Samstag, 28. Februar 2015

Realitätscheck (16): Gone Home


Heute gibt's nur einen kleinen Exkurs in die virtuelle Welt, denn das Spiel, um das es geht, ist ebenfalls eher "klein". In "Gone Home", einem 3-D-Adventurespiel in Egoperspektive des kleinen Studios The Fullbright Company aus dem Jahr 2013 schlüpft der Spieler in die Rolle der amerikanischen Studentin Katie, die nach einem einjährigen Aufenthalt in Europa im Jahr 1995 zurückkehrt in die amerikanische Provinz in Oregon zu ihrer typisch amerikanischen (und heute allmählich aussterbenden) "Middle-Class"-Familie. - Es folgen Spoiler - wer das nicht möchte, sollte nicht weiterlesen.



Als Katie mitten in der Nacht an ihrem Elternhaus ankommt, muss sie allerdings feststellen, dass niemand daheim ist, und so macht sich der Spieler daran, das Haus nach und nach zu erkunden und vielfältige Hinweise zu sammeln, was mit den Eltern und der jüngeren Schwester Samantha geschehen ist. Am Anfang ist völlig unklar, in welche Richtung die Geschichte sich entwickeln wird - es wird gekonnt mit verschiedensten Elementen aus dem Adventure-Bereich bis hin zum Horrorszenario gespielt, was dem Spiel eine ganz eigentümliche, sehr spannende Atmosphäre verleiht. Im Grunde ist es aber einfach eine nacherzählte Geschichte, die allerdings mit so vielen Details gespickt ist, dass es trotz des anfänglichen Unbehagens eine helle Freude ist, dem roten Faden zu folgen.

Begleitet wird die voranschreitende Story von gesprochenen Passagen aus dem Tagebuch der Schwester Samantha, von dem Katie im ganzen Haus verstreut immer wieder einzelne Seiten findet. Letzten Endes offenbaren sich hier ganz normale "bürgerliche Abgründe", die das Bild von der "heilen Familie", wie es nicht erst seit 1995 und nicht nur in den USA stets allzu schönfärbend gezeichnet wurde und wird, arg ins Wanken bringt: Der Vater ist arbeitslos; die Mutter macht "Karriere" und geht daraufhin mit einem anderen, nämlich beruflich "erfolgreichen", Mann fremd; die pubertierende Tochter hört Punk-Musik, bekommt schulische Probleme, beginnt eine lesbische Beziehung und flüchtet schließlich aus der "bürgerlichen Hölle".

Das hört sich vielleicht etwas dröge an, ist es aber in keiner Weise: Das kleine Spiel ist eine wahre Perle der verdichteten Atmosphäre, wie ich sie selten zuvor in einem Computerspiel erlebt habe - es ist das Genre-Äquivalent zu einer fesselnden Kurzgeschichte, die altbekannte Horrorelemente zur Veranschaulichung des ganz normalen spießbürgerlichen Horrors unserer zerbröckelnden Zeit benutzt.

Nach drei bis vier Stunden ist das Erlebnis leider schon vorbei - daher halte ich den momentanen Preis für dieses Spiel (20 Euro), trotz aller fast schon perfektionistischer Detailfülle, für sehr überzogen. Wer es selber spielen möchte, sollte also etwas warten - es wird wohl nicht so lange dauern, bis man es wesentlich günstiger bekommen kann. Es lohnt sich in jedem Fall.


Lived long and prospered: Leonard Nimoy ist tot, Spock lebt weiter


Leonard Nimoy ist im Alter von 83 Jahren gestorben. Für mich ist das ein wehmütiger Anlass, meine freie Zeit in den kommenden Tagen und Wochen auch dazu zu nutzen, mir wieder einmal die komplette Spielfilmreihe von Teil 1 bis 10 anzusehen (die beiden fürchterlichen Schrottfilme danach, mit denen jede Vision zu Grabe getragen wurde, gehören selbstredend nicht mehr dazu).



