Freitag, 20. Oktober 2017

WDR: Dem Kapitalismus ging es noch nie besser


Der WDR ist für seine schmerzbefreite, von der Realität weit entfernte Berichterstattung bzw. kapitalistische Propaganda inzwischen ja bekannt und berüchtigt wie ein bunter Hund. Vor einigen Tagen gab es dazu wieder einmal ein Beispiel, das den Genuss des kollektiven Fussnägelaufrollens in ganz neue Dimensionen erhebt.

Wir wissen nach hunderten, immer wiederholten Beiträgen inzwischen ja, dass es "uns" heute "so gut wie noch nie zuvor" geht – darauf musste nun auch der WDR mal wieder aufmerksam machen, weil es sonst ja niemand bemerken kann. Diesmal haben die Satiriker bzw. tiefschwarzen Zyniker des Staatssenders diese esoterische Heilsbotschaft aber – ich mochte es erst auch nicht glauben – tatsächlich in den Verkehrsmeldungen untergebracht. Dort hieß es am 10.10. allen Ernstes:

Der Verkehr auf den Autobahnen in NRW hat sich am Dienstagmorgen (10.10.2017) auf einer Länge von mehr als 500 Kilometern gestaut. (...) Konjunktur und herbstliches Wetter / Zudem seien viele Autos und Lastwagen wegen der guten Wirtschaftslage auf der Straße.

Ja. Ich verstehe. Die Wirtschaftslage ist so brüllend gut, dass sich nun schon die Autos und LKWs auf den Straßen stauen, um den ganzen bescheuerten Plunder ins Ausland zu transportieren, von dem im Inland aber niemand etwas hat – abgesehen von den Kapitaleignern natürlich. Die gewinnen nämlich immer. Diese Meldung ist so schrill, dass sie mir böse Schmerzen bereitet. – Am selben Tag war beim WDR aber auch zu lesen:

Jedes vierte Kind im Regierungsbezirk Düsseldorf ist arm oder von Armut bedroht / Vor zehn Jahren unterstützte die Kindertafel an drei Schulen rund 20 Kinder. Mittlerweile sind stadtweit 28 Schulen dabei, 1.800 Kinder bekommen diese Art der Hilfe in Düsseldorf. Tendenz steigend (...).

Die "gute Wirtschaftslage" scheint nun nicht für alle – noch nicht einmal für eine Mehrheit der Menschen – so überaus erstrebenswert zu sein. Sapperlot! Wie kann denn so etwas bloß sein? Solche Fragen stellt man sich beim WDR jedoch nicht, denn im Paradies fragt man nicht, wieso denn nur sehr wenige profitieren und im Geld versinken, während die breite Masse in die finstere Röhre guckt. Auch das perverse Konzept der "Tafeln", das in einem wirklichen Sozialstaat nicht nur überflüssig, sondern vehement abzulehnen wäre, wird hier nicht thematisiert oder gar in Frage gestellt. Zur staatlichen Willkür der Zwangsverarmung ("Jobcenter") gesellt sich hier wunderbar die "Charity"-Willkür der Reichen: Niemand hat mehr einen Rechtsanspruch auf ein Existenzminimum (dank der grundgesetzwidrigen Sanktionen), ausreichende Lebensmittel oder gar so etwas Abstruses wie soziale oder kulturelle Teilhabe. Das gibt's längst alles nicht mehr in Kapitalistan; der betroffene Bürger muss einfach darauf hoffen, dass er einen "netten" Sachbearbeiter" oder einen Restbestand der dem Müll geweihten Lebensmitteln bei den "Tafeln" erwischt. Das ist für Millionen von Menschen in diesem Land eine fast tägliche, existenzielle Lotterie, die nie endet, aber längst nicht immer zu ihren Gunsten ausgeht.

Einen Tag zuvor, am 09.10., war beim WDR bereits ein Beispiel für einige Gründe dieser Perversionen zu lesen – freilich auch diesmal ohne jeden Kontext oder irgendeine sinnvolle, journalistische Schlussfolgerung:

Riesenrenditen mit Mikro-Appartements für Studenten / 22 Quadratmeter für beinahe 500 Euro – auf dem Wohnungsmarkt in Studentenstädten sind solche Angebote nicht selten. Das verspricht hohe Renditen für Investoren. / (...) Die Klientel: Gut betuchte Studenten. Für den BAFöG-Bezieher sind solche Wohnungen nicht finanzierbar. Stattdessen zielen die Investoren auf zahlungskräftige und ausländische Studenten.

