Donnerstag, 30. März 2017

Die Rückkehr der Lager


Während die Politik und die Medien des "goldenen Westens" nicht müde werden, beispielsweise der Türkei, Russland oder Nordkorea unablässig Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen, macht die kapitalistische, nationalistische Mörderbande mitten in Europa längst wieder Nägel mit Köpfen. Bei n-tv war kürzlich zu lesen:

Ungarn sperrt ab sofort alle Flüchtlinge für die Dauer ihres Asylverfahrens in Containerdörfer nahe der Grenze zu Serbien ein. Mit Inkrafttreten der neuen Bestimmung verloren Asylbewerber in Ungarn jegliche Bewegungsfreiheit: Sie dürften sich "nicht frei auf dem Staatsgebiet und dem Gebiet der EU bewegen, um die Gefahren im Zusammenhang mit der Migration zu reduzieren", erklärte das Innenministerium in Budapest. (...) / Von dem Gesetz betroffen sind alle neu ins Land kommenden sowie die bereits in Ungarn lebenden Flüchtlinge.

Die rechtsextreme Regierung Ungarns – man beachte das widerwärtige Luftbild des Lagerkomplexes im Artikel sowie die hanebüchenen Bezeichnungen "Containerdörfer" oder "Transitzonen" – setzt damit exakt das um, was hierzulande von ebenso rechtsextremen Menschenfeinden aus der AfD, CDU/CSU, FDP & Co. immer wieder lautstark gefordert wird. Diese offensichtliche Parallele wird im Text selbstverständlich nicht benannt – dort ist lediglich von einer diffusen "internationalen Kritik" die Rede. Damit sind freilich nur einige wenige Lippenbekenntnisse handverlesener, einflussloser Figuren gemeint und nicht etwa "Sanktionen", wie sie gegenüber Russland als völlig selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Wenn im kapitalistischen Paradies Europa nun also völlig unbescholtene Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung aus ihrer Heimat fliehen mussten – was meist eben dieser "Westen" zu verantworten hat –, wieder in unsäglichen Lagern kaserniert werden, ist das offenbar weitaus weniger schlimm als beispielsweise Erdoğans Terror-Regime oder Putins größtenteils herbeifantasierte Kriegspolitik.

Was in der furchtbaren Bürokratensprache der deutschen Faschisten seinerzeit noch mit einem Begriff wie "Ab- oder Umsiedlung" unerwünschter Personen beschönigend und bewusst verschleiernd beschrieben wurde, heißt im heutigen kapitalistischen Terror nunmehr schlicht "Festsetzung" und man beruft sich selbstverständlich auf die "Sicherheit" und den "Schutz" der übrigen Bevölkerung. Das Gehirn schmerzt bei diesen Worten und jede Schamgrenze ist hier lange überschritten – die Bande bemüht sich nicht einmal mehr darum, das menschenfeindliche, kapitalistische Verhalten verbal irgendwie entschärfend zu umschreiben, sondern sagt direkt und ohne jede Umschweife, dass sie Flüchtlingen mit Stahlstiefeln die Fressen blutig treten will, wenn sie es wagen, nach Europa zu kommen. CDU und CSU nennen diese Vorgehensweise hierzulande ganz offiziell und selbstverständlich ebenfalls ohne jede Scham "Abschreckung" und begrüßen sie jubelnd.

Frei nach Hape Kerkeling bleibt mir da nur noch die Bemerkung übrig: "Ich bin dann mal kotzen."



("Nacht und Nebel", Dokumentation von Alain Resnais aus dem Jahr 1955, Text von Jean Cayrol, deutsche Übertragung von Paul Celan, Musik von Hanns Eisler)

Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir? Irgendwo gibt es noch Kapos, die Glück hatten, Prominente, für die sich wieder Verwendung fand, Denunzianten, die unerkannt blieben; gibt es noch all jene, die nie daran glauben wollten – oder nur von Zeit zu Zeit.

Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir dieses Bild entschwinden sehen und tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, dass all das nur EINER Zeit und nur EINEM Land angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt.

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Ironie des Schicksals



(Installation von Bernd Reiter aus dem Jahr 2016, wechselnde Orte)

Anmerkung: Die russische MiG-21 scheint in der Installation einen Kampf mit zwei pechschwarzen amerikanischen Straßenkreuzern auszutragen. Wie von Geschossen werden das Flugzeug und die beiden Limousinen dabei von Monitoren getroffen, auf denen Szenen aus heutigen Kriegsgebieten – u.a. Syrien – zu sehen sind. – Hier wird allerdings der Eindruck erweckt, dass es sich bei Russland und den USA um "gleichberechtigte" Parteien im Kampf um die Krone der imperialistischen Niedertracht handele. Das sehe ich indes ganz anders. Aber wer bin ich schon.

4 Kommentare:

Troptard hat gesagt…

Ich schlage das mal über einen groben Klotz!

So wie sich das für mich darstellt, befinden wir uns in einer erneuten Epoche gesellschaftlicher Regression, die fälschlicherweise überwunden geglaubt wurde, weil
es nach dem 2.WK eine relativ lange Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs gegeben hat und ein Europa ohne Kriege.
Die europäische Linke konnte es sich in den europäischen Wohlstandsinseln relativ bequem einrichten und die parlamentarische Linke im Ost-West-Konflikt für die sog. Prolls immer noch die Brotkrumen rausholen, die es zur Befriedung braucht.

Dennoch, selbst hinter dieser relativ friedlichen Fassade der "Wohlstandsgesellschaft" sind die alten Konflikte, die man nicht ohne weiteres unter das Kapital subsumieren kann, wieder aufgebrochen: Ein Konflikt, der innerhalb kapitalistischer Gesellschaften ausgetragen wird, weil das Kapital eben keine Einrichtung ist, die irgendwelche Versprechen abgibt, sondern alle Gewissheiten hinter sich lässt und keine neuen anbietet.

Und weil diejenigen, zu denen ich mich auch zähle, die Menschenrechte, die Gleichheit aller Menschen nur abstrakt einfordern können und weil das unterm Kapital nur eine Gleichheit als Rechtsperson im Warenverkehr ist, deshalb bleibt es eine Gleichheit, die sich am Rechtssubjekt vermisst und keineswegs den Menschen als universelles Subjekt mit gleichen unveräusserlichen Rechten dabei im Blick hat.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Linke ihren Sinnbezug im Nationalen, im Identitären, dass sie Nation und Staat für ein Rückzugsgebiet halten, wo der Staat noch als letztes Bollwerk, gegen den "neoliberalen Kapitalismus" zumindest für das Soziale gehalten wird.
Leider Falsch, weil auch der Staat nur Wohltaten vergibt, wenn sie dazu taugen, dass nationale Kapital zu befördern.

Und wenn man dazu noch die Querfrontler von Rechts und Links einblendet, dann spiegelt sich darin für mich das, was ich als Kampf der Ideologien wahrnehme: Kollektivismus, den asketischen Protestantismus und seine Unterordnung für das Allgemeinwohl gegen den materialistischen Individualismus und seinem Streben nach grösstmöglicher Befriedigung im hier und jetzt.

Und weil in dieser Auseinandersetzung die Grenzen des eigenen Denkens gut aufgehoben sind, deshalb auch das ständige Bedürfnis sich auf eine Seite zu schlagen, anstatt mal innne zu halten und zu reflektieren, ob es dafür überhaupt einen vernünftigen Grund gibt.

Und dazwischen werden alle die zerrieben, die den Status als Mensch nur noch als Bittsteller aufweisen können, wenn sie nicht vorher bereits im Massengrab des Mittelmeeres ersoffen sind, an den EU-Grenzen mit dem Friedensnobelpreis.

