Samstag, 4. November 2017

Überwachung: "Ich weiß, was Du letzten Mittwoch getan hast"


Gestern habe ich mal wieder die "Vorzüge des Internet" genossen. Ich habe demnächst einen Termin wahrzunehmen und werde diesen aufgrund gesundheitlicher Gründe (Verletzung des rechten Fußes) voraussichtlich nicht mit dem PKW wahrnehmen können. Deshalb habe ich – zum allerersten Male – die Internetseiten des hiesigen "Verkehrsverbundes", wie sich hier der öffentliche Personennahverkehr schimpft, aufgerufen und dort nach einer entsprechenden Verbindung gesucht.

Da ich keine entsprechenden Pläne der Bus- und Bahnlinien, die irgendwie sinnvoll benutzbar sind, gefunden habe (oder schlicht zu blöd war, sie zu finden), habe ich die "Verbindungssuche" genutzt. Dabei habe ich, um mir zunächst einen groben Überblick zu verschaffen, zentrale Haltestellen am Ausgangs- und Zielort ausgesucht – also so etwas wie "Hamburg Hauptbahnhof nach Berlin Mitte" anstatt "Hamburg-Altona, Kleinkleckersdorfer Straße nach Berlin-Zehlendorf, Provinzgasse".

Das Suchergebnis hatte es in sich: Die "Verbindungssuche" listete daraufhin – neben den angeforderten Ergebnissen – eine ganze Reihe Haltestellen auf (inklusive "Gehminuten"!!!), die näher an meiner Wohnung liegen als die zentrale Stelle, die ich eingegeben hatte. Und die Angaben waren fatalerweise korrekt.

Woher zur Hölle "weiß" diese Software, wo genau ich wohne – und wer in des Teufels Namen hat ihr das "verraten"? Ich achte ja nun seit eh und je darauf, dass ich keinerlei persönliche Angaben öffentlich ins Netz stelle, ich benutze ein VPN und achte peinlich darauf, dass ich stets eine "sichere" Internetverbindung ("https") habe, wenn ich Online-Banking betreibe oder – was nur extrem selten, also ein- bis zweimal im Jahr vorkommt – einen Online-Einkauf tätige.

Offensichtlich ist das alles vergeblich. Google & Co. wissen, wo ich wohne und wahrscheinlich auch, wie ich heiße, welche sexuellen Vorlieben ich habe und ob ich mir regelmäßig die Intimbehaarung entferne oder Katzenvideos anschaue. Ich finde das nicht nur gruselig, sondern geradezu alarmierend. Ich bin offensichtlich viel zu naiv und ein wunderbar einfaches Opfer für Datensammler und Überwacher. Fachleute werden mich nun gewiss auslachen, zumal ich ja ausgerechnet via Google ("blogspot" gehört dazu) dieses Blog betreibe. Ihr habt ja recht. Dennoch erklärt das nicht das geschilderte surreale Erlebnis, denn auch "blogspot" kennt keine persönlichen Daten von mir – jedenfalls keine, die ich ihnen freiwillig und offen gegeben habe.

Auch für Stadtpläne benutze ich niemals Google Maps, sondern immer nur Openstreetmap.org – aber trotzdem bekomme ich dort, wenn ich nach vielen Monaten mal wieder auf die Seite zugreife, stets die zuletzt angezeigte Karte zu sehen – obwohl ich regelmäßig alle Cookies lösche. Wie kann das denn sein? Ich bin wohl wirklich zu naiv und habe schlichtweg keine Ahnung, mit welchen Tricks da inzwischen gearbeitet wird.

Wenn mir der örtliche "Verkehrsverbund" die "Gehminuten" zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle ausrechnet, ohne dass ich angegeben habe, wo ich wohne, haben wir ein Riesenproblem, das sich nicht mehr aus der Welt schaffen lässt. Und Orwell kotzt in seinen Sarg, während die kapitalistische Bande glückselig jauchzt.


