Samstag, 15. Juni 2013

Paranoia oder berechtigtes Misstrauen? - Über "verpflichtende Ortungstechnik" in PKWs


Die EU-Kommission will, dass neue Autos ab 2015 verpflichtend mit dem sogenannten "eCall"-System ausgestattet werden. Es verbindet die Insassen bei einem Unfall automatisch mit Notfalldiensten und übermittelt den Standort an die Retter.

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Anmerkung: Als ich diesen kurzen, wenig aussagekräftigen Bericht des Boulevardsenders WDR gelesen hatte, begannen sofort sämtliche Alarmglocken in meinem Hirn laut zu schrillen und ich sah ein übles Szenario von noch mehr staatlicher Überwachung vor mir, dem man nicht mehr so einfach wie noch heute - nämlich indem man, wie ich, konsequent auf dämliche Handys, "Navis" und ähnlichen Tand verzichtet - entkommen kann.

Wieder einmal wird hier ein weiterer Meilenstein der zunehmenden Überwachung in ein hübsches, humanitäres Mäntelchen gehüllt, denn wer könnte schon etwas dagegen haben, dass Unfallopfern in Zukunft schneller Hilfe zuteil wird? Ich weiß nicht, wie oft es wohl geschieht, dass Menschen bei Verkehrsunfällen zu Schaden kommen, nur weil die medizinische Hilfe zu spät am Unfallort erscheint. Ich habe auch keine Zahlen darüber, wieviele solcher Personenschäden durch das tolle "eCall"-System wohl vermieden werden könnten. Allerdings sehe ich, dass hier einmal mehr eine kleine Minderheit instrumentalisiert wird, um der überwältigenden Mehrheit etwas aufs Auge zu drücken, was diese ansonsten niemals widerstandslos akzeptieren würde.

Da kann die Bande drei- oder auch dreißigmal beteuern, dass dieses Ortungssystem einzig im "Falle eines Unfalls" ("wenn Airbags auslösen") aktiv werden und dann selbstverständlich auch nur "Rettern" die Position des Fahrzeugs verraten soll. Auf solche Beteuerungen - mit Verlaub - scheiße ich inzwischen im Übermaß. Es ist ja altbekannte Tradition der neoliberalen Bande, dass Überwachungsstrukturen, die zunächst zur angeblichen "Verfolgung schwerster Straftaten" geschaffen wurden, bereits nach kurzer Zeit auch für Bagatelldelikte, die man oft sogar im Vorfeld ausdrücklich ausgeschlossen hatte, eifrig genutzt werden. Dieser Bande ist schlicht nicht zu trauen.

Im Rahmen dieses kriminellen, menschenfeindlichen Systems ist jede Art der Überwachung fatal für die Bevölkerung - ganz egal, aus welchen vorgeschobenen "humanitären" oder anderen Gründen sie auch beworben wird.

Nein - ich will keinen staatlich vorgeschriebenen Sender in meinem Auto haben, über dessen Aktivitäten ich keinerlei Kontrolle habe, ebensowenig wie ich zum Beispiel einen Chip implantiert bekommen möchte, der mich in eine Orwell'sche Alptraumwelt führt. Und wenn ich beim WDR dann noch Sätze wie den folgenden lese, habe ich den Kaffee endgültig auf und weiß, in welche finstere Hölle die Reise der Habgierigen gehen soll, wenn dieses kapitalistische Regime nicht endlich gestoppt wird: "Allerdings schließt die EU-Kommission nicht aus, dass es zusätzliche kostenpflichtige Dienste geben könnte: Suche nach gestohlenen Fahrzeugen oder Einsatz für Versicherungen und Mautgebühren." Da ist plötzlich von "auslösenden Airbags" und "Rettern" keine Rede mehr - ein Paranoiker, wer Böses dabei denkt.

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(Element of Crime: "Finger weg von meiner Paranoia", aus dem Album "Mittelpunkt der Welt", 2005)

Donnerstag, 13. Juni 2013

"Schlanker Staat": Hungertod für unsere Demokratie


Der Sprach- und Medienkritiker Holdger Platta nimmt einen weiteren Kampfbegriff der Neoliberalen unter die Lupe. "Schlanker Staat" meint: Alles, was Bürger dieses Staates wirklich brauchen, ist überflüssiger Speck. Man sieht ja, wohin die abschmelzenden Pfunde wandern: Zu reichen Privatleuten.

