Samstag, 31. Juli 2010

Zitat des Tages (51): Fusionen

Nicht oft hat es so viele verdutzte Gesichter gegeben wie vor ein paar Tagen, als der Zusammenschluss der Deutschen Bank mit der Disconto-Gesellschaft bekannt wurde. Das gewiss schwierige Vorbereitungsstadium war in diskreteste Nachtfarbe gehüllt gewesen, und nicht ein Laut drang zu den findigen Finanzjournalisten, die sonst jedes wispernde Mäuschen im Keller eines Bankpalastes zu registrieren pflegen. Den größten Redaktionen blieb vor dieser Nachricht die Luft weg, und selbst in den längsten Kommentaren spürt man die noch nicht ganz wiedergewonnene Lungenkraft. Die Verblüffung ist berechtigt, denn mit dieser Vereinigung zweier ohnehin überragender Bankinstitute entsteht ein Finanzungetüm, ein Leviathan, dessen Pranken und Zähne bald fühlbar werden. Was ist daneben Vater Staat, in dem wir alle in rebellischen Momenten einen reißenden Oger zu sehen gewohnt sind? Eine Armenkasse, ein Klingelbeutel in der Kirche einer Hungergemeinde. Und, wenn nicht alles trügt, scheint grade der Staat von der neuen Geldübermacht als Trainingsobjekt für ein paar vorbereitende Exerzitien in Aussicht genommen zu sein. Auf der Düsseldorfer Tagung des Reichsverbands der Deutschen Industrie hat neulich Herr Doktor Kehl, der Jüngste in der Gerusia der Deutschen Bank, mit jener frischen Vehemenz, über die Herr Hjalmar Schacht früher verfügte, als er noch nicht so viel Weihrauch inhaliert hatte, ein Programm vom Vorrang der Wirtschaft gegenüber dem Staat eingehend erörtert. Es ist wieder große Mode, auf die öffentliche Hand zu schimpfen, gegen die vom Staat auferlegten Soziallasten zu wettern. Lang ist es noch nicht her, da war der Staat gut genug, um Subventionen herzugeben, und die ach so sieche Wirtschaft ließ sich gern von ihm goldene Prothesen bezahlen. Das ist vorüber, und heute konzentriert sich alles, um den Staat da, wo er als Kapitalist und Unternehmer auftritt, zu enteignen und seine Betriebe in die private Hand zu bringen. Wir sind seit Thomas Morus an sozialistische Utopien gewöhnt, wir pflegten die Gesellschaft der Zukunft immer frei und heiter zu sehen, erlöst von dem Erbfluch der ungerechten Eigentumsverhältnisse. Nun, man kann sich auch kapitalistische Utopien denken. G.K. Chesterton hat eine geschrieben, "Der Napoleon von Nottinghill" heißt sie, eine nachdenkliche kleine Satire, die um 1970 spielt, in einer Zeit, die sich dadurch auszeichnet, dass alles, aber auch alles radikal entkommunalisiert ist; sogar Wasserwerke, Brücken und Straßenreinigung sind in die Privatwirtschaft übergegangen, der Staat, funktionslos geworden, wird vertreten von einem Bäckerdutzend Subalterner, die sich mangels Beschäftigung zu Tode langweilen und von denen einer den Titel König führt. "Die Sozialisierung marschiert", sagten die Genossen Minister der Noskezeit, und vor ein paar Jahren waren die Kommunisten witzig genug, im preußischen Landtag einmal die Anfrage zu stellen, wohin die Sozialisierung denn marschiert sei. Niemals ist eine Antwort erfolgt.

Eines unterscheidet den Kapitalismus allerdings sehr gründlich von seinen Gegenspielern: er handelt nur nach den Geboten kältester Zweckmäßigkeit. Er kennt nicht Sentimentalität, nicht Tradition. Er würgt, wenn es sein muss, schnell und sicher den Verbündeten von gestern ab und fusioniert sich mit dem Feind. Die beiden Riesenbanken, die sich jetzt zu gemeinsamem Tun zusammengeschmolzen haben, waren intime Konkurrenten und standen sich herzlich schlecht. Abneigungsgefühle haben sie nicht gehindert, das Hausinteresse dem größern Gebilde zu opfern. Könnte dieser Vorgang nicht beispielhaft wirken? Der Kapitalismus erhöht und verstärkt seine Bollwerke, denn er hat alles zu verlieren, und seine einzelnen Glieder verzichten klug auf die Eigensüchte des Moments. Aber die Andern, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten und über nichts verfügen als über eine Reihe umstrittener Ideologien, die raufen sich um ihre Dogmatik, die spalten und splittern sich in kleinste Teile, so dass sie nicht einmal mehr durch Quantität zu wirken vermögen. [...]

