Freitag, 30. August 2013

Retrospektive: Eine Replik


Um diesen Text des Kiezneurotikers geht es.

---

Die "Fabrik". Eine alte Steinruine aus den finsteren Jahren des Kapitalismus. Vor zwanzig Jahren war sie ein "besetztes Haus", in dem sich junge Menschen tummelten, die sich größtenteils "Punks" nannten und den Aufstand probten - denn Kapitalismus, Karrierestreben, Egoismus und ähnliche spießige Albernheiten waren nicht angesagt. Man feierte lieber - den Moment, das "Hier und Jetzt" und vor allem den eigenen Genuss - auch wenn das damals keiner so formuliert oder gar zugegeben hätte. Klar - man war gegen das "Establishment", gegen die reichen Schmarotzer und vor allem gegen den alten Sack zuhause, der dem oft gutbürgerlichen Nachwuchs-"Punk" vorlebte, was es heißt, ein Sklave der Produktions- und Verwertungsgesellschaft zu sein und darauf - was man so gar nicht nachvollziehen konnte - auch noch unsäglich stolz war.

Davon abgesehen ging es den so "Revoltierenden" aber doch in erster Linie ebenfalls um purem Hedonismus - nämlich ums Saufen, um Drogen, um Musik, um Sex und - natürlich - um die möglichst immerwährende Party. Wenn ich heute so einen verklärenden Text vom ansonsten so geschätzten Kierzneurotiker lese, muss ich doch herzlich lachen. Nichts, aber auch gar nichts unterscheidet den Zeitgeist der Jugend der 80er und 90er Jahre von den ebenso hohlen, gesteuerten Jungbirnen von heute. Es sind genau diese "Altrevolutionäre" von vor 20 und 30 Jahren, die die kapitalistische Katastrophe bis heute erneut bis zum Exzess getrieben haben und das auch weiterhin tun. Das in den ach-so-aufständischen Zeiten geprobte Prinzip des "Zuerst kommt mein persönlicher Genuss", das sich in nichts vom kapitalistischen Egoismusgebet unterscheidet, hat sich einmal mehr durchgesetzt.

Wenn ich heute zurückblicke auf die Zeit der 80er und 90er Jahre, kann ich nichts Nostalgisch-Verklärendes darin entdecken - dafür aber die bittere Erkenntnis, dass wir jungen Idioten damals zwar glaubten, die Zusammenhänge zu verstehen, davon aber genauso weit entfernt waren wie die uns so verhassten Spießer der Elterngeneration. Und wenn ich heute Stimmen höre, die mir den eigenen Nachwuchs bzw. dessen Wohlergehen als Argument dafür verkaufen wollen, dass man exakt denselben gruseligen Weg in die Ausbeutung und Knechtschaft gegangen ist wie all die Generationen zuvor, kann ich nicht einmal mehr hölzern lachen. Gerade die Kinder sind es doch, die uns heute, da wir so viel mehr wissen, erkennen und verstehen als damals, dazu bringen müssten, noch dreimal lauter "Nein!" zu schreien und uns dem kapitalistischen Irrsinn umso vehementer entgegen zu stellen.

"Damals" war nichts besser - die Jugend im Westen war genauso dämlich wie sie es heute ist und hatte natürlich nicht begriffen, dass sie nur deshalb ein relativ angenehmes, gerne auch "revolutionäres" Leben führen konnte, weil ein Großteil der Menschheit in bitterster, versklavter Armut vor sich hin vegetieren muss. Woher sollte sie das auch wissen - die Propaganda war auch damals schon gut aufgestellt. Es ist wohl kein Zufall, dass es "Punks" und scheinbar revoltierende Jugendliche nur in kapitalistischen Ausbeutungsstaaten, nicht aber in existenziellen Bedrohungsumgebungen, wie sie beispielsweise in Afrika immer wieder vorkommen, gibt. Im Rosenbett lässt es sich vorzüglich protestieren ...

