Montag, 5. Juni 2017

Zitat des Tages: Das Leid und das Glück


Wenn man etwas schlimmes träumt, dann bedeutet das, dass man noch kämpft, dass man noch lebt. Wenn man erstmal anfängt, von schönen Dingen zu träumen, sollte man sich Sorgen machen.

(Der "namenlose Mann" in John Hillcoats Spielfilm "The Road", 2009)



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Anmerkung: Zu Flatters Frage nach der künstlerischen Gestaltung einer "lebenswerten Zukunft" merkte ich drüben an:

Ich halte die Frage, "ob es in diesen Zeiten quasi kritisch ist, eine Perspektive in der Kunst zu entwickeln, die anders wäre als niederschmetternd", für banal und wenig zielführend.

Einerseits ist das, was heute gemeinhin als "anerkannte" Kunst gilt, längst bis ins Mark durchkommerzialisiert – und zwar in einem weitaus rigoroserem Rahmen als das beispielsweise vor 100 Jahren der Fall gewesen ist. Andererseits legt diese These ja die Frage nahe, welche (gesellschaftliche, soziale, kulturelle, politische, unterhaltende, informative etc.) "Aufgabe" Kunst denn zu erfüllen habe – und schon an diesem Punkt kann ich nur noch das wallende Haupthaar heftig schütteln und muss mich gedanklich ausklinken.

Es ist aus meiner Sicht schlicht Unsinn, künstlerische Entwürfe danach zu beurteilen, ob sie – verkürzt gesagt – eher utopischen bzw. visionären oder dystopischen Pfaden folgen. Beides hat seine Berechtigung: Der visionäre Entwurf ebenso wie das dystopische Szenario, das die gegenwärtigen Zustände illustriert und – gerne auch ins Absurde – weiterdenkt. Und nebenher gibt es – das sei nur am Rande bemerkt – noch 1001 weitere Pfade, denen Kunst folgen kann, darf und bitte auch – ohne jede Einmischung von außen – soll.

Man lasse KünstlerInnen einfach machen. Anders als exemplarisch "Pelzer" meint, gibt es hier gewiss keinen "geistigen Stillstand" – der findet, wie immer, vornehmlich in der Rezeption, also in den Medien und finanzierenden Institutionen statt, ganz bestimmt aber nicht in den künstlerischen Tätigkeiten, von denen viele Menschen heute aus eben diesen Gründen gar nichts mehr erfahren.

Die eingangs erwähnte Frage ist also nicht nur redundant, sondern auch falsch: Zielführender wäre es, jedwede Kunst aus der kapitalistischen Verwertungsunlogik zu befreien, damit nicht mehr das, was "am meisten Kohle einbringt" oder politisch gerade opportun erscheint, gefördert, beworben und propagiert wird, sondern endlich wieder ein halbwegs sachlicher Diskurs über die künstlerische Qualität einsetzte.

In vergangenen Jahrzehnten gab es das zumindest rudimentär. Ich befürchte bloß, dass es dazu im Rahmen des untergehenden kapitalistischen Systemes selbstredend nicht kommen wird bzw. kann. Daran ändern auch "Rülpsfilme" nichts – wobei ich eine TV-Serie wie "The Walking Dead" nicht als "Kunst" betrachte, sie aber dennoch nicht so schlecht einschätze wie Epikur. Ein gutes Beispiel dafür ist der Film "The Road", der gänzlich ohne Zombies im herkömmlichen Sinne auskommt und die wenigen Überlebenden auf der sterbenden Erde aus reinem Nahrungsmangel zu Menschenfressern macht. Und das ist aus meiner Sicht ein äußerst künstlerischer, hervorragender Film, der an jeder Schule zum Pflichtprogramm gehören sollte, sobald es um das unsägliche Thema "Eigenverantwortung" bzw. "Eigennutz" geht.


Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass es aus meiner selbstverständlich sehr subjektiven Sicht ein Wesensmerkmal von "guter" Kunst ist, wenn sie unablässig Salz, Schwefel oder schlimmeres in die Wunden ihrer Zeit streut. Das gilt umso mehr, wenn – wie heute – der "offizielle" Kunstbetrieb völlig korrumpiert ist und man beispielsweise in der öffentlich propagierten Musik lieber den belanglosen Volksweisen Mozarts als den drohenden Klangkulissen Mahlers lauscht – und letztere, wenn sie denn stattfinden, gar nicht mehr in einem aktuellen gesellschaftlich-politischen Rahmen interpretiert. So verliert Kunst jede Bedeutung, die sie einstmals hatte.

Es mag auch meinem persönlichen Geschmack geschuldet sein, aber mir sind aus den vergangenen 100 Jahren kaum Kunstwerke bekannt, die eine positive, visionäre Sicht auf die Zukunft zum Thema haben – diese Rolle hat fast immer nur der Kitsch der systemerhaltenden Propaganda, also der Boulevard, übernommen. Heute ist diese Verkitschung zur Perfektion gereift. Man kann das auch so formulieren, wie der in dieser Hinsicht unverdächtige Émile Zola es vor über 100 Jahren getan hat:
Das Leid ist ein großartiger Dramaturg – das Glück ist ein Stümper.

