Heute möchte ich einmal mehr auf ein Buch aufmerksam machen, das mich seinerzeit sehr beeindruckt hat und dessen bittere Thematik im Jahr 2016 aktueller ist denn je. Ben Bovas Roman "Die Kolonie" aus dem Jahr 1978 beschreibt eine Zeit in der nahen Zukunft, deren Probleme uns heute allzu bekannt vorkommen dürften. Der Einfachheit halber zitiere ich wieder aus dem Klappentext:
"Die Erdölvorkommen des Planeten sind erschöpft. Die Staaten der Erde sind völlig von der Energieversorgung aus dem Orbit abhängig: Eiland Eins, eine künstliche Insel in einem der Librationspunkte des Erde-Mond-Systems, betreibt die Sonnenkraftwerke und schickt Tag und Nacht über Mikrowellensender die unentbehrliche Energie zur Erde.
Doch Eiland Eins ist gleichzeitig eine Kolonie für Zehntausende von Siedlern, die der Hölle der überbevölkerten Erde entronnen sind, auf der sich eine schwache Weltregierung und separatistische Nationalisten erbittert bekriegen.
Und eine Gruppe von multinationalen Konzernen, denen die Weltregierung mit ihren Kontrollen [Neusprech: "Regulierungen"] längst ein Dorn im Auge ist, schürt die Konflikte durch Waffenlieferungen und meteorologische und ökologische Anschläge, durch die ganze Landstriche verwüstet werden.
David Adams, auf Eiland Eins geboren und aufgewachsen, ist als Mensch ein genetisches Experiment und darf die Raumstation nicht verlassen. Dennoch flieht er zur Erde und lernt das dortige harte Leben aus eigener Anschauung kennen. Er begreift, dass Eiland Eins der Schlüssel ist - nicht nur zur Macht, das haben die Multis längst begriffen, sondern auch zum Frieden. - Und er hat einen Plan ..."
Bova, der später - vermutlich aus schnöden Broterwerbsgründen - auch manch redundantes Zeug veröffentlicht hat, ist mit diesem Roman ein kleines Meisterwerk gelungen, das gerade heute wieder massenhaft LeserInnen verdiente.
Dem Roman ist ein Zitat des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Sithu U Thant, aus dem Jahr 1969 vorangestellt:
Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Einschätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solche weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, dass ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.
Wenn der Mann, der bereits 1974 verstarb, miterlebt hätte, was seit den siebziger Jahren auf diesem verkommenen Planeten - massiv verstärkt seit der Jahrtausendwende - geschehen ist, wäre er wohl auf der Stelle irre geworden. Es ist immerhin beachtlich, dass zumindest viele SF-Autoren - wie eben auch Bova - das nahende kapitalistische Fiasko des globalen Elends der großen Mehrheit ausführlich beschrieben und analysiert haben.
Man müsste das - gerade in der heutigen irren Glitzerwelt der kapitalistischen Endzeit - einfach nur lesen.
(Benjamin William Bova [*1932]: "Die Kolonie", 1978; dt. Heyne 1980)
11 Kommentare:
Und jetzt wird mir auch klar, woher die Macher der Seifenoper "Elysium" ihre Idee hatten. Nur, dass der Handlung des Films trotz aller Effekte wohl wesentlich flacher zu sein scheint, als der Inhalt des oben beschriebenen Buches. Interessanter Lesestoff. Macht neugierig! (Die meisten Sci-Fi-Filme sind eh fürn A*** ... - leider!)
Du hast wirklich Talent, mich zum lesen zu verleiten. Mal sehen, ob mich dieses Buch, gemäß Deiner Empfehlung, fesseln kann, werde berichten,
Gruß,
EutinOH
@ dlog: Ich stimme Dir im wesentlichen zu; allerdings gibt es vereinzelt tatsächlich SF-Filme, die es durchaus wert sind, angesehen zu werden. Einen davon habe ich kürzlich verlinkt (scrolle zum Schluss des Postings). "Brazil" ist ein bis heute unübertroffener Meilenstein des dystopischen Films.
Viele andere gute Filme werden heute schlichtweg nicht mehr gezeigt - als Beispiel mag der russische Film "Briefe eines Toten" aus dem Jahr 1986 dienen, der ebenso wie das amerikanische Pendant "The Day After" die atomare Apokalypse thematisiert. Russische Filme zeigte - und zeigt - man hierzulande so gut wie nie.
"Elysium" habe ich mir nur knapp 20 Minuten angeschaut, dann musste ich den Krampf ausschalten. Der Begriff "Seifenoper" ist hier - wie fast immer, wenn es um profitorientierte Hollywood-Produktionen geht - äußerst treffend.
Liebe Grüße!
@ Eutin: Ich bin gespannt auf Deinen Bericht. :-)
Es ist schon auffällig, dass es aktuell (also heute) kaum noch "richtige", also kritische, dystopische Romane und Filme gibt. Gerade der Cyberpunk mit seinen multinationalen Konzernen, dem Internet (oder auch "Matrix" genannt - "Neuromancer": William Gibson), der Privatisierung der Armee -Söldner-Firmen-, der Finanzmafia, Smartphone-Verblödung und vielem mehr, ist heute weniger Vision, als Realität. Echte Cyberpunk-Filme und -Romane würden heute Menschen vermehrt zum Nachdenken und Selbstdenken anregen. Und das können weder Politik, noch Wirtschaft gebrauchen.
Danke für den Buchtipp. Klingt interessant.
Auch ich danke für den Tipp!
(Wie immer, wenn es um Sci-Fi aus den 30-70er Jahren geht)
Zu Elysium: Die Story ist ganz klar von "Deponia" geklaut ;-)
Unnötig zu sagen, dass Deponia tausendmal besser ist...
