Samstag, 29. November 2014

Realitätsflucht (6): Dawnguard, Dragonborn und Hearthfire


In der Regel bin ich ja kein Freund irgendwelcher "Add-ons" zu Computerspielen, da diese oftmals klar erkennbar nur dazu dienen, mehr Profit zu generieren, ohne wirklich etwas dafür zu erbringen. Besonders deutlich wurde dieses perfide Prinzip am Beispiel "Divinity 2: Ego Draconis", wo das "Add-on" schlichtweg ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte war, den man vor der Veröffentlichung des Hauptspieles dort offenbar wieder herausgetrennt hat, um ihn danach zusätzlich zu verkaufen. Heute bekommt man das Spiel folgerichtig nur noch in der kompletten Version unter dem Titel "The Dragon Knight Saga".

Im vorliegenden Fall trifft diese Kritik allerdings nicht zu: Die drei "Add-ons" zum Spiel "The Elder Scrolls V: Skyrim" sind tatsächlich zusätzliche Komponenten, die angesichts des ohnehin epischen Umfangs des Hauptspiels auch problemlos als solche verkauft werden können. Hinsichtlich des Inhalts und Umfangs sind sie allerdings höchst unterschiedlich, was ich im Folgenden näher erläutern möchte. Wer diese "Add-ons" noch selber spielen möchte, sollte hier nicht weiterlesen, da Spoiler unvermeidlich sind.

1. Hearthfire

Mit dem negativsten Erlebnis muss ich beginnen: Diese Spielkomponente, mit deren Hilfe man in Himmelsrand ein eigenes Haus bzw. Anwesen aufbauen und erweitern kann, funktioniert mit meinem Spielstand nicht. Eigentlich, so habe ich nachgelesen, sollte nach der Installation ein Kurier erscheinen, der eine Nachricht vom Jarl von Falkenring überbringt, dass man Land erwerben könne, womit "Hearthfire" gestartet werden solle. Bei mir passierte das jedoch nicht - was vermutlich daran lag, dass ich zuvor (vor der Installation des "Add-ons") eine Questreihe der "Dunklen Bruderschaft" gespielt hatte, in deren Verlauf ich auch ein Mitglied des Jarl-Hofes von Falkenring meucheln musste, so dass der Mann mir nun nicht mehr freundlich gesonnen war und seitdem nur noch die allernötigsten Worte mit mir wechselte. Ein solcher Bug darf einem Entwickler wie Bethesda nicht unterlaufen, finde ich. Was soll ich mit einem "Add-on" anfangen, das mit meinem aktuellen Spielstand nicht nutzbar ist, weil es aufgrund solcher Mätzchen schlicht nicht startet?

2. Dawnguard

Wesentlich erquicklicher war da schon die neue Questreihe rund um die "Dämmerwacht". Hier bekommt man es mit einem blut- und rachedurstigen Vampirfürsten zu tun, der ganz Himmelsrand bedroht - und sehr früh muss man sich entscheiden, ob man selber zum Vampir werden möchte oder nicht. Auf den Spielverlauf hat das wohl nicht unerhebliche Auswirkungen. Da ich im Hauptspiel durch den Vampirismus, den ich mir dort mal versehentlich eingefangen hatte und nur unter gewissen Mühen wieder losgeworden war, bereits sehr genervt war, habe ich mich auch hier dagegen entschieden und der untoten Brut rigoros den Krieg erklärt - was vermutlich ein Fehler war, denn danach folgte nur eine ziemlich mickrige Questreihe, die ich in nur zwei Spielesessions hinter mir hatte. Das war nach dem fulminanten Beginn vor eben jener Entscheidung recht ernüchternd - und ich frage mich, wie umfangreich "Dawnguard" wohl sein mag, wenn man sich anders entscheidet.

Trotzdem hat sich diese Komponente gelohnt - allein schon der Umstand, dass ich endlich wieder die aus "Gothic-" und "Risen"-Zeiten so liebgewonnene und in der "Elder-Scrolls"-Reihe bislang schwer vermisste Armbrust wieder nutzen konnte, war mir einen langen Extraausflug in verschiedene Banditenlager und Draugrgräber von Himmelsrand wert, wo ich die Reichweite und Genauigkeit dieser wunderbaren Waffe gefeiert habe. Weitere neu verfügbare und natürlich auch selbst herstellbare Waffen und Rüstungen runden das Bild ab.