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Der Dichter, der für seine Zeitung eine Variation über "Das Glück" schreiben sollte

(Zeichnung von Franziska Bilek [1906-1991], in: "Der Simpl", Nr. 2 vom Januar 1948)

4 Kommentare:

Erbswurst grün mit Speck hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Charlie hat gesagt…

@ Erbsenzähler: Du schaffst es irgendwann bestimmt, einmal einen halbwegs sinnvollen Kommentar zu verfassen. Ich glaube an Dich! Ich geb' Dir mal einen Tipp: Schreibe demnächst einfach "Du bist doff!" - Das versteht jeder und wäre immerhin sinnvoller als das obige, nunmehr gelöschte Gewurste. ;-)

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie,

ich entschuldige mich nicht, für meine Zurückhaltung zu diesem Thema.
Als ich Deinen Text beim flatter gelesen habe, war ich davon schwer beeindruckt.

Da habe ich mir gedacht, endlich jemand der weiss, worüber er schreibt.

Ich bin möglicherweise auch einer von denen, der mit seinem "Talent" nicht in die Öffentlichkeit drängt und um Anerkennung dieser Allgemeinheit von Kunstsachverständigen betteln mag. Und wenn man finanziell unabhängig ist, und nur seinen Sinnen folgen mag und daraus sein Potential schöpft, dann braucht es die Öffentlichkeit nicht.
Oft hatte ich in mir so ein Gefühl, ich könnte eine Wirklichkeit ausserhalb der realen schaffen, zumindest zeitweise.

Und da ich im Moment viel lese, werde ich mir immer mehr bewusst, dass ich einer Selbsttäuschung unterlegen bin.

Bis gestern habe ich von dieser wundervollen Frau, Helen Keller niemals etwas gehört, einer amerikanischen Sozialistin und Frauenrechtlerin, die als Kind im Alter von 19 Monaten an Gehirnhautentzündung erkrankt ist und dadurch ihre Seh-und Hörfähigkeit verloren und dennoch mehrere Sprachen erlernt hat, und in dem Buch "Meine Welt" ihre Fähigkeit beschrieben hat, mit ihrem Geruchsinn zu erkennen, wie der Boden unter ihr beschaffen ist auf dem sie sich bewegt und wie die Natur und Gebäude um sie herum beschaffen sind.

Herzliche Grüsse!












So fühle ich mich

Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Danke für die Rückmeldung. Es war mir klar, dass dies ein recht "spezielles" Thema ist, das nicht so viele andere interessieren wird - die "Kunst" (sofern man diesen Begriff überhaupt verwenden will) besitzt heute für viele Menschen keinen Alltagsbezug mehr. Und das ist ja auch kein Zufall.

Umso wichtiger finde ich es ja, dass nun nicht auch noch von linker Seite versucht wird, an irgendwelchen thematischen Schrauben herumzudrehen - was freilich nicht bedeutet, auf Kritik zu verzichten. Dogmatiker und Fanatiker wie Esos, Kapitalisten oder Nationalisten tun das gerne und immer wieder: Da wird einzig auf die (vermeintliche) Aussage eines Kunstwerkes geschaut und es danach beurteilt - irgendwelche künstlerische Aspekte spielen da gar keine Rolle mehr. Das ist eine Perversion der Kunst, wie ich sie verstehe.

Gerade vorgestern hätte es sich angeboten, dazu einen längeren Text zu schreiben, weil mein lieber Freund Faulfuß in seiner unsäglichen esoterischen Filterblase mal wieder ein Beispiel dafür abgeliefert hat, wie die pure Dummheit zum Dogma wird, wenn man keine Ahnung hat und trotzdem darüber schreibt. Die dummen Kommentare zu diesem dummen Text, der bar jeder Erkenntnis und nichts als ein inhaltsleerer Popanz ist, sprechen dazu Bände. Ich habe mir den Kommentar verkniffen, weil ich davon ausgehe, dass das hier ebenfalls niemand (mehr) lesen möchte.

Vielleicht sollte ich meine eigenen Worte beherzigen und zukünftig weniger darauf schauen, was möglicherweise "erwartet" wird - und stattdessen lieber einfach das schreiben, was mir unter den Nägeln brennt? ;-)

Es ist ein Kreuz mit dem "Publikum" - ich kenne das nur zu gut aus der Musik: Wenn ich nur das spiele, was mir wirklich gefällt, maulen die Leute: "Bäh, das ist immer so traurig, so schwer und depressiv!"; und wenn ich auf die Wünsche eingehe, maule ich mich im Spiegel selbst an: "Bäh, immer diese belanglose, austauschbare Langweilermusik!"

Da muss man sich fragen, ob man sich als "Dienstleister" oder als Musiker (bzw. hier: Blogger) versteht. Ich befürchte allerdings, dass sich die allermeisten - gerade bei zunehmendem Erfolg - diese Frage tatsächlich gar nicht mehr stellen. Die Beispiele - ob nun aus der Musik, der Bloggerei oder irgendwelchen anderen Kategorien - sind Legion.

Aber das ist nur eine Randbemerkung. :-)

Liebe Grüße!