Der geschätzte Satiriker Georg Schramm hat im Rahmen seines jüngsten Auftrittes beim "Politischen Aschermittwoch" in Berlin in seiner Rolle als "Lothar Dombrowski" den ehrwürdigen Herrn Minister Wolfgang Schäuble als "hässlichen, verknöcherten Zwerg" bezeichnet. Ich gebe zu, dass ich beim Ansehen arg geprustet und diese von Schramm gewohnt deutlichen Worte regelrecht gefeiert habe.
Im Anschluss habe ich dazu eine kleine Mailkorrespondenz mit einem anderen Zuschauer dieses Videos geführt, der eine ganz andere Meinung vertrat und in dieser Schramm'schen Bezeichnung gar eine Diffamierung sah, die sich in erster Linie an der körperlichen Behinderung Schäubles orientiere. Ich war zunächst überrascht und erstaunt ob dieser Sichtweise und habe mir darüber einige Gedanken gemacht, die ich hier - falls sich jemand dazu äußern mag - zur Diskussion stellen möchte.
Ich habe beim Ansehen von Schramms Vortrag nicht einmal ansatzweise den Verdacht gehegt, er habe hier die Tatsache, dass Schäuble im Rollstuhl sitzt, für seine satirische Charakterisierung benutzt. Wenn er das tatsächlich hätte tun wollen, hätten sich ganz andere Bezeichnungen angeboten. Eine Wortwahl wie "ein hässlicher, verknöcherter Zwerg" ist - nach meinem Empfinden - völlig unabhängig von einer etwaigen Behinderung des Protagonisten zu betrachten: man könnte einen neoliberalen Hardliner wie Schäuble mit Fug und Recht exakt genauso charakterisieren, wenn er nicht behindert wäre.
Zur Satire gehört seit Urzeiten auch eine Überzeichnung von physischen Merkmalen - ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals jemand Anstoß daran genommen hat, beispielsweise Kohl als "den Dicken" oder als "Birne" zu bezeichnen. Und diese Bezeichnungen beinhalten, ganz im Gegenteil zu Schramms Formulierung, noch nicht einmal irgendwelche satirische Mehrdeutigkeiten.
Das Thema "Sprache" und deren Gebrauch ist sehr wichtig für mich, was angesichts meines Berufes, der mit Sprache und Musik unmittelbar zusammenhängt, auch nicht weiter verwundert. Ich persönlich habe beispielsweise überhaupt keine Probleme mit Wörtern wie "Neger", "Mohr", "Zigeuner" oder auch "Michel". Eine mit solchen Begriffen einhergehende gedankliche Ab- oder auch Aufwertung findet ja nun stets im Schädel des Rezipienten statt, und für mich sind diese Wörter schlichtweg neutrale Bezeichnungen ohne jedwede Wertung. Das mögen andere Menschen anders empfinden, gewiss - allerdings beschränkt sich dieses Phänomen ja nicht auf eine bestimmte Auswahl von Begriffen, sondern betrifft die gesamte Sprache. In den USA beispielsweise war es in gewissen faschistischen Kreisen in den 60ern und 70ern üblich, Schwarze als "Afro-Amerikaner" zu bezeichnen, was damals eigentlich ein gängiger, sozialwissenschaftlicher Begriff war. Der eine Amerikaner hat diesen Begriff damals also neutral-wissenschaftlich benutzt, während ein anderer ihn bereits rassistisch belegt hatte. Wer will nun festlegen, ab wann ein Begriff nicht mehr benutzt werden darf, da er "rassistisch" sei?
Rassistisch ist stets nur das Denken - einzelne Wörter werden dafür lediglich, je nach Bedarf, und gerne auch je nach Gruppe unterschiedlich, instrumentalisiert.
Nach meinem Dafürhalten macht es überhaupt keinen Sinn, einen Begriff, der von manchen ZeitgenossInnen abwertend benutzt wird, einfach durch einen neuen Begriff, der aber exakt dasselbe bezeichnet, zu ersetzen. Wir erleben das gerade wieder hautnah: Das Wort "Asylant" beispielsweise hat in Deutschland in gewissen Kreisen längst eine abwertende, negative Konnotation - es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis auch dieses Wort in den Reigen der "rassistischen" Begriffe aufgenommen wird. Bereits heute kommt es im "politisch korrekten" Sprachgebrauch allenfalls noch in abgeschwächter Form ("Asylbewerber") vor; meist wird es aber schon ersetzt durch Synonyme wie "Flüchtling" oder "Migrant".