Wer heute im kapitalistischen, menschenverachtenden Schlips-Borg-Theater angekommen ist und das auch noch zu rechtfertigen versucht, dem kann ich nur sagen: Du bist ein wesentliches Teil des Problems. Und Dein Leben ist tatsächlich nicht anders als damals - aber leider eine noch größere Karikatur.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Starker Tobak, Charlie, aber du hast recht: Ich bin heute Mittelschicht, nach 7 Jahren Dreck, Drogen und Müll, und ich finde das gut, weil es eine Menge Arbeit war, aus der Scheiße dorthin zu kommen. Ich habe zu lange Müll gefressen, ich will nicht mehr. Mein Soll an Gosse habe ich erfüllt.

Dein Problem ist: Du hast mir nichts anzubieten, was ich nicht schon kenne und verworfen habe. Es ist keine Option, zu kündigen und mit dem Kind wieder dorthin zu gehen, wo ich mal war. Auf die Straße, zurück zum Hunger, zurück zu den Monaten ohne Geld, zurück zu den Dreckjobs, bei denen man mich noch um den mickrigen Lohn prellt. Davon ist früher schon kein Flüchtling satt geworden.

Nein, mit Nachdruck, nein, das ist keine Option. Ich bin da raus und ich bin froh drum. Und ich bleibe da wo ich bin, so ich es denn schaffe, denn so viel Haifischbecken wie da unten in der Gosse kann hier in der Mitte gar nicht sein. Da unten überleben nur die Starken und der Rest geht vor die Hunde und frisst sich gegenseitig auf.

So romantisch waren die Jahre nicht, Charly, und schon gar kein hemmungsloser Genuss, das verstehst du falsch. Das war ein Leben am Abgrund mit allen Zutaten, die ein Leben am Abgrund mit sich bringt. Schnell. Derb. Prägend. Aber nie etwas auf Dauer. Hätte ich so weitergelebt, wäre ich heute tot.

Irgendeine linke Szene hat mir auch nichts zu bieten, was ich nicht schon kenne: Wir haben eine Zeit lang versucht, uns politisch einzubringen, Demos, Solikonzerte für irgendwen, Direkte Aktionen gegen Nazis, Mahnwachen, Blockaden, das ganze Spiel, aber es hat nicht funktioniert und der verbliebene Rest der immer kleiner werdenden Szene wurde immer seltsamer.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich festgestellt habe, dass sie dort aufs Härteste die derbsten Machtverhältnisse reproduzierten, je kleiner die ganze Sippschaft mit der Zeit wurde.

Da gab es die verbiesterten K-Grüppler, die jede kleine politische Äußerung in ellenlangen Monologen zerpflückten und am Schluss alle als Konterrevolutionäre beschimpften, die bei den ganzen Fremdworten nicht mehr mitkamen.
Oder diese Gruppe Antisexisten*_Innen, die Flaschenbiere nach denen warfen, die in der Öffentlichkeit mit ihrer Freundin rumknutschten. Am Schluss war das eine Atmosphäre wie im katholischen Kloster, nur nicht so freundlich.
Sie haben zuletzt Europaletten waagerecht über die Kloschüssel angebracht, unter die man mühsam runterkriechen musste, damit sich auch ja jeder beim Pissen auf das versiffte Klo setzt und nicht steht, sie haben Buttersäure gegen einen netten Typen von der PDS gespritzt, einfach weil der in ein einer Partei war, sie haben Auftritte von Punkbands verhindert, die sie für sexistisch, faschistisch, imperialistisch oder weiß der Geier für was gehalten haben.
Ein Netz von Blockwarten, Pausenaufsichten und Nannys durchzog zuletzt jedes besetzte Haus. Dieser linke Sumpf ist fürchterlich, er ist unfrei, er ist abstoßend. Ich hatte dort nichts verloren und ich hoffe, dass diese Menschen niemals die Macht in diesem Land bekommen. Sie sind kalt, hart und so glatt wie es der übelste krawattierte Pinguin nicht sein könnte. Ich dachte, das seien die besseren Menschen. Sie sind es nicht. Ganz sicher nicht.

Jetzt muss es die neue Generation versuchen. Wir haben versagt. Und zwar komplett. Und sobald die neue Generation auf die Straße geht und protestiert, bin ich dabei. Mittelschicht hin oder her.

Ja, ich bin jetzt endlich angekommen, habe mich eingerichtet und zum ersten Mal Ruhe gefunden. Und nochmal: Ich finde das ausdrücklich gut.