Musik des Tages: Sinfonie Nr. 3 in c-moll




  1. Lento. Divin, grandiose – Luttes. Allegro mysterieux, tragique
  2. Voluptés. Lento, sublime
  3. Jeu Divin. Allegro, avec une joie éclatante

(Alexander Nikolajewitsch Skrjabin [1872-1915]: "Sinfonie Nr. 3 in c-moll", "Le divin poème", Op. 43 aus den Jahren 1902/04; Orquesta Sinfónica de Galicia, Leitung: Dima Slobodeniouk, 2014)


Donnerstag, 2. November 2017

Wenn der "Falsche" das "Richtige" fordert


Der Kapitalismus im Zwiespalt der Propaganda

Eigentlich ist das ja ein alter Hut: Neoliberale Apologeten – also schnöde Kapitalisten – sehnen sich bar jeder Logik nach einem "schlanken Staat", der die Handlungen der Konzerne auf dem "Markt" möglichst gar nicht "reguliert", der die Steuern für "Leistungsträger", also die profitierenden, meist arbeitslosen Reichen möglichst gegen null senkt und der tunlichst sämtliche Sozialleistungen für die große Mehrheit der Bevölkerung einstellt, damit diese "animiert" werden, "Eigenvorsorge" zu betreiben, sofern sie es denn können. So weit, so altbekannt und widerwärtig.

Trotzdem ist dieses menschenfeindliche Konstrukt nicht aus der Welt zu schaffen. Die hiesigen Blockparteien des Kapitals forcieren und zementieren es nach wie vor – was in den Massenmedien allerdings eher selten thematisiert oder gar kritisiert, geschweige denn journalistisch hinterleuchtet wird – allenfalls Jubelhymnen auf die "Reformen" und deren "Erfolge" sind dort regelmäßig zu lesen. Nun hat jedoch ein erklärter Popanz-Gegner der westlichen Demokratiesimulation, Donald Trump, ganz ähnliche Pläne auf den Tisch gelegt, die ansonsten jedem transatlantischen Wirtschaftsredakteur von FAZ, Spiegel, Zeit & Co. die Freudentränen in die Augen trieben – und schon heulen die Heuchler auf und veröffentlichen "Brandtexte" wie exemplarisch diesen (Zeit Online):

Der Bundesstaat [Kansas] wollte zur Blaupause für das Ideal einer konservativen Steuerpolitik werden: ein extrem schlanker Staat, der den Bürgern und der Wirtschaft möglichst wenig Steuern abverlangt. / 2012 hatten die Konservativen in Kansas unter Führung von Gouverneur Sam Brownback [Nomen est omen, Anm.d.Kap.] das Steuergesetz angepasst. Das Ziel: Mittelständische Unternehmen, Selbständige und Landwirte sollten gestützt und so die Wirtschaft angekurbelt werden. Die Pläne der Steuerrevolutionäre sahen vor, die Einkommenssteuer schrittweise auf Null zu senken. Außerdem sollten Firmen mit bestimmten Rechtsformen – etwa Limited Liability Companies (LLC) – komplett von der Einkommenssteuer befreit werden. Das Ganze, erklärte ein zuversichtlicher Brownback, sei ein "Experiment in Echtzeit".

Das Experiment ging nach hinten los. Innerhalb eines Jahres sanken die Steuereinnahmen in Kansas um acht Prozent oder rund 700 Millionen Dollar. Was die Sache noch schlimmer machte: Die Abgeordneten hatten es versäumt, die Staatsausgaben zu senken. Weil es plötzlich an den nötigen Mitteln fehlte, sah sich der republikanische Gouverneur gezwungen, Schulprogramme zurückzufahren, Reparaturen an Highways zu verschieben und Sozialleistungen zu kürzen. / Der Aufschwung, den sich die Republikaner von ihrer Steuerpolitik erhofften hatten, blieb zudem aus. Das Wachstum im Privatsektor war in der Folge sogar niedriger als der Landesdurchschnitt.