Äußerst gelungen sind auch hier wieder die Dialoge und Kommentare - besonders hervorheben will ich hier die neue Gefährtin Serana, die den Spieler in ihrer Eigenschaft als verstoßene Tochter des Vampirfürstschurken auf den Missionen zur Hauptquest begleitet. Überhaupt sind die Entwickler dem TES-Prinzip treu geblieben: Das Erzählen der Geschichte anhand von Kommentaren, Dialogen, Briefen, Büchern, Notizen etc. bleibt essenziell.

3. Dragonborn

"Drachenblut" ist sicher das Highlight dieser drei "Add-ons". Diese Komponente führt den Spieler auf die Insel Solstheim, wo es - wie sollte es auch anders sein - ein Menge zu erledigen und zu erleben gibt. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass "Dragonborn" allein auf den Umfang bezogen so viel Inhalt bietet wie so manches eigenständige Spiel. Es gibt neue Gegner, neue Waffen und Rüstungen und jede Menge neue Herausforderungen, die manchmal sogar (sofern man so unvorsichtig und tolpatschig ist wie ich) für meine Spielfigur, die sich immerhin auf dem Level 53 befindet, zur Gefahr werden.

Es gilt, einen von einem Daedra-Fürsten ermächtigten Wahnsinnigen zu bekämpfen, der die Insel und dessen Bewohner bedroht und teilweise bereits in einen hypnoseähnlichen Zustand versetzt hat. Im Rahmen dieser Mission muss der Spieler sich auch in die Welt eben dieses Daedra-Fürsten begeben - ganz ähnlich wie in "Oblivion". Diesmal sind es allerdings keine Tore, die durchschritten werden müssen, sondern "schwarze Bücher", die den Spieler beim Lesen in die surreale Daedra-Welt katapultieren. Diese Passagen haben mir ganz besonders gut gefallen. Wer sich gerne einmal durch ein Labyrinth bewegen möchte, das sich aufgrund der eigenen Handlungen stetig verändert, ist hier genau am richtigen Ort.

Außerdem sind auf der Insel drei der bislang abgefahrensten Dwemer-Ruinen zu erkunden - dort gibt es sogar, man glaubt es kaum, einige wenige "Jump-and-run"-Passagen sowie ein paar Rätsel, die diesen Namen endlich auch einmal verdienen. Ich gebe zu meiner Schande zu, dass ich an einem dieser Rätsel den halben Vorrat meiner Armbrust-Bolzen (das waren etwa 100) aufbrauchen musste, bis ich das mathematische Kinderrätsel endlich gelöst hatte. Wenn man ein (Dwemer-)Brett vor dem Kopf hat, dauert es eben manchmal ein wenig.

Daneben gibt es, wie gewohnt, unzählige kleine und große Nebenquests, die mich von wenigen Ausnahmen abgesehen durchweg gefesselt haben. Wenn mich jemand gefragt hätte, wie "Skyrim" noch zu verbessern und zu erweitern wäre, hätte meine Antwort "Dragonborn" lauten müssen.


Freitag, 28. November 2014

Q.e.d.: Im Niveaunirwana zwischen Scheißhaus und Grimme-Preis, oder: Die intellektuelle Kulturoase des Homo erratus




Anmerkung: Nee, einen wirklichen Kommentar muss ich mir dazu sparen - mein Gehirn versagt hier in Gänze. So sehr der gute Herr Kalkofe sich in diesem Beitrag auch bemüht - das ist nicht lustig, sondern allenfalls ein weiteres Indiz für das dritte Ausrufezeichen hinter der imperativ ausgeworfenen Feststellung "Unumkehrbar und unwiderruflich", die den finalen Satz "Und nun verabschiedet sich die Menschheit endgültig - und nicht mehr nur zum wiederholenden Male - in die komatöse Degeneration jenseits der Insektenwelt" vervollständigt.

Eigentlich fehlt hier der Vollständigkeit halber nur noch eine Verlinkung wie beispielsweise diese zum Eso-Blog "HdS", in der allen Ernstes die Quantenphysik und der "Sufismus" miteinander verglichen und auf einen dschungelcampmäßigen RTL-Einheitsweg eingeschworen werden sollen. Diese Menschheit ist (heute sagt man degenerativ wohl eher "hat") fertig, die Evolution ist klar erkennbar am Ende der totalen intellektuellen Degeneration angelangt. Das Scheißhaus gewinnt. Und deshalb wird es auch unsere letzte Heimstatt - hurra! Das Schicksal des Homo erratus ist braun besiegelt.