(Carl von Ossietzky [1889-1939], in Die Weltbühne, 16. Oktober 1929, S. 499, via)


Carl von Ossietzky in KZ-Haft in Esterwegen (1934)

Es geht los: Umstürze im Süden Europas möglich

Der EU-Kommissionspräsident warnt vor weitreichenden Folgen sozialer Proteste in Griechenland, Spanien und Portugal

Die Führung der Europäischen Union schließt vor dem Hintergrund der Eurokrise offenbar ein Ende der parlamentarischen Demokratien in mehreren südeuropäischen Staaten nicht aus. Von der deutschen Presse unbeachtet, berichteten englisch- und spanischsprachige Medien unlängst über ein Treffen des Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, mit Gewerkschaftsführern. Bei der Zusammenkunft am 11. Juni habe der ehemalige portugiesische Ministerpräsident die Gewerkschaftsvertreter davor gewarnt, "dass diese Länder in ihrer demokratischen Gestaltung, wie wir sie derzeit kennen, verschwinden könnten".

Die Gewerkschaftsvertreter seien von den drastischen Formulierungen des Präsidenten der EU-Kommission schockiert gewesen, schrieb der britische Journalist Jason Groves wenige Tage später in der Tageszeitung Daily Mail. Laut Groves seien von Barroso mehrere Möglichkeiten genannt worden, darunter Militärputsche und Umstürze.

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Anmerkung: Man fragt sich unwillkürlich, ob jene Gewerkschaftsfunktionäre schockiert waren, weil Barroso das Offensichtliche ausgesprochen hat - oder weil sie das Offensichtliche nicht kannten.

Es liegt zwar nahe, dass die neoliberale Bande durch diesen Schachzug nur sicherstellen will, dass den Menschen Angst vor sozialen Protesten eingebläut wierden soll, wie auch im Artikel ausgeführt wird. Andererseits ist das ganze ja vollkommen konkret - die befürchteten Umstürze können tatsächlich erfolgen und hätten auch ihre Berechtigung. Allerdings erscheint der Weg in den Faschismus weitaus wahrscheinlicher, wenn es nicht zu gewaltigen Protesten kommt - das können die Menschen ja seit Jahren am eigenen Leib erleben.

Das ganze Szenario hat daher etwas Surreales ... es ist, als hätte sich Goebbels in den 30er Jahren hingestellt und behauptet: "Wenn ihr euch gegen unsere nationalsozialistische Politik wehrt, endet ihr alle in der Diktatur!" - Grotesk.

Ihr Menschen in Portugal, Spanien und Griechenland (und möglichst allen anderen Ländern auch): Geht auf die Straße, schreit euren Unmut heraus und fegt die neoliberale Bande aus euren Ländern! Es sind nicht die Umstürze und Proteste, die Euch gefährden - es ist der Kapitalismus! Und wenn die Vertreter genau dieses Kapitalismus Euch jetzt sagen: Hört auf, Euch zu wehren, sonst werdet Ihr da enden, wo Deutschland 1933 gelandet ist, dann schaut nach Deutschland und seht Euch die Geschichte an. Denn die Deutschen haben sich damals nicht gewehrt.

Du lebst über Deine Verhältnisse

Gute Medizin nur noch für Reiche - ein Lobbyist packt aus

Das Gesundheitskonzept von Minister Rösler wird auf Dauer nicht die erwünschte Entlastung für die Krankenkassen bringen. Im Gegenteil: Wenn jetzt vor allem auf der Ausgabeseite keine durchschlagendere Lösung gefunden wird, steigen die Beitragsätze wohl auf fast 30 Prozent. Ein Gastkommentar des Freiburger Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen

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Anmerkung: Und wieder greift die selbsternannte "Elite" zu allen Mitteln der Propaganda und schickt einen Lobbyisten vor, um im Handelsblatt gegen das solidarische Gesundheitssystem für alle hetzen zu lassen. Dabei wird natürlich an keiner Stelle erwähnt, dass der Autor Lobbyist ist und von der Versicherungswirtschaft fürstlich für seine Propaganda-Arbeit bezahlt wird - das erfährt der geneigte, unwissende Leser nur, wenn er die Kommentare auch liest.