Filmszene aus "Star Trek V: Am Rande des Universums": Kirk, Pille und Spock machen Landurlaub in der Natur und sitzen spät abends am Lagerfeuer. Kirk und Pille stimmen schließlich den alten Kanon mit dem Text an: "Row, row, row your boat gently down the stream. Merrily, merrily, merrily, merrily, life is but a dream." Als später alle drei im Finsteren in ihren Schlafsäcken liegen, entspinnt sich zu einem schwarzen Bildschirm der folgende Kurzdialog:

Spock: Captain?
Kirk: Was ist, Spock?
Spock: Captain, der Text ist Unsinn. Das Leben ist kein Traum.
[Pause]
Kirk: Schlafen Sie, Spock.


Freitag, 27. Februar 2015

Song des Tages: The Human Bondage




(Angel Dust: "The Human Bondage", aus dem Album "Of Human Bondage", 2002)

Out of my darkness it's rising in me
Discovers the feelings hidden so deep
I lose myself

Affection for sadness and longing for pain
I is dividing, deciphers the madness
I lose myself

Oh, the human bondage ...

No way to control it, I have to obey
Just can't deny it, so deep inside me
I lose myself

My personal demon is linking the shades
I could never see, now I know who I am
I see myself

Oh, the human bondage ...

I hate you - I hate you - I hate you -
I am you!

Oh, the human bondage ...


Mittwoch, 25. Februar 2015

"Sprachhygiene": Von Arschlöchern und verknöcherten Zwergen, nicht nur in der Satire


Der geschätzte Satiriker Georg Schramm hat im Rahmen seines jüngsten Auftrittes beim "Politischen Aschermittwoch" in Berlin in seiner Rolle als "Lothar Dombrowski" den ehrwürdigen Herrn Minister Wolfgang Schäuble als "hässlichen, verknöcherten Zwerg" bezeichnet. Ich gebe zu, dass ich beim Ansehen arg geprustet und diese von Schramm gewohnt deutlichen Worte regelrecht gefeiert habe.

Im Anschluss habe ich dazu eine kleine Mailkorrespondenz mit einem anderen Zuschauer dieses Videos geführt, der eine ganz andere Meinung vertrat und in dieser Schramm'schen Bezeichnung gar eine Diffamierung sah, die sich in erster Linie an der körperlichen Behinderung Schäubles orientiere. Ich war zunächst überrascht und erstaunt ob dieser Sichtweise und habe mir darüber einige Gedanken gemacht, die ich hier - falls sich jemand dazu äußern mag - zur Diskussion stellen möchte.

Ich habe beim Ansehen von Schramms Vortrag nicht einmal ansatzweise den Verdacht gehegt, er habe hier die Tatsache, dass Schäuble im Rollstuhl sitzt, für seine satirische Charakterisierung benutzt. Wenn er das tatsächlich hätte tun wollen, hätten sich ganz andere Bezeichnungen angeboten. Eine Wortwahl wie "ein hässlicher, verknöcherter Zwerg" ist - nach meinem Empfinden - völlig unabhängig von einer etwaigen Behinderung des Protagonisten zu betrachten: man könnte einen neoliberalen Hardliner wie Schäuble mit Fug und Recht exakt genauso charakterisieren, wenn er nicht behindert wäre.

Zur Satire gehört seit Urzeiten auch eine Überzeichnung von physischen Merkmalen - ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals jemand Anstoß daran genommen hat, beispielsweise Kohl als "den Dicken" oder als "Birne" zu bezeichnen. Und diese Bezeichnungen beinhalten, ganz im Gegenteil zu Schramms Formulierung, noch nicht einmal irgendwelche satirische Mehrdeutigkeiten.

