Donnerstag, 14. Januar 2010

Afghanistan: Bischöfin Käßmann verärgert die Kriegstreiber

  1. Deutschlands oberste Protestantin, Margot Käßmann, hat ihrem Land zu Beginn des Jahrzehnts die Leviten gelesen. Doch Regierung und Opposition kritisieren die Abwendung der EKD-Vorsitzenden vom Afghanistan-Einsatz. Die Bischöfin vertritt die "Position der Linkspartei", bemängelt [sic!] ein SPD-Politiker. (...)

    "Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. (...) Es ist nicht alles gut, wenn so viele Kinder arm sind im eigenen Land. (...) Nichts ist gut, Erschrecken ist angesagt, wenn ein Spitzensportler Angst hat, seine Depression offiziell behandeln zu lassen. (...) Nichts ist gut, wir erschrecken, wenn wir erkennen, wie bei uns eine solche Atmosphäre der Gnadenlosigkeit herrscht und alle immer stark sein müssen – wie unmenschlich!" So liest Deutschlands oberste Protestantin ihrem Land zu Beginn des Jahrzehnts [endlich!] die Leviten.

    (Weiterlesen)


  2. Nachdem ich die Neujahrspredigt von Margot Käßmann in Gänze gehört habe, ist meine Empörung über die Empörten – vom Christdemokraten Wolfgang Schäuble bis zum Grünen Ralf Fücks – grenzenlos. Das sei eine "zur Routine gewordene Unart, im Brustton der höheren Moral politische Handlungsanweisungen zu erteilen", wird die Bischöfin belehrt. Mit ihrer Predigt käme sie nicht "über gut gemeinte Banalitäten hinaus". Man finde "Tagespolitik statt Transzendenz", so Ralf Fücks. Thomas Schmid unterstellt in der Welt gar, Käßmann glaube, "die Parlamentarier, die diesen Einsatz beschlossen haben, seien gedankenlose Kriegstreiber". Im Übrigen eben: "Hochmut von der Kanzel". (...)

    Nicht anders als verkommen sind publizistische und politische Sitten zu nennen, die dazu führen, eine solche Botschaft misszuverstehen, um draufhauen zu können. Als ob hier eine "jubelnde Linke" dieser klugen, selbstbewussten, so nahe bei den Menschen predigenden Bischöfin die Hand geführt hätte. Die Aufregung hat etwas mit dem schlechten Gewissen der so pragmatisch-schlauen Truppen-Entsender zu tun, die offenbar mit ihrem kriegerischen Latein am Ende sind.

    Wer aber, wenn nicht die Kirche, darf und muss rechtzeitig ein deutliches, diplomatisch nicht entschärftes Wort sagen: christlich und vernünftig, mutig ohne moralischen Hochmut, so fantasievoll wie realitätsbezogen. "Gesegnet sind die, die Frieden schaffen". Auch auf der anstehenden Afghanistankonferenz.

    (Weiterlesen)


  3. Der gesamte Text der in Rede stehenden Predigt kann hier nachgelesen werden.

Schweinegrippe: WHO der Korruption verdächtigt

Plötzlich ist die Schweinegrippe, die monatelang die Schlagzeilen beherrschte, von der medialen Bildfläche verschwunden. Wie die Vogelgrippe vor kurzem in China, ist die in einem mexikanischen Dorf aus der Taufe gehobene Volkskrankheit und zum Schreckgespenst erklärte weltumspannende Seuche in der Bedeutungslosigkeit versunken. Leicht erklärlich, so teilt Peter Frühwald, einer der drei Bundesvorsitzenden der Allianz für Bürgerrechte (Allianzpartei), am Mittwoch in Berlin mit. Die Pharmaindustrie habe nämlich inzwischen die raffiniert über die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die in den jeweiligen Staaten global eingefädelten und mit großen Medienkampagnen begleiteten Verträge über Impfstoffe längst abgeschlossen und die Profite inzwischen zum größten Teil eingefahren. Die Restgewinne werden bis 2012 garantiert, zumindest in Deutschland. Denn die Bundesregierung und vor allem die Regierungen der 16 Bundesländer haben sich vor den Pharmakonzernen besonders tief verneigt und ihnen sehr großzügig aus Steuermitteln die Gelder zugeschoben. Sie sichert das zu, ob die Impfstoffe gebraucht werden oder nicht. Tatsächlich besteht kaum Bedarf. Nur rund ein Zehntel der Deutschen hat sich impfen lassen. Die bundesdeutschen Landesregierungen bleiben auf den ohnehin sehr umstrittenen Pharmaka sitzen und versuchen sie nunmehr ihrerseits andernorts abzustoßen. Die Österreicher waren schlauer. Sie bezahlen nur die Impfstoffe, die tatsächlich verwendet werden.