Paradiesische Zustände in Kapitalistan

Wer hätte denn auch mit einem so desaströsen Ergebnis rechnen können? Es ist doch nun seit so langer Zeit vielfach belegt, dass Steuersenkungen für Reiche, Privatisierungen und "Deregulierungen" des "Marktes" allenthalben zu paradiesischen Zuständen für die gesamte Bevölkerung geführt haben. Gerade Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür: Dank der Demontage des Sozialstaates und der Etablierung des Hartz-Terrors haben "wir" nun eine immer reicher werdende Bevölkerung, kaum noch Arbeitslose, keine Armut mehr und überhaupt geht es allen Menschen prächtig. Die Privatisierungen im Bereich der Krankenhäuser und Pflegeheime haben dafür gesorgt, dass Patientinnen immer besser versorgt, dass die Beschäftigten besser bezahlt werden und richtig tolle Arbeitsbedingungen erhalten haben. Die Abschaffung der Vermögenssteuer hat für hunderttausende neue Arbeitsplätze und massig Investitionen gesorgt – "wir" haben schließlich eine Elbphilharmonie, einen fast fertigen Superflughafen und einen zumindest angedachten Untertage-Bahnhof. Was soll man sich denn sonst noch wünschen? Und auch die privatisierte Post (inklusive der Telekom) ist ein einziges Erfolgsfanal, das für Kunden, Beschäftigte und die Infrastruktur ein glorreicher Segen war – um nur ganz wenige Beispiele von so vielen zu nennen.

Die Vertreibung aus dem Paradies

Aber wenn jemand wie der erklärte "Feind der Demokratie", Donald Trump, nun trotz der bekannten desaströsen Folgen dasselbe für die USA ankündigt, was nun wahrlich niemanden überraschen kann, meldet sich die deutsche Journaille plötzlich kritisch zu Wort und findet das befremdlich. Ernsthaft? Merken diese Genies von Kuhjournalisten denn wirklich nicht, wie kafkaesk diese Story ist – oder wollen sie ihre LeserInnen einfach nur verarschen und für dumm verkaufen? Kommt von den gutbezahlten Damen- und Herrschaften denn tatsächlich niemand auf die Idee, dass sinkende Steuereinnahmen, demontierte Sozialsysteme, ein überquellender, obszöner Reichtum der selbsternannten "Elite" und letzten Endes ein weitgehend handlungsunfähiger Staat nicht die Folge "politischer Fehler", sondern exakt die gewünschten Ergebnisse sein könnten, zumal diese infantile Farce nun schon seit mehreren Dekaden andauert? Oder glauben diese schreibenden Stricher und Huren allen Ernstes, dass da mehrheitlich Leute in den politischen Räuberhöhlen hocken, die es auch nach 20 Jahren noch nicht fertigbringen, eins und eins zusammenzuzählen?

Hätte sie doch bloß jemand gewarnt

Ich weiß allmählich wirklich nicht mehr, wen ich verabscheuungswürdiger finde: Die korrupte Bande in den Blockparteien, die willfährigen, die Korruption begleitenden KuhjournalistInnen oder die profitierenden Arschlöcher, die sich wie Dagobert Duck tagtäglich in ihren erbärmlichen Geldspeichern im nackten Wahnsinn ihrer unersättlichen Habgier suhlen, obwohl sie wissen, dass sie nicht nur in gestohlenem Gold, sondern erst recht in millionenfachen Massengräbern schwimmen.

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"Tja – große Gewinne erfordern kleine Opfer!"

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 7 vom 12.05.1920)

Dienstag, 31. Oktober 2017

Zitat des Tages: Der Staat


Dort, wo der Staat gewesen sein könnte oder sein sollte, erblicke ich nur einige verfaulende Reste von Macht, und diese offenbar kostbaren Rudimente von Fäulnis werden mit rattenhafter Wut verteidigt. Schweigen wir also vom Staat, bis er sich wieder blicken lässt. In diesem Augenblick von ihm zu sprechen, wäre Leichenfledderei oder Nekrophilie – zu beidem bin ich nicht veranlagt.

(Heinrich Böll [1917-1985], aus der "Rede zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses in Wuppertal im September 1966", zitiert nach "Der Spiegel", Nr. 41 vom 03.10.1966)




Montag, 30. Oktober 2017

Christentum und Faschismus


Pünktlich zum bevorstehenden "Reformationstag" – dem Höhepunkt der seit zehn Jahren [sic!] währenden und vom Staat mit dreistelligen Millionenbeträgen finanzierten "Lutherdekade" – haben die Macher des atheistischen Blogs Man glaubt es nicht einen hübschen Text veröffentlicht, in dem auf einen schon etwas älteren Beitrag zum Antisemiten, Frauenhasser und Obrigkeitsapostel Martin Luther eingegangen wird, der seinerzeit einen beachtlichen Shitstorm ausgelöst hat. Die AutorInnen verwenden hierfür den aus meiner Sicht nicht sonderlich gelungenen – weil allzu verharmlosenden – Begriff der "Schnullernazis" für jene fundamental-"christliche" Vollidioten, die ihren Nazi-Dreck hemmungslos ins Netz kippen und sich dabei des "göttlichen Beistandes" gewiss sind – aber das soll nun nicht weiter stören.