Der war dafür auch nicht bestimmt, sondern nur dafür, dass sich die Europäer in ihrem nationalen Wahn nicht wieder in einen Blutrausch begeben.

Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Das hast Du wieder einmal vortrefflich zusammengefasst. Danke dafür. - Ich möchte in einem Punkt aber widersprechen bzw. ergänzen: Die "relativ friedliche Fassade der 'Wohlstandsgesellschaft'" hat auch in den 50er, 60er und 70er Jahren lediglich in einem sehr eng - nämlich national - begrenzten Rahmen stattgefunden. Schon damals war der "steigende Wohlstand" hierzulande durch Blut, Unterdrückung und gnadenlose Ausbeutung ganzer Landstriche und deren Bevölkerungen in anderen - damals meist noch weit entfernten - Teilen der Welt erkauft. Das westeuropäische "Wirtschaftswunder" der Nachkriegszeit ist gar nicht denkbar ohne das entsprechende Elend in der so genannten dritten Welt.

Es ging im Kapitalismus noch nie um "mehr Wohlstand" oder ein "besseres Leben" für die Mehrheit der "eigenen", also nationalen Bevölkerung, geschweige denn für "alle". Der Profitzwang des Kapitals war auch damals schon bzw. immer noch die treibende Kraft hinter allem, was wirtschaftlich und politisch geschah. In der Endphase der Weimarer Republik befand sich die "Globalisierung" - also die international organisierte kapitalistische Ausbeutung bis aufs Blut - bereits auf einem ähnlich perfiden, kaum mehr steigerbaren Stand wie heute (gemessen an der damals zur Verfügung stehenden Logistik). Die komplette Zerstörung, also der Weltkrieg, war die logische und aus meiner Sicht auch einzig mögliche Folge dieses Prozesses.

Die heute allerorten sichtbare Fokussierung auf das Nationale beschleunigt diesen Verfall nur. Auch damals gab es ja nicht nur in Deutschland nationalistische, faschistische Entwicklungen in der Politik und Gesellschaft, sondern fast überall. Ein wesentlicher Unterschied ist allerdings, dass es damals - zumindest theoretisch - noch eine tatsächlich kommunistische Alternative gab, die das Kapital natürlich mit Vehemenz (und bekanntlich erfolgreich) zu verhindern suchte. Diese Alternative gibt es heute indes nicht mehr - der jämmerliche Haufen, der sich heute in politischen Kreisen "links" nennt, ist für Multimilliardäre nicht nur keine Bedrohung mehr, sondern allenfalls noch ein Grüppchen von Pausenclowns, über die man gelegentlich herzhaft lacht, bevor man sich wieder wichtigeren Dingen wie dem nächsten Glas Champagner oder dem Toilettengang zuwendet.

Ich denke, dass ich Dir damit wahrlich nichts Neues erzähle - der Vollständigkeit halber und aus Rücksicht auf andere LeserInnen, die vielleicht noch immer der albernen Nachkriegspropaganda vom "deutschen Wirtschaftswunder" oder gar der "Linkspartei" anhängen, habe ich das eingefügt. Wenn ich einmal anfange, könnte ich ein ganzes Essay dazu schreiben - daher mäßige ich mich an dieser Stelle. :-)

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie, sehr nützliche und notwendige (konkrete) Ergänzung.
Ich verliere mich leider immer wieder gerne ins Abstrakte.

Liebe Grüsse

Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Nein, das sehe ich anders - Deine Zusammenfassungen sind oft sehr hilfreich und keinswegs abstrakt. Wenn ich etwas ergänze, wie oben, tue ich das, weil ich vermute, dass der eine oder die andere hier mitliest, der/die Deine Ausführungen manchmal nicht sofort nachvollziehen kann. Und das ist keineswegs wertend gemeint - in keine Richtung.

Liebe Grüße!