(Weiterlesen)

Luxussteuer: "Steuer auf Yachten und Schmuck"

Union und FDP verschärfen die soziale Spaltung, sagen die Verteilungsforscher Joachim Frick und Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Deshalb fordern sie die Luxussteuer.

taz: Viele Bürger halten die Zustände in Deutschland für unsozial. Umfragen belegen immer wieder ein Gefühl zunehmender Ungerechtigkeit. Die neue Bundesregierung aus Union und FDP verspricht nun in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich mehr "Zusammenhalt". Erfüllen Union und FDP bisher diese Hoffnung?

Markus Grabka: Nein, die Regierung hält ihr Versprechen nicht ein. Die beschlossene Steuerreform führt dazu, dass sich die Einkommen der armen und wohlhabenden Schichten weiter auseinanderentwickeln. (...)

Grabka: Unsere Daten zeigen: 2002 besaßen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 57 Prozent des gesamten Geld- und Sachvermögens im Lande. 2007 gehörten ihnen bereits mehr als 60 Prozent. Dabei bauten zudem nur die reichsten zehn Prozent ihren Anteil aus. Alle anderen Bevölkerungsgruppen verzeichneten keinen Zugewinn oder verloren sogar Vermögen.

Frick: Außerdem beobachten wir ein stärkeres Verharren in den extremen Einkommenspositionen: Wer reich ist, bleibt reich, und wer arm ist, bleibt arm. Die soziale Mobilität nimmt ab. (...)

Frick: Anders bei der Mittelschicht. Wenn wegen der Wirtschaftskrise demnächst mehr Beschäftigte arbeitslos werden, sind diese gezwungen, zur Sicherung des Lebensstandards ihre Vermögen aufzuzehren. Nicht die Reichen, die auf die Erholung der Aktienkurse warten können, sondern die Normalbürger werden im Falle von Arbeitslosigkeit die eigentlichen Verlierer der Krise. (...)

Grabka: Damit sind wir bei den Steuern auf Vermögen und Gewinne. Die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapitalerträgen sind in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen. Deshalb ist es für mich schwer nachvollziehbar, warum Kapitalgewinne gegenwärtig niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen.

(Weiterlesen)

Sozialstaat: Die Schwachen tragen die Starken

Die von Peter Sloterdijk in der FAZ publikumswirksam eröffnete Debatte um den Sozialstaat leidet deutlich darunter, dass kaum einer der Beteiligten auf die Fakten sieht. Sloterdijks Kritik richtete sich in erster Linie gegen die von ihm diagnostizierte Enteignung der Leistungsträger [sic!] durch das Einkommensteuersystem des modernen Steuerstaats. Die Steuerstaaten reklamierten inzwischen "die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten für den Fiskus", so seine Worte. Man habe sich "an Zustände gewöhnt, in denen eine Handvoll Leistungsträger gelassen mehr als die Hälfte des nationalen Einkommensteuerbudgets bestreitet".

So nennt Sloterdijk den "fiskalischen Bürgerkrieg" dann auch die "plausibelste Reaktion". Sätze wie diese erwecken den Eindruck, als belaste der Staat eine kleine Gruppe der Bevölkerung weit über Gebühr, um mit dem ihnen abgepressten Geld die Masse der nicht produktiven Bevölkerung durchzufüttern.

Wie schon die Formulierung "eine Handvoll Leistungsträger" zeigt, geht Sloterdijk recht großzügig mit Zahlen und Fakten um. Ein Blick auf die deutsche Wirklichkeit ist daher hilfreich, um etwas mehr Klarheit zu gewinnen.

(Weiterlesen)

Was auch Merkel nicht tut: Kampf dem Hunger

Erstmals seit Beginn der Erfassungen im Jahr 1970 hungerten 2009 mehr als eine Milliarde Menschen. Im ablaufenden Jahr starben wieder Millionen Männer, Frauen und Kinder an Unterernährung.