Ich werde jetzt eine BLÖD-"Zeitung" lesen, danach an einer Demo gegen asoziale Wirtschaftskriminelle aus Syrien teilnehmen, die unser schönes, deutsches Land durchrassen und auf unsere Kosten hier ein fürstliches Parasitenleben führen wollen. Sodann werde ich bei facebook nachgucken, ob die holde Gräfin von und zu Dingsda inzwischen bereits geworfen (das ist ja äußerst wichtig) und ob Jesus, Mohammed, Buddha oder wer auch immer endlich mal eine Antwort geschrieben hat. Unmittelbar danach werde ich mich, unabhängig vom Ergebnis, leidenschaftlich mit einer Amöbe paaren und so den neuen (deutschen) Lichtmenschen erschaffen. Jawohl. Es ist soweit. Endlich.

[Irres Gekreische erfüllt die Luft rund ums Narrenschiff.]

Mittwoch, 26. November 2014

Ich glotzte zwei Monate TV: Ein Resümee


Vor einiger Zeit hatte ich angekündigt, dass ich mich - als bekennender "So-gut-wie-nie-TV-Glotzer" - verstärkt mit diesem Medium auseinandersetzen werde. Ich habe das im Rahmen meiner Möglichkeiten inzwischen getan und muss das "Experiment" nun abbrechen und teilweise für gescheitert erklären, weil ich es schlicht nicht mehr ertrage, so viel Zeit mit Propaganda, Müll und Schlimmerem zu verplempern. Das Ergebnis mag weder für mich, noch für so manchen Mitlesenden befriedigend sein - aber dazu mehr in den Einzelheiten:

Zunächst musste ich die Auswahl dessen, was ich anzusehen gedachte, schon allein aus Zeitgründen sehr stark einschränken: Offensichtliche Trash-Formate, wie ich sie exemplarisch aus Kreymeiers Magazin "Fernsehkritik-TV", das ich inzwischen allerdings auch kaum mehr anschaue, kannte, habe ich von vorn herein ausgeschlossen; dasselbe galt für all die mehr oder minder politischen Quassel-Shows, sämtliche Unterhaltungs-Shows sowie die täglichen Propagandaschleudern wie "Tagesschau" oder "heute". Gerade zu den letztgenannten Sendungen muss ich mir keine Meinung mehr bilden, dazu reicht die Lektüre der geschriebenen Online-Varianten völlig aus.

Ich wollte mir statt dessen anschauen, was das heutige Fernsehen jenseits dieser Jauche- und Desinformationsgruben noch zu bieten hat, stieß dann aber gleich auf das nächste Problem, nämlich die ständige, allgegenwärtige und für einen "Ungeübten" wie mich nicht erträgliche Reklame, die in der Zeit nach 20 Uhr (und darauf beschränkte sich mein "Experiment") glücklicher Weise nur die Privatsender betrifft. Selbst wenn ich dort einmal eine Sendung entdeckt hatte, die ich mir ansehen wollte, hat diese permanente, aufdringliche und schrille Reklame das erfolgreich und konsequent verhindert - ich bekomme von solchem Schmutz auf der Stelle Kopfschmerzen und juckenden Hautausschlag. Es tut doch weh mitansehen zu müssen, wie irgendwelche "Promis" sich gegen meist wohl recht fürstliche Bezahlung zum lächerlichen Affen machen und dem Zuschauerdeppen irgendeinen Mist präsentieren - ganz zu schweigen von den vielen, vielen Nicht-Promis, die dasselbe für einen Bruchteil dieses Geldes tun. Aufgefallen sind mir in den wenigen Spots, die ich ertragen habe, beispielsweise Heike Makatsch, Jürgen Vogel, Mehmet Scholl, dieser Basketball-Heini aus den USA und natürlich Thomas Gottschalk. Nagen diese Leute, die größtenteils längst Multimillionäre sind, plötzlich am Hungertuch - oder wieso halten sie ihre Fratzen zu Reklamezwecken gegen Geld sonst in die Kameras? Ich verstehe das nicht - ich verstehe maßlose Habgier nicht.