@ epikur: Deine Beobachtung kann ich leider nur bestätigen. Die wenigen dystopischen literarischen Erzeugnisse, die in den vergangenen etwa zehn bis fünfzehn Jahren veröffentlicht wurden, spielen - soweit sie mir bekannt sind - allesamt in der boulevardesken Liga und haben mit den teilweise großartigen Werken der SF-Literatur aus den 60er, 70er und 80er Jahren nichts mehr gemein. Ein flammendes Beispiel für den literarischen Niedergang ist Marc Elsbergs dicker Schinken "Blackout. Morgen ist es zu spät" aus dem Jahr 2012, der es sogar zum "SPIEGEL-Bestseller" gebracht hat. Ein noch deutlicheres Zeichen für Redundanz gibt es kaum.
Derweil ist die "alte" SF-Literatur ja nicht spurlos verschwunden, auch wenn es die meisten dieser Bücher heute nur noch antiquarisch - dafür aber meist für geringe Cent-Beträge - gibt. Sie müssten, wie gesagt, einfach nur gelesen werden.
Liebe Grüße!
@ No robot: Ich nehme an, dass Du mit "Deponia" das wunderbare Computerspiel meinst? Ein Buch oder Film mit diesem Titel ist mir jedenfalls nicht bekannt. Ich muss zu diesem Spiel, das mittlerweilse ja aus drei Teilen besteht, von denen ich bislang allerdings nur den ersten kenne, unbedingt mal etwas schreiben. :-)
Alternativ kannst Du das auch übernehmen - meine Mailadresse steht oben rechts. :-)
Liebe Grüße!
@Charlie, leider gehöre ich immer noch zu den Idioten, die zumindest neugierig werden, wenn ein neuer Industriefilm das Genre Sci-Fi "aufarbeitet". Läuft so was "Neues" also einige Zeit nach dem Kinostart in der Glotze, dann kann ich nicht anders und muss zumindest mal "reingucken". Kann von dem Genre halt nicht lassen. Im Grunde birgt es enorme Möglichkeiten. Stattdessen kann man es meistens nur unter dem Label "Action" abhandeln. Sci-Fi ist da nur ein Mäntelchen, mit dem sie verkauft wird
Früher hatte das Genre - lange her - in den Buchhandlungen meine besondere Aufmerksamkeit, Von daher "trete ich jedes Mal eine kleine Zeitreise an", wenn Du das Cover-Bild eines dieser "ollen" Heynebücher postest. (Hast Du die eigentlich noch von früher oder stöberst Du die irgendwo auf?)
Mit lieben Grüßen zurück!
@ dlog: In der Tat, das SF-Genre bietet ein enormes Potenzial - und in der Literatur ist das in den drei Dekaden zwischen 1960 und 1990 auch ausgereizt worden. Neben unglaublich viel trashiger Unterhaltungsliteratur (sog. "Space Operas", zu denen auch "Perry Rhodan" und "Star Wars" gehören) gab es haufenweise großartige literarische Werke, die aufgrund des Labels "SF" oftmals unbeachtet geblieben sind. Ich habe mich seinerzeit an der Uni eingehend mit diesem Thema beschäftigt, nachdem ich seit früher Jugend Bücher - nicht nur, aber eben auch viel SF - gierig verschlungen habe. ;-)
Im Bereich des Films sieht das schon etwas anders aus - da überwiegt der irrelevante Unterhaltungsquatsch schon seit den Anfängen. Es gab immer wieder Ausnahmen, aber die werden mit fortschreitender Zeit immer seltener und schaffen es so gut wie nie in die großen Kinos. In Hollywood sind heute Werke wie "Logan's Run", "Soylent Green" oder eben "Brazil" kaum mehr denkbar. - Ich finde es schon bezeichnend genug, was die heutigen Macher aus dem riesigen Potenzial des Star-Trek-Universums gemacht haben: den furchtbaren, austauschbaren Effekte-Ramsch vom Fließband kann ich mir nicht ansehen, ohne Schreikrämpfe zu bekommen. Spock, Picard und Janeway wenden sich gemeinsam mit Roddenberry mit Grausen ab.
Warum hast Du mit dem Lesen aufgehört - oder habe ich Dich da missverstanden? Ich jedenfalls freue mich nach wie vor, wenn ich auf Flohmärkten oder im Antiquariat für 50 Cent ein altes Buch finde, das ich noch nicht kenne und dessen Thematik mich reizt. :-)
Liebe Grüße!
Moin Charlie,
ich gestehe das ich seid frühester Kindheit SF-Fan bin.
Damals in der Stadtbücherei hatten sie ein riesiges Sammelsurium an klassischer SF.
Lem, Asimov, Philip José Farmer "Fleisch", "die Welt der tausend Ebenen" und vielen anderen. Zwei Tragetaschen voll mit Büchern, max. Leihzeit 6 Wochen, ab in die Bäckerei für eine Mark eine Tüte voll mit Bonbons und ab auf`s Zimmer. Nach zwei Wochen wieder hin alles retour und wieder von vorne, eine tolle Zeit war das. Aber auch später mit Gibson`s Neuromancer und weiteren tollen Büchern C.J. Cherril " Fremdling" Lois McMaster Bujold mit der Reihe um den Jungen Miles "Der Kadett", einer super Space Opera, habe ich heute noch viel Spaß. immer und immer wieder.
Man kann so schön von dieser Welt verschwinden.
p.s. allerdings hätte ich auch nichts dagegen mit Seven of nine oder besser noch mit T`Pol auf eine galaktische Reise zu gehen.
In diesem Sinne, schönes WE
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