staat. Wenn es aber darum geht, die Finanzmärkte besser zu kontrollieren, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen an die Universität kommen können, dass die Pensionen garantiert sind, dass niemand Angst haben muss, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, findet die Politik zurzeit keine Mittel. Anstatt dieses Scheitern einzugestehen, wendet sie sich dann Nebenschauplätzen zu und wird dort hyperaktiv. Die Rauchverbote sind ein Beispiel dafür. Dort tut die Politik dann so, als würde sie die Menschen beschützen. Ich nenne das Pseudopolitik. (...)

WOZ: Das Rauchverbot schützt doch immerhin das Personal und die Nichtraucherinnen und Nichtraucher in den Lokalen.

Prof. Robert Pfaller: Oh nein! Die Politik will in Wirklichkeit niemanden schützen, sondern sie will Kosten privatisieren. Das Rauchverbot ist ein Schritt hin zum Ende des Solidaritätsprinzips bei den Krankenkassen. Man will sicherstellen, dass in Zukunft Krankheit als etwas Selbstverschuldetes begriffen werden kann und auch selbst bezahlt werden muss. Wenn im öffentlichen Raum nicht mehr geraucht wird, und Sie kriegen Lungenkrebs, wird Ihre Krankenkasse irgendwann sagen, dass Sie wohl zu Hause geraucht haben. Sie wird sagen: "Sie sind doch selber schuld, und wir bezahlen ihre Krankheit nicht oder nur zu einem kleinen Teil." Das ist der Skandal dabei: Das sehr berechtigte Bedürfnis der Menschen nach staatlichem Schutz wird ausgenützt, um die Menschen wieder einmal staatlicher Solidarität zu berauben.

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Anmerkung: Dieses Interview mit dem Philosophie-Professor Pfaller sei jedem ans Herz gelegt, der sich für die Dinge hinter dem Offensichtlichen interessiert. Besonders anschaulich wird Herr Pfaller, wenn er über den erstarkenden Rechtspopulismus spricht: "Zu Recht fühlen sich viele Menschen von der regierenden Politik betrogen, wenn diese ihnen das Rauchen verbietet, anstatt sich um die existenzbedrohenden Fragen zu kümmern. Davon lebt der Populismus, indem er an die wirklichen Ängste der Leute rührt – aber andererseits die entscheidenden Fragen auch selbst wieder derart verzerrt und deformiert, dass sie nicht triftig werden." Endlich jemand, der es auf den Punkt bringt, was die neoliberale Bande da veranstaltet! Der gute Mann versäumt es zwar darauf hinzuweisen, dass der Rechtspopulismus keineswegs nur Splittergruppen wie DVU, Republikaner oder andere Kleinstparteien umfasst, sondern längst in den "Volksparteien" angekommen ist - aber diese kleine Nachlässigkeit mag man ihm angesichts seiner großartigen Analyse verzeihen.

Lesen, nachdenken - und verstehen.

Verfassungsschutz? - Demokratiegefährder!

Nicht Bodo Ramelow ist eine Gefahr für die Maßstäbe, die das Grundgesetz aufstellt. Sondern jene sind es, die dem Namen nach die Verfassung schützen sollen. (...)

Das Problem ist freilich größer, als es am Beispiel der Linken zu messen wäre. Man kann es mit der heutigen Grünen-Vorsitzenden Renate Künast sagen: "Verfassungsschutzbehörden und Demokratie sind unvereinbar." Ihre Abwicklung wird daher zu Recht gefordert. Wer daran zweifelt, hätte den Anwalt der Schlapphüte hören sollen, der in der Leipziger Verhandlung tatsächlich erklärte, bereits die Bundespräsidentenwahl habe gezeigt, dass die Linke vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsse. Wenn das dem juristischen Vertreter des Geheimdienstes ausreicht, wenn also eine als falsch betrachtete oder strategisch unkluge oder einfach persönlich unpassende politische Haltung schon die Beobachtung und damit öffentliche Diskreditierung rechtfertigen soll, dann ist die Verfassung wirklich in Gefahr.

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Anmerkung: Dieser Kommentar aus dem Freitag ist angesichts des brisanten Themas viel zu harmlos geraten. Das verwundert nicht weiter, denn nicht nur die Linkspartei ist diesem grotesken Szenario ausgesetzt. Auch jedes als "links" eingestufte Medium muss ständig damit rechnen, vom "Verfassungsschutz" überwacht und beobachtet - und ggf. auch bekämpft zu werden. Da verlässt manch einen schnell der Mut.

Dabei bekommen die Bürger ja ständig auf dem silbernen Tablett der Propaganda die schöngeredeten Fakten präsentiert: Wenn das Grundgesetz nicht zu den Plänen der neoliberalen Bande passt, dann wird es eben entweder einfach ignoriert oder passend gemacht. Das betrifft so viele Bereiche - vom Inlandeinsatz der Bundeswehr über die zunehmende Überwachung und ständig steigende Datensammelwut bis hin zu den faschistoiden Hartz-IV-Gesetzen und der über die Hintertür des Lissabon-Vertrages wieder eingeführten Todesstrafe reicht die Palette. Wer also sind die Verfassungsfeinde?

(Satire on) Irgendwie erinnert mich das an das Bild des Kammerjägers, der in der Wohnung steht und sich aufmerksam den großen Käfig mit den gezüchteten Wühlmäusen ansieht und dabei seinen Giftschrank öffnet, während rund um seine Füße und an den Wänden allerlei sechs- und achtbeiniges Krabbelgetier sein Unwesen treibt ... (/Satire off)

Der neue Kolonialismus - Über die Unterwerfung der Schuldnerländer

Die deutsche Regierung lässt gerade einen Eventualplan für in der Krise steckende Länder entwickeln, die ihre Schulden bei den europäischen Banken nicht mehr bedienen können. Der Plan wird von einer kleinen vertraulichen Gruppe von Politikern und Finanzexperten in Berlin erarbeitet. Er würde Regierungen betroffener Länder praktisch das Recht nehmen, über bedeutende Bereiche ihrer Wirtschafts- und Haushaltspolitik selber zu bestimmen. (...)

In den Worten des Berliner Entwurfs "erfordert dieser Prozess eine Einschränkung souveräner Rechte". Die Kontrolle über die Haushaltspolitik würde dann praktisch von "einer Person oder einer Gruppe von Personen, die mit den regionalen Besonderheiten der Schuldnernation vertraut sind", übernommen werden. Dieses "Individuum oder diese Gruppe von Individuen" würden von einem Expertenrat ernannt werden, der in Deutschland als "Berliner Club" bezeichnet wird. (...)

Schließlich enthüllt der deutsche Plan auch noch die völlige Unfähigkeit der herrschenden Elite, mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise im traditionellen Rahmen der bürgerlichen Demokratie umzugehen. Kürzlich gestand Schäuble eine Wahrheit ein, die kein Minister gerne in der Öffentlichkeit eingesteht: nämlich dass die Regierungen ihre Befehle von den Finanzmärkten entgegennehmen. Jetzt fordert Schäuble, um die Banken zufrieden zu stellen, insolvente Länder wie bankrotte Unternehmen zu behandeln, sie in ein Konkursverfahren zu zwingen und ihnen die Bedingungen zu diktieren. Das ist eine Formel für Finanzautarkie und Diktatur.

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Anmerkung: Sie haben nichts, wirklich nicht das geringste aus ihrer Krise gelernt. Sind diese Gestalten wirklich so realitätsfern, demokratiefeindlich und lernresistent (mit einem Wort: dumm) - oder handeln sie trotz besseren Wissens? Diese Frage Albrecht Müllers stellt sich immer öfter: Dumm oder korrupt? Beantworten soll sie jeder selbst, wobei jedoch keine der beiden Alternativen in irgendeiner Weise beruhigend ist.

Es musste als oberste Absurdität dieser Schlusspunkt ja noch kommen, dass sie - nach allen anderen Bereichen des menschlichen Lebens - nun auch ganze Staaten wie "Unternehmen" behandeln und sie ihrer albernen Betriebswirtschaftslehre unterwerfen und der Demokratie berauben wollen. Welch schöne Ideen diese Holzköpfe doch haben. Dann lassen wir Griechenland eben mal bankrott gehen, lösen den Staat auf, schmeißen alle Menschen raus, und die "Gläubiger" teilen den übrig gebliebenen Rest des Landes unter sich auf. Vielleicht dürfen die Griechen danach ja auch wiederkommen - sofern einjeder eine angemessene "Miete" zahlt und noch am Leben ist?

Welch ein grandioser, alptraumhafter Irrsinn.