Rund 1,4 Milliarden Menschen leben in extremer Armut; sie müssen mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag über die Runden kommen. "Die Weltgemeinschaft kann den Armen und den Schwachen nicht den Rücken zuwenden", mahnt Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon. Auf der Agenda der internationalen Politik rückt der Kampf gegen die Armut immer weiter nach oben. Die Uno will im September 2010 in New York eine Zwischenbilanz im Kampf gegen die Not ziehen. Im Jahr 2000 versprachen die Staats- und Regierungschefs, bis 2015 die Verelendung der Erde zurückzudrängen.

Doch die Armut verschärft sich wieder – nachdem die Zahl der Habenichtse seit Beginn der 90er Jahre weltweit gesunken war. Hauptursache: Die globale Rezession. "Es wird geschätzt, dass im Jahr 2009 zwischen 55 und 90 Millionen Menschen zusätzlich in die extreme Armut getrieben werden", heißt es in einem Uno-Papier. Auch Konflikte, Korruption und der Klimawandel machen die Fortschritte auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle zunichte. Besonders hart trifft es die Menschen im Süden des Planeten: Von den Favelas Lateinamerikas über die Dürregebiete Afrikas bis zu den verstopften Slums im südlichen Asien zieht sich ein Gürtel der Hoffnungslosigkeit.

(Weiterlesen)

Vergangenheit, die wiederkehren soll

Die Böller sind verschossen. Die Sektflaschen geleert. Freudlosigkeit kehrt zurück ins Land. Sie blieb bei denen, die auch an Silvester keinen Spaß hatten. Weil sie wirtschaftliche Sorgen haben. Weil sie unsicher sind. Weil sie gestresst sind. Weil sie angegiftet und gemobbt werden. Weil alle zusammen fast nichts von der Politik erwarten. Dabei wäre es heute nicht wesentlich schwieriger, Orientierung zu bieten, als vor vierzig Jahren. Damals, am 28. Oktober des Jahres 1969, war ein frisch gewählter Bundeskanzler ans Rednerpult des Deutschen Bundestages getreten und hatte erklärt: "Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen. Die Bundesregierung wird sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass der zentrale Auftrag des Grundgesetzes, allen Bürgern gleiche Chancen zu geben, noch nicht annähernd erfüllt wurde. Wir wollen mehr Demokratie wagen."

Hunderttausende von Menschen haben sich zu Willy Brandts Kanzlerzeiten politisch engagiert, auch solche, die zuvor keine Hoffnung mehr mit diesem Staat verbunden hatten. 91,1 Prozent beteiligten sich an der Bundestagswahl 1972. So viele wie nie zuvor und danach. Am 27. September 2009 waren es gerade einmal 70,8 Prozent. So wenige wie nie zuvor.

(Weiterlesen)

Montag, 11. Januar 2010

Der soziale Frieden in Deutschland ist gefährdet

Albrecht von Lucke über bedenkliche Entwicklungen im postdemokratischen Zeitalter

Albrecht von Lucke, Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik und freier Publizist. In seinem Buch "Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin 1949 – 1989 – 2009" analysiert er die allmähliche Abkehr der Bundesrepublik von bewährten Leitmotiven wie "Nie wieder Krieg" und "Wohlstand für alle". (...)

Wenn die Bürger sich aus der Teilhabe an der Demokratie verabschieden, kann das also "nur" zu einer Zuschauerdemokratie führen, aber auch zum Umschlagen in eine Politik, die mit starken Formen der PR und des Marketing operiert, in der nicht mehr demokratisch diskutiert wird, sondern, wie Colin Crouch in seinem Buch über die "Postdemokratie" schreibt, von oben mit Hilfe von Thinktanks und Marketingagenturen politische Slogans vorgegeben werden, aber in Wirklichkeit kein politischer Wettbewerb mehr existiert. Dann haben wir es mit einer schleichenden Verabschiedung von der Demokratie zu tun.

Dieses Phänomen kann man derzeit in vielen Staaten Europas beobachten und zunehmend auch in Deutschland – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Linke, womit ich SPD und Linkspartei meine, in ganz erheblichem Maße geschwächt ist. So sehr geschwächt, dass nicht garantiert ist, dass wir es bei den nächsten Wahlen noch mit einer echten Regierungsalternative zu tun haben. Damit beginnt auch in Deutschland der Wettbewerb der unterschiedlichen Parteien und Programme zunehmend auszusetzen.