Jedenfalls waren damit auch die Privatsender ausgeschieden - es macht ja keinen Sinn, eine Sendung lediglich bis zur ersten Werbeunterbrechung zu beurteilen. Ich muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass in einigen wenigen Fällen bei Privatsendern tatsächlich Spielfilme im Programm waren, die ich mir gerne angesehen hätte - aber wenn ein guter Film, der in der Regel ja so etwas wie Spannung und Atmosphäre aufbaut, durch Reklame so zerstückelt und auseinandergerissen wird, dass von eben jener Spannung und Atmosphäre nichts mehr übrig bleibt, verzichte ich dankend. Man stelle sich einmal eine Mahler-Symphonie oder meinetwegen auch ein oberflächliches Lloyd-Webber-Musical vor, das an der einfühlsamsten Stelle von lauter, blinkender Reklame für einen Kloreiniger oder Damenbinden unterbrochen wird. Wie halten Menschen, die sich so etwas ansehen, das bloß aus? Der Abstumpfungseffekt dürfte hier extrem ausprägend sein.

So blieben noch die öffentlich-rechtlichen Sender samt deren "Spartenkanälen", die "dritten Programme" sowie 3sat, Arte und Phoenix für das "Experiment" übrig. Ich will es kurz machen: Das Ergebnis war mehr als ernüchternd. Es gab gelegentlich Spielfilme, die ich mir gern und mit Gewinn angesehen habe; es gab sogar vereinzelt kulturelle Beiträge (beispielsweise über den Maler Max Ernst auf 3sat), Dokumentationen (diese allerdings meist zu nachtschlafener Zeit, also nach Mitternacht) oder auch Kabarettsendungen, die ich empfehlen kann. Der weit überwiegende Anteil des Programms (geschätzte 95 Prozent) bestand allerdings aus im besten Fall redundantem, im schlimmsten Fall tendenziösem, propagandistischem Mist, der mir böse Hirnfäule beschert hat.

Eines aber ragt in diesen Sumpf ganz besonders tief hinein, nämlich das ewige, auf sämtlichen Kanälen stetig wiederholte Krimi-Gedöns in all seinen widerlichen Facetten. Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem auf irgendeinem Kanal nicht eine "Tatort"-Wiederholung liefe, dazu kommen unzählige Filme und Serien, in denen Kommissare oder SOKOS sich - allzu oft gesetzeswidrig - auf "Verbrecherjagd" begeben: diesem Sujet ist im TV nicht zu entkommen. Mich hat das regelrecht entsetzt. Wer schaut sich das in dieser Überkonzentration an, welche Auswirkungen hat das auf die Zuschauenden - und wieso geht es da fast immer nur um (möglichst bestialischen) Mord? In Deutschland gab es 2012 insgesamt 281, ein Jahr später 282 statistisch erfasste Mordopfer. Ein drängendes, gesellschaftlich-soziales Problem ist das offensichtlich nicht. Ich vermute, dass diese Konzentration im TV mehr darauf abzielt, die in diesen Filmen und Serien oft illegalen Polizeimethoden gesellschaftsfähig zu machen, wofür sich böse Morde und sympathische, "menschelnde" Kommissare natürlich ganz besonders gut eignen - eine andere sinnvolle Erklärung für dieses Phänomen fällt mir auf die Schnelle jedenfalls nicht ein. Für weitere Denkanstöße bin ich dankbar.

Zuletzt bleibt noch das Thema "Unterhaltung", das ja recht kontrovers gesehen und diskutiert wird: Der eine schaut sich das "Dschungelcamp" an oder liest die BLÖD-"Zeitung" (beispielsweise weil man sich darüber trefflich lustig machen kann), der andere findet das ekelhaft und alles andere als unterhaltend. Da treffen wieder einmal Welten aufeinander, die unvereinbarer kaum sein könnten. Es ist eine Binsenweisheit, dass unterschiedliche Menschen selbstverständlich auch völlig andere Interessen und Vorlieben haben, was die Unterhaltung betrifft - allerdings muss ich doch festhalten, dass es hier, wie immer, Grenzen gibt und auch geben muss. Wenn jemand beispielsweise Boxkämpfe unterhaltend findet, in denen sich die Protagonisten unter dem Gejohle des Publikums die Fressen blutig schlagen (das lief in der ARD), finde ich das ebenso inakzeptabel wie eine spaßorientierte Lektüre der BLÖD-"Zeitung", die ja bekanntermaßen ebenfalls eine mehr als üble Rolle in der Tragödie des zerstörenden Kapitalismus spielt. Ich meine, dass es tatsächlich unerheblich ist, wovon sich ein Mensch gerne unterhalten lässt - solange - und das ist der wichtigste Teil - die Konsequenzen dessen, was er wählt, ebenfalls unerheblich sind. Für die BLÖD-"Zeitung" gilt das nicht, für Boxkämpfe gilt das nicht, für Krawall-TV gilt das nicht - ob es für das "Dschungelcamp" gilt, ist immerhin diskutabel.