Bei diesem Schachzug kommt wirklich Absonderliches zutage - so langsam lassen sie die Masken fallen und sagen, worauf sie wirklich hinarbeiten. Man muss sich Sätze wie den folgenden auf der Zunge zergehen lassen: "Die Lösung des Problems liegt nicht auf der Einnahmenseite; wir haben im Kern ein Steuerungsproblem auf der Ausgabenseite zu beheben, denn wir können nicht für alle alles medizinisch Notwendige auf Dauer durch die GKV finanzieren – wir müssen rationieren."

Und wieder stockt einem der Atem. Wir müssen medizinische Leistungen also "rationieren", was nichts anderes heißt, als dass die neoliberale Bande plant, nur noch eine medizinische "Grundversorgung" (wenn überhaupt) für alle Menschen sicherzustellen - für alles weitergehende hat dann jeder Mensch selber zu sorgen - sofern er das nötige Geld dafür hat. Hat er dieses Geld nicht, bekommt er auch keine ärztlichen Behandlungen. Welch ein perfides Menschenbild muss hinter solchen abscheulichen Plänen stecken? Da klopft sich jeder Faschist auf die Schenkel und lacht.

Als Begründung für diese widerlichen Pläne wird wieder einmal die "demographische Entwicklung" bemüht ... was von anderen, ernstzunehmenden Wissenschaftlern wie beispielsweise Prof. Gerd Bosbach als "moderne Kaffeesatzleserei" bezeichnet wird. Auch davon erfährt der Handelsblatt-Leser jedoch nichts.

Die Ausplünderung und Verarmung der Menschen geht weiter - ebenso wie die soziale Selektion. Freuen wir uns auf den Tag, an dem wir mit Schmerzen in der Notaufnahme des Krankenhauses liegen und von der Kundenberaterin im weißen Kittel freundlich lächelnd gesagt bekommen: "Tut uns leid, aber wenn Sie gerade keine 12.000 Euro flüssig bzw. keine Zusatzversicherung haben, können wir Ihnen leider nicht helfen. Einen schönen Tag noch und beehren Sie uns bald wieder!"

Womöglich steht dann über jedem Klinikeingang ein netter Sinnspruch, wie z.B. "Geld macht gesund" ...

Freitag, 30. Juli 2010

Zitat des Tages (50): Eine Frage

Da stehn die Werkmeister – Mann für Mann.
Der Direktor spricht und sieht sie an:
"Was heißt hier Gewerkschaft! Was heißt hier Beschwerden!
Es muss viel mehr gearbeitet werden!
Produktionssteigerung! Dass die Räder sich drehn!"
Eine einzige kleine Frage:
Für wen?

Ihr sagt: die Maschinen müssen laufen.
Wer soll sich eure Waren denn kaufen?
Eure Angestellten? Denen habt ihr bis jetzt
das Gehalt, wo ihr konntet, heruntergesetzt.
Und die Waren sind im Süden und Norden
deshalb auch nicht billiger geworden.
Und immer noch sollen die Räder sich drehn ...
Für wen?

Für wen die Plakate und die Reklamen?
Für wen die Autos und Bilderrahmen?
Für wen die Krawatten? Die gläsernen Schalen?
Eure Arbeiter können das nicht bezahlen.
Etwa die der andern? Für solche Fälle
habt ihr doch eure Trusts und Kartelle!
Ihr sagt: die Wirtschaft müsse bestehn.
Eine schöne Wirtschaft!
Für wen? Für wen?

Das laufende Band, das sich weiterschiebt,
liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug
sacht eure eigne Kundschaft kaputt gemacht.
Denn Deutschland besteht – Millionäre sind selten –
aus Arbeitern und aus Angestellten!
Und eure Bilanz zeigt mit einem Male
einen Saldo mortale.

Während Millionen stempeln gehn.
Die wissen, für wen.

(Kurt Tucholsky [1890-1935], in Die Weltbühne, 27.1.1931, Nr. 4, S. 123, via)


"Bankenregulierung": Lobbyismus auf EU-Ebene

Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen. Dieser Spruch ist nicht originell, aber wahr. Trotzdem wird er von der EU-Kommission nicht beherzigt. Als wäre die Finanzkrise nie gewesen, lässt sich Binnenmarktkommissar Barnier ausgerechnet von den Banken beraten, wie eine Bankenregulierung am besten auszusehen hätte.