Das Thema "Sprache" und deren Gebrauch ist sehr wichtig für mich, was angesichts meines Berufes, der mit Sprache und Musik unmittelbar zusammenhängt, auch nicht weiter verwundert. Ich persönlich habe beispielsweise überhaupt keine Probleme mit Wörtern wie "Neger", "Mohr", "Zigeuner" oder auch "Michel". Eine mit solchen Begriffen einhergehende gedankliche Ab- oder auch Aufwertung findet ja nun stets im Schädel des Rezipienten statt, und für mich sind diese Wörter schlichtweg neutrale Bezeichnungen ohne jedwede Wertung. Das mögen andere Menschen anders empfinden, gewiss - allerdings beschränkt sich dieses Phänomen ja nicht auf eine bestimmte Auswahl von Begriffen, sondern betrifft die gesamte Sprache. In den USA beispielsweise war es in gewissen faschistischen Kreisen in den 60ern und 70ern üblich, Schwarze als "Afro-Amerikaner" zu bezeichnen, was damals eigentlich ein gängiger, sozialwissenschaftlicher Begriff war. Der eine Amerikaner hat diesen Begriff damals also neutral-wissenschaftlich benutzt, während ein anderer ihn bereits rassistisch belegt hatte. Wer will nun festlegen, ab wann ein Begriff nicht mehr benutzt werden darf, da er "rassistisch" sei?

Rassistisch ist stets nur das Denken - einzelne Wörter werden dafür lediglich, je nach Bedarf, und gerne auch je nach Gruppe unterschiedlich, instrumentalisiert.

Nach meinem Dafürhalten macht es überhaupt keinen Sinn, einen Begriff, der von manchen ZeitgenossInnen abwertend benutzt wird, einfach durch einen neuen Begriff, der aber exakt dasselbe bezeichnet, zu ersetzen. Wir erleben das gerade wieder hautnah: Das Wort "Asylant" beispielsweise hat in Deutschland in gewissen Kreisen längst eine abwertende, negative Konnotation - es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis auch dieses Wort in den Reigen der "rassistischen" Begriffe aufgenommen wird. Bereits heute kommt es im "politisch korrekten" Sprachgebrauch allenfalls noch in abgeschwächter Form ("Asylbewerber") vor; meist wird es aber schon ersetzt durch Synonyme wie "Flüchtling" oder "Migrant".

Davon abgesehen erfahren Wörter oftmals eine von der eigentlichen Bedeutung abgekoppelte Entwicklung. Ein plakatives Beispiel dafür ist die heute gängige Beschimpfung "Pisser". Jeder Mensch muss schließlich urinieren, und dennoch wird dieses Wort heute gemeinhin als Beleidigung benutzt und aufgefasst - mir erschließt sich das allerdings nicht, denn ich lasse regelmäßig Wasser und dies meist auch sehr gerne; ich bin demnach mehrmals täglich ein "Pisser". Dasselbe gilt für Bezeichnungen wie "Wichser" etc. Da kommen wieder ganz andere Aspekte ins Spiel, die den BenutzerInnen eines solchen Wortes meist nicht bewusst sind, nämlich die psycho-soziale Konditionierung, in der menschliche Ausscheidungen wie Kot, Urin, Schweiß oder auch Sperma als etwas generell Abstoßendes empfunden werden. Ein anderes Beispiel ist die Beschimpfung "Opfer" - ein versierter Psychologe könnte sicher sehr erhellende Bemerkungen dazu verfassen.

All das hat freilich auch Auswirkungen auf Satire. Wie kommt man darauf, eine Bezeichnung wie "hässlicher, verknöcherter Zwerg" für eine widerliche Figur wie Schäuble als rassistisch oder behindertenfeindlich aufzufassen? Ich hätte es vielleicht etwas weniger poetisch ausgedrückt und den Mann einfach ein "autoritäres, habgieriges, korruptes Arschloch" genannt. Wäre das vielleicht weniger diffamierend gewesen? Und ab wann ist eine Diffamierung eigentlich "erlaubt" bzw. auch nötig, um das tatsächlich schäbige, gar menschenfeindliche Tun einer Person zu illustrieren bzw. anzuprangern?

Ich persönlich nehme in dieser Hinsicht inzwischen kein Blatt mehr vor den Mund und schäme mich nicht, solche Menschen, die ich als Arschlöcher erkannt zu haben glaube, auch als solche zu bezeichnen. Und derer gibt es in den politischen Schergenreihen gar viele. Auch ein Rollstuhlfahrer, eine Übergewichtige, ein Hässlicher oder eine Dumme kann ein Arschloch sein - und wir sollten uns davor hüten, diesen Umstand verschweigen zu wollen.