(Weiterlesen und Teil 2)

Anmerkung: Zur SPD ist alles gesagt. Diese Partei, deren Funktionäre sich vom Neoliberalismus haben unterwandern lassen, zählt seit weit über 10 Jahren nicht mehr zur "Linken". Dasselbe gilt für viele andere einstmals sozialdemokratische Parteien in Europa. Überall sitzen bis heute (!) Führungspersonen an der Spitze, die alles Sozialdemokratische ("Linke") nicht nur vermissen lassen, sondern - soweit noch in Regierungsverantwortung - diametral handeln. - Eine SPD in Deutschland, die sich nicht endlich von den unsäglichen Schröder- und Merkel-Jahren und all den schlimmen Taten distanziert, die sie vollbracht und mitgetragen hat, wird natürlich auf absehbare Zeit keine Wähler mehr finden. Wer soll diese Partei des Kapitals mit ihrem schäbig blätternden roten Anstrich denn auch wählen? - Die SPD ist in der Postdemokratie längst angekommen und handelt entsprechend. Solange kein radikaler Wandel stattfindet (und der ist nirgends in Sicht), bleibt diese Partei, was sie allerspätestens seit Schröder war: Eine blendende und verblendete Verräterpartei, die ihre eigenen Wähler geschlachtet hat und das auch weiterhin vorhat. Also nichts anderes als die CDU, die Grünen und natürlich die FDP.

Merkels Neujahrsansprache: Spiele statt Brot

Was Angela Merkel mit ihrer Neujahrsansprache wirklich sagen wollte, darüber haben auch schon andere gerätselt. So versuchte sich etwa die Süddeutsche Zeitung an einer "radikal-ehrlichen" Version dieser Ansprache ans Volk. Doch man braucht eigentlich nicht in Ironie zu flüchten, um die "wahre Rede" der Kanzlerin zu erfassen, dazu genügt es, die tatsächlich gehaltene Neujahrsansprache einmal etwas genauer nachzulesen. Es ist eine Rede wie aus einem Sprachgenerator altbekannter Redeversatzstücke. Was die Kanzlerin konkret verspricht, sind Spiele statt Brot. (...)

Merkels Vorschläge dafür, dass sich eine solche Krise nie mehr wiederhole, sind gleichfalls nahezu identisch mit denen [von] vor einem Jahr: "Dazu müssen und werden wir weiter entschieden daran arbeiten, neue Regeln auf den Finanzmärkten einzuführen, die das Zusammenballen von Maßlosigkeit und Verantwortungslosigkeit in Zukunft rechtzeitig verhindern", so hieß es zum Jahrswechsel 2010. Im letzten Jahr sprach sie von der "Chance für internationale Regeln". Aber was ist im Verlauf des zurückliegenden Jahres an neuen Regeln eingeführt worden? / "Nichts, aber auch gar nichts haben die Regierenden zur Entschleunigung der Finanzmärkte getan", schrieb vor wenigen Tagen Robert von Heusinger in der Frankfurter Rundschau. Und wurde nicht die Bankenregulierung auf internationaler Ebene noch jüngst unter dem massiven Einfluss gerade der deutschen Unterhändler bis 2012 auf die lange Bank geschoben?

(Weiterlesen)

Folgen der Privatisierung (18): "Unternehmen" Stadt

Wenn öffentlicher Raum in Renditeanlagen verwandelt wird

In den letzten Jahren kam Bewegung in verschiedene Stadtteile bundesrepublikanischer (Groß-)Städte - nicht von unten, sondern von ganz oben: So kämpfen seit ein paar Jahren in Berlin Initiativen gegen eines der größten Investorenprojekte, entlang der Spree Kommunikations- und Medienunternehmen ("Mediaspree") anzusiedeln. In Hamburg hat die Künstlerszene einen Teil des zum Abriss freigegebenen Terrains besetzt, um gegen die Umstrukturierung eines ganzen Viertels zu protestieren - mit Erfolg: Die Stadt Hamburg hat dieses Areal vor Kurzem von den Inverstoren zurückgekauft, um es als "weichen Standortfaktor" zu verwerten. In Hanau geht die Stadt soweit, öffentliche Gebäude, städtische Wohnungen und Plätze im Innenstadtbereich en bloc, mit "Mann und Maus" an den meistbietenden Investor zu verkaufen. In Frankfurt soll städtisches Eigentum, das Universitätsgelände in Bockenheim, für eine "grüne" Bebauung abgerissen und weitgehend an Investoren verkauft werden. Seitdem geistert das Wort "Gentrifizierung" durch dunkle Ecken und Hochhausschluchten vieler Großstädte. (...)