Ich zitiere aus dem Posting:

Okay, Luther war also wirklich ein Hassprediger, ein Vordenker für die Faschisten, der im "Dritten Reich" ausführlich gefeiert wurde. Wie äußern sich die Schnullernazis zu ihm? / "Luther war ein großartiger Mann. Heute bräuchten wir ihn – als Prediger gegen alles Linke, Zerstörende. […] Lieber noch die Ayatollahs als die linken Satanspäpste." / In einem anderen Kommentar sehnt sich ein Schnullernazi einen weiteren Hassprediger herbei: "Einen Luther bräuchten wir heute wieder: gegen Linke, Femastasen-Weiber und ausländische Invasoren." / Nicht nur Luthers Antisemitismus, sondern auch sein Frauenbild wird geteilt, es werden sogar biologische Ursachen für deren vermeintliche Unterlegenheit ermittelt: "frauen sind halt OHNE EIER GEBOREN, wobei man sich in dieser Situation schon eher einen ‚SAUDI-ARABISCHEN‘ Umgang mit Frauen wünscht, niemals das weibliche Geschlecht an irgendwelchen Machtpositionen zu setzen."

Und so geht das munter weiter. Hier findet sich fast jedes bornierte Klischee, das man rechtsradikalen Hohlbirnen – ob nun mit oder ohne pseudotheologischem Unterbau – gemeinhin zuordnet. Die Lektüre wäre sehr lustig, wenn sie nicht die böse Gefährlichkeit der Dummheit, die sich hier förmlich und äußerst bedrohlich manifestiert, so schauerlich illustrierte. Lest Euch das inklusive der Kommentare in aller Ruhe – sofern das Nervenkostüm das mitmacht – durch und beachtet auch das Ursprungsposting und die dort noch erhalten gebliebenen Kommentare. Dies sind Stimmen aus Deutschland im "Jahre des Herrn 2017", die unmittelbar erklären, weshalb Rassismus und Faschismus hier längst wieder eine heimelige, bis ins Knochenmark vergiftete Wohnstatt haben.

Mich erinnert das an meinen aussichtslosen Kampf, den ich vor Jahren mit Foristen (es waren ausschließlich Männer) des inzwischen zum Glück abgeschalteten Idiotenportals "kreuz.net" geführt habe. Dort posteten ebensolche – allerdings katholische – Nazihorden exakt denselben menschenfeindlichen Müll – bloß ohne Bezug auf Luther. Einige von diesen Gesellen belästigen mich per Mail auch heute – nach fast zehn Jahren – immer noch mit ihrer ewig gleichen braunen Kotze.

Wer nun einwendet, dies seien ja nur die "extremen Ränder" der Religioten, die man nicht weiter ernst nehmen müsse, sollte sich mit den entsprechenden Positionen der "christlichen" Parteien (CDU/CSU für die Katholen und die Grünen für die Evangelen) befassen – wobei ich damit nicht irgendwelche wohlfeilen Programme oder andere Druckwerke, sondern das konkrete Handeln meine. Anlässlich eines nicht weiter erwähnenswerten Besuchs in einem Gottesdienst erzählte mir noch vor einigen Wochen eine Pfarrerin mit belehrender Stimme von der Kanzel herab: "Wir Menschen sind alle Sünder, aber wir können etwas dagegen tun: Der Glaube ist der erste Schritt."

Yeah. Ich glaube inzwischen nur noch an den Untergang dieser Spezies und hoffe inständig, dass ich ihn nicht mehr persönlich erleben muss. Die Hoffnung darauf schwindet allerdings zunehmend.

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Passion 1932



(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 52 vom 27.03.1932)