Donnerstag, 1. Dezember 2016

Buchempfehlung: Die Flamme erlischt


Es ist wieder einmal an der Zeit, die Flucht in die literarische Welt anzutreten. Der amerikanische Autor George R.R. Martin, der heute einer Mehrheit vermutlich aufgrund der Verfilmung seines Fantasy-Epos' "Das Lied von Eis und Feuer" (TV-Titel: "Game of Thrones") bekannt ist, hat eine ganze Reihe von bemerkenswerten Science-Fiction-Romanen geschrieben, aus der ich heute einen herausgreifen möchte, der mich persönlich seit Jahrzehnten begeistert.

Ich zitiere aus dem Klappentext der deutschen Erstausgabe:

Worlorn, ein irrender Planet am Rande der Galaxis, über den sich bald die ewige Dunkelheit senken wird. Aber noch regt sich vereinzelt Leben in den bizarren, gigantischen Städten, die einst zum Ruhme der vierzehn Zivilisationen des Randes erbaut und dann aufgegeben wurden.

Eines Tages tauchen Männer von Hoch Kavalaan auf Worlorn auf. Sie führen ein fremdes Mädchen mit sich: Gwen Delvano, die ihren Körper keinem der Krieger verweigern darf. Weit entfernt von Worlorn besitzt Dirk t'Larien ein "Flüsterjuwel", in dem die Empfindungen seiner ersten großen Liebe gespeichert sind. So erreicht ihn der verzweifelte Hilferuf - jener Frau von Worlorn. Er begibt sich auf die Reise dorthin und ein Drama beginnt.

Eine Frau, die sich nicht entscheiden kann - ein Mann, der seine verlorene Liebe sucht - kavalaanische Krieger in ihrem furchtbaren Hass - erbarmungslose Ritualvorschriften und tödliche Duelle ... Dirk t'Larien muss flüchten: vor den gnadenlosen Jägern und vor seinen unerfüllten Träumen.

Wie so oft wird diese Kurzbeschreibung dem Buch in keiner Weise gerecht - auch wenn es sich hier tatsächlich "nur" um einen fantasievollen, äußerst melancholischen und fast schon lyrischen Roman im SF-Gewand handelt. Martin beherrscht wie kaum ein anderer die Kunst, scheinbar triviale Begebenheiten in eine überaus fesselnde Geschichte samt geradezu umwerfender Kulisse einzubinden. Die epische - um nicht zu sagen: "galaktische" - und freilich vergebliche Suche des Protagonisten nach seinen verlorenen Träumen spielt kunstvoll mit den literarischen Traditionen der Romantik (beispielsweise Eichendorff oder Novalis) und führt sie in perfekter Komposition mit der "neuen Sachlichkeit" der siebziger Jahre sowie der Science Fiction zusammen.

Ich habe das (in der Erstausgabe sehr klein und eng bedruckte) dreihundert Seiten starke Buch seinerzeit in einer einzigen Nacht durchgelesen und war danach noch tagelang gefangen in der einzigartigen, sehr melancholischen Atmosphäre dieser Geschichte - was gewiss nicht allein damit zu tun hatte, dass ich die ersten schmerzvollen Erfahrungen mit der "ersten Liebe" zu jener Zeit nur allzu gut kannte. Ich habe den Roman seitdem mehrfach wieder gelesen und noch immer genau dieselbe sehnsüchtig-bittere Faszination verspürt, die das geschilderte Szenario auf diesem langsam und unaufhaltsam ins ewige Dunkel des Alls driftenden Planeten in fast magischer Weise erzeugt. - Der Prolog beginnt mit den Worten:

Ein Einzelgänger war diese Welt, ein Wanderer ohne Ziel, von der Schöpfung ausgesetzt und im Stich gelassen. / Unzählige Jahrhunderte schon dauerte ihr Sturz, ein einsames, sinnloses Fallen durch den kalten, leeren Raum zwischen den Sonnen. Generationen von Sternen hatten sich in erhabenem Dahingleiten an ihrem trostlosen Himmel gezeigt. Nicht einem von ihnen gehörte sie an. Diese Welt war ganz und gar auf sich allein gestellt. In gewisser Weise war sie noch nicht einmal ein Teil der Galaxis; auf ihrem Sturzflug durchschnitt sie die galaktische Ebene wie ein Nagel, der durch einen runden, hölzernen Tisch getrieben wird. Sie gehörte nirgendwohin. / Und das Nirgendwo war zum Greifen nah.

Es mag jedem selbst überlassen bleiben, diese Passage - wie auch den gesamten Roman - als rein erzählende und beschreibende Geschichte zu begreifen oder sie metaphorisch zu deuten.



(George Raymond Richard Martin [*1948]: "Dying of the Light", 1977; dt. "Die Flamme erlischt", Knaur 1978)

1 Kommentar:

Schirrmi hat gesagt…

Danke für den Tipp!