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Anmerkung: Einmal mehr möchte ich einen Text von Holdger Platta empfehlen, der uns diesmal sehr anschaulich das neoliberale Monster des "schlanken Staates", gerne auch euphemistisch "Nachtwächterstaat" genannt, vorführt. Die Parallelen zur Reklame, die der Autor dabei zieht, treffen voll ins Schwarze - denn nichts anderes tun PolitikerInnen und Parteien heute: Sie verkaufen und verbreiten Werbebotschaften, die das beworbene "Produkt" unters Volk bringen sollen - und dabei werden bekanntlich alle verfügbaren Möglichkeiten ausgeschöpft: von der Ablenkung, Verzerrung und Beschönigung bis hin zur dreisten, schamlosen Lüge ist alles dabei. Was in derlei Reklamebotschaften allerdings niemals - unter keinen Umständen - vorkommt, das sind seriöse, gar wissenschaftlich fundierte Informationen.

Das wissen wir (hoffentlich) alle. Umso erstaunlicher ist es, dass es tatsächlich noch Menschen geben soll, die das haltlose Geblubber von PolitkerInnen - zumal in Wahlk(r)ampfzeiten! - in irgendeiner Form ernst nehmen. Genauso wie uns die Konzerne in ihren unerträglichen, abgrundtief dämlichen Werbeclips unentwegt die Hucke volllügen, tun dasselbe auch die werten Damen und Herren in politischen Ämtern bzw. solche, die jene Ämter ergattern wollen, wenn sie die in irgendwelchen Propaganda-"Think Tanks" ersonnenen Neusprech-Phrasen dreschen, die wir zur Genüge kennen. Der "schlanke Staat" ist dafür nur ein Beispiel von sehr vielen.

Dennoch ist es eine wirklich gute Sache, wenn wir beispielhaft einmal näher ausgeleuchtet bekommen, was sich hinter einem solchen Neusprech-Begriff tatsächlich verbergen kann. Wer weitere Beispiele nachlesen möchte, kann das u.a. im Neusprech-Blog tun - auch wenn ich persönlich nicht immer jeder Argumentation dort folgen kann.

Sprache ist ein mächtiges Werkzeug - in positiver, aber leider auch in negativer Hinsicht.

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Das Schlafmittel


Im Radio hört man jetzt nur noch Wahlreden.

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 33 vom 10.11.1924)

Dienstag, 11. Juni 2013

Song des Tages: In Places On The Run




(The Dream Academy: "In Places On The Run", aus dem Album "The Dream Academy", 1985)

All alone in bridge of silence
I suppose you shouldn't stay
All alone in dream's asylum
Don't you know we've come a long way

I suppose we were
Somewhere in the sun
We walked in colored fields
In places on the run

What a dream I had
Dressed in colored shawls
Though the night was so warm
And a nightingale
Sat on a castle wall
While the river ran on

Calling, hearing you call
The river ran on
Running
The river ran on

It felt as if we were
In places yet unknown
We walked through the bazaars
In places on the run

What a dream I had
Walking by the wall
Oh, the raiment and all
The stars flickered by
Soon to be replaced
If I asked them they'd fall

Calling, hearing you call
The river ran on
Running
The river ran on

What a dream I had
Dressed in colored shawls
Though the night was so warm
And in the darkness I
Tried to take your hand
But it was nothing at all

Nothing at all
The river ran on
Nothing at all
The river ran on

The river ran on
The river ran on



Anmerkung: Ich weiß nicht, wie andere Menschen das erleben - aber bei mir erzeugte dieser Song schon damals ungeheure Gänsehautgefühle, die bis heute nicht nachgelassen haben, sondern durch die inzwischen untrennbar mit diesen Klängen verknüpften Erinnerungen noch etwas intensiver geworden sind. Wenn ich das Lied höre, denke ich unweigerlich an eine bestimmte sternklare Nacht im Herzen des Burgund - ebenso wie an eine chaotische Irrfahrt durch die verregnete englische Provinz, die nicht enden wollte.

