Dienstag, 3. November 2015

Zitat des Tages: Inserat


Das Meer hat seine Gestade verändert,
Übel riecht sein Mund,
Wild bellt es durch die Regenwindnacht.
Die Sterne hausen in undurchsichtigen Wolken,
Im Auto sinnt ein Bankier:
"Was bezahlt der Mond für sein Licht?
Was hat die Sonne davon?"
Ich aber möchte in allen Welten groß inserieren:
Komet gesucht,
der die Erde zertrümmert.

(Albert Ehrenstein [1886-1950], in "Werke, Band 4: Gedichte", Klaus Boer 2003; zuerst in "Simplicissimus", Heft 8 vom 21.05.1928)


Statt einer Anmerkung ein Auszug aus dem Vorwort des Herausgebers Hanni Mittelmann zu dem Ehrenstein-Band "»Kein Schrei weckt dies konservativ blökende Schlafvolk«. Aphorismen aus den Tagebüchern":

"Zwischen allen erreichbaren Stühlen sitzen, das tat Albert Ehrenstein sein ganzes Leben lang. Darin bestand seine Stärke als unbestechlicher Kritiker, der kein Blatt vor den Mund nahm, wo immer er Prätentionen, Unwahrheit und Unrecht witterte, in Politik, Staat und Gesellschaft, in Literatur, Kunst und Religion. Darin bestand aber auch das Verhängnis seines Lebens, das ihm das Schicksal des Außenseiters und den Tod im Exil beschied. Er stand immer über allen Parteien und kannte keine Loyalitäten. Er nahm nur Partei für die Schwachen, Ausgebeuteten, Unterdrückten und ungerecht Behandelten und kannte nur eine Loyalität, die zur Wahrheit und Menschlichkeit.

Die vorliegende Auswahl von schlagkräftigen, oft aphoristisch zugespitzten Gedanken, Werturteilen und Lebenserkenntnissen aus Ehrensteins Notizbüchern lässt ein lebensgeschichtliches Bild des streitbaren Dichters entstehen: als Schüler und Student, der das geistabtötende Erziehungs- und Bildungssystem der Schule und Universität kritisierte; als junger Dichter, der respektlose Opposition bezog gegen die herrschenden Literaturgötter und Literaturmoden seiner Zeit und den sie begleitenden Literaturbetrieb; als liberaler Denker, der klischeehaftes Denken und verfestigte Vorstellungsweisen aufs Korn nahm.

Schließlich entsteht hier auch das Bild des im ersten Weltkrieg politisch herangereiften Dichters, der sich allen Ideologien verweigerte und den 'Missbrauch der Macht', in wessen Namen er auch betrieben wurde, schonungslos beim Namen nannte, und der selbst in den Weltreligionen nichts als eine Machtfrage sah und damit ein Hindernis für die Liebe des Menschen zum Menschen.

Am Ende steht der einsame Emigrant vor einer Welt, die von der unbelehrbaren Dummheit der Menschen und ihrem unstillbaren Machtdurst in Scherben gelegt wurde. Wenn diese Welt Ehrenstein am Ende besiegt zu haben scheint, so bleibt letztlich doch das Bild eines engagierten Dichters bestehen, dessen illusionszertrümmernden Worten immer die Utopie eines menschenwürdigen Lebens und einer menschenfreundlichen Welt entsteigt."

2 Kommentare:

Der Alte hat gesagt…

Treffer, versenkt. Wozu auch viele Worte machen, wenn solche Zitate schon ausreichen, dem schäumenden Mob die rote Karte zu zeigen? :)

Ein solcher Feinsinn wird anderswo schmerzlich vermißt, vermutlich aber gar nicht verstanden.

Danke und laß dich nicht unterkriegen!

Charlie hat gesagt…

@ Alter: Es wäre schön gewesen, wenn Du dich inhaltlich zu Ehrenstein geäußert hättest, denn um den geht es in diesem Posting. ;-) Was bei feynsinn in der Kommentargrube passiert, habe ich vom Zeitpunkt des "Karl-Vergleiches" an nicht weiter verfolgt - falls ich aus irgendwelchen Gründen mal etwas auf diesem Niveau lesen möchte, klicke ich schließlich Springers Seiten an und nicht irgendwelche Blogs. ;-)

Hier hat sich von jenen Herrschaften ohnehin niemand gemeldet, so dass wir getrost davon ausgehen dürfen, dass an meiner Meinung dazu dort ohnehin kein Interesse besteht.

Es wäre hilfreich, wenn auch Du dich zukünftig an das Grundprinzip halten könntest, Kommentare möglichst themenbezogen zu schreiben.

Lieben Dank! :-)