Mittwoch, 12. Oktober 2011

Menschenfeindlichkeit in höheren Einkommensgruppen

(...) Diese rohe Bürgerlichkeit wird befeuert durch den Klassenkampf von oben. (...) / Von Gruppen, die sich subjektiv in der Bürgerlichkeit verortet sehen, wird dies begierig aufgegriffen. Schließlich sind sie selbst von Abstiegsängsten geplagt, die spätestens seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 existieren und seit September 2008 nach der Finanzkrise noch einmal verstärkt wurden. Der so von oben inszenierte Klassenkampf wird über die rohe Bürgerlichkeit nach unten weitergegeben. Die objektive finanzielle Spaltung zwischen Reich und Arm wird ideologisch durch die Abwertung und Diskriminierung von statusniedrigen Gruppen durch die rohe Bürgerlichkeit getragen. (...)

Die geringere Wahrnehmung der sozialen Spaltung durch die oberen Einkommensgruppen hat viele Folgen. Beispielsweise wird die Hilfe für Schwache und die Solidarität mit schwachen Gruppen eher aufgekündigt. Weniger Unterstützung wird vor allem gegenüber Langzeitarbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern gefordert. Im Sinne des Kapitals wie im ökonomistischen Denken werden diese Menschen als nutzlos etikettiert. (...)

Die rohe Bürgerlichkeit zeichnet sich durch den Rückzug aus der Solidargemeinschaft aus – befeuert durch wirtschaftswissenschaftliche Eliten und die herrschende Politik.

In der rohen Bürgerlichkeit wird deutlich, dass der autoritäre Kapitalismus, dessen Zähmung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik noch gelungen schien, außer Kontrolle geraten ist. Mit seiner spezifischen Gewalt des Desinteresses an sozialer Integration aus den Sphären von Wirtschaft und Politik ist er tief in die sich aufspaltende Gesellschaft eingedrungen. Die rohe Bürgerlichkeit wird zum Mittel der gesellschaftlichen Spaltung, die initiierenden Eliten bleiben unangreifbar oder anonym.

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Anmerkung: Es ist frappierend, dass der Wissenschaftler Heitmeyer zu einem dermaßen alarmierenden Schluss kommt: "Die geballte Wucht rabiater Eliten und die Transmission sozialer Kälte durch eine rohe Bürgerlichkeit, die sich selbst in der Opferrolle wähnt und deshalb neue Abwertungen gegen schwache Gruppen in Szene setzt, zeigt nur eines: Die gewaltförmige Desintegration ist auch in dieser Gesellschaft nicht unwahrscheinlich."

Da kann man nur noch hoffen, dass die Zeit und damit auch dieser Artikel noch von genügend Menschen gelesen wird, die sich selbst im "bürgerlichen Lager" verorten. Möglicherweise setzt dann doch noch rechtzeitig eine (Selbst-)Erkenntniswelle ein, die eine neue Solidarität mit den Schwachen dieser Gesellschaft bewirkt und somit Schlimmeres verhindern könnte.

Angesichts der trostlosen, menschenunwürdigen und grundgesetzwidrigen Verhältnisse des Zwangsverarmungs- und Disziplinierungssystems "Hartz IV" ist es ohnehin eine schamlose Frechheit, wenn vergleichsweise gut versorgte Menschen zuallererst sich selbst als Opfer sehen und die Schuld dafür ausgerechnet bei den Ärmsten und Schwächsten suchen. Ein solches Verhalten kann man nur noch als asozial bezeichnen. Und für die ständige Befeuerung und Verbreitung dieses asozialen Gedankenguts sind, wie Heitmeyer es klar benennt, die Superreichen und ihre rot-grün-schwarz-gelben Erfüllungsgehilfen aus der Politik verantwortlich. Man darf mit Fug und Recht also sagen: Die neoliberale Bande ist zugleich eine asoziale Bande.

Der katastrophale Zustand der Welt wird so auf der Stelle etwas verständlicher ...

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