Samstag, 25. Dezember 2010

Das Leiden der Armen, Beispiel Schweiz

Ein winziges Hotelzimmer, Nummer 203, Hotel du Lac, Wädenswil, Kanton Zürich: Das Zimmer ist sehr schmal, sehr sauber, pastellfarben. Man sieht auf einen Parkplatz, auf Geleise, dahinter liegt als einziger Luxus der Zürichsee. Außer einem Rollkoffer deutet nichts auf die Bewohnerin hin. Dabei lebt Liliane Aeberhard hier seit Monaten. Sie ist 60-jährig, alleinstehend, kinderlos, Sozialhilfebezügerin. Seit Anfang Monat erhält sie keinen Franken mehr von der Sozialhilfe – obwohl die Unterstützung bis Ende Januar 2011 bewilligt wurde. Sie besitzt momentan 68 Franken und 80 Rappen. Sie sagt: "Jetzt muss ich bei Bekannten betteln gehen." (...)

Liliane Aeberhards Leben ist äußerst schwierig. Sie ist kein Einzelfall. Denn Sozialämter können Druck aufsetzen, indem sie Leistungen kürzen oder gar streichen. Das komme immer wieder mal vor, sagt der Leiter des Wädenswiler Sozialamts – etwa, um fehlende Unterlagen einzufordern. Oder eben, um Leute in die Frühpensionierung zu schicken. Dann zahlt nicht die Gemeinde, sondern die AHV. (...)

Übrigens: Die SVP, stärkste Partei im Wädenswiler Gemeinderat, will die Sozialhilfe kürzen und forderte auch schon einen vollamtlichen Sozialdetektiv. Am Geld liegt das nicht: Kürzlich gab der Stadtrat bekannt, dass wegen der guten Finanzlage die Steuern gesenkt werden sollen.

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Anmerkung: Es herrscht überall derselbe neoliberale Ungeist, der vor Menschenverachtung nur so strotzt. Wie kann es nur sein, dass eine soziale Leistung, die als "Existenzminimum" definiert wird (ganz unabhängig von der Höhe), überhaupt verweigert werden darf? De facto bedeutet das, dass man politisch gewollt von Amts wegen einem Menschen die Existenzgrundlage raubt - und das aufgrund "fehlender Unterlagen" oder noch viel geringerer "Vergehen" (wie in Deutschland üblich). Das ist doch unfassbar! Und trotzdem völlig normal - nicht nur in der Schweiz, sondern in großem Ausmaße auch in anderen Ländern, darunter natürlich auch Deutschland.

Was tut nun ein Mensch, dem man die Existenzgrundlage nimmt? In Deutschland ist es dank Hartz so geregelt, dass die "Sanktion" - also der Entzug des lächerlichen monatlichen Geldbetrages - für mindestens drei Monate andauert, und zwar auch dann, wenn das "Vergehen" unmittelbar bereinigt wird, beispielsweise wenn "fehlende Unterlagen" vom Betroffenen nachgereicht werden. Und dieser Mensch soll dann drei Monate lang keine Miete und keine Stromrechnungen mehr zahlen, am Leben nicht mehr teilnehmen, nichts mehr essen ... oder wie denken sich diese Verbrecher das? - So produziert man absichtlich Obdachlosigkeit und Kriminalität - von den gesundheitlichen und psychischen Folgen ganz zu schweigen!

Dass diese Praxis keine finanziellen Gründe hat (was immer noch skandalös wäre), ist ja offensichtlich - Geld ist mehr als genug vorhanden, allerdings nicht für Arme. Man wirft es lieber Millionären und natürlich den Superreichen in den Rachen, die schon lange nicht mehr wissen, was sie mit ihrem vielen Geld noch anfangen sollen. An diesem Beispiel wird die ganze unverhohlene Menschenverachtung der neoliberalen Ideologie deutlich - wirtschaftlich Nutzlose sind keine Menschen mehr und können entsprechend wie Gegenstände behandelt werden: Man rangiert sie einfach aus.

Den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit den Armen, Kranken, Alten und Behinderten umgeht. Gemessen daran ist (nicht nur) Deutschland bald wieder in der Steinzeit angekommen - der neoliberalen Bande sei's gedankt.

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