Mittwoch, 30. März 2011

Die mediale Realität des Sozialstaates - eine Farce

Das Handelsblatt bringt heute einen Auszug aus dem neuen Buch von Gabor Steingart. These: Deutschland wird immer sozialer und kann sich seinen Wohlfahrtsstaat schon bald nicht mehr leisten.

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Anmerkung: Man kommt aus dem fassungslosen Staunen nicht mehr heraus: Der eine (Steingart) behauptet, Deutschland werde "immer sozialer", der andere (Schieritz) widerspricht und behauptet, es sei alles in bester Ordnung, da man "vor der Krise, also im Jahr 2007, (...) in etwa auf dem Niveau von 1975" gewesen sei.

Dass die erste Aussage eine Farce ist, dürfte jedem sofort wie ein Balken schmerzhaft ins Auge stechen, der sich auch nur rudimentär mit der zunehmenden Armut und Verarmung in Deutschland, den Hartz-Gesetzen, den Renten-Deformierungen etc. auseinandergesetzt hat. Doch auch die "Richtigstellung" ist der blanke Hohn für jedes halbwegs funktionierende Gehirn: Man male sich nur einmal aus, jemand argumentierte heute bezüglich der Unternehmensgewinne ähnlich: "Was wollen Sie eigentlich - die Rendite des Konzerns XY war doch 2007 (gemessen am BIP) genauso hoch wie im Jahr 1975!" - In den Schlipsträgerkreisen würde man einen so Argumentierenden unter lautestem Gelächter aus dem Saal werfen, bevor man sich wieder leidenschaftlich der Ausbeutung der Menschen und der weiteren Zerstörung des Sozialstaates widmet.

So ist das mit dem Sozialstaat in neoliberalen Zeiten: Er wird nicht nur einfach zerstört, sondern man behauptet einfach dreist das Gegenteil oder relativiert die sicht- und fühlbare Zerstörung in hochalberner Weise.

Wenn wenigstens die Medien in Bezug auf Unabhängigkeit, Kritikfähigkeit und Ehrlichkeit auf dem Level von 1975 wären, wären wir schon einen großen Schritt weiter - die Tendenz geht aber auch hier leider seit dieser Zeit in die entgegengesetzte Richtung.

Mich erinnert das in dramatischer Weise wieder einmal an Orwells "1984" und das dort beschriebene "Doppeldenk": "Doppeldenk bedeutet, an zwei sich gegenseitig widersprechende Ansichten zu glauben. Darauf fußt die gesamte Propagandamaschine der Inneren Partei. Wenn Ozeanien heute Krieg mit Ostasien führt, dann hat es schon immer Krieg gegen Ostasien geführt. Wenn sich jemand zu erinnern glaubt, das noch gestern Ostasien der Verbündete in einem Krieg gegen Eurasien war, dann ist das falsch und jedes Nachdenken über diesen Widerspruch wäre ein Gedankenverbrechen. Winston Smith hat von Berufs wegen mit solchen Widersprüchen zu tun. Er muss die Geschichte korrigieren. Daher fällt es ihm auch immer schwerer, Doppeldenk zu betreiben. Die Schokoladenration wird [offiziell] auf 25 Gramm heraufgesetzt. Aber Winston weiß, dass die Schokoladenration vorher 30 Gramm betragen hat. Doppeldenk verlangt von ihm, überzeugt zu sein, dass die Schokoladenration nicht herab-, sondern heraufgesetzt wird." (Quelle)

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