Donnerstag, 26. Mai 2016

Zitat des Tages: Offener Brief an Angestellte


Vorgesetzte muss es geben.
Angestellte müssen sein.
Ordnung ist das halbe Leben.
Brust heraus und Bauch hinein!

Vorgesetzte tragen feiste
Bäuche unter dem Jackett.
Feist ist an dem Pack das meiste,
und sie gehn nur quer ins Bett.

Sie sind fett aus Überzeugung.
Und der bloße Anblick schon
zwingt uns andre zur Verbeugung.
Korpulenz wird Religion!

In den runden Händen halten
sie Zigarren schussbereit.
Jede ihrer Prachtgestalten
wirkt, als wären sie zu zweit.

Manche sagen (wenn auch selten),
sie verstünden unsre Not.
Und wir kleinen Angestellten
schmieren uns den Quatsch aufs Brot.

Atemholen sei nicht teuer,
sagen sie, und nahrhaft auch!
Und dann hinterziehn sie Steuer
und beklopfen sich den Bauch.

Nagelt ihnen auf die Glatzen
kalten Braten und Coupons!
Blast sie auf, und wenn sie platzen!
Gibt es schönre Luftballons?

Lasst sie steigen und sich blähen,
über Deutschland, hoch im Wind!
Bis sie alles übersehen,
weil sie Aufsichtsräte sind.

Wenn sie eines Tags verrecken,
stopft sie aus und weckt sie ein!
Tiere kann man damit necken,
Kinder kann man damit schrecken,
aber euch? Ich hoffe: Nein!

(Erich Kästner [1899-1974], in: "Lärm im Spiegel. Gedichte", mit Illustrationen von Rudolf Großmann, C. Weller 1929)


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