Meinen moralischen Kompass, meine Werte habe ich behalten, meine Werte lebe ich meinem Kind vor, meine Werte versuche ich gelegentlich in meinem kleinen Nischenblog zu vermitteln, meine Werte versuche ich in meiner kleinen Welt zu leben, so gut ich das kann. Mir reicht das. Da musst du durch.

Charlie hat gesagt…

Lieber underdog,

danke für die ausführliche Antwort, mit der ich gar nicht gerechnet habe. In vielen Punkten scheinen wir ja sehr ähnliche Meinungen zu vertreten - einzig bei der Frage nach dem heutigen Ist-Zustand irren wir offenbar auf verschiedenen Wegen umher.

Der Anlass für diesen kleinen Text war Dein Schlussresümee: "Und plötzlich führt man ein anderes Leben. Nicht schlechter. Nicht besser. Nur anders." Das hat mir die Fußnägel aufgerollt - und Du bekräftigst das ja nun sogar noch, indem Du ausdrücklich wiederholst, dass Du es gut findest, nun in der "Mittelschicht" angekommen zu sein. Für Dich persönlich mag das nachvollziehbar sein - für die Sache an sich ist es der altbekannte Dolchstoß von hinten ins Herz, der alle Versuche, die hochnotpeinlichen, steinzeitlichen Klassenunterschiede zu bekämpfen, ad absurdum führt.

Zur Erklärung: Ich stamme selbst aus einer privilegierten "Klasse" und habe mich in jugendlichen Zeiten ganz bewusst dafür entschieden, diesen wahnwitzigen Schmarrn hinter mir zu lassen. Damit war ich aber ziemlich alleine, wie ich schnell feststellen musste - denn die allermeisten der anderen "Punks", "Linken", "Alternativen" oder wie sie sich auch immer genannt haben, hatten ebenfalls nichts anderes im Sinn als die Befriedigung ihrer ganz persönlichen, egoistischen Bedürfnisse - die größtenteils eben aus Party, Rausch, Musik und natürlich Sex bestanden. Ich war damals sehr empfänglich dafür und habe nur allzu gerne mitgemacht - in der aus heutiger Sicht geradezu irrsinnigen Annahme, dass wir uns eine schöne, neue, gerechte und faire Welt durch Ficken, Saufen und andere egoistische Befriedigungen herbeizaubern könnten.

Das war aber keine "Revolte", sondern ein Plagiat dessen, was wir angeblich so verachteten.

Dann kam die Spießerzeit, in der ich nach dem Studium auf denselben absurden Wegen wandelte, die ich zuvor so verachtet hatte - ein "guter" Job, kaum Freizeit, dafür vergleichsweise viel Kohle, ein dickes Auto, ein Haus, Gartenarbeit am Wochenende ... es war alles dabei, was mich einige Jahre zuvor zum Endloskotzen gebracht hätte, und ich fand es - ebenso wie Du das jetzt für Dich in Anspruch nimmst - ausgesprochen toll und gut. Wenn man har arbeitet und dafür "belohnt" wird, ist es durchaus nachvollziehbar, dass man das schön findet und dabei ausblendet, dass man dennoch einzig für die Profitmaximierung einiger Superreicher arbeitet und das auch noch auf dem Rücken vom Millionen anderer Menschen tut, die von dem relativen Luxus des eigenen Lebens nicht einmal vage träumen können.

Glücklicherweise habe ich den Absprung aus dieser perversen CDU/FDP-Welt wieder geschafft und bin kein Aktenkofferträger der Kapitalisten geblieben. Mich hat eine Krankheit von diesem Wahn geheilt, die mir gesagt hat, dass ich so nicht weitermachen kann - und nicht der Verstand. Ich befürchte also, dass auch viele andere Menschen nicht durch logisches Denken zu der Erkenntnis gelangen, dass im Rahmen dieses perversen Systems Privilegien Einzelner immer nur auf Kosten von anderen Menschen (und von denen meist sehr, sehr viele) zu haben sind. Mach Dir das klar, wenn Du Dich in Deiner ohnehin von den "Eliten" bereits zum Abschuss freigegebenen "Mittelschicht" einrichtest.

Du bist nicht "angekommen" in der "Mittelschicht", sondern zwischengeparkt und ruhiggestellt. Solange es Menschen gibt, die es "toll" finden, in der perversen Hierarchie der kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft "aufzusteigen", solange wird das perfide Spiel der Superreichen auch munter weitergehen.