Davon abgesehen erfahren Wörter oftmals eine von der eigentlichen Bedeutung abgekoppelte Entwicklung. Ein plakatives Beispiel dafür ist die heute gängige Beschimpfung "Pisser". Jeder Mensch muss schließlich urinieren, und dennoch wird dieses Wort heute gemeinhin als Beleidigung benutzt und aufgefasst - mir erschließt sich das allerdings nicht, denn ich lasse regelmäßig Wasser und dies meist auch sehr gerne; ich bin demnach mehrmals täglich ein "Pisser". Dasselbe gilt für Bezeichnungen wie "Wichser" etc. Da kommen wieder ganz andere Aspekte ins Spiel, die den BenutzerInnen eines solchen Wortes meist nicht bewusst sind, nämlich die psycho-soziale Konditionierung, in der menschliche Ausscheidungen wie Kot, Urin, Schweiß oder auch Sperma als etwas generell Abstoßendes empfunden werden. Ein anderes Beispiel ist die Beschimpfung "Opfer" - ein versierter Psychologe könnte sicher sehr erhellende Bemerkungen dazu verfassen.
All das hat freilich auch Auswirkungen auf Satire. Wie kommt man darauf, eine Bezeichnung wie "hässlicher, verknöcherter Zwerg" für eine widerliche Figur wie Schäuble als rassistisch oder behindertenfeindlich aufzufassen? Ich hätte es vielleicht etwas weniger poetisch ausgedrückt und den Mann einfach ein "autoritäres, habgieriges, korruptes Arschloch" genannt. Wäre das vielleicht weniger diffamierend gewesen? Und ab wann ist eine Diffamierung eigentlich "erlaubt" bzw. auch nötig, um das tatsächlich schäbige, gar menschenfeindliche Tun einer Person zu illustrieren bzw. anzuprangern?
Ich persönlich nehme in dieser Hinsicht inzwischen kein Blatt mehr vor den Mund und schäme mich nicht, solche Menschen, die ich als Arschlöcher erkannt zu haben glaube, auch als solche zu bezeichnen. Und derer gibt es in den politischen Schergenreihen gar viele. Auch ein Rollstuhlfahrer, eine Übergewichtige, ein Hässlicher oder eine Dumme kann ein Arschloch sein - und wir sollten uns davor hüten, diesen Umstand verschweigen zu wollen.
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Die Nutznießer
"Janz recht hat er, der amerikanische Koofmich - das Pack soll sparen. Wir Staatserhaltenden kommen ja ooch immer zu kurz!"
(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 35 vom 28.11.1927)
6 Kommentare:
Asylant ist bereits ein rechter Kampfbegriff, denn er assoziert in seiner Abstraktheit und Anonymität eine kritische Masse nebst Weltuntergangsszenarien und Überschwemmungsmetphern. Wirtschaftsflüchtling ist da schon ehrlicher und differenzierter, denn die gibt es ja wirklich. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Flüchtling aus der ehemaligen DDR als Asylant bezeichnet wurde. Da steckt durchaus eine gewisse Ideologie hinter.
Krüppel, Zigeuner, Bastard (nichteheliches Kind), Mongoloismus (Trisomie 21 eine Volkskrankheit der Mongolen?), Fräulein (Herrlein Brüderle), bis zur Vergasung, Fitschi, Kanake ("Mensch"), Schlitzauge, Endlösung, entartet und Neger gehörten noch nie zu meinem Sprachschatz, seit ich in politischer denkender Mensch bin. Für mich gibt es absolut keinen Grund, welche unverzichtbare Zusatzinformation über einen Nachbarn, Kunden, Kollegen, Polizisten, Schüler oder Kassierer mit dem Verweis auf die Hautfarbe als Neger verbunden ist, außer der Implementierung von Norm und Abweichung, Mehrheitsgesellschft und Minderheiten.
Ähnlich verhält es sich bei den Behinderten bzw. Menschen mit Handycap oder speziellen Fähigkeiten. Zyniker würden behaupten, dass diese ja wie normale Menschen behandelt werden wollen und deshalb auch mit vergleichbaren Beleidigungen, Verhöhnungen und Beschimpfungen überzogen werden dürfen. Für mich gilt das nicht, wenn die Behinderung Gegenstand des Humors, der Satire bzw. der Häme ist. Schäuble ist kein A...loch wegen seine Behinderung, sondern wegen seiner Funktion als Minister. Schröder und Fischer waren A....-löcher, obwohl sie -anders als Gabriel - schlank waren. Gabriel ist ein A.....loch, nicht weil er dick ist, sondern weil ihn eine ganz bestimmte niederträchtige Verhaltensweise auszeichnet.
Das französische Substantiv für Pisser heißt übrigens La Fontaine.
Charlie, genau diese Diskussion hatten wir erst gestern beim Klaus Baum. Ich sehe das genau so wie du.
Worin ich aber nicht mit dir übereinstimmen kann, seit ich das Buch "Deutschland schwarz weiß" von Noah Sow gelesen habe, ist die Benutzung der Wörter Neger oder Mohr...Die schwarze Schriftstellerin bringt überzeugend rüber, warum sie als Betroffene, diese Begriffe als sehr rassistisch empfindet und geht in ihrem Buch auch weit in die Geschichte zurück.
Ich habe mir übrigens vorher auch nichts dabei gedacht. Nach Lesen des Buches war ich peinlich berührt.
@ Ruby: Ich benutze diese Begriffe auch nicht, sondern wollte lediglich darlegen, dass sie für mich persönlich keine Wertung enthalten. Selbstverständlich respektiere ich es, wenn gerade diejenigen Menschen, die selbst damit gemeint sind, das anders empfinden.
Die Frage, die ich mir gestellt habe, habe ich mir selbst aber noch immer nicht beantworten können:
"Und ab wann ist eine Diffamierung eigentlich 'erlaubt' bzw. auch nötig, um das tatsächlich schäbige, gar menschenfeindliche Tun einer Person zu illustrieren bzw. anzuprangern?"
Liebe Grüße!
@ Altauto: Kann es sein, dass Du und möglicherweise auch andere KritikerInnen schlicht das Wörtchen "verknöchert" ein wenig missverstanden habt? Ich zitiere zur Definition mal aus dem Duden:
"Bedeutung: geistig unbeweglich; starr in seinen Ansichten
Synonyme: geistig unflexibel / unbeweglich / starr, störrisch;
halsstarrig, starrköpfig, starrsinnig, verstockt; dogmatisch; stur, verbohrt"
Es handelt sich doch um ein Adjektiv, das sich auf eine rein geistige Charakterisierung beschränkt und nichts mit körperlichen Merkmalen zu tun hat. Mir ist erst jetzt aufgefallen, dass dieser naheliegende Umstand offenbar nicht allen KritikerInnen wirklich klar ist. Anders kann ich mir die gesamte Diskussion nicht so recht erklären.
Deine Übersetzung von "La Fontaine" finde ich übrigens äußerst kreativ und humorvoll - geradezu sprudelnd -, danke dafür. ;-)
Liebe Grüße!
Ergänzend dazu (auch für Ruby evtl. interessant), eine Replik auf die Behauptung, "schwarz" als Wortverbindung (Scharzarbeit, Schwarzfahren, schwarze Mesen usw.) sei wegen seiner negstiven Konnotation rassistisch und daher aus der Umgangssprache zu tilgen:
"Am Beispiel des »Schwarzen« und dem Umgang mit der Sprache verdeutlicht sich der ganze geistige Zustand der hiesigen Linken. Es zeigt sich nicht nur die Geschichtsvergessenheit der Protagonisten, sondern die ganze »Debatte« ist Ausdruck tief verankerter Halbbildung. Diese wiederum bedeutet ja eben nicht, nichts zu wissen, sondern vielmehr zu glauben, alles besser zu wissen, und dies auch beständig artikulieren zu müssen. In der Forderung, dieses eine Präfix aus der Sprache zu tilgen, drückt sich der Wunsch aus, Sprache selbst und was sie dem Menschen gegenüber auszeichnet, auszulöschen."
Trotz der mir unbekannten Begriffe wie Morphem, Lexem, Metonyme ist dieser Text gut verständlich aufgearbeitet und veranlasste mich zu einer selbstkririschen Auseinandersetzung mit meiner bisherigen Denkweise darüber.
http://jungle-world.com/artikel/2015/09/51535.html
Die enorme Länge des nicht nur für Sprachwissenschaftler interessanten Textes zeigt wieder einmal, wie vieler Argumente es bedarf, um irgendeine unreflektierte Behauptung historisch, linguistisch und soziologisch zu widerlegen.
Für mich dann ein Sinti&Romaschnitzel bitte
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