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Die Nutznießer


"Janz recht hat er, der amerikanische Koofmich - das Pack soll sparen. Wir Staatserhaltenden kommen ja ooch immer zu kurz!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 35 vom 28.11.1927)

Dienstag, 24. Februar 2015

Zeitzeugen sprechen über Auschwitz (10): Schnipsel des alltäglichen Horrors


Der folgende Text besteht aus kurzen Auszügen aus den Zeugenaussagen der Holocaust-Überlebenden Georg Severa und Paula Rosenberg, die im Rahmen des sogenannten 1. Frankfurter Auschwitzprozesses am 06.08.1964 und 24.09.1964 dokumentiert wurden. Die kompletten Aussagen können - ebenso wie unzählige weitere Zeugenaussagen - auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts nachgelesen und auch im Original angehört werden.

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Georg Severa:

Und als ich in den Bunker kam, da hat immer ein deutscher Artist [namens Bruno Graf] uns verschiedene Schlager gesungen und gesagt, dass er im Stehbunker ist und Schlage ihn zum Verhungern verurteilt hatte. [...] [Denn] der Schlage war in dieser Zeit in Urlaub, und da haben andere Häftlinge, die Kalfaktoren, die den Bunker da [...] betreut haben, ihm etwas zum Essen und immer zum Trinken gereicht. Und als Schlage aus dem Urlaub wieder retour kam, da hat er sich gewundert, dass dieser Häftling noch am Leben ist. [...] Und diese Häftlinge hat er beschuldigt, dass sie ihm Essen gegeben haben. [...] Als er aus dem Urlaub kam, hat er dann aufgepasst, damit er keine Nahrung mehr bekommt, dieser Häftling. [...] Der hat uns immer verschiedene Schlager vorgesungen, und mit jedem Tag war er immer schwächer, so dass er dann zum Schluss nur so gebrüllt hat wie ein Tier vor Hunger, und an einem Sonntag im Februar, da war er schon tot, da hat [man] ihn [...] herausgezerrt aus diesem Stehbunker.

[...]

Ja, das kann ich bezeugen mit reinem Gewissen, denn selbst in diesem Todesbunker waren auch größere Zellen, wo auch manchmal 30 Menschen eingepfercht wurden, die auch vor Hunger sterben mussten.

[...]

[In] Gleiwitz wurden die schwachen Häftlinge, die sozusagen arbeitsunfähig beziehungsweise sehr mager waren, ausgewählt. Und zwar mussten sie nackt durchgehen durch den Entkleidungsraum und das Bad. [...] Und da haben der Angeklagte Klehr und noch andere mit dem Lagerleiter Otto Moll die Leute ausgesucht. Die mageren, abgemergelten Menschen ausgesucht und nur die Nummern aufgeschrieben. Und dann mit der Zeit kam ein Lastwagen, und da wurden diese aufgeschriebenen Häftlinge dann nach Auschwitz gebracht [und vergast].

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Paula Rosenberg:

Ich hatte in der Erregung etwas vergessen, was für mich der schrecklichste Eindruck war, als ich in das Lager Birkenau kam. Wir sind aus dem Zug ausgestiegen, schon, wie ich vorhin geschildert habe, dass wir voneinander getrennt wurden, und gingen dann ins Lager. Plötzlich kam ein Auto angefahren mit einem SS-Offizier, und der Reifen platzte an dem Auto. Und wir mussten dieses Auto schieben. Also Sie wissen ja, dass eine Blocksperre war, wenn Transporte ankamen, und dass kein Häftling [seine] Baracke verlassen durfte. Aber ein Häftling stand vor der Baracke. Da stand ein Strauch vor dieser Baracke und dahinter eine Frau, ein Häftling. Und sie zeigte uns wie ein Tier – also, ob wir was zu essen hätten. Eine Kameradin, die noch eine Konserve aus dem Zug mitgenommen hatte, die warf ihr das zu. Der SS-Mann, der hat nicht gesehen, wer das geworfen hat, aber dass der Häftling was aufgenommen hat. Er zog seinen Revolver und schoss auf diese Frau, ja, er traf sie mitten ins Gesicht, und sie stürzte blutüberströmt zusammen.