Das alles ist ausdrücklich nicht persönlich gemeint - ich kenne Dich ja gar nicht.

Liebe Grüße!

Anonym hat gesagt…

Lieber Charlie,

es ist eine Frage des Respekts, auf jemanden zu antworten, der sich die Mühe einer ausführlichen Auseinandersetzung mit einem Text gemacht hat. Ich denke, du wirst eine Weile an deiner Replik gesessen haben, ich saß locker eine Stunde an meiner Antwort darauf.

Der Retrospektivetext war ein sehr persönlicher Text, wahrscheinlich der persönlichste bisher, und natürlich ist deine Replik dementsprechend persönlich. Das ist nicht schlimm, denn ich habe diesen Text online gestellt und dann darf sich auch jeder mit ihm auseinandersetzen. Wer keine Lust auf Gegenwind hat, sollte keinen Blog betreiben, sondern eine Tagebuchkladde zuhause in der Schublade.

Mit dem Satz mit der "zum Abschuss freigegebenen Mittelschicht" liegst du völlig falsch. Hoffst du etwa auf die Verelendung der Mittelschicht, auf dass eine revolutionäre Stimmung entstehe? Das wird nicht passieren, denn sie werden immer eine Mittelschicht erhalten, die die Pyramide stabilisiert. Alles andere ist ein Sägen am eigenen Ast und das machen sie nicht, das machen sie nie, sie wissen ganz genau wohin das führt.

Jede Elite, die etwas auf sich hält, sorgt dafür, dass es ein mehr oder weniger gesundes Fundament derer gibt, denen es gut geht. Jede Elite, die etwas auf sich hält, sorgt dafür, dass die Leute satt werden und sich unterhalten fühlen. Brot und Spiele. Klassisch. Klappt immer.

Die Mittelschicht war ihnen zu groß, das räume ich gerne ein, deshalb haben sie sie ein wenig eingeschmolzen, das belegen alle Statistiken. Doch sie werden sie nie abschießen. Sie hängen die Mohrrübe nur so, dass sich alle noch ein bisschen mehr anstrengen. Und das klappt.

Sollte die Stimmung kippen, geben sie wieder etwas Seil, stellen wieder etwas ruhig. Doch sie werden mich und meinesgleichen nie abschießen. Warum sollten sie das tun? Sie werden keinen Grund für eine Revolte liefern, da kannst du lange warten.

Brot und Spiele, Charlie, darum geht es immer. Satt wird hier jeder in diesem Land. Das Amt zahlt nicht? Geh zur Tafel. Wohnung weg? Die Caritas hat da ein Wohnheim. Wer da noch auf der Straße pennt, ist selber schuld. Das sagen auch 95% aller Befragten von Infratest. So läuft das Spiel. Dieses "1% gegen 99%", wobei die 99% das alles nur nicht blicken, ist eine schöne plakative Faustformel, ein fantastisches Schwarz-Weiß-Bild, aber es bildet nicht die tatsächlichen Gegebenheiten ab. Die vielen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten sind durchlässig und müssen es auch sein.

Nur ein Beispiel: Was hält denn Prekariatskinder davon ab, Abitur zu machen? Nix. Kein Scheiß. Kevins und Schakelynes bekommen weniger Gymnasiumsempfehlungen blasierter Grundschullehrer? Mag sein (wobei ich da eher einen Zusammenhang von dummen Eltern sehe, die ihren dummen Kindern dumme Namen geben), doch es gibt den zweiten Bildungsweg. Das geht locker. Die nehmen jeden. Kein Scheiß. Ich hab's gemacht. Mittlere Reife, dann Abitur. Als Pöbel. Geht angeblich nicht, sagt man. Halte ich für Unsinn. Es ist nur bequem, das zu behaupten.

Diese ganze "gläserne Decke"-Scheiße ist eine hübsche Verschwörungstheorie. Der Feminismus argumentiert genauso.
Glaubt irgendwer ernsthaft, dass irgendwo die Eliten sitzen und sagen "Bööööh, der ist Arbeitersohn, wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass der Abitur macht"? Davon haben die doch gar nix. Das ist doch auch widersinnig.