Zum einen folgt die rasante Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums der suksessiven Privatisierung von sozialen Sicherungssystemen (Rentenkürzungen, Einschränkung von gesetzlich garantierten Leistungen im Gesundheitswesen usw.). Ideologisch wird das mit der Behauptung verbrämt, der Staat müsse endlich falsch verstandene Daseinsfürsorge aufgeben, solle sich nicht länger als Garant von Lebenschancen aufspielen und die "Schwachen" vor dem wirklichen Leben in Schutz nehmen. Seitdem werden alltäglich die Mantras von der "Eigenverantwortung", "Eigenvorsorge" und "Selbstoptimierung" vorgebetet.

Dass das Stahlbad des "freien Marktes" ein gigantisches Blendwerk ist, wird uns allen angesichts der größten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren vorgeführt: Während immer mehr Menschen in prekäre Lebensumstände getrieben werden, werden Milliardenunternehmen im Bankensektor mit Milliarden an Steuergeldern am Leben gehalten, anstatt sie - der eigenen Ideologie folgend - den Gesetzen des "freien Markt" zu überlassen und Pleite gehen zu lassen.

(Weiterlesen)

2010: Ankunft in der einst fernen Zukunft

[Nun] schreiben wir das Jahr 2010 und das ist natürlich ein Skandal. Jedenfalls für diejenigen, die im vorigen Jahrhundert mit Science-Fiction-Romanen aufgewachsen sind. Denn 2010 war in diesen Romanen schon die krass ferne Zukunft und ganz schön utopisch, so mit sich drehender Weltraumstation, herumstaksenden metallenen Robotern und Nick, dem Weltraum-Comic-Helden. Der sollte heute eigentlich durch die dampfenden Dschungel der Venus stapfen. Und irgendwie war auch klar, dass es in dieser fernen Zukunft so etwas wie Arbeitslosigkeit oder Krieg nicht mehr geben würde. Wenn, dann höchstens mit den fünfäugigen Jungs aus dem Andromeda-Nebel. (...)

Nun, wir wissen, dass es bisher mit der "steigenden Ächtung der Geldsüchtigen" nicht sehr weit gekommen ist. Statt Roboter und Entfaltung der Talente bietet uns das Jahr 2010 die Klimakatastrophe, die Folgen der Finanzkrise und Hartz IV. Rein vom Utopischen gesehen bringt das Jahr also eine schlechte Performance. Aber wir dürfen nicht vergessen, was Utopie im buchstäblichen Sinne heißt: Der Ort, den es nirgends gibt.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Ausgeblendet aus dieser Betrachtung bleiben die vielen, vielen Dystopien (Science-Fiction-Werke, in denen eine sehr düstere Zukunft gezeichnet wird, wie z.B. "1984" von George Orwell oder "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury u.v.a.). Deren "Visionen" treffen die heutige Realität unserer Welt in weitaus erschreckenderem Maße als jede Utopie es könnte. Man könnte auch sagen: Die "Realos" der Zukunftsdenker der Vergangenheit haben recht behalten. Es ist Furcht erregend, welche gedanklichen Konsequenzen sich daraus ergeben.

Hartz IV: Verfassungswidrige Säule

Vor fünf Jahren trat am 1. Januar 2005 in Deutschland das "Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", allgemein als "Hartz IV" bekannt, in Kraft. Für die wohl umstrittenste sozialpolitische Entscheidung in der Geschichte der Bundesrepublik liegen somit fünf Jahre an praktischen Erfahrungen vor und auch die wissenschaftliche Begleitforschung kann mittlerweile auf diverse Studien verweisen. Die hier unternommene Bilanz greift zunächst die zentrale Frage nach der Wirkung der "Reformen" beim Abbau der Arbeitslosigkeit auf und widmet sich dann den "Kolateralschäden", also den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen. (...)

Fünf Jahre Hartz IV sind aufgrund dieser Befunde zu sehen als Symptom für einen historischen gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik, der auf neoliberalen Grundsätzen wie Glauben an den Markt, Deregulierung und die Reduzierung des Subjekts zum bloßen Anbieter der Ware Arbeitskraft basierte. Dazu gehört der höchst fragwürdige Ansatz, den Arbeitsmarkt als Schüssel für das Problem der Arbeitslosigkeit zu sehen. Ihm geschuldet ist dieses soziale Großexperiment mit acht Millionen Menschen, dessen Erträge gering und dessen gesellschaftliche Kosten zu teuer sind.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Wo der Autor hier irgendwelche - wenn auch geringen - "Erträge" zu sehen vermag, die Hartz IV gebracht haben soll, verbleibt ein mystisches Geheimnis.