Fernsehen jedenfalls, das hat mein "Experiment" gezeigt, ist für mich weder ein Informations-, noch ein Unterhaltungsmedium. Auf breiter Front informiert und unterhält es mich nicht. Die wesentlichsten Aufgaben dieses Mediums im Kapitalismus sind augenscheinlich nicht Information und Unterhaltung, sondern Desinformation (Propaganda), Manipulation und schnöde Ablenkung.

Ich bin sehr froh, dass ich meine Zeit jetzt wieder mit sinnvollen Dingen verbringen kann. Und ich hoffe, dass diesem Beispiel immer mehr Menschen folgen und sich diesem völlig pervertierten Medium weiter entziehen. Oder, wie Kreymeier das in seinem Magazin immer so schön sagt:

"Schalten Sie mal wieder ab!"

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[Das Fernsehen] als Erzieher


"So, nu ham wa mal wieder in Mitleid gemacht! Frage ist: Wo nu essen?"

(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865–1952], in "Simplicissimus", Heft 31 vom 31.10.1926)

Montag, 24. November 2014

Zitat des Tages: Gesang der Rudersklaven bei Sturm


Es leidet, o Herr, deine Erde
An Untergehenden
Keinerlei Mangel! Noch kannst du wenden
Von uns dein Angesicht!
Was taugen wir angekettet der Welt auf dem Grund des Wassers?
Ziehe du ab von uns
Deine sausende Hand, peitsche
Deine christliche See über andere Meere
Und lass uns leben, leben, leben, o Herr
Auf der Galeere!

(Richard Leising [1934-1997], in: "Gebrochen deutsch. Gedichte", Langewiesche-Brandt 1990)



Anmerkung: Zu diesem Meisterwerk der politischen Lyrik in der Tradition Brechts muss ich nicht viele Worte verlieren: Es ist höchste Sprachkunst, wie Leising hier das altbekannte politisch-mediale-gewerkschaftliche Geplärre um den "Erhalt von Arbeitsplätzen" mit einer Religionskritik verbindet, die selbstverständlich gleichzusetzen ist mit einer generellen Kapitalismuskritik. Die furchtbare kapitalistische Ideologie ist längst zur perversen Religion degeneriert - freilich ohne dass dies, weder von den betroffenen "Rudersklaven", noch von den selbsternannten "Eliten" bzw. "Göttern" und deren mannigfaltigen Handlangern, offen anerkannt oder auch nur gedanklich gestreift wird. Aus künstlerischer Sicht ist es ein Meilenstein, eine derartig groteske, geradezu kranke Situation in so wenigen, klar verständlichen Worten komprimieren zu können - aus humanistisch-gesellschaftlich-sozialer Sicht ist es hingegen ein Fanal des Niedergangs, es tun zu müssen.

Dieses Gedicht kommt mir seit Jahren immer wieder in den Sinn, wenn ich irgendwo Streikende mit Plakaten wie "Wir kämpfen für den Erhalt unserer Arbeitsplätze!" sehe - trotz meines Verständnisses für die berechtigte Angst der Betroffenen vor dem sozialen Absturz. Wenn Sklaven für den Erhalt ihrer Sklavenarbeit demonstrieren, ohne das "göttliche" Prinzip des absurden Superreichtums ihrer "Herren" überhaupt in Betracht zu ziehen (geschweige denn, es endlich wieder in Frage zu stellen), ist jede Hoffnung längst obsolet.

Die Brisanz und die Relevanz dieses Gedichtes haben - welch ein Irrsinn - in den vergangenen 24 Jahren stark zugenommen. Der "göttliche Sturm" droht einmal mehr zum umfassenden Menschenfresser zu werden. Und viele schreien auch heute quasi betend wieder: "Friss nicht mich, friss doch lieber das andere Pack, dem es noch schlechter geht als mir!" - Und die einzigen Nutznießer dieser perversen, menschenfeindlichen Zeitschleife, eben jene Betreiber der Galeeren, bleiben heute wie damals weitgehend unbehelligt - heute allerdings noch weitaus mehr als damals:

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Die reichen [Steuerkriminellen]


"Ich habe dir ein paar deutsche Zeitungen mit den neuen Steuergesetzen gekauft. Falls du wieder Heimweh kriegst, Schatz."

(Zeichnung von Otto Ottler [1891-1965], in "Simplicissimus", Heft 19 vom 05.08.1919)