(das war der erste Teil, Google ist eine Pottsau und akzeptiert keine langen Texte in der Kommentarleiste :-)

Anonym hat gesagt…

Teil II:

Zurück zum Thema: Niemand hat etwas davon, wenn ich verelende. Niemand. Das bringt gar nix, außer dass ich wieder Hunger habe und mein Kind mit mir. Kein Flüchtlingsboot vor Lampedusa wird weniger kentern, kein Kind wird mehr Bildung bekommen und kein Charlie bessere Laune, wenn ich wieder wochenlang Haferflocken mit Wasser essen muss.

Du hast ausgeteilt, jetzt steck mal ein: Was erreichst du eigentlich? Du bist aus dem Hamsterrad ausgestiegen und schreibst seit 2009 ins Internet. Geht es dir nun besser? Du machst nicht den Eindruck. Geht es der Welt besser? Eher nicht, möchte ich meinen.

Was hast du erreicht?

Versteh mich nicht falsch, ich lese deinen Blog sehr gerne, aber er wirkt nicht so, als wenn deine Stimmung sonderlich gut ist. Nochmal: Was hast du erreicht? Hast du dir den Ausstieg anders vorgestellt? Ist etwas besser geworden? Und sei es nur dein eigenes Befinden? Wenn ja, dann ist das für mich in Ordnung, auch wenn dein freiwilliger Verzicht der Welt nicht geholfen haben wird.

Die Haltung ist es, Charlie, nicht das Bankkonto, es geht immer um die innere Haltung. Ich kann in der Mittelschicht ein guter Mensch sein, ich kann sogar in der Oberschicht ein guter Mensch sein - es gibt da wirklich welche. Bill Gates hat seine Kinder enterbt, damit sein Geld ein wenig das Leiden in der Welt lindert. Ich glaube, er unterstützt unterprivilegierte Kinder mit seinen Milliarden.

Wie passt das eigentlich in das Bild der fiesen Unterdrücker, die die Unterprivilegiertem am liebsten verrecken sehen wollen?

In welcher Schicht man mehr bewirkt, kann ich nicht beurteilen, ich wage die jedoch kühne These, dass ein Millionär mit einer entsprechenden inneren Haltung eine Menge Gutes für sozial Schwächere tun kann, mehr als sich das ein kommunistischer Dogmatiker im besetzten Haus vorstellen kann, der gerade eine Europalette über die Kloschüssel nagelt, um sein Umfeld zu gängeln.

Ebenso liebe Grüße. :)=

jakebaby hat gesagt…

"It doesn't matter who or what you are, what you do defines you" Rachel D.

Charlie hat gesagt…

Lieber underdog,

erneut vielen Dank für die noch ausführlichere Antwort, vor der ich ehrlich gesagt etwas Angst hatte, weil ich befürchtete, Du könntest das doch in den falschen Hals bekommen, was ich geschrieben habe. Gut, dass es nicht so geschehen ist. :-)

Ich habe indes den sich langsam erhärtenden Eindruck, dass wir zunehmend aneinander vorbei reden. Ich kann so ziemlich allem, was Du zuletzt schriebst, zustimmen - sehe es aber dennoch nicht als Widerspruch zu dem, was ich davor zu sagen versucht habe.

Selbstverständlich hungere auch ich nicht freiwillig und verzichte keineswegs beispielsweise auf meine geheizte Wohnung, weil es elendig vielen Menschen auf diesem Planeten weitaus schlechter geht als mir. Das war nicht die Aussage, die ich kolportieren wollte. Es ist vielmehr die Haltung, die Gedanken, die dahinter stehen, wenn man diese Privilegien nutzt, von denen man ja weiß, dass sie einerseits selbstverständlich für alle Menschen sein müssten (und sein könnten), während man doch weiß, dass sie durch gewollt und bewusst herbeigeführte "Verknappungen" eben doch nur einer Minderheit zur Verfügung stehen.

Über Bill Gates und dessen "soziale Ambitionen" kann und will ich mich aber nicht auslassen - ich kenne den Mann nicht, weiß aber, dass auch bei einer durch die Medien getriebenen "Enterbungs-Sau" seine Kinder mit dem so genannten "Pflichtanteil" immer noch zu den reichsten Menschen dieser Welt gehören, wenn der gute Mann mal den Löffel abgibt. Das wurde in den besagten Medien meines Wissens nirgends erwähnt - und die Absichten, die dahinter stehen, will ich an dieser Stelle auch besser nicht bewerten.