In jedem Fall ist das extrem atmosphärische Musik, die in den Charts, in die sich einige Songs der Band dennoch böse verirrt haben, nichts verloren hat. Der Komponist der Band, Nick Laird-Clowes, hat u.A. den grandiosen, ebenfalls atmosphärisch sehr dichten Soundtrack zu dem wundervollen melancholischen Film "The Invisible Circus" (2001) geschrieben, in dem Moritz Bleibtreu eine seiner ersten internationalen Rollen spielte.

Montag, 10. Juni 2013

Zitat des Tages: Kühe


Wie in der ersten Frühe
Der Nebel feig
Sich dünn macht, stehn auf der Wiese Kühe.
Und eine davon klackst jenen erstaunlich viel grünen Teig.

Als wie im Paradiese!
Warme Mastbäuche rauchen.
Rührende Rotzmäuler tauchen
In die Champagnerbläschen der Wiese.

Sie wandeln mit viehischer Majestät
Innerhalb ihrer Grenze,
Schieben das Restchen von Nervosität
In die Quaste ihrer Schwänze,

Und ihre Euter schwappeln und schlenkern
So hunds-glücklich gemein.
Auch unter den Fürsten und ersten Künstlern und Denkern
Benehmen sich manche wie ein Schwein.

(Joachim Ringelnatz [1883-1934], in "Simplicissimus", Heft 26 vom 22.09.1924)

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Zur Metamorphose der Pflanzen



(Zeichnung von Toni Bichl [1906-??] in "Simplicissimus", Heft 15 vom 08.07.1934)

Anmerkung: Auch im finsteren Jahr 1934 rutschte offensichtlich gelegentlich etwas am braunen Zensor vorbei, was dieser entweder nicht bemerkt oder aber nicht bzw. falsch verstanden hatte ...

Aus dem Leben gegriffen: "Deutsche lehnen Rechtsextremismus ab"


Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge wird Rechtsextremismus in der deutschen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. 57% der Befragten sehen darin eine große Gefahr für die Demokratie, 85% möchten nicht in der Nachbarschaft von Rechtsextremisten leben.

LeserInnen-Kommentare zu dieser Meldung:

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Anmerkung: Die Redaktion der Titanic hat sich zu dieser Meldung einige Kommentare ausgedacht, die allerdings einen kleinen Makel haben: Sie werden als Satire der ekelhaften Realität leider nicht gerecht, da sie keine Überspitzung darstellen, sondern lediglich den tatsächlich vorhandenen braunen Stumpfsinn in den Kommentarspalten der "Qualitätsmedien" und sogar einiger seriöserer Nachrichtenportale widerspiegeln. Ich persönlich weiß auch gar nicht, wie man das, was man - sofern man sich jene Kommentarspalten noch antut - dort nicht selten zu lesen bekommt, überhaupt noch satirisch überspitzen sollte.

Kommentarspalten sind nun nicht repräsentativ, und es ist auch kein Geheimnis mehr, dass es längst "Agenturen" gibt, die im Auftrag bestimmter Gruppierungen gezielt Kommentare im Netz posten (lassen) - denen ist es egal, ob sie für eine Automarke, für bestimmte Gesetzesvorhaben, für Folterinstrumente oder für eine braune Gesinnung Propaganda betreiben, solange sie bezahlt werden. Jeder Blog-Betreiber, der Kommentare zulässt, kann beispielsweise ein Lied von der stets steigenden Spamflut singen, die tagtäglich in die Kommentarspalte dringt und glücklicher Weise meist im Spamfilter hängen bleibt. Dennoch bleibt ein übler Geschmack zurück, wenn man immer wieder an verschiedensten Stellen derartigen braunen Unrat lesen muss.

Die Saat, die die neoliberale Bande gesät hat und bis heute liebevoll hegt und pflegt, gedeiht prächtig und stinkt entsprechend obszön. Der Überwachungsfetisch-Minister H.P. "Schweinelocke" Friedrich hat kürzlich ja erst wieder in die Mikrofone geplärrt, dass er "Sozialbetrüger" und "Armutsflüchtlinge" aus Deutschland "rausschmeißen" wolle und damit zum wiederholten Male rassistische Hetz-Propaganda für die NPD betrieben - was will man von Menschen auch erwarten, die solche Widerlinge nicht nur widerspruchslos dulden, sondern sie sogar wählen?

Wenn der Fisch vom Kopf her stinkt, wird letzten Endes der ganze Teich zur versumpften Kloake.