Mittwoch, 7. Oktober 2009

Bolkestein im Anmarsch

Als die Europäische Kommission im Jahr 2004 die auch als „Bolkestein“ bekannte Dienstleistungsrichtlinie vorlegte, die dann später vom Europaparlament mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, hagelte es Kritik von Seiten der Gewerkschaften und Globalisierungskritiker. Die Proteste waren in der Folge europaweit so massiv, dass die Kommission Änderungen an der Richtlinie vornehmen musste. Insbesondere verzichtete sie auf das sogenannte Herkunftslandprinzip, demzufolge Dienstleistungsfirmen berechtigt gewesen wären, ihre Dienste gemäß dem Recht ihres Herkunftslandes EU-weit anzubieten – was einen Unterbietungswettbewerb nationaler arbeitsrechtlicher Standards zur Folge gehabt hätte.

Die Änderungen galten damals zu Recht als großer Erfolg der Protestbewegung. Seither ist die Bolkestein-Richtlinie weitgehend aus der politischen Öffentlichkeit verschwunden. Doch völlig zu Unrecht: Denn bis zum Ende dieses Jahres muss ihre Umsetzung in nationales Recht vollzogen sein. Und der Gesetzgeber ist seit 2005 keineswegs untätig geblieben. Dabei zeigt sich, dass die Gefahr der Lohndumping-Konkurrenz ebenso fortbesteht wie datenschutz- und arbeitnehmerrechtliche Probleme.

Herkunftslandprinzip durch die Hintertür?

Gegenwärtig arbeiten die nationalen Institutionen unter Hochdruck an der Beseitigung der letzten rechtlichen Hindernisse und der technischen Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie. Den Bürgerinnen und Bürgern wird diese als wichtigstes arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisches Vorhaben in Europa präsentiert. Im Kern zielt sie indes nach wie vor auf eine weitgehende Liberalisierung nahezu des gesamten Dienstleistungssektors. Insofern ist die Richtlinie ein weiterer Schritt auf jenem Weg, der mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 eingeleitet wurde und nahtlos in die sogenannte Lissabon-Strategie mündete. Deren erklärtes Ziel ist es, die EU bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.

Zwar wurde nach den Protesten der Begriff „Herkunftslandprinzip“ nominell aus der Dienstleistungsrichtlinie gestrichen. Mit der Formulierung in Art. 16, derzufolge ein Mitgliedstaat nicht daran gehindert ist, „im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht seine Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anzuwenden“, wird jedoch das Herkunftslandprinzip nur eingeschränkt, aber keineswegs abgeschafft. Denn die Regeln des Ziellandes müssen diesem Artikel zufolge nur dann eingehalten werden, wenn dessen öffentliche Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder Umweltschutz gefährdet sind. Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fallen somit eindeutig nicht unter den Schutz des Gesetzes.

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