Ich will auch das altbekannte Thema der "privaten Charity-Veranstaltungen" nicht vertiefen, denn es dürfte unmittelbar einleuchtend sein, dass ein gesetzlicher, von jedem Menschen einklagbarer Anspruch auf eine gewisse Minimumleistung etwas vollkommen anderes ist als ein willkürlich festlegbares "privates Almosen", das zudem jederzeit vom "Eigentümer" an bestimmte Bedingungen geknüpft werden kann, ohne dass irgendjemand etwas dagegen unternehmen könnte.

Ich teile allerdings auch Deine hoffnungsfrohe Meinung nicht, dass die Finanz- und Macht-"Elite" auf Teufel-komm-raus an dieser Mohrrüben-Taktik festhalten wird, die ein gewisses Kontingent an "Mittelschichtsmenschen" dauerhaft erhält. Die Historie lehrt uns doch, dass dem nicht so ist, wenn das kapitalistische System in seine unvermeidliche, immer wiederkehrende Endphase gerät. Es war noch nie so - wieso sollte das ausgerechnet heute anders sein? Schau doch einfach nur mal nach Griechenland - dort ist das, was sich ehemals "Mittelschicht" nennen durfte, inzwischen so gut wie verschwunden und in bitterster Armut gestrandet. Und Du glaubst ernsthaft, sie werden das auf Griechenland und vielleicht noch andere südliche Regionen in Europa beschränken, aber hier in Deutschland sind wir "sicher"?

(Teil 2 folgt)

Charlie hat gesagt…

(Teil 2)

Es gibt keine Lösung dieses kapitalistischen Problems, das die "Eliten" dazu veranlassen könnte, so "moderat" wie bisher weiterzumachen. Der finale Kollaps droht - und damit sind auch jene "Eliten" höchstselbst bedroht - wenn auch auf einem vergleichsweise extrem hohen Niveau. Aber bevor sie da etwas riskieren, stürzen sie lieber die gesamte Welt in den Abgrund - das haben sie doch immer und immer und immer wieder eindrucksvoll bewiesen.

Deine Frage will ich Dir aber sehr gerne auch beantworten: Was ich persönlich gesellschaftlich und politisch erreicht habe, lässt sich mit einem Wort sehr prägnant zusammenfassen: Nichts. Erweitert: Absolut gar nichts. Und dennoch fühle ich mich weitaus besser, seit ich nicht mehr mit einem BMW durchs Land gurke, neun, zehn, elf Stunden pro Tag für einen Konzern buckele und mir dabei einrede, ich täte etwas "Wichtiges" für diese Gesellschaft oder gar die Menschheit.

Das Thema Kinder ist noch einmal eine eigene Betrachtung wert. Dazu schreibe ich später noch etwas - eines meiner Kinder ist körperlich behindert, was noch ganz andere Aspekte mit sich bringt.

Die Haltung ist es, ja, da stimme ich in Deinen Refrain nur allzu gerne und sehr laut ein - und ich frage mich, ob Du Dein "Nicht schlechter. Nicht besser. Nur anders." vielleicht doch nicht so gemeint hast, wie ich es verstanden habe.

Liebe Grüße!

Anonym hat gesagt…

Lieber Charlie,

wer austeilt wie ich in meinem Blog, der muss auch einstecken können, zumal wenn die Gegenrede so eloquent daherkommt. Was glaubst du, was ich für Mails kriege... :)=

Halten wir also fest: Wir haben nichts erreicht. Du nicht. Ich nicht. Das reicht eigentlich als Zustandsbeschreibung, deswegen schrieb ich, dass jetzt die anderen dran sind. Die, die nach uns kommen.
Ich rede nicht von der gegenwärtigen Generation der 20-30-jährigen, die sind weich, verkuschelt, die wollen nicht anecken, niemandem wehtun, sie üben die korrekte Sprache, sie sind prüde wie die Evangelikalen, sie packen ihre Umwelt in Watte, auch wenn die gar nicht will. Sie wählen schwarz-grün.