In sein neues "Expertengremium" berief er fast nur Vertreter der Finanzindustrie - ob nun von Goldman Sachs, der Royal Bank of Scotland oder der Deutschen Bank. Bruchlos wird eine Politik fortgesetzt, die einst zur Finanzkrise führte: Gläubig wird Lobbyisten gelauscht, werden Interessenvertreter zu "Experten" geadelt.

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Anmerkung: Diese Kritik in allen Ehren - sie ist ja im Ansatz richtig, ebenso wie die im weiteren Verlauf des Textes erwähnten Forderungen der EU-Abgeordneten -, aber sowohl die Kommentatorin der taz, als auch die genannten EU-Abgeordneten scheinen noch immer unbeirrbar an dem nebulösen Traum festzuhalten, dieses Gebilde sei "demokratisch". Auf der nationalen Ebene wird es vorgemacht: Da gehen die Lobbyisten nach wie vor ein und aus in den Ministerien, haben dort teilweise sogar Büros und/oder bekommen eine (selbstredend nicht geringe) Entlohnung (aus Steuergeldern) für ihre Tätigkeit - und dann wird vollmundig erklärt, man könne eine "Bankenregulierung" nicht im "nationalen Alleingang" auf den Weg bringen, sondern müsse das auf EU- oder gar globaler Ebene regeln. Das Theaterspielchen wiederholt sich - man mag es kaum schreiben - natürlich auch auf der EU-Ebene.

Es ist ein Dilemma nicht nur unserer Zeit, dass angeblich "linke" Medien (die taz ist da keineswegs allein) die Dinge eben allzu oft nicht beim Namen nennen, sondern weiter an dem überkommenen Modell der Demokratie, wie es gewünscht wird, aber nicht existiert, festhalten. Im Ergebnis sieht es dann so aus, dass diese Entwicklung (in diesem Fall der überbordende und fast schon diktatorische Einfluss des Kapitals auf die Politik) wie ein "Versehen", wie "Fehler" erscheinen, die man mit gutem Willen auch korrigieren könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.

Da lässt sich nichts korrigieren - dieses undemokratische System steckt fest und unlösbar in der eisernen Faust des Kapitals. Eine "Bankenregulierung" oder jedwedes andere Hemmnis der leistungslosen Geldvermehrung auf Kosten der Allgemeinheit ist gerade nicht gewünscht - egal, welche katastrophalen gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen das auch haben mag. Diese Scheindebatten sind ein Teil des Schauspiels.

Im Finanzsektor wird nichts "reguliert" werden, das irgendeinem Teil der "Elite" auch nur wie ein Mückenstich vorkommen könnte - auch wenn dafür Tausende, Hunderttausende, Millionen von Menschen dahinsiechen müssen. - Ich weiß: Viel Pathos. Aber an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang ist er auch berechtigt:

"Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind / Die Subventionen der EU fabrizieren den Hunger in Afrika, der Zynismus der Kommissare in Brüssel ist bodenlos. Eine solche Weltordnung muss radikal bekämpft werden, meint Jean Ziegler." (Quelle)

Und ich meine das auch.

Dienstag, 27. Juli 2010

Zitat des Tages (49): Die Herren Wirtschaftsführer

(...) Man sollte meinen, dass der gesunde Menschenverstand wenigstens eines sehen könnte: den Misserfolg. Aber damit ist es nichts. Niemand von denen, die diese Wirtschaftsführer bewundern, behielte auch nur einen Tag lang einen Chauffeur, der ihm die Karre mit Frau und Kind umgeworfen hätte, auch dann nicht, wenn dem Chauffeur die Schuld nicht nachzuweisen wäre. Er kündigt, denn solchen Chauffeur will er nicht. Aber solche Wirtschaftsführer, die will er.

Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export.

(...) Nun haben aber Kartelle und kurzfristige Bankkredite die Unternehmungslust und die sogenannte "freie Wirtschaft" völlig getötet – es gibt sie gar nicht mehr. Fast jeder Unternehmer und besonders der kleinere ist nichts als der Verwalter von Bankschulden; gehts gut, dann trägt er den Ungeheuern Zins ab, und gehts schief, dann legen die Banken ihre schwere Hand auf ihn, und es ist wie in Monte Carlo: die Bank verliert nicht. Und wenn sie wirklich einmal verliert, springt der Steuerzahler ein: also in der Hauptsache wieder Arbeiter und Angestellte. (...)

Also muss gekämpft werden. Aber so wenig ein geschulter Proletarier individuelle Attentate auf Bankdirektoren gutheißen kann, so wenig sind Verzweiflungsausbrüche kleinerer oder größerer Gruppen allein geeignet, ein System zu stürzen, das jede, aber auch jede Berechtigung verloren hat, Russland zu kritisieren. Wer so versagt, hat zu schweigen.

Doch schweigen sie nicht. Sie haben die Dreistigkeit, unter diesen Verhältnissen noch "Vertrauen" zu fordern, dieselben Männer, die das Unglück verschuldet haben. Und keiner tritt ab, nur die Gruppierung ändert sich ein wenig. Das verdient die schärfste Bekämpfung.

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(Kurt Tucholsky [1890-1935], in Die Weltbühne, 18.8.1931, Nr. 33, S. 254)


Lachnummer des Tages (9): Deutschland steht vor Vollbeschäftigung

Die deutsche Arbeitslosenquote könnte in den kommenden Jahren auf Werte fallen, wie sie früher in Westdeutschland üblich waren. Das geht aus Prognosen des Forschungsinstituts Kiel Economics hervor, die der Wochenzeitung DIE ZEIT vorliegen.

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Anmerkung: Mitten in der Krise, die von vielen Seiten mit der Situation am Ende der Weimarer Republik verglichen wird, sehen diese "Experten" also für das Jahr 2014 Vollbeschäftigung in Deutschland voraus. Eine noch groteskere Meldung hätte sich die Redaktion der Zeit kaum aus den Fingern saugen können.

Die neoliberale Bande könnte dieses hanebüchene Ziel aber dennoch leicht erreichen, denn es reicht ja aus, wenn die "Arbeitslosenquote" rein statistisch weit genug sinkt. Das ist ja schnell umsetzbar - manipuliert wird da schon jetzt von vorne bis hinten. Man müsste einfach Hartz IV weiter verschärfen und auf diese Weise massenhaft Menschen aus dem Leistungsbezug in die Obdachlosigkeit und/oder Kriminalität drängen - und schon würde offiziell und statistisch belegt Vollbeschäftigung in Deutschland herrschen - auch wenn überall massenweise Obdachlose vor sich hin vegetieren und/oder die Gefängnisse aus allen Nähten platzen.

Man wird und wird den Eindruck nicht los, dass genau dies ihr Plan B ist, falls die Sache mit der Zwangsarbeit doch nicht so reibungslos funktionieren sollte.

Die schwarz-gelben Erfolge - eine Übersicht

Wer glaubte, die Plattheiten und Lügen der deutschen Bundeskanzlerin ließen sich kaum noch steigern, der wurde durch ihr Interview mit dem Sportinformationsdienst (sid) am 2. Juli eines Besseren belehrt. Darin erklärte sie allen Ernstes: "Die überzeugenden Leistungen der Mannschaft passen gut zu dem Jubiläum, das wir dieses Jahr feiern: In den 20 Jahren der Einheit haben wir in Deutschland eine Gemeinschaftsleistung geschafft, um die uns viele Staaten auf der Welt beneiden." Entweder hat Angela Merkel jedes Gespür für die reale Lage in unserem Land verloren, oder sie meint, unser Volk noch weitere Jahre ungestraft an der Nase herumführen zu können. Der Verdacht liegt nahe, dass beides zutrifft. Was es mit der von ihr am Vorabend des 20. Jahrestages der deutschen "Einheit" am 3.Oktober 2010 gefeierten "Gemeinschaftsleistung" in Wahrheit auf sich hat, erleben viele Millionen Bundesbürger am eigenen Leib. (...)

Denn darum geht es im Kern; das ist der Auftrag, den [die Regierung Merkel] im Interesse des Kapitals zu erfüllen hat: Einkommen und Vermögen der oberen Teile der Gesellschaft auf keinen Fall anzutasten. Und sowohl ihr "lieber Herr Ackermann" als auch ihr "lieber Herr Hundt" achten peinlich genau darauf, dass dieser Auftrag zu ihrer Zufriedenheit erfüllt wird. Die Geschäfte der herrschenden Klasse besorgt die Bundesregierung gegenwärtig unter Einschluss und Druck der derzeit am meisten extremistischen Partei unseres Landes, der FDP, die durch ihr zu weites Vorpreschen dafür sorgt, dass die tatsächlichen Machtverhältnisse sichtbar werden, worüber selbst ihre eigene Klientel zunehmend sauer wird, denn so offen mag sie die Ursprünge ihres Wohlstandes nicht öffentlich vorgeführt bekommen. Auch wenn der Schreihals Westerwelle im Ergebnis der Wahlen in Nordrhein-Westfalen etwas ruhiger geworden ist, lässt der Haushalt 2011 keinen Zweifel daran, dass sich am Ziel nichts geändert hat.

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Anmerkung: Hier kann man in kompakter Form zusammengefasst und hübsch formuliert nachlesen, was die neoliberale Bande bereits alles angerichtet hat und weiter anzurichten gedenkt. Es ist schon erschreckend, wenn man das einmal so komprimiert vor Augen geführt bekommt. Ganz besonders nachdenklich stimmt jedoch diese Feststellung: "Elterngeld, BAföG, Gesundheitswesen, Rente - überall will die Regierung sparen, aber fürs Kriegführen ist genug Geld da. Für 2010 hat der Bundestag der Regierung die Rekordsumme von etwa 1,1 Milliarden Euro für die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg in Afghanistan bewilligt. (...) Die kompletten Kriegskosten von 2002 bis 2009 beziffert die Bundesregierung auf rund 3,6 Milliarden Euro."

Da stockt einem der Atem, wenn man dieser Bande jeden Tag aufs Neue zuhören muss, wie sie in der Tagesschau und anderen Propagandamedien über die "Notwendigkeit des Sparens" schwadroniert. - Notwendig ist hier nur eines: eine Revolution.

Testfeld Griechenland: Pilotprojekt für den Angriff auf die Unter- und Mittelschichten in ganz Europa

(...) Die Repräsentationskrise der parlamentarischen Demokratie wird mit der Teilsuspendierung der parlamentarischen Rechte des Vouli [so heißt das griechische Parlament] freilich weiter auf die Spitze getrieben. Dieser Offenbarungseid der parlamentarischen Demokratie kann in seiner Wirkung kaum überschätzt werden. Faktisch hat sich die Regierung eines EU-Landes der ökonomischen Diktatur der Gläubiger gebeugt. Es lässt tief blicken, dass in den deutschen Medien diese vollständige Suspendierung eines zentralen demokratischen Rechtes, nämlich des Budgetrechts des Parlaments, nicht einmal ansatzweise zu politischen Bauchschmerzen geführt hat. (...)

Je mehr die demokratischen Institutionen in der EU ausgehöhlt werden, desto größer wird das Potential und die Verantwortung aller "außerinstitutionellen" Kräfte, die zentralen sozialen und demokratischen Rechte der lohnabhängigen Bevölkerung gegen die Krisenpolitik der politischen und ökonomischen Eliten zu verteidigen. An Griechenland soll ein Exempel statuiert und prototypisch die Verschärfung der neoliberalen Krisenpolitik erprobt werden. Diesem Versuch muss auch in Zentraleuropa mit Nachdruck entgegengetreten werden, soll den europäischen Eliten nicht kampflos das Feld überlassen werden. Die Frage der demokratischen und sozialökonomischen Selbstbestimmung muss zum zentralen Punkt der Auseinandersetzung gemacht werden, wenn die sozial und ökologisch zerstörerischen Kräfte der Krise gebannt werden sollen. Die Selbstaufklärung der Kräfte des gesellschaftspolitischen Widerstands über die weiteren Schritte beinhaltet jedoch eine Reihe von Fragen, deren Diskussion auf breiter Basis erst im Verlauf der Krise selbst möglich werden wird. Es kommt darauf an, den Chancen und Risiken dieser Entwicklungen gerecht zu werden.

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Anmerkung: Ein lesenswerter Artikel, der einige Hintergrundinformationen über die Lage in Griechenland bietet, die unsere Propagandamedien in der Regel ignorieren bzw. verheimlichen oder verfälschen. Es ist doch absurd, dass hier wie dort die Instrumente, die geradewegs in die Krise hineingeführt haben, nun in verschärfter Form in Anwendung gebracht werden sollen, um der Krise wieder entkommen zu können. Diese Feuerwehr hat Benzin in ihren Schläuchen, und es scheint niemand bereit oder in der Lage zu sein, sie aufzuhalten.