Das war mein erster, also der zweite schreckliche Eindruck nach dem Aussuchen zu den Selektionen. Ich hatte sehr große Angst, ich war ja damals noch fast ein Kind, und das war mein erster Eindruck. Und ich muss sagen, im Lager selbst habe ich so viel Schreckliches gesehen, was man also kaum beschreiben kann. Ich war auch Augenzeuge davon, wie viele, viele Menschen für die Vergasung ausgesucht wurden. Denn es waren fast täglich Appelle, und jeder Appell war praktisch damit verbunden, dass für die Selektion ausgesucht wurde.

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Die Auschwitz-Ärzte des Todes



(Dokumentation von Emil Weiss, 2012)

Montag, 23. Februar 2015

Zitat des Tages: Die Maulwürfe


Die Maulwürfe, oder:
Euer Wille geschehe!


I
Als sie, krank von den letzten Kriegen,
tief in die Erde hinunterstiegen,
in die Kellerstädte, die drunten liegen,
war noch keinem der Völker klar,
dass es ein Abschied für immer war.

Sie stauten sich vor den Türen der Schächte
mit Nähmaschinen und Akten und Vieh,
dass man sie endlich nach unten brächte,
hinab in die künstlichen Tage und Nächte.
Und sie erbrachen, wenn einer schrie.

Ach, sie erschraken vor jeder Wolke!
War's Hexerei oder war's noch Natur?
Brachte sie Regen für Flüsse und Flur?
Oder hing Gift überm wartenden Volke,
das verstört in die Tiefe fuhr?

Sie flohen aus Gottes guter Stube.
Sie ließen die Wiesen, die Häuser, das Wehr,
den Hügelwind und den Wald und das Meer.
Sie fuhren mit Fahrstühlen in die Grube.
Und die Erde ward wüst und leer.

II
Drunten in den versunkenen Städten,
versunken, wie einst Vineta versank,
lebten sie weiter, hörten Motetten,
teilten Atome, lasen Gazetten,
lagen in Betten und hielten die Bank.

Ihre Neue Welt glich gekachelten Träumen.
Der Horizont war aus blauem Glas.
Die Angst schlief ein. Und die Menschheit vergaß.
Nur manchmal erzählten die Mütter von Bäumen
und die Märchen vom Veilchen, vom Mond und vom Gras.

Himmel und Erde wurden zur Fabel.
Das Gewesene klang wie ein altes Gedicht.
Man wusste nichts mehr vom Turmbau zu Babel.
man wusste nichts mehr von Kain und Abel.
Und auf die Gräber schien Neonlicht.

Fachleute saßen an blanken, bequemen
Geräten und trieben Spiegelmagie.
An Periskopen hantierten sie
und gaben acht, ob die anderen kämen.
Aber die anderen kamen nie.

III
Droben zerfielen inzwischen die Städte.
Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette.
Die Menschheit hatte die große Wette
verloren, und Pan war wieder allein.

Der Wald rückte näher, überfiel die Ruinen,
stieg durch die Fenster, zertrat die Maschinen,
steckte sich Türme ins grüne Haar,
griff Lokomotiven, spielte mit ihnen
und holte Christus vom Hochaltar.

Nun galten wieder die ewigen Regeln.
Die Gesetzestafeln zerbrach keiner mehr.
Es gehorchten die Rose, der Schnee und der Bär.
Der Himmel gehörte wieder den Vögeln
und den kleinen und großen Fischen das Meer.

Nur einmal, im Frühling, durchquerten das Schweigen
rollende Panzer, als ging's in die Schlacht.
Sie kehrten, beladen mit Kirschblütenzweigen,
zurück, um sie drunten den Kindern zu zeigen.
Dann schlossen sich wieder die Türen zum Schacht.

(Erich Kästner [1899-1974], in: "Die kleine Freiheit. Chansons und Prosa 1949-1952", dtv 1989; erstmals Atrium 1952)