Aber jetzt kommt das, was ich glaube und worauf ich baue: Ihre Kinder werden ihnen um die Ohren fliegen, so viel Mehltau verträgt keine Gesellschaft, das wird knallen. So wie in den 60ern. Da war es der Muff.

Wir sind raus, Charlie, wir können jetzt noch ein bisschen in unsere Blogs schreiben, was mal mehr, mal weniger Menschen interessiert, während wir langsam alt werden.
Wir werden langsam den Anschluss verlieren, vieles nicht mehr verstehen - wie die Alten vor uns. Bei mir geht es schon los: Ich weiß gar nicht, wer diese Miley Cyrus ist und warum sie dauernd die Zunge rausstreckt. So ging es denen vor uns mit Samantha Fox und ihrer übermenschlichen Oberweite.

Aber ich sage dir eines: Wir sind zwar raus, aber wenn diejenigen, die gerade geboren werden, in 20 Jahren explodieren, auf die Straßen gehen und den arroganten Eliten, die dann wahrscheinlich immer noch regieren werden, den Gegenwind ins Gesicht blasen, den sie schon so lange verdient haben, dann geh' ich nochmal raus - und wenn es mit Rollator und orthopädischen Schuhen ist - und stell' mich dazu.

Lass mich also festhalten: Es müssen jetzt andere machen, wir haben es verkackt.

Auf einen Punkt möchte ich noch eingehen: Diese Kollapstheorie: Wann ist der Kollaps (fiskalisch!) jemals eingetreten? Ja, wir hatten ein paar Währungsreformen, na und? Das ist doch kein Kollaps. Da friert man Sparguthaben ein, tauscht kleine Sparer 1:1, große 1:10, wer eine Immobilie hat, der zahlt ein Sonderopfer, das ihn nicht umbringt, und die Kredite müssen weiter bedient werden. Und danach steht nicht etwa der Sozialismus, danach geht das Spiel von vorne los. Ich halte nicht viel von der Kollapstheorie, nach der auf den Kollaps der große Bürgerkrieg Oben gegen Unten folgt. Das ist Wunschdenken, ich sehe es nicht. Die Mittelschicht hat Weltkriege überlebt. Sie wird mal kleiner, mal größer. Die Eliten haben kein Interesse an einem Bürgerkrieg in diesem Land, sie werden eine Mittelschicht immer erhalten.

Griechenland, ja, mit Griechenland haben sie die Schraube überdreht, die Banken haben dieses Land zusammen mit den korrupten Eliten so lange ausgelutscht, bis alles den Bach runtergegangen ist. Und die deutsche Regierung hat einfach nur Angst vor den Wahlen und spielt den Haushaltsfolterknecht. So weit so klein.
Doch sie werden Griechenland natürlich weiter "retten", sie werden auch weitere Schuldenschnitte machen. Wenn Griechenland brennt, werden sie wieder Leine geben, wieder etwas löschen, wenn in Griechenland noch etwas zum Auslutschen / Privatisieren da ist (Werften, Häfen, Stromnetze), was keine ernst zu nehmenden Proteste nach sich zieht, werden sie es tun.

Ich glaube, die Haltung zu den Griechen ist alleine der Wahl geschuldet und wird sich danach relativieren. Ich hoffe es für die Menschen.

Anonym hat gesagt…

Ahoi,

konnten wir damals als Punks nicht die Welt retten? Deswegen alles Scheiße jetzt, oder? Verbittert? Es so zu relativieren : jeder wollte nur die endlose Party für sich? Für Dich scheinbar - für mich Nein. Wenn Du Dir Deine Ideale nehmen läßt und sie jetzt sogar verlachst. Jeden Tag anecken/dumme Fragen stellen/mit Konventionen brechen/sich "soweit es geht dem Spiel entziehen" (ahh, da gibt es die Befriedigung nicht sofort, warum ich Deine Egopartysichtweise verstehe) - es gibt Menschen in Deiner Umgebung, die verstehen das und kommen immer weiter ein Stück mit. Das ist das "was Du dann geleistet" hast.

Und Bill Gates als Beispiel?!?!11ß Billige Nahrungsmittel-/Pharmatests in 3te Weltländern, das is's.

ahoi wotar