Ei der daus! Da tun nun kapitalistische "Investoren" genau das, was sie in diesem System eben immer und überall tun – und niemand außer einer "linksextremen" Minderheit findet das ekelerregend? Wie kann das denn bloß sein, lieber WDR? Na, kommt ihr noch darauf, oder dürft ihr das nicht? Die "gute Wirtschaftslage", die sowohl für Megastaus auf den Straßen, als auch für massiv zunehmende Armut und Verelendung im Land sorgt, hat damit gar nichts zu tun, gelle!?

Hauptsache, den Kapitaleignern geht es gut – es versteht sich doch von selbst, dass deren stetig zunehmender Reichtum von irgendwem finanziert werden muss! Und wer sollte das denn sonst sein, wenn nicht die Zwangsverarmten? Die bedauernswerten Milliardäre können sich die anschwellenden Goldsäcke ja schließlich nicht aus den fetten Rippen schneiden!

Hier sind Hopfen und Malz unwiederbringlich verloren – und ein "Intendant", der sich aus den gerne per Gerichtsvollzieher eingetriebenen Zwangsgebühren mit 400.000 Euro jährlich bezahlen lässt, weist den Weg. Qualität bzw. Propaganda haben eben ihren Preis. Und dem Kapitalismus ging es in der Tat noch nie besser als heute.

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Betrachtung


"Die Biester sind Gott sei Dank genau wie die Menschen. Wenn sie nichts zu fressen kriegen, sind sie zu schlapp zum Beißen, und wenn sie zu fressen haben, zu faul."

(Zeichnung von Marcel Frischmann [1900-1952], in "Simplicissimus", Heft 12 vom 16.06.1930)

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Popcorn: "Die Partei, die Partei, die hat immer ..."


Stehen Popcorn, Bier und Zigarren bereit? Es ist wieder einmal soweit: Die selbsternannte "Linke", die aus strammen Fanboys und -girls (wobei letztere da eher selten auftauchen) der Linkspartei besteht, lädt wieder ein zum großen Kino der Selbstzerfleischung. Es geht – natürlich – wieder einmal um die "Neulandsozialdemokraten" – diesmal allerdings nicht um den rechtsgewendeten, unsäglichen Lapuente oder den bedauernswerten Nostalgiker Wellbrock, sondern um das lustige Kommentariat, das aus größtenteils alten, sich "links" wähnenden Männern besteht, die dem Internet und der restlichen Welt eben jene Welt erklären wollen, während sie brav und bieder Parteifähnchen schwenken.

Der Anlass ist zu vernachlässigen – ich habe mir den Podcast, der als Auslöser für das Kinoerlebnis dient, nicht angehört. Irgendein Erkenntnisgewinn ist da ohnehin nicht zu erwarten. Stattdessen habe ich begierig die Kommentare dazu gelesen – und wurde natürlich nicht enttäuscht.

Da geben sich die Fähnchenschwenker die Klinke in die Hand: Während die eine Fraktion der Obergrenzen-Apologetin Wagenknecht nicht nur die Schuhe, sondern jedes erdenkliche Körperteil küsst, heult die andere ausschweifend herum, dass diese Opposition gegen die Machtansprüche von Kipping und Riexinger ja kontraproduktiv sei und letzten Endes nur den Nazis in die Hand spiele. Was soll man dazu noch sagen – ich habe mit offenem, freilich grinsendem Mund vor dem Monitor gesessen und wähnte mich auf einer Titanic-Seite.

Keiner (wirklich nicht ein einziger) dieser parteihörigen Schwerdenker – ob nun Wagenknecht- oder Kipping-Fan – kommt auf den naheliegenden Gedanken, dass die Linkspartei längst angekommen ist im politischen Einheitsbrei des Kapitalismus, obwohl das so offensichtlich ist, dass ich mich schon in Grund und Boden schäme, erneut darauf hinweisen zu müssen. Diese Gesellen nehmen das einfach nicht zur Kenntnis und bleiben weiterhin bei ihrer felsenfesten Überzeugung, dass einzig die Linkspartei in der einen oder anderen Form dem kapitalistischen Terror ein Ende bereiten könne. Das sind geballte esoterisch-religiöse Überzeugungen, wie sie kafkaesker gar nicht sein könnten – Wasser brennt eben lichterloh, wenn man nur daran glaubt, gelle?

Mich erinnert das an die Diskussion der Feuerwehrleute, die vor einem brennenden Haus stehen und beratschlagen, ob man die lodernden Flammen nun besser mit Benzin, Kerosin oder doch eher mit flüssigem Sauerstoff bekämpfen solle. Derweil schwenken die Deppen weiter rote Parteifähnchen und wundern sich, dass der Faschismus dennoch eine neue Blüte erlebt – an dem ihre geliebte Partei nicht ganz unschuldig ist, was man aber nicht sagen darf, denn das ist böse, "spaltende" Ketzerei. Deshalb darf ich das nur hier schreiben – im Land der Linkspartei-Fetischisten werde ich dafür ganz menschenfreundlich gehasst, ignoriert und sogar per Mail bedroht: Irgendein Mensch, der sich "Sahra-Team" nannte, hat mir kürzlich in einer Mail nahegelegt: "Wenn du einfach stirbst wird dir keiner eine Träne nachweinen!! Dein scheiss Kommunismus ist tod [sic]!" – Und das ist noch ein eher harmloses Beispiel von vielen.

Ich lege also jedem, der sich dem Humanismus verpflichtet fühlt, nahe, dieses Güllebecken bei den "Neulandsozialdemokraten" aufzusuchen, den Schmonzes dort zu lesen und sich danach möglichst nicht irre kreischend von der nächsten Klippe ins Meer zu stürzen. Ich habe das geschafft, also kann es auch jede/r andere.

Mein Popcorn ist alle.

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(Zeichnung von Jiří Georg Dokoupil [*1954] aus dem Jahr 1985, Tinte auf Papier, Groninger Museum, Niederlande)

Dienstag, 17. Oktober 2017

Musik des Tages: Violinkonzert Nr. 2




  1. Allegro moderato
  2. Romanze. Andante non troppo
  3. Finale. Allegro con fuoco - Allegro moderato, à la Zingara

(Henryk Wieniawski [1835-1880]: "Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 in d-moll", Op. 22, aus den Jahren 1856/62; Philharmonisches Orchester Posen, Violine: Bomsori Kim, Leitung: Marek Pijarowski, 2016)


Montag, 16. Oktober 2017

Braunsumpf: Beispiel Österreich


Nach dem Wahlerfolg der ÖVP im Nachbarland Österreich, der einmal mehr den immensen, immer bedrohlicher werdenden Rechtsruck überall in Kapitalistan illustriert, ist es mir ein Bedürfnis, auf einen sehr erhellenden Text von Bernhard Torsch hinzuweisen, der bereits am 12.10. in der Jungle World veröffentlicht wurde. Dort sammelt der Autor unter Anderem einige (längst nicht alle) der übelsten während des Wahlkrampfes geäußerten Meinungen und Ankündigungen des kleinen Schlips-Borg Sebastian Kurz, zu dem der Redaktion des Postillon nur die naheliegende Frage einfiel:

Falls er Österreichs Kanzler wird: Wer folgt Sebastian Kurz als Klassensprecher der 10b nach?

Ich liste einige der dort genannten Abstrusitäten, die dieser lächerliche Hampelmann, der wohl nur von geistig Umnachteten, die auch einen Lindner oder einen Höcke ernst nehmen können, von sich gegeben hat, der besseren Lesbarkeit wegen einmal komprimiert auf:

  • Im Windschatten der Kölner Silvesternacht 2015 bliesen die österreichischen Boulevardmedien jeden realen oder vermeintlichen Fall ­sexualisierter Gewalt von Asylsuchenden zur großen Story auf, Schwimm­bäder verhängten Hausverbote für Nichtösterreicher, an den Grenzen patrouillierte das Militär und der vom ­Integrationsstaatssekretär zum Außenminister aufgestiegene Sebastian Kurz ließ eine Studie über islamische Kindergärten so überarbeiten, dass aus einer weitgehend harmlos klingenden Zustandsbeschreibung eine grelle Warnung vor islamistischer Indoktrination wurde.
  • [Das Wahlprogramm der ÖVP, für das Kurz maßgeblich verantwortlich ist,] ist ein stramm rechtes Programm. Während es Steuererleichterungen in Milliardenhöhe für Unternehmer, Konzerne und Immobilieneigentümer geben soll, wird die Übernahme der deutschen Hartz-IV-Gesetzgebung gefordert.
  • Asylsuchende sollen zu "Putzdiensten" verpflichtet werden.
  • Drogendealer sollen in jedem Fall zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden.
  • Die gleichgeschlecht­liche Ehe wird strikt abgelehnt.
  • NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten, stehen mit einem Bein im Knast.
  • Die ÖVP fordert auch die Ausweitung der Überwachung der Bevölkerung.
  • Menschen ohne österreichische Staats­bürgerschaft will [die ÖVP] bei Sozialleistungen benachteiligen, die im Übrigen flächendeckend gekürzt werden sollen.
  • Bei jedem Auftritt spricht Kurz fast ausschließlich über "Ausländer", "Migranten" und den Islam. Er ging sogar so weit, das Zurückfallen österreichischer Schulen bei der Pisa-Studie Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben.
  • Selbst vor der offensichtlichen Lüge, Österreicher verließen Wien wegen der vielen Ausländer, schreckte der Hoffnungsträger der Konservativen nicht zurück.
  • In Fernsehdiskussionen mit politischen Konkurrenten gibt sich Kurz streng und schneidend und imitiert dabei den Tonfall und sogar die Gestik von Jörg Haider.
  • Für Juden könnte es aber ohnehin ungemütlicher werden: Sowohl Kurz als auch Pilz [ein Ex-Grüner] sagten in den letzten Tagen, in einem Österreich unter ihrer Führung hätten "die Silbersteins" nichts mehr verloren.


("Noch am Wahlabend hatte er in einer Elefantenrunde beklagt, im Wahlkampf wiederholt mit Adolf Hitler verglichen worden zu sein.", GMX; Bild: Titanic)

Man kann also getrost resümieren: Die Mehrheit der wahlberechtigten österreichischen Bevölkerung steht der grandiosen Dämlichkeit und Menschenfeindlichkeit ihrer (nicht nur deutschsprachigen) Nachbarn in nichts nach, die sie letztlich natürlich auch selber betreffen wird. Das lässt sich im Übrigen auch an der weitergehenden Beschreibung der Wahlkampfinhalte von SPÖ und FPÖ im verlinkten Text von Torsch ablesen, die dem Kurz'schen Braunsumpf in nichts nachstehen bzw. sogar teilweise weit darüber hinaus gehen. Wer hier Ähnlichkeiten mit Deutschland, Frankreich, Ungarn, den Niederlanden, Polen und sogar Dänemark und vielen, vielen anderen pervertierten Nationen findet, ist auf einem guten Erkenntnisweg.

Menschenfeindlichkeit, Rassismus, stumpfsinniger Nationalismus und Faschismus sind wieder mehrheitsfähig im "vereinten Europa (*glucks*)", während Korruption, strikter Eigennutz, Lügen und Betrug den maßgeblichen Ton der herrschenden "Eliten" angeben. Das passt so gut zusammen. Und die Bevölkerung merkt's wieder nicht und blökt erneut munter mit im Chor des kakophonischen Untergangs. – Ich habe die kapitalistische Menschheit ja schon immer für eine bescheuerte, grunzende, hirnlose Affenhorde gehalten – aber auf solch eindrucksvollen Belege für diese These hätte ich im letzten Drittel meiner knappen Lebenszeit auch herzlich gerne verzichten können.

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Das rote Tuch



Der Stier, der lang auf rot dressiert,
wird noch vom alten Hass verführt.
Um ihn von andrem abzulenken,
genügt's, ein rotes Tuch zu schwenken.

"Das ist der Feind – der will dein Brot –
der schlachtet dich – den mach' schön tot!"
Er sticht – und steckt im Dreck so tief
und merkt zu spät: "Da ging was schief!"

Wer lächelt drob mit stillem Hohn?
Der Matador – die Reaktion!

(Zeichnung und Gedicht von Carl Sturtzkopf [1896-1973], in: "Der Simpl", Nr. 3 vom Februar 1947)