Montag, 23. Februar 2015

Zitat des Tages: Die Maulwürfe


Die Maulwürfe, oder:
Euer Wille geschehe!


I
Als sie, krank von den letzten Kriegen,
tief in die Erde hinunterstiegen,
in die Kellerstädte, die drunten liegen,
war noch keinem der Völker klar,
dass es ein Abschied für immer war.

Sie stauten sich vor den Türen der Schächte
mit Nähmaschinen und Akten und Vieh,
dass man sie endlich nach unten brächte,
hinab in die künstlichen Tage und Nächte.
Und sie erbrachen, wenn einer schrie.

Ach, sie erschraken vor jeder Wolke!
War's Hexerei oder war's noch Natur?
Brachte sie Regen für Flüsse und Flur?
Oder hing Gift überm wartenden Volke,
das verstört in die Tiefe fuhr?

Sie flohen aus Gottes guter Stube.
Sie ließen die Wiesen, die Häuser, das Wehr,
den Hügelwind und den Wald und das Meer.
Sie fuhren mit Fahrstühlen in die Grube.
Und die Erde ward wüst und leer.

II
Drunten in den versunkenen Städten,
versunken, wie einst Vineta versank,
lebten sie weiter, hörten Motetten,
teilten Atome, lasen Gazetten,
lagen in Betten und hielten die Bank.

Ihre Neue Welt glich gekachelten Träumen.
Der Horizont war aus blauem Glas.
Die Angst schlief ein. Und die Menschheit vergaß.
Nur manchmal erzählten die Mütter von Bäumen
und die Märchen vom Veilchen, vom Mond und vom Gras.

Himmel und Erde wurden zur Fabel.
Das Gewesene klang wie ein altes Gedicht.
Man wusste nichts mehr vom Turmbau zu Babel.
man wusste nichts mehr von Kain und Abel.
Und auf die Gräber schien Neonlicht.

Fachleute saßen an blanken, bequemen
Geräten und trieben Spiegelmagie.
An Periskopen hantierten sie
und gaben acht, ob die anderen kämen.
Aber die anderen kamen nie.

III
Droben zerfielen inzwischen die Städte.
Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette.
Die Menschheit hatte die große Wette
verloren, und Pan war wieder allein.

Der Wald rückte näher, überfiel die Ruinen,
stieg durch die Fenster, zertrat die Maschinen,
steckte sich Türme ins grüne Haar,
griff Lokomotiven, spielte mit ihnen
und holte Christus vom Hochaltar.

Nun galten wieder die ewigen Regeln.
Die Gesetzestafeln zerbrach keiner mehr.
Es gehorchten die Rose, der Schnee und der Bär.
Der Himmel gehörte wieder den Vögeln
und den kleinen und großen Fischen das Meer.

Nur einmal, im Frühling, durchquerten das Schweigen
rollende Panzer, als ging's in die Schlacht.
Sie kehrten, beladen mit Kirschblütenzweigen,
zurück, um sie drunten den Kindern zu zeigen.
Dann schlossen sich wieder die Türen zum Schacht.

(Erich Kästner [1899-1974], in: "Die kleine Freiheit. Chansons und Prosa 1949-1952", dtv 1989; erstmals Atrium 1952)




2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kästners Bücher wurden damals verbrannt. Wenn man DAS ließt weiss man auch, warum.

Charlie hat gesagt…

@ Anonym: Yeah, und Du hättest damals gewiss einen hübschen SS-Schergen abgegeben, sofern Du nicht "versehentlich" selbst interniert oder gleich ermordet worden wärst, gelle.

Manchmal glaubt man es einfach nicht, wie unglaublich dämlich Menschen sein können.