Samstag, 25. Dezember 2010

Zitat des Tages: Weihnachten

So steh' ich nun vor deutschen Trümmern
und sing' mir still mein Weihnachtslied.
Ich brauch' mich nicht mehr drum zu kümmern,
was weit in aller Welt geschieht.
Die ist den andern. Uns die Klage.
Ich summe leis', ich merk' es kaum,
die Weise meiner Jugendtage:
O Tannebaum!

Wenn ich so der Knecht Ruprecht wäre
und käm' in dies' Brimborium
– bei Deutschen fruchtet keine Lehre –
weiß Gott! ich kehrte wieder um.
Das letzte Brotkorn geht zur Neige.
Die Gasse grölt. Sie schlagen Schaum.
Ich hing' sie gern in deine Zweige,
o Tannebaum!

Ich starre in die Knisterkerzen:
Wer ist an all dem Jammer schuld?
Wer warf uns so in Blut und Schmerzen?
Uns Deutsche mit der Lammsgeduld?
Die leiden nicht. Die warten bieder.
Ich träume meinen alten Traum:
Schlag', Volk, den Kastendünkel nieder!
Glaub' diesen Burschen nie, nie wieder!
Dann sing' du frei die Weihnachtslieder:
O Tannebaum! O Tannebaum!

(Kurt Tucholsky [1890-1935] alias Kaspar Hauser in "Die Weltbühne", Nr. 51 vom 19.12.1918)

Seht, es weihnachtet sehr: US-Armee im Einsatz

Das Leiden der Armen, Beispiel Schweiz

Ein winziges Hotelzimmer, Nummer 203, Hotel du Lac, Wädenswil, Kanton Zürich: Das Zimmer ist sehr schmal, sehr sauber, pastellfarben. Man sieht auf einen Parkplatz, auf Geleise, dahinter liegt als einziger Luxus der Zürichsee. Außer einem Rollkoffer deutet nichts auf die Bewohnerin hin. Dabei lebt Liliane Aeberhard hier seit Monaten. Sie ist 60-jährig, alleinstehend, kinderlos, Sozialhilfebezügerin. Seit Anfang Monat erhält sie keinen Franken mehr von der Sozialhilfe – obwohl die Unterstützung bis Ende Januar 2011 bewilligt wurde. Sie besitzt momentan 68 Franken und 80 Rappen. Sie sagt: "Jetzt muss ich bei Bekannten betteln gehen." (...)

Liliane Aeberhards Leben ist äußerst schwierig. Sie ist kein Einzelfall. Denn Sozialämter können Druck aufsetzen, indem sie Leistungen kürzen oder gar streichen. Das komme immer wieder mal vor, sagt der Leiter des Wädenswiler Sozialamts – etwa, um fehlende Unterlagen einzufordern. Oder eben, um Leute in die Frühpensionierung zu schicken. Dann zahlt nicht die Gemeinde, sondern die AHV. (...)

Übrigens: Die SVP, stärkste Partei im Wädenswiler Gemeinderat, will die Sozialhilfe kürzen und forderte auch schon einen vollamtlichen Sozialdetektiv. Am Geld liegt das nicht: Kürzlich gab der Stadtrat bekannt, dass wegen der guten Finanzlage die Steuern gesenkt werden sollen.

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Anmerkung: Es herrscht überall derselbe neoliberale Ungeist, der vor Menschenverachtung nur so strotzt. Wie kann es nur sein, dass eine soziale Leistung, die als "Existenzminimum" definiert wird (ganz unabhängig von der Höhe), überhaupt verweigert werden darf? De facto bedeutet das, dass man politisch gewollt von Amts wegen einem Menschen die Existenzgrundlage raubt - und das aufgrund "fehlender Unterlagen" oder noch viel geringerer "Vergehen" (wie in Deutschland üblich). Das ist doch unfassbar! Und trotzdem völlig normal - nicht nur in der Schweiz, sondern in großem Ausmaße auch in anderen Ländern, darunter natürlich auch Deutschland.

Was tut nun ein Mensch, dem man die Existenzgrundlage nimmt? In Deutschland ist es dank Hartz so geregelt, dass die "Sanktion" - also der Entzug des lächerlichen monatlichen Geldbetrages - für mindestens drei Monate andauert, und zwar auch dann, wenn das "Vergehen" unmittelbar bereinigt wird, beispielsweise wenn "fehlende Unterlagen" vom Betroffenen nachgereicht werden. Und dieser Mensch soll dann drei Monate lang keine Miete und keine Stromrechnungen mehr zahlen, am Leben nicht mehr teilnehmen, nichts mehr essen ... oder wie denken sich diese Verbrecher das? - So produziert man absichtlich Obdachlosigkeit und Kriminalität - von den gesundheitlichen und psychischen Folgen ganz zu schweigen!

Dass diese Praxis keine finanziellen Gründe hat (was immer noch skandalös wäre), ist ja offensichtlich - Geld ist mehr als genug vorhanden, allerdings nicht für Arme. Man wirft es lieber Millionären und natürlich den Superreichen in den Rachen, die schon lange nicht mehr wissen, was sie mit ihrem vielen Geld noch anfangen sollen. An diesem Beispiel wird die ganze unverhohlene Menschenverachtung der neoliberalen Ideologie deutlich - wirtschaftlich Nutzlose sind keine Menschen mehr und können entsprechend wie Gegenstände behandelt werden: Man rangiert sie einfach aus.

Den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit den Armen, Kranken, Alten und Behinderten umgeht. Gemessen daran ist (nicht nur) Deutschland bald wieder in der Steinzeit angekommen - der neoliberalen Bande sei's gedankt.

Neoliberale Lernresistenz am Beispiel der Süddeutschen

Nach langer Zeit habe ich mal wieder einen kleinen Leserbrief an die Hüterin des neoliberalen Grals, die Süddeutsche Zeitung, geschickt. (...)

Dagmar Deckstein, seit Jahren eine der führenden Protagonistinnen des neoliberalen Systemwechsels, legt in Zusammenarbeit mit ihren beiden Kolleginnen ín Sachen "Rente mit 67", die allen Fakten zum Trotz längst beschlossen ist, noch einmal affirmativ nach (warum eigentlich, die Schlacht ist doch geschlagen?), und dies in völliger Verkennung ihres journalistischen Auftrags mit geradezu peinlicher Verbeugung vor regierungsamtlichen Argumenten, die trotz mannigfaltiger Wiederholung auch nicht richtiger werden.

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Anmerkung: Das ist ein herrlicher Brief, vielen Dank dafür. Allerdings wird er seine Wirkung in der Redaktion der Süddeutschen natürlich verfehlen, denn wenn es dort um Fakten ginge, kämen die Redakteure auch von ganz allein zu den notwendigen Schlussfolgerungen - jene Fakten sind ja nun frei zugänglich und kein gehütetes Geheimnis. Man nimmt sie dort einfach nicht zur Kenntnis - erst recht dann nicht, wenn sie in einem Leserbrief stehen.

Ich glaube indes nicht, dass Deckstein & Co. einfach nur verblendete Dogmatiker sind, die stur an ihrem Glauben festhalten. Ich halte sie vielmehr - wie auch die Mehrheit der neoliberalen Politiker - für egoistische Pragmatiker, denen das eigene Konto wichtiger ist als alles andere, inklusive jedweder Fakten. Andernfalls müsste man diesen Leuten gnadenlose Dummheit oder gar psychische Störungen unterstellen.

Ich hatte dieser Tage im Wartezimmer beim Arzt ein "Focus Special" zum Jahr 2010 in der Hand, das ebenfalls in diese Kategorie der Meinungsmache, wie Albrecht Müller das gerne nennt, fällt. Dort reihte sich tatsächlich ein unfassbarer Text an den anderen - mir kam das vor wie ein Magazin aus einem mir unbekannten Paralleluniversum.

Soviel zu der These, der Journalismus sei eine "Säule der Demokratie" ... eine tolle Demokratie ist das.

Freitag, 24. Dezember 2010

Kapitalismus: Wir könnten auch anders

Warum brauchen wir Wirtschaftswachstum? Weil sonst Firmen sterben. Weil dann Menschen arbeitslos werden, arm und unglücklich. Ist das unausweichlich? Eine Alternative muss her.

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Anmerkung: Dieser schon über ein Jahr alte ausführliche Artikel aus der Zeit stellt keinen Aufruf zur Revolution dar, aber er beleuchtet zumindest einige der Hintergründe, die in unseren Medien ansonsten nicht vorkommen, wie beispielsweise die Struktur unseres Geldsystems und den daraus resultierenden zerstörerischen Wachstumszwang der globalen Ökonomie, während "die Natur schrumpft".

Dennoch geht der Autor in seiner Kritik nicht weit genug, denn er meint allen Ernstes, es könne einen "Kapitalismus ohne Wachstumszwang" geben, dem die jetzt wieder offensichtlich werdende Selbstzerstörungskraft aufgrund des Geldsystems und des Zinses nicht innewohnt. Das halte ich nicht nur für utopisch, sondern auch für grundfalsch, denn an dem herrschenden Klassensystem und den vollkommen ungerechten Besitzverhältnissen würde auch dieser "gute Kapitalismus" nichts ändern.

Die Auseinandersetzung mit dem Text lohnt sich aber in jedem Falle - es stecken gerade zur Kritik der gegenwärtigen grotesken Situation viele gute Denkansätze darin, auch wenn die vorgeschlagenen Lösungen nach meiner Meinung keineswegs ausreichen und teilweise auch in die falsche Richtung gehen. Die Menschheit wäre einen Riesenschritt weiter, wenn sich endlich mehr Menschen - und gerade auch solche, denen es wirtschaftlich noch gut geht - damit auseinandersetzen, welche Katastrophen der Kapitalismus und das Geldsystem in naher Zukunft auch für sie bereithalten.

Exemplarisch sei dieser Absatz zitiert, der in wenigen Worten die fast schon komische Tragik des Kapitalisten umzäunt: "Es ist in diesen Tagen der Weltrezession viel die Rede davon, die Hoffnung auf immer weiter steigenden Wohlstand sei gestorben. Sobald die Wirtschaft wieder anspringt, wird diese Hoffnung zurückkehren. Wenn sich jedoch irgendwann die Polkappen in Wasser verwandelt haben, wird niemand mehr glauben, der freie Markt könne uns reich machen und unseren Kindern außerdem noch eine intakte Welt hinterlassen."

Nur zur Erinnerung: Es wäre bereits heute möglich, allen Menschen auf diesem Planeten ein von materiellen Sorgen freies Leben zu ermöglichen. Der Kapitalismus hat indes dazu geführt, dass nur einer winzigen Minderheit dieses schöne Los zuteil wird, während die überwältigende Mehrheit der Menschheit in jämmerlicher Armut ihr Dasein fristet oder sogar verhungert oder verdurstet. Diese Hierarchien gibt es weltweit in großem und im kleinen Stil: Die wenigen reichen Industrieländer gegen die vielen armen "Entwicklungsländer", die Villen der wenigen Superreichen gegen die Massen der kleinen Wohnungen - und diese Verhältnisse spitzen sich mehr und mehr zu. Nach neoliberalem Irrglauben sind all diese Menschen selbst daran Schuld, dass die Wenigen fast alles und die Vielen nichts besitzen. Einen solchen absurden Irrsinn kann man gar nicht zuende denken, ohne verrückt zu werden.

Denken Sie mal darüber nach, wenn Sie unterm Weihnachtsbaum sitzen oder in der Kirche hören, dass heute der "Erlöser" geboren sei. Er hat die Menschheit irgendwie ziemlich schlecht erlöst, finde ich.

Nochmal über Heitmeyer: Der Hass der Wohlhabenden

Seit 2002 belegt die sogenannte Heitmeyer-Studie auf empirischer Grundlage eine zunehmende "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" im deutschen Durchschnittsbewusstsein. Der neuesten Studie zufolge macht sich nun auch in der sogenannten bürgerlichen beziehungsweise post-bürgerlichen Mitte die Menschenfeindlichkeit auffällig bemerkbar: als ein diffuses Konglomerat aus Ressentiments und dem Wunsch nach Revolte, das sich im Sozialneid von oben ebenso niederschlägt wie im pöbelnden Angriff auf sozial oder als individuell schwächer wahrgenommene Menschen. (...)

In der nunmehr neunten Folge der Untersuchung wurden in diesem Frühsommer 2.000 Personen befragt, wobei diesmal Besser- und Höherverdienende besondere Beachtung fanden. Sie empfinden die gegenwärtige, als "Finanzkrise" wahrgenommene ökonomische Entwicklung als "Bedrohung" für ihren Lebensstandard und reagieren darauf mit einer "aggressiven Stimmung", die sich schließlich – wie die Studie zeigen kann – zum "Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" verdichtet. Dieses "Syndrom" bestehe aus zehn Elementen: aus Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, der Abwertung von Langzeitarbeitslosen, der Abwertung von Behinderten, der Abwertung von Obdachlosen, Islamfeindlichkeit und der Verteidigung von "Etabliertenvorrechten".

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Anmerkung: Dieses Thema habe ich in den letzten Wochen schon zweimal erwähnt, aber dieser Text aus der Jungle World ist der bislang beste, den ich dazu gefunden habe. Wer sich ein relativ tiefgehendes Bild von den Besorgnis erregenden "Deutschen Zuständen" machen möchte, ohne die ganze Studie zu lesen, sollte sich diesen Artikel zu Gemüte führen.

Die Parallelen dieser Entwicklungen heute zu denen der Weimarer Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. Im Text heißt es dazu: "Der ohnehin kursierende Vergleich zur Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre drängt sich anhand der Ergebnisse der Studie auf. Wie die Jahre 1924 bis 1928 bedeuteten auch die Jahre 2003 bis 2008 eine Rückkehr zur 'Normalität'. Dazu gehörte die Restituierung der 'bereits erschütterten Kontinuitätsannahme in der Bevölkerung', nämlich die 'Hoffnung, dass endlich einmal alles so bleiben möge, wie es ist, ein Bedürfnis nach Ruhe, nach stationären Zuständen', wie es Peter Brückner für den Sozialcharakter der Weimarer Republik formulierte." - Was fünf Jahre nach 1928 geschehen ist, ist bekannt. Welche Zukunft wartet wohl auf uns, wenn wir weiter größtenteils tatenlos herumsitzen und abwarten?

Über den Aufenthalt in einer "Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung"

(Blog lesen, beginnend mit Tag 1)

Anmerkung: Ich habe die bislang neun Einträge in diesem Blog, das die Erlebnisse eines Mitbürgers in einer solchen ARGE-"Maßnahme" beschreibt, mit einem Gefühl der wachsenden Bedrückung und Bestürzung gelesen. Die Lektüre sei jedem empfohlen, der mal aus erster Hand erfahren möchte, wie es in einer solchen "Maßnahme" zugeht und wie sinnvoll das ganze ist. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass jeder "Teilnehmer" offiziell nicht mehr als arbeitslos gilt (also aus der Statistik verschwindet), wird die totale Sinnfreiheit noch offensichtlicher.

Wer noch zusätzlich zur ARGE ein Interesse an solchen "Maßnahmen" hat, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt: "Allein im Raum Nürnberg zahlte die Arbeitsagentur 2009 knapp 20 Millionen Euro für Fördermaßnahmen." Und weiter: "Hunderttausende Arbeitslose sind in teuer bezahlten Förderungen vom Bewerbungstraining bis zur Weiterbildung. Doch diese Kurse sind oft Zeitverschwendung. Andere Arbeitslose wiederum kämpfen - vergeblich - für eine für sie passende Qualifizierung." (Quelle) - Rechnen wir diese 20 Millionen Euro aus Nürnberg auf ganz Deutschland hoch und schon kennen wir weitere Gründe, weshalb ein solcher grober Unfug in großem Stil durchgeführt wird und wer davon profitiert. Die Arbeitslosen sind es - selbstverständlich - nicht.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Raubzug der Parteien: Wie sich Fraktionen selbst bedienen



Anmerkung: Bemerkenswert sind die Gesichtsausdrücke der befragten Politiker, die von "genervt" bis zu "das ist doch das Normalste von der Welt" reichen. Diese Damen und Herren müssen in einem Paralleluniversum leben, das mit dem unsrigen nur noch eine letzte Schnittmenge besitzt, nämlich die unseres Steuergeldes, das sie gerne nehmen.

EU-Lebensmittelbehörde von der Industrie unterwandert

Die europäische Lebensmittelbehörde Efsa sei von der mit Genpflanzen experimentierenden Industrie unterwandert. Diesen Vorwurf formuliert jetzt die Expertengruppe Testbiotech, die sich als unabhängiges Institut für die Folgenabschätzung der Biotechnologie versteht. "Es klingt wie eine Verschwörungstheorie, aber wir haben es gut dokumentiert", sagte Testbiotech-Chef Christoph Then am Mittwoch in München.

Der Leiter der Efsa-Expertengruppe für gentechnisch veränderte Pflanzen, Harry Kuiper, und ein weiterer Efsa-Experte seien seit Jahren auch beim Lobbyistenverband Ilsi unter Vertrag. Der wird von Konzernen wie Monsanto, Nestle oder Bayer bezahlt.

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Anmerkung: Ja, so funktioniert der deregulierte Markt eben - es liegt doch auf der Hand, dass solche Zustände dabei herauskommen, wie sie im Artikel beschrieben werden. Wer sich darüber wundert, ist entweder dumm oder naiv. Oder beides.

Bemerkenswert ist erneut, dass die Frankfurter Rundschau es gewissenhaft vermeidet, das Wort "Korruption" zu benutzen - nicht einmal als Zitat kommt es vor. Der Sachverhalt wird statt dessen mit "Interessenskonflikt" umschrieben. - Dessen ungeachtet erzeugt es doch ein herrliches Gefühl von Sicherheit bei uns Bürgern, wenn wir nun wissen, dass die EU-Aufsichtsbehörde für Gen-Pflanzen von Monsanto & Co. kontrolliert wird, oder? Die werden schon nichts tun, was den Menschen oder der Natur schadet ... sie haben doch nur unser Wohl im Sinn ...

An dieser Stelle sollte Gernot Hassknecht übernehmen.

Folgen des Stellenabbau- und Privatisierungswahns: Über das "Schneechaos"

(...) Stellen wir die Uhren doch einmal ein paar Jahre zurück – der Winter 1984/85 war hart und mit einer Durchschnittstemperatur von -2,4° Celsius wesentlich kälter als der letzte Winter. Haupt- und Nebenstraßen konnten damals jedoch von den kommunalen Straßenmeistereien und Bauhöfen zeitnah geräumt und gestreut werden. Größere Probleme auf Straße oder Schiene waren unbekannt – beheizte Weichen und zahlreiche Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn sorgten für einen reibungslosen Betrieb selbst bei "sibirischen Temperaturen". Heute fallen in Berlin bei relativ milden Temperaturen die S-Bahnen wegen zugefrorener Weichen aus, während die Deutsche Bahn AG, die durch die Unterfinanzierung des S-Bahn-Netzes die Verantwortung dafür trägt, von der S-Bahn auch noch "Stellgebühren" für die festsitzenden Züge verlangt. (...)

Waren früher selbst Nebenstraßen um 8:00 Uhr geräumt, so schlittert man heute sogar um 10:00 Uhr noch auf Hauptverkehrsstraßen, da die personell und materiell ausgedünnten Straßenmeistereien und Bauhöfe selbst mit milden Wintern überfordert sind. Dort, wo der Winterdienst privatisiert wurde, sind die Zustände nur noch als Katastrophe zu bezeichnen. Doch die Politik weist sämtliche Zusammenhänge zwischen neoliberalem Privatisierungswahn und dem "Schneechaos" natürlich kategorisch zurück.

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Anmerkung: Dieser Text trifft den Nagel auf den Kopf - absolute Leseempfehlung. Direkt vor der Haustür kann ich exemplarisch zurzeit täglich das Fiasko beobachten: In diesem Stadtteil ist nicht eine einzige Straße geräumt oder gestreut worden, der Schnee türmt sich seit einer Woche, Autos und Busse können aufgrund der teilweise erheblichen Steigungen nicht fahren, der Verkehr ruht weitestgehend. Und wenn gelegentlich doch mal ein Wagemutiger die steilen Berge mit dem Auto befährt, kommt es in schöner Regelmäßigkeit zu Unfällen.

Doch in den Medien - und erst recht in den reißerischen Sondersendungen im Fernsehen zum Thema - wird das einfach ausgeblendet. Der radikale Stellenabbau bei den Kommunen oder gar die Privatisierungen kommen darin schlicht nicht vor. Jens Berger schließt seinen Text mit den Worten: "Aber diese Fragen werden in den Medien schon seit langem nicht mehr gestellt – man nimmt den neoliberalen Wahn vielmehr als Naturereignis wahr und spricht daher auch folgerichtig von wetterbedingten Katastrophen, die bekanntermaßen unabwendbar sind. Die neoliberale Katastrophe ist allerdings nicht unabwendbar." - Das ist prinzipiell richtig. Allerdings ist in den Medien und in der Politik nirgends auch nur der kleinste Hinweis darauf zu erkennen, dass es eine Abkehr vom neoliberalen Wahn geben könnte. Ganz im Gegenteil. Die neoliberale Bande hält weiter stoisch und unbeirrbar ihren Katastrophenkurs aufs Riff.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Sinnlose Wettbewerbe

Je mehr Wettbewerb, umso besser, haben die Neoliberalen jahrelang erfolgreich verkündet. Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigt, dass so maßlos Leerläufe produziert werden. (...)

[Inszenierte Wettbewerbe] entstanden vor dem Hintergrund von simplen Botschaften, welche neoliberale Ökonomen wie Milton Friedman verbreitet haben: Markt ist gut, und Staat ist schlecht. Am Anfang hatten die Friedman-Anhänger wie die Regierung Thatcher zu Beginn der achtziger Jahre die Idee, man könne überall Markt einführen, zum Beispiel auch in der Forschung. Doch es zeigte sich bald, dass die Grundlagenforschung auf diese Weise verschwindet. Also hieß es danach: Wenn schon kein Markt, dann kann man doch wenigstens Wettbewerb einführen, um damit auch ohne Markt Effizienz herzuzaubern.

Man hat nicht gemerkt, dass das eigentlich ein Rückfall in die Planwirtschaft ist. Schon Lenin hat Anfang der zwanziger Jahre gesagt: Jetzt, wo wir die Revolution haben, müssen wir anfangen, den Wettbewerb einzuführen. Damals war Markt aus ideologischen Gründen nicht möglich, aber trotzdem wollte man Effizienz – und ist kläglich gescheitert. (...)

Es gibt ein schönes Beispiel: Wenn man den Kindern Aufgaben gibt und sie frei wählen lässt, wählen sie die schwierigen Aufgaben. Sobald man ihnen aber eine Belohnung in Aussicht stellt, wählen sie die leichten Aufgaben, weil sie die Belohnung bekommen wollen. Es gibt ja schon Ideen, man müsse Schüler, die gut abschneiden, für ihre gute Leistung bezahlen. Auch beim Lernen will man für immer mehr künstlichen Wettbewerb sorgen – da hat man sich ideologisch völlig verrannt.

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Anmerkung: Die Beobachtungen Prof. Binswangers gelten für eine Vielzahl weiterer Bereiche - schließlich erleben wir gerade die totale Ökonomisierung des gesamten Lebens. Man muss sich diese Idiotie immer wieder vor Augen führen, damit man im medialen Propagandagetrommel nicht vergisst, wie strunzdämlich es beispielsweise ist, einen "Wettbewerb" im Gesundheitswesen zu konstruieren: Als ob es Sinn macht, wenn Krankenhäuser untereinander in "Konkurrenz" stünden! Das Ziel sollte doch vielmehr sein, eine flächendeckende, für alle Bürger an allen Orten gleich gute medizinische Versorgung sicherzustellen - was hat da ein "Wettbewerb" verloren? Dasselbe gilt für die vielen Krankenkassen - wozu brauchen wir hunderte von Kassen mit entsprechend vielen überbezahlten Vorständen, Aufsichtsräten etc., die in einen künstlich erzeugten, vollkommen sinnlosen Wettbewerb verstrickt sind? Oder bei der Paketzustellung: Jetzt fahren ein und dieselben Wegstrecken in unseren Städten eben drei oder vier Fahrzeuge unterschiedlicher "Anbieter" ab, um Pakete auszuliefern - das ist auch ökologischer Schwachsinn.

Die Liste ließe sich noch stundenlang fortführen. Was die letzten Jahrzehnte eindeutig gezeigt haben, ist dies: Die neoliberale Ideologie setzt lediglich massenhafte Wettbewerbe nach unten in Gang, die allesamt zum Nachteil der Menschen sind: Die Löhne und Gehälter fallen, Arbeitsstellen werden wegrationalisiert, die Qualität der Produkte und Dienstleistungen sinkt beständig, und auf alle wichtigen "Nebensächlichkeiten" wie z.B. die Ökologie, die Lebensqualität der Menschen, Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Lebens, die Kultur u.v.m. wird keinerlei Rücksicht genommen. Dieses System ist geradezu grotesk.

Und dennoch machen die Marktfetischisten immer weiter ... kein Lebensbereich ist sicher vor ihnen. Das ehemals weltweit geschätzte Hochschulsystem in Deutschland haben sie bereits weitgehend zerstört; das Gesundheitssystem ist auf dem besten Wege dazu, in eine neofeudale Mehrklassenmedizin zurückentwickelt zu werden; das gleiche gilt für das Rentensystem; und all die anderen bereits erfolgten oder in Planung befindlichen "Privatisierungen" der Systeme der öffentlichen Daseinsfürsorge werden ihr Übriges tun.

Und warum das alles? Diese Frage, die von den üblichen Verdächtigen stets mit dem Mantra bedacht wird, "der Markt wird am Ende für alle Verbesserungen bringen", ist so simpel wie erschreckend zu beantworten: Weil die Finanz"elite" daran eine Menge Geld verdient. Einen anderen sinnvollen Grund - insbesondere einen, der für die Mehrheit der Menschen Relevanz besitzt - kann ich nicht ausmachen. In dieser Hinsicht ist Herrn Binswanger also zu widersprechen: Die neoliberale Bande hat sich da keineswegs "ideologisch verrannt" - ganz im Gegenteil: Sie tut das alles in vollster Absicht und mit bewusster Berechnung. Gelegentlich macht einer der Akteure ja einen Fehler und gibt das sogar öffentlich zu, wie es in letzter Zeit z.B. Frau Merkel oder Herr Rösler getan haben.

Fazit: Diese Bande raubt uns aus und zerstört den Planeten - und wir wählen sie auch noch. Die Menschheit muss ein Irrtum der Evolution sein.

Mit gutem Beispiel voran: Ausbeutung im deutschen Bundestag

  1. Das Reichtagsgelände Anfang dieser Woche. Polizisten mit Maschinenpistolen, überall Absperrungen, Kontrollen - Terror-Warnung. Doch nicht nur die Polizei sorgt hier für die Sicherheit, sondern auch private Wach- und Sicherheitsunternehmen. Bei den Schleusenkontrollen zum Beispiel entscheiden sie darüber, wer in die Gebäude des Bundestags rein kommt und was draußen bleiben muss. Viel Verantwortung. Wie aber wird diese Arbeit bezahlt? Darüber will mit uns vor der Kamera lange niemand sprechen. Es herrscht Angst unter den Sicherheitsmitarbeitern, nicht unbedingt wegen der Terrorgefahr. Einer bricht dann doch das Schweigen. Lothar Schmidt macht sich fertig zur Schicht im Reichstag. Sein Arbeitgeber ist nicht der Deutsche Bundestag, sondern eine private Sicherheitsfirma. Zurzeit ist Lothar Schmidt im Bereich der Fahrstühle eingesetzt. Eine Vollzeitstelle. Zu wenig Arbeit hat er also nicht. (...)

    Arbeiten im Reichstag. Für Lothar Schmidt heißt das in Zahlen: Bei 186 Stunden im Monat und 6,25 € in der Stunde bleiben am Ende 895 € netto.

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  2. Die Bundestagsverwaltung soll Scheinselbstständige beschäftigt haben – jetzt klagen frühere Mitarbeiter vor Gericht

    Dem Bundestag droht Ärger vor Gericht: Zwei Abteilungen der Parlamentsverwaltung werden vor dem Berliner Arbeits- und Sozialgericht durchleuchtet. Ehemalige Mitarbeiter behaupten, die Verwaltung habe jahrelang getrickst, um Sozialabgaben zu sparen und ihnen Arbeitnehmerrechte zu verwehren.

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Anmerkung: Da bleibt einem doch die Spucke weg. Dass die neoliberale Bande ein Haufen Wegelagerer ist, ist ja nichts Neues - aber dass sie dies ausgerechnet auch im Bundestag tut, ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten.

Wieviel verdienen die Damen und Herren Beamten und Abgeordneten dort doch gleich? Müssen die trotz ihres Vollzeitjobs auch zum Amt, um dort "aufzustocken"? Ach nein, ich vergaß - Politiker stocken ja auf andere Weise auf, z.B. durch "Nebentätigkeiten" oder Korruption. Was für